Deutschland und das Konzept der Schutzverantwortung

Zahlreiche schwerste Menschenrechts- verletzungen in der Vergangenheit, sei es der Völkermord in Ruanda 1994, das Massaker in Srebenica 1995, die ethnischen Säuberungen im Kosovo 1999 oder auch der Holocaust, haben die Menschheit auf härteste Weise über die Gefahren ungezügelter und unverantwortlicher Herrschaftsgewalt belehrt.

R2P
Betrachtet man die andauernden Konflikte im Sudan, im Kongo oder auch in Myanmar, so bleiben Völkermorde,  Kriegsverbrechen, ethnische Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit  immer noch zu häufig auftretende Phänomene.

Im Jahre 2000 stellte der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan eine entscheidende Frage:
Wenn humanitäre Intervention eine inakzeptable Verletzung der Staatssouveränität darstellt, auf welche Weise soll dann gegen schwerste und systematische Menschenrechtsverletzungen vorgegangen werden?

Ein Jahr später veröffentlichte die International Commission on Intervention and State Sovereignty (die Internationale Kommission zu Intervention und Staatensouveränität) ICISS einen 90-seitigen Bericht unter dem Titel „The Responsibility to Protect“ und führte damit erstmalig das Konzept der Schutzverantwortung ein.
Während das Prinzip der humanitären Intervention das Risiko der Nicht-Intervention birgt, wo eine humanitäre Intervention tatsächlich notwendig ist, also das „Recht zur Intervention“ im Ermessen  des zu intervenierenden Staates liegt und dieser ebenso gut auf dieses Recht verzichten kann, legt das Konzept der Schutzverantwortung den Fokus eher auf die Verpflichtung und Verantwortung eines Staates.
In dem Fall, dass ein Staat nicht in der Lage oder nicht willig ist, seine Bevölkerung vor schweren Menschenrechtsverletzungen zu schützen, geht diese Verantwortung auf die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen über. Auf diese Weise kann Staatssouveränität nicht mehr als Ausflucht oder Schutzschild verwendet werden; Untätigkeit ist somit keine Option mehr.

Durch die Fehler Deutschlands zur Zeit des Nationalsozialismus ist massives Unrecht erfahren worden. Auch daher wird im Allgemeinen die Überzeugung geteilt, dass Wiederholungen solcher Erfahrungen wie des Holocausts mit allen Mitteln verhindert werden müssen.
Wie Sabine von Schorlemer in einem Policy Paper der Stiftung für Entwicklung und Frieden schreibt, empfinden insbesondere die Deutschen „[…] angesichts von Massenvertreibungen, Deportationen und willkürlichen Hinrichtungen schutzloser Zivilisten […] eine besondere Verantwortung“. (Zum vollständigen Policy Paper des SEF hier klicken.)
Weiterhin stellt sie in ihrem Antwortschreiben zu einer Anhörung des Bundestags zur Internationalen Staatenverantwortung im Februar 2009 dar: „Deutschland kann und sollte eine aktive Rolle bei der weiteren Ausgestaltung der Schutzverantwortung einnehmen. Dafür sprechen nicht nur die deutsche Vergangenheit und der Umstand, dass unser Wohlstand auf dem Prinzip der Einmischung beruht (vgl. Berlinblockade), sondern auch die besonderen Expertise und das Vertrauen, das sich Deutschland als „ehrlicher Makler“ in den internationalen Beziehungen  erworben hat. Hinzu kommt die hohe Leistungsfähigkeit deutscher Einsatzkräfte und Unterstützungskomponenten.“ (Zur vollständigen Stellungnahme: hier klicken)

Der Bundestag unterstützte aktiv das High-Level Panel, das 2004 zusammenkam und die Schutzverantwortung als eine „entstehende Norm“ bezeichnete.
Auch während des Weltgipfels 2005 stimmte Deutschland für die Resolution A/Res/60/1, die das Konzept der Schutzverantwortung als das Kernelement des Gipfeltreffens enthielt.
Das Konzept erfährt seitdem eine immer stärkere Rezeption von den deutschen Politikern und wird offiziell vom deutschen Bundestag unterstützt.
Im Weißbuch des Verteidigungsministeriums wird diese positive Einstellung zur Schutzverantwortung noch einmal bestätigt:
„Auch wenn die Staaten, die sich diese Lehre zu Eigen gemacht haben, wahrscheinlich noch nicht in der Mehrheit sind, prägt die Debatte um die „Responsibility to Protect“ doch zunehmend das Denken westlicher Länder. […] Deutschland stellt sich seiner Mitverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Rahmen der Vereinten Nationen.“

In der deutschen Stellungnahme zum Bericht des Generalsekretärs „Implementing the Responsibility to Protect“ wird vor allem betont, dass Deutschland das Konzept der Schutzverantwortung im Allgemeinen befürwortet, im Spezifischen jedoch Kooperation und Prävention als die Grundprinzipien der Schutzverantwortung ansieht. Es wird weiterhin betont, dass die primäre Verantwortung für den Schutz der Bevölkerung bei dem betroffenen Staat liegt.

