Genocide Alert Policy Brief 12/2013: Sanktionen als Instrument der Schutzverantwortung

Sanktionen können einen wichtigen Beitrag zur Prävention von und Reaktion auf schwerste Menschenrechtsverbrechen leisten und sind ein starkes Werkzeug zur nichtmilitärischen Umsetzung der Schutzverantwortung. Sanktionen müssen dafür bereits bei den ersten Warnzeichen von Gräueltaten gemeinschaftlich auf internationaler Ebene und als Teil einer diplomatischen Gesamtstrategie beschlossen werden. Das vorliegende Policy Brief analysiert Chancen und Hindernisse von Sanktionen als Instrument der Responsibility to Protect.

 

Oft wird die Responsibility to Protect (RtoP) verkürzt mit einem militärischen Eingreifen gleichgesetzt. Sie beinhaltet jedoch vor allem nichtmilitärische Instrumente der Prävention und Reaktion, z.B. den Einsatz von Sanktionsmitteln.[i] Sanktionen können in allen drei Säulen der RtoP Wirkung zeigen. Ihre Androhung kann erstens mögliche Täter von Gräueltaten abschrecken. Sanktionen können zweitens die politische und finanzielle Handlungsfreiheit von Tätern einschränken und betroffene Regierungen beim Schutz der Zivilbevölkerung unterstützen. Im Fall schwerster Menschenrechtsverbrechen können Sanktionen drittens gemeinsam mit anderen Instrumenten zur Einstellung von Gräueltaten beitragen.

Wandel der Sanktionspraxis hin zu „Smart Sanctions“

Bis in die 1990er Jahre trafen umfassende, meist wirtschaftliche, Sanktionen oftmals eine ohnehin leidende Zivilbevölkerung mehr als das entsprechende Regime. Diese Praxis hat sich hin zu zielgerichteten Sanktionen (“Smart Sanctions”) gewandelt. Hierbei werden speziell gegen die Regierungen oder ihre Helfer Maßnahmen ergriffen, um deren Handlungsmöglichkeiten einzuschränken. So können zum Beispiel die Auslandskonten und Kredite bestimmter Individuen oder Regime eingefroren, Reisebeschränkungen erlassen oder Embargos gegen den Handel mit Waffen oder gewinnbringenden Rohstoffen verhängt werden. So konnte die Regierung Gaddafi 2011 durch ein wirksames Waffenembargo sowie die Einfrierung von Auslandskonten keine weiteren schweren Waffen oder Söldner einkaufen, die er gegen die Zivilbevölkerung hätte nutzen können. Des Weiteren kann auch der diplomatische Verkehr eingeschränkt oder der Zugang zu ausländischen Märkten im Rahmen von Sanktionen verweigert werden. Während verantwortliche Personenkreise oder Gewaltakteure von den Sanktionen betroffen sind, können Lebensmittel und humanitäre Lieferungen weiterhin zur Zivilbevölkerung gelangen. Besonders in den USA werden Smart Sanctions auch zur Einwirkung auf Firmen verwendet, die Technologien zur Verfolgung und Unterdrückung der Bevölkerung entwickeln und an menschenrechtsbrüchige Regime vertreiben (“Ghravity Sanctions”).

Erfolgsbedingungen für Sanktionen

Sanktionen sind zwar ein Zwangsmittel, jedoch auf einer niedrigeren Eskalationsstufe als militärische Interventionen zu verorten. Sie können genutzt werden, um Einfluss auf Regime und Individuen zu nehmen, die schwerste Gräueltaten verüben oder androhen. Sie dürfen daher nicht als Bestrafung für vergangene Taten eingesetzt werden, sondern sollen vielmehr künftiges Verhalten positiv beeinflussen. Eine glaubwürdige Androhung und tatsächliche Anwendung von Sanktionen kann zudem eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Täter haben.

Sanktionen müssen immer Teil einer breiteren Gesamtstrategie sein. In den Kriegen auf dem Westbalkan konnten viele Gräueltaten nicht durch Sanktionen verhindert werden, weil Waffenembargos erst sehr spät erfolgten, nicht alle Parteien gleichermaßen trafen und nicht von weiteren Maßnahmen flankiert wurden.

