Die UN im Süd-Sudan: Schutz der Bevölkerung muss Priorität werden

Will man die Konflikte im Südsudan verstehen, muss man auch über die Rolle der Vereinten Nationen in dieser Region im Bilde sein. Mit der „United Nations Mission in Sudan“ – kurz UNMIS – verfügen diese mit einer Personalstärke von 10.000 Soldaten, Polizisten und zivilen Mitarbeitern über eine nicht zu unterschätzende Präsenz auf dem Gebiet des Südsudans und in den Übergangsregionen. Die anhaltende Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung im Südsudan zeigt jedoch, dass UNMIS nur unzureichend in der Lage ist diese zu schützen. Angesicht des drohenden Gewaltausbruchs im Zusammenhang mit dem Referendum im Januar 2011 gilt es die Mission umgehend zu stärken. Andernfalls wären die Vereinten Nation wiedereinmal dazu verdammt, inmitten tausendfachen Mordens dem Leiden hilflos zusehen zu müssen.

 

Die mit der Sicherheitsratsresolution 1590 am 24. März 2005 ins Leben gerufen UNMIS soll vor allem die Einhaltung und Umsetzung des „Comprehensive Peace Agreements“ gewährleisten. Sie ist dementsprechend als eine traditionelle Peacekeeping-Mission nach Kapitel VI der UN-Charta angelegt und leicht bewaffnet. Darüber hinaus enthält ihr Mandat jedoch auch Kapitel VII Elemente. Mit anderen Worten: Der Einsatz von Zwangsmaßnahmen – bis hin zum Gebrauch von Schusswaffen – zum Schutz der Zivilbevölkerung ist eindeutig zulässig. So gesehen ist UNMIS mit einer größeren Handlungsfreiheit ausgestattet, als dies in früheren UN-Mission, der Fall war.

An dieser Stelle setzt jedoch auch bereits die Kritik an der Ausführung der Mission ein. Obwohl das Mandat durchaus den Schutz von Zivilisten als Aufgabe vorsieht, lag der Fokus von Anfang an auf der Beobachtung des Friedensabkommens. Dementsprechend wurde die Schutzkomponente bei der Planung nur unzureichend berücksichtigt. Dies schlug sich nicht zuletzt in der personellen Zusammensetzung nieder. Offensichtlich hat sich die UNMIS-Führung kaum Gedanken darüber gemacht, wie sie die Schutzkomponente ihres Mandates überhaupt erfüllen könnte. Konkrete Strategien und Konzepte zu deren Umsetzung blieben aus.

Diese Mängel traten auf blutige Weise zu Tage. Dass im März und April bei interethnischen Überfällen in der Provinz Jonglei mehr als 1000 Männer, Frauen und Kinder ums Leben kamen, zeigte mehr als deutlich, dass UNMIS trotz seines weitgehenden Mandates nicht in der Lage war, derartige Massenverbrechen zu verhindern. Die Massaker blieben auch nicht auf Jonglei begrenzt. Auch den Tod von 72 Zivilisten im „Upper Nile State“, nur wenige Wochen später, konnte UNMIS nicht verhindern. Bereits vorher war UNMIS nicht in der Lage Attacken, wie beispielsweise von der „Lord Resistace Army“ aus Uganda, zu unterbinden.

Da es immer deutlicher wurde, dass die Regierung des Süd-Sudan ebenso wenig in der Lage ist ihre Schutzverantwortung gegenüber ihrer Bevölkerung wahrzunehmen, ist es notwendig, dass UNMIS der Schutz von Zivilisten endlich höchste Priorität einräumt und nicht nur auf die Beobachtung des Waffenstillstandes beschränkt. Obwohl die UNMIS-Führung bereits im Vorfeld der oben genannten Massaker Kenntnisse über die akuten Spannungen in der Region hatte, versäumte sie es ihre Präsenz zu erhöhen und konfliktentschärfende Maßnahmen zu ergreifen. Stattdessen müssen die Kommandeure von UNMIS ein proaktives Verhalten an den Tag legen und ihr Mandat voll ausfüllen. Dass sie es bisher nicht tut, ist der UNMIS-Führung selbst bewusst. 2008 gab ein UNMIS-Kommandeur in einem Report zu: „Jeglicher Schutz von Zivilisten, den wir bieten könnten, wäre zufällig“. Dafür sei vor allem das zu geringe Truppenkontingent verantwortlich.

