Sudan: Zivilbevölkerung erneut im Visier

Nur sieben Monate ist es her, dass der Südsudan seine Unabhängigkeit gefeiert hat. Seitdem gab es aber für die Menschen auf beiden Seite der Grenze zwischen (Nord)Sudan und Südsudan wenig zu feiern. Interne und grenzüberschreitende Konflikte, in denen zum Teil auch die schlimmsten Muster der Massenverbrechen in Darfur wieder vorkommen, haben die Region in eine erneute humanitäre Krise gestürzt. Ein eskalierender Streit zwischen (Nord)Sudan und Südsudan über die Verteilung von Erdöleinkommen lässt unterdessen noch schlimmere Gewaltausbrüche befürchten.
Die traurige Bilanz bisher:  Mehr als eine Millionen Menschen sind laut UNO Schätzungen allein von den Konflikten in den beiden nördlichen Regionen Blue Nile und Süd Kordofan betroffen. In der gesamten Region befinden sich bereits Hunderttausende auf der Flucht. An vielen Orten droht eine Hungersnot, nachdem durch Kämpfe die Agrarwirtschaft sehr beeinträchtigt wurde. Hilfsorganisationen kommen nur schwer zu den betroffenen Bevölkerungen durch.

Eine Hauptursache für diesen Zustand ist, dass das nordsudanesische  Regime, das vermutlich inzwischen mehr vom Militär als durch die lang-amtierende National Congress Party geführt wird (siehe PDF S. 3), weiterhin auf seine alten Kriegsstrategien setzt. So werden Zivilisten abermals aus der Luft bombardiert und aus ihren Wohnorten vertrieben. Hilfsorganisationen wird der Zugang zu den Betroffenen aktiv und absichtlich verwehrt.

Dazu kommt im Südsudan eine weitere Problematik:  Der neue Staat ist durch Aufstände von abtrünnigen Militäreinheiten und schweren ethnischen Spannungen belastet. Diesen Sicherheitsherausforderungen wird er nicht gerecht. Nach Schätzungen der UNO mussten 2011 allein im Süden mehr als 325.000 Menschen vor Kämpfen fliehen (siehe S/2011/678, s. 11).  Auch das Jahr 2012 begann mit der Nachricht, dass Zehntausende Menschen durch einen Konflikt zwischen Angehörigen der Stämme Lou Nuer und Murle vertrieben wurden.

Die internationale Schutztruppe UNMISS ist unterbesetzt, schlecht ausgerüstet, und von der Situation überfordert. Bereits vor der Unabhängigkeit wurde den Blauhelmen der damals bestehenden UNMIS angesichts von Attacken auf Zivilisten in der Region Süd Kordorfan Untätigkeit vorgeworfen. So zitiert die englische Zeitung Independent Augenzeugen die behaupten, dass ein ägyptisches Kontingent  im Juni 2011 in Süd Kordofan Hinrichtungen von Zivilisten tatenlos beobachtet haben soll. Im Süden konnten Ende Dezember Truppen der Nachfolgemission UNMISS zusammen mit der Südsudanesischen Armee Tausende Kämpfer der Lou Nuer nicht von einem Pogrom an Mitgliedern des Murle Stamms abhalten.

Diplomatisch zeigt sich die internationale Gemeinde aber noch ohnmächtiger. Für seine wiederholten Menschenrechtsverletzungen hat der Nordsudan nur wenig Kritik geerntet; das Regime durfte sogar einen seiner Generäle, der auch in Darfur in Verbrechen verwickelt war, zum Vorsitzenden der Menschenrechtsbeobachtermission der Arabischen Liga im Syrien kurieren. In der EU bemerkt man zwar ein gelegentliches Händeringen – aber die Möglichkeit von gezielten Sanktionen gegen die Verantwortungsträger im Sudan kommt nicht einmal auf die Tagesordnung.

Dabei hat der Nordsudan in den letzten Monaten eine Serie von Offensiven gegen die eigene Bevölkerung in Gang gebracht – und Vorbereitungen für weiteres Blutvergiessen werden offenbar schon getroffen.

Die Verbindungen der Bevölkerung in den betroffenen Provinzen zum Südsudan stellen aus Sicht der Zentralregierung des Sudan ein ernstes Problem dar, was dessen hartes Vorgehen erklärt. Will man der Region einen Frieden ermöglichen, muss zunächst dieses im Zuge der Unabhängigkeit „übriggebliebene Problem“  gelöst werden.  Im zweiten ungelösten Teilungskonflikt – dem Verbleib der umstrittenen und von Khartoum besetzten Grenzregion Abyei – sollten dessen Bürger entsprechend des Nord-Süd Friedensabkommens von 2005 entscheiden dürfen, ob sie sich dem Norden oder dem Süden anschließen wollen. Die Provinzen Süd Kordofan und Blue Nile sollten weiterhin dem Norden zugehörig bleiben, jedoch einem besonderem Status zuerkannt bekommen. So sah es auf dem Papier aus, für das die EU damals gebürgt hat. Die Realität die sich nun aufzeichnet ist eine ganz andere.
Auch wenn sich die internationale Gemeinschaft derzeit vor allem mit den Umbrüchen in der arabischen Welt und der Situation in Syrien befasst, darf sie dabei die Konflikte im Sudan und Südsudan nicht erneut aus den Augen verlieren. Zu gravierend ist die humanitäre Notlage und zu akut die Gefahr, selbst das Erreichte zu verspielen.