Generell fällt auf, dass Deutschland zwar die Verpflichtung , sich innerhalb der Gremien der Vereinten Nationen mit humanitären Konflikten auseinanderzusetzen und angemessene, friedliche Zwangsmaßnahmen zu diskutieren, nicht aber eine Verpflichtung zu militärischen Interventionen zum Schutz fremder Staatsbürger akzeptiert.

Betrachtet man einen spezifischen Fall wie die Krise in Darfur, so betont Deutschland auch hier, dass die primäre Schutzverantwortung bei dem sudanesischen Staat liege. Da die sudanesische Regierung dieser Aufgabe jedoch offensichtlich nicht ausreichend nachkommt, haben sich nun die Vereinten Nationen in Kooperation mit der Afrikanischen Union dem Problem angenommen und suchen eine Lösung für den Konflikt.
Die deutsche Politik drückt aus, dass die Schutzverantwortung in diesem spezifischen Fall besagt, dass die Staatengemeinschaft verantwortlich dafür ist, eine Lösung für die Krise zu suchen, nicht aber besage sie eine Verantwortung zu militärischer Intervention. Vielmehr wird darauf hingewiesen, dass die Verantwortung zu reagieren (responsibility to react) durch die Ausweitung des UNMIS Mandats auf Darfur und durch diplomatische Initiativen, welche durch den Menschenrechtsrat und die Generalversammlung der Vereinten Nationen angeregt wurden, schon erfüllt worden sei.

Andererseits muss man bemerken, dass die Bundesregierung, als einer der wichtigsten Wirtschaftspartner des Sudans, bisher keine nennenswerten Schritte unternommen hat, ihren wirtschaftlich bedingten  Einfluss zugunsten von politischen und humanitären Zwecken im Sudan zu nutzen.
Ganz im Gegenteil – anstatt durch kluge Sanktionen Druck an den richtigen Stellen – nämlich auf die Verantwortlichen in Khartum – auszuüben, hat Deutschland seine Exporte in den Sudan zwischen 2003 und 2006 um 300% erhöht.
Im Jahre 2009 war der deutsche Außenhandel mit dem Sudan allerdings wieder rückläufig. Die Exporte sanken im Vergleich  zum Vorjahr um 4,2 Prozent auf 85,3 Millionen Euro – was immer noch ein erhebliches Potenzial birgt, wirtschaftlichen Einfluss geltend zu machen; vor allem auch, weil Deutschlands  Exportgüter in den Sudan – hauptsächlich Maschinen und Ausrüstungen, sowie Fertigerzeugnisse, Chemikalien, Lebensmittel und Textilien- von solcher Art sind, dass sie nur schwer durch Firmen anderer Länder geliefert werden könnten.
Auch innerhalb der Europäischen Union, die zurzeit der zweit-größte Handelspartner des Sudan ist, könnte Deutschland sich erheblich aktiver für gezielte Sanktionen gegen die Regierung in Khartum einsetzen.

Deutschland ist allgemein betrachtet, wie die deutschen Beiträge im Sudan gezeigt haben, ein verlässlicher Akteur, wenn es um humanitäre Hilfe oder die Unterstützung von Friedensmissionen geht.
So kann niemand behaupten, dass Deutschland Mühen oder finanzielle Aufwände scheut,  um humanitäre Hilfe zu leisten. Deutschland mag vielleicht den Militarismus  scheuen, es ist jedoch angesichts der Erfahrungen des Holocausts tief geprägt durch die Überzeugung des „Nie wieder“ und leistet daher immer noch bemerkenswerte  Beiträge zur Realisierung der Schutzverantwortung.

Nichtsdestotrotz, würde ein Mancher vielleicht ein aktiveres, leitenderes Engagement sowie drastischere Maßnahmen erwarten, um Massenverbrechen zu beenden – auch angesichts des historischen Hintergrundes Deutschlands.
Die Bundesregierung sollte daher alle ihre zu Verfügung stehenden Möglichkeiten, wie etwa die oben angeführten wirtschaftlichen Sanktionen gegen das Regime in Khartum, ausschöpfen, um endlich die Krise in Darfur und somit das Leid unzähliger Zivilisten zu beenden.

Na-Hyeon Shin

Die Schutzverantworung als Element des Friedens – Policy Brief der Stiftung Entwicklung und Frieden

In einem aktuellen Policy Paper der Stiftung Entwicklung und Frieden (www.sef-bonn.org) setzt sich Sabine von Schorlemer mit dem Konzept der sog. Schutzverantwortung auseinander. Dieses Konzept bedeutet, dass staatliche Souveränität eine Verantwortung der Regierung für die Sicherheit der auf ihrem Territorium befindlichen Menschen impliziert, wobei der internationalen Gemeinschaft eine subsidiäre Verantwortung zum Schutz von Zivilbevölkerungen zukommt für den Fall, dass ein Staat nicht willens oder nicht fähig ist, seiner Schutzverantwortung gegenüber der Bevölkerung nachzukommen. Neben einer Erklärung der Entwicklung und Bedeutung des Konzepts, werden sinnvolle Empfehlungen zur Fortentwicklung und Ausgestaltung der Schutzverantwortung erläutert.