Es gibt jedoch Anzeichen, dass UNMIS zum Teil aus ihrem Versagen gelernt hat und dabei ist, dem Schutz von Zivilisten eine höhere Priorität einzuräumen und ihre Truppenstärke in besonders gefährdeten Gebieten zu erhöhen. Unzureichendes Personal, der Umstand, dass es der UN generell an einem Konzept für den Schutz von Zivilisten mangelt und die traurige Erfahrung, dass UN-Kommandeure im Zweifelsfall die Sicherheit der eigenen Soldaten gegenüber der der Zivilbevölkerung Vorrang einräumen, stimmt jedoch nicht gerade hoffnungsvoll, dass weitere Gewalt verhindert werden kann.

Tatsache ist, dass UNMIS nicht einmal in der Lage ist den Schutz von Zivilisten zu gewährleisten, solange offiziell Frieden herrscht. Dies führt einem vor Augen, welches Ausmaß an Gewalt und welch horrende Opferzahlen zu erwarten sind, wenn es im Zuge des Referendums zu einem erneuten offenen Krieg in der Region kommen würde. Schließlich war auch in Ruanda eine UN-Mission zur Überwachung eines Friedensabkommen vor Ort. Als das Abkommen zerbrach und der Völkermord begann, konnte diese schließlich nur noch zusehen.

In der für den Sudan kritischen Phase des Referendums ist es deshalb notwendig, die Kapazitäten von UNMIS entsprechend anzupassen. Vor allem die Fähigkeit auf aufflammende Gewalt rechtzeitig zu reagieren muss weiter ausgebaut werden. Selbstverständlich muss eine Lösung des Konflikts auf der politischen Ebene erfolgen und die Wurzeln der Gewalt müssen in einem umfassendem Ansatz angegangen werden. Dennoch ist  auch hierfür  Stabilität und die Sicherheit der Bevölkerung die Grundvorraussetzung.

Die Bundesregierung muss sich hier ihrer Verantwortung stellen, den deutschen Truppenanteil aufstocken, um den Konfliktparteien deutlich zu machen, dass ihr das Schicksal der Zivilbevölkerung nicht egal ist. Bereits jetzt könnte sich die Bundeswehr auf die Bereitstellung eines Kontingents vorbereiten. Im Fall der Fälle würde dann weniger wertvolle Zeit verloren gehen und tausende Menschen könnten gerettet werden.

Damit würde die Bundesregierung nicht nur entsprechend der auf dem UN-Weltgipfel 2005 beschlossenen Schutzverantwortung handeln, sondern auch das in dem fraktionsübergreifenden Antrag am 24. März 2010 im Bundestag gegebene Versprechen halten, „sich innerhalb der UN dafür einzusetzen, dass UNMIS gemäß dem Mandat mit dem erforderlichen Personal (Militär- und Polizeikräfte) und Material ausgestattet wird.“

Von Christoph Schlimpert

Referendum 2011 – Sudan am Scheideweg

Der Sudan sieht einer ungewissen Zukunft entgegen. Im kommenden Januar wird der Süden des Landes darüber entscheiden, ob er in Zukunft ein Teil des Sudans bleiben will oder sich abtrennen und ein eigener Staat werden möchte. Umfragen belegen, dass eine große Mehrheit sich für die Abspaltung des Landes aussprechen wird. Die große Frage wird dann sein, ob die herrschende Elite in Khartum diesen Schritt anerkennt oder ob es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung kommt. Der Süden ist reich an Erdöl und eine Abtrennung wäre ein harter Schlag für den Nord-Sudan, der sich bisher in erster Linie über Öl-Exporte finanziert. Es besteht also eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit, dass es nach dem Referendum zu einer militärischen Auseinandersetzung kommen wird. Sowohl der Süden und der Norden treffen bereits alle notwendigen Vorkehrungen, um im Fall der Fälle wortwörtlich gewappnet zu sein.