 

von David Dagan und Christoph Schlimpert

Syrien – von der arabischen zur internationalen Lösung

Auf Grund der erneuten Zunahme der Gewalt in Syrien zieht die Arabische Liga ihre Beobachter mit sofortiger Wirkung ab. Der gesamte Friedensplan unter Aufsicht des Staatenbundes droht zu scheitern, da Syrien die Lösungsvorschläge der Arabischen Liga entscheidend zurückweist. Vor allem die Golf Staaten um Saudi-Arabien scheinen die Geduld mit dem Assad-Regime zu verlieren. Aber auch innerhalb der Arabischen Liga gibt es große Differenzen. Russland steht zwar weiterhin zu seinem Verbündeten in Damaskus, deutet jedoch leise Töne des Zweifelns an. 

Die angedachten Ziele der Beobachtermission scheinen in weite Ferne gerückt. Die Aufgabe der Mission bestand in der Überwachung des ausgehandelten Friedensplans und einer unabhängigen Bewertung der Lage in Syrien. Die Forderungen an das Assad-Regime lauteten:

1.    Der Abzug aller Truppen aus den umkämpften Städten
2.    Die Freilassung von Gefangenen
3.    Die Einleitung von Gesprächen mit der Opposition

Keine dieser Forderungen wurde erfüllt. Vor allem die syrische Opposition erhebt schwere Vorwürfe gegen die Liga und ihre Beobachter. Ihnen wird vorgeworfen sich von der syrischen Regierung einnehmen zu lassen. Zwei Beobachter quittierten ihren Dienst in Syrien bereits vorzeitig. Der algerische Autor Anwar Malek nannte den Einsatz eine „Farce“. Assads Sicherheitsleute hätten mit gezielter Täuschung versucht ihn und seine Kollegen „zum Narren zu halten“. Es wird immer deutlicher, dass die Beobachtermission nur eine schwache politische Kompromisslösung zwischen der Liga und Syrien war. Offenbar diktierte Assad der Liga vorwiegend die Bedingungen, unter denen die Beobachter ihre Arbeit zu verrichten hatten.

Arabische Liga erhöht den Druck auf Syrien

arab leagueErst auf Druck der Golfstaaten verschärfte die Arabische Liga den Ton gegenüber Damaskus, indem sie zur Gründung einer Regierung der nationalen Einheit in Syrien aufrief. Sie solle sich aus Mitgliedern des Regimes sowie der Opposition zusammenstellen und die Bildung einer neuen Regierung vorbereiten. Außerdem forderten sie den teilweisen Machtverzicht Assads.

Syrien lehnte prompt alle Vorschläge der Arabischen Liga ab und verwies auf die Verletzung der staatlichen Souveränität. Die Vorschläge seien eine Einmischung in die nationalen Angelegenheiten Syriens. Das Assad-Regime ging noch weiter und kündigte eine Aussetzung aller arabischen Friedenspläne an. Der syrische Außenminister Walid Muallim witterte einen „Komplott“ der Arabischen Liga gegen Präsident Baschar al-Assad. Auf Grund dieser jüngsten Entwicklungen scheint eine arabische Lösung des Konflikts kaum mehr denkbar.

Der Anstoß für eine härtere Gangart gegenüber dem Assad-Regime ging von den Golfstaaten aus. Saudi-Arabien und der Golfkooperationsrat (GCC) kündigten an ihre Beobachter zurückzuziehen, nachdem die Arabische Liga vorerst eine Verlängerung der Mission um einen Monat beschloss. Wohl wissend, dass dieser Schritt die Beobachtermission endgültig scheitern lassen würde – die sechs Staaten des GCC (Kuweit, Bahrain, Saudi-Arabien, Katar, Vereinigte Arabische Emirate und Oman) stellen den Großteil der Liga-Beobachter.

Die Golfstaaten um Saudi-Arabien scheinen offenbar die Geduld mit dem Assad-Regime als auch mit der Arabischen Liga verloren zu haben. Während die Liga stets um eine arabische Lösung des Konflikts bemüht war, rief Saudi-Arabien die internationale Gemeinschaft auf, „ihrer Verantwortung gerecht zu werden“. Dies kann man als Affront der Golfstaaten gegenüber der Liga werten, obwohl sie selbst dem Staatenbund angehören.

Die politischen Verhältnisse innerhalb der Arabischen Liga

Um diese Brüskierung politisch bewerten zu können, lohnt sich ein Blick auf die machtpolitischen Verhältnisse in der arabischen Welt. Das Staatenbündnis der Arabischen Liga ist zum Konsens verpflichtet, stellt allerdings keinen homogenen Zusammenschluss dar. Jeder Mitgliedsstaat verfolgt seine eigenen vitalen und machtpolitischen Interessen, was – wie im Falle Syriens – oft zu Streitigkeiten führt. Trotz der großen Interessengegensätze sind die reichen Golfstaaten die Wortführer und Antreiber in der Arabischen Liga.