Sanktionen müssen von glaubhaften diplomatischen Bemühungen begleitet sein, um Verhandlungen zu ermöglichen. So bietet man betroffenen Gruppen einen Ausweg aus ihrer Situation und kann eine Verhärtung der Fronten vermeiden.

Erfolgreiche Sanktionen im Rahmen der RtoP benötigen möglichst breite Zustimmung. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kann Sanktionen laut Kapitel VII der Charta verhängen, wenn Bevölkerungen von Gräueltaten bedroht werden. Hier legen Sanktionsausschüsse den zu sanktionierenden Personenkreis fest. Fehlende Expertise und Überforderung führen aber oft dazu, dass die für Gräueltaten Verantwortlichen kaum getroffen werden. Dass dies nicht so sein muss, zeigte der kanadische Ausschussvorsitzende Robert Fowler ab 1999 in Angola: Durch umfassende Nachforschungen unter Mitgliedsstaaten und vor Ort konnten Sanktionsverletzungen verhindert und Empfehlungen zur Verbesserung der Durchsetzung erarbeitet werden. Die Smart Sanctions in Bezug auf die Darfurkrise verdeutlichen aber auch, wie wichtig ein entsprechender politischer Wille ist: Von über dreißig als Täter identifizierten Personen der Elite konnte man sich letztlich nur bei vier Personen auf Sanktionen einigen, was nur unzureichend zu einer Verbesserung der Situation geführt hat.

Auch die EU und die Arabische Liga können Waffenembargos, Handels- und Finanzsanktionen sowie Reisebeschränkungen erlassen, wie in Syrien bereits geschehen. Das Waffenembargo der EU, dessen Aufhebung und die Reaktion der Russischen Föderation unterstreichen die Wichtigkeit international konzertierter Sanktionen.

Empfehlungen

 

Deutschland hat als Exportweltmeister international eine enorme ökonomische Bedeutung, ebenso wie das handelspolitische Schwergewicht EU. Daraus ergibt sich Verantwortung und Verhandlungsmacht. Durch die Verhängung gezielter Sanktionen im Fall schwerster Menschenrechtsverletzungen sollte daher gezielter Einfluss auf das Verhalten von Missetätern genommen und entsprechend zur Prävention von Gräueltaten beigetragen werden. Außenhandelsinteressen dürfen kein Hindernis zu Verhinderung von Völkermorden sein. Die Bundesregierung sollte daher auf internationaler Ebene

  • bei EU und UN stärker für den Einsatz gemeinsamer Sanktionen als Instrument der Schutzverantwortung eintreten.
  • diplomatisch auf Staaten einwirken, die sich gegen die gemeinsame Verabschiedung von Sanktionen stellen, wenn Gräueltaten drohen oder bereits stattfinden.
  • durch Ressourcen und Know-How die UN Sanktionsausschüsse unterstützen und gegebenenfalls anderen Staaten bei der Umsetzung beistehen.

Auf nationaler Ebene sollte die Bundesregierung die bereits vorliegenden Instrumente zur Umsetzung der RtoP effektiver nutzen und

  • in Gefahrsituationen frühzeitig die Verhängung effektiver Sanktionen vorantreiben und beschließen.
  • bei mangelnder internationaler Einigkeit bezüglich Staaten, mit denen Deutschland z.B. durch Handel eng verbunden ist, gemeinsam mit der EU zu Maßnahmen wie temporären Handelssperren greifen, begleitet von diplomatischen Angeboten.
  • durch eine strikte und menschenrechtsbasierte Rüstungsexportpolitik[i] Sanktionen einen glaubhaften Rahmen geben und von selektiver Sanktionsverhängung nach politischer Opportunität absehen.

 

 

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[1] Die International Coalition for the Responsibility to Protect und das Global Centre for the Responsibility to Protect haben kürzlich Beiträge zum Thema veröffentlicht.

[1] Vergleiche hierzu „Der Internationale Waffenhandelsvertrag als Präventionsinstrument der Schutzverantwortung

Lena Kiesewetter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Genocide Alert.

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