Wie konnte es zu all dem kommen? Nach einem zwei Jahrzehnte andauerndem Krieg mit fast 2 Millionen Toten einigten sich der Norden und Süden im Jahr 2005 auf einen umfassenden Friedensvertrag, das sogenannte Comprehensive Peace Agreement (CPA). Hierin vorgesehen waren unter anderem die Bildung einer nationalen Einheitregierung, demokratische Wahlen, das 2011 anstehende Referendum sowie verschiedene weitere Maßnahmen. Vieles ist umgesetzt worden, vieles allerdings auch nicht. Eine der entscheidenden Fragen im Moment ist die der Grenzziehung zwischen Norden und Süden, die für eine eventuelle Abtrennung des Südens die Voraussetzung ist. Genau hier hakt es aber. Bei der Grenzziehung können sich beide Parteien nach wie vor nicht einigen, was insbesondere erdölreiche Gebiete wie Abiye betrifft. Auf wessen Seite die Erdölvorkommen liegen ist strittig, nicht zuletzt weil dies über die damit verbundenen Einnahmen entscheiden wird. Es ist in hohem Maße unwahrscheinlich, dass man bis Januar 2011 zu einer Lösung finden wird. Die Zeichen stehen auf Sturm.

Sollte es zu einem Waffengang kommen, wird die Zivilbevölkerung wie in den vergangenen kriegerischen Auseinandersetzungen das erste Opfer sein. Die im Land befindliche UN-Schutztruppe mit der Bezeichnung UNMIS wird kaum in der Lage sein, Zivilisten vor Gewalt zu schützen, wenn nicht bald eine massive politische und militärische Unterstützung der Truppe durchgeführt wird. Deutschland, die EU und die internationalen Gemeinschaft halten sich bisher zurück oder ignorieren die Situation. Es scheint, dass wie so oft in der jüngeren Geschichte ein verhinderbares Massaker an unschuldigen Zivilisten ignoriert wird, bis es zu spät ist. Spätestens wenn die ersten Bilder von Massengräbern, Flüchtlingen und vergewaltigen Mädchen und Frauen über westliche Mattscheiben flimmern, wird die Politik „haltet den Dieb“ schreien und fragen, „wie solch eine Katastrophe geschehen konnte“. Die Lage ist aber bereits heute klar, es soll also in 4 Monaten niemand behaupten, dass die Tragödie nicht absehbar war.

Sollte es tatsächlich zu einem erneuten Krieg zwischen Norden und Süden kommen, dann wird dies nicht nur schreckliche Konsequenzen für die Menschen im Sudan haben, sondern auch die gesamte Region destabilisieren. Zum einen werden die Rebellen in Darfur ihre Chance gekommen sehen, mit einem Zweifronten-Krieg ihre politischen Forderungen gegen Khartum durchsetzen zu können. Wahrscheinlich wird der Nord-Sudan die berüchtigte Lords Resistance Army (LRA) wie in der Vergangenheit für seine Zwecke einspannen und gegen den Süden in Stellung bringen. Dies könnte wiederum Uganda in den Krieg involvieren, das seit Jahren gegen die LRA kämpft. Auch die Reaktion der Nachbarländer Tschad und Zentralafrikanische Republik ist nur schwer einzuschätzen. International würde ein Krieg ebenfalls Wellen schlagen, wobei die offensichtlichste Frontstellung zwischen China auf Seiten Khartums und der USA und Europas auf Seiten des Südens wäre.

Noch besteht die Möglichkeit, dass der Sudan einen friedlichen Weg einschlägt. Noch besteht die Hoffnung, dass nicht abertausende Unschuldige ihr Leben verlieren. Hierfür ist vor allem von Nöten, dass die EU und die USA alle diplomatischen Kanäle nutzen, um den Nord-Sudan von jeglicher Gewalt abzuhalten. Über den notwendigen wirtschaftlichen Einfluss verfügt Europa als zweitgrößter Importeur sudanesischer Waren auf jeden Fall, auch wenn man dies in Deutschland als Exportnation nur ungern zur Kenntnis nimmt. Neben wirtschaftlichen und diplomatischen Mitteln sollte die UNMIS-Truppe mit einem eindeutigen politischen Mandat zum Schutz von Zivilisten sowie den notwendigen Ressourcen ausgerüstet werden. Eine Verstärkung der Truppe durch westliche Soldaten würde ein klares Zeichen setzen, dass Europa und die USA sich nicht abwenden werden. Wenn sich die internationale Gemeinschaft in ausreichendem Maße für eine friedliche Lösung des Konfliktes engagiert besteht eine realistische Hoffnung, dass das Schlimmste verhindert werden kann. Das wäre in der Tat ein Zeichen dafür, dass die Welt aus Ruanda, Srebrenica und Darfur gelernt hat.

  Robert Schütte