Die machtpolitischen Verhältnisse und Konflikte in der arabischen Welt sind kompliziert und nicht selten von religiöser und ethnischer Herkunft geprägt. Die Golfstaaten betrachten das Bündnis der Syrer mit dem Iran mit zunehmendem Argwohn. Allen voran stehen die Saudis dem Regime in Teheran äußerst skeptisch gegenüber, wobei der Atomstreit die Lage zusätzlich verschärft. Der Druck auf Damaskus ist also auch an Teheran adressiert. Der Sturz des alawitischen Regimes in Damaskus wäre ein erster Erfolg für Riad und seine Verbündeten.

Da die arabische Lösung des Konflikts zu scheitern droht, könnte sich eine Einschaltung des UN-Sicherheitsrates abzeichnen. Die Golfstaaten um Saudi-Arabien riefen den UN-Sicherheitsrat bereits auf, den Druck auf Damaskus zu erhöhen und dafür „alle nötigen Maßnahmen“ zu ergreifen.

Russland weiterhin in Blockadestellung

Bereits im Oktober legten Russland und China ihr Veto gegen eine von europäischen Rats-Mitgliedern ausgearbeitete Resolution im UN-Sicherheitsrat ein und verhinderten damit ein konsequentes Vorgehen gegenüber der Regierung in Damaskus. Moskau warf dem Westen eine einseitige Verurteilung des syrischen Konflikts vor, welche eine friedliche Lösung erschwere. Natürlich müssen in diesem Zusammenhang die russischen und chinesischen macht- und geopolitischen Interessen gesehen werde: Beide Staaten haben Probleme mit Rebellengruppen und wollen durch robustes internationales Eingreifen in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten keine Präzedenzfälle schaffen, die sie selbst in Erklärungsnot bringen könnten.

Im Dezember legte Russland überraschenderweise einen eigenen Resolutionsentwurf vor. Der Entwurf verwies zwar auf die Notwendigkeit dem Blutvergießen ein Ende zu setzen, doch wurde an keiner Stelle Sanktionen gegen Damaskus in Erwägung gezogen. Außerdem wurden Regierung und Protestbewegung gleichermaßen für die Gewalt verurteilt, was von vielen europäischen Vertretern kritisiert wurde.

Auch der im Januar eingebrachte Resolutionsentwurf enthielt kaum Änderungen. Wieder fehlte eine Verurteilung des gewaltsamen Vorgehens des Assad-Regimes. Vielmehr spielt die Regierung in Moskau auf Zeit und will damit Sanktionen gegen Syrien um jeden Preis verhindern.

Der Afrika- und Nahost- Beauftragte Russlands, Michail Margelow signalisierte zuletzt jedoch, dass die Geduld mit dem Partner in Damaskus nicht grenzenlos sei. Die Möglichkeiten seien durch das Veto gegen die westliche Syrien-Resolution „weitgehend erschöpft“.

Russland pflegt schon seit Jahrzenten enge Beziehungen mit Syrien und ist, laut dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI, mit Waffenlieferungen im Wert von rund 162 Millionen Dollar jährlich, der mit Abstand größte Waffenlieferant für Syrien. Es erscheint fraglich, ob Russland in Zukunft auf die hohen Einnahmen aus Rüstungsexporten zugunsten einer strengen Sanktionspolitik verzichten wird.

Die Probleme des UN-Sicherheitsrats

wake up united nationsDer Fall Syrien zeigt daher leider auch, dass es ohne einen Minimalkonsens im Sicherheitsrat nicht möglich ist, alle verfügbaren diplomatischen und wirtschaftlichen Druckmittel  auszuschöpfen und damit eine wirkliche Verbesserung der Situation der Zivilisten zu bewirken.

Nimmt man die Perspektive der Opfer ein, was der Kerngedanke der Schutzverantwortung ist, muss das oberste Ziel nun die Verhinderung eines Bürgerkriegs in Syrien sein – zumal jüngste Berichte darauf deuten, dass eine Mehrheit der syrischen Bevölkerung einen geordneten Machtwechsel wünscht.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen muss seiner Verantwortung gerecht werden und entschiedene Schritte gegen das Assad-Regime einleiten. Beispielsweise durch Sanktionen gegen das Regime oder durch die Überweisung des Falles an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag. Denn der IStGH kann von sich aus keine Ermittlungen aufnehmen, da Syrien dem so genannten Rom Statut nicht beigetreten ist. Der Wandel in Syrien muss angesichts der Blockade im Sicherheitsrat und der wahrscheinlich hohen Opferzahlen im Falle eines militärischen Eingreifens von außen entschieden mit nicht-militärischen Mitteln vorangetrieben werden.

von Gerrit Noppel

 

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Die Schutzverantwortung, die Libyen-Intervention und die Folgen für Syrien

Die Massenverbrechen in Libyen im Frühjahr 2011 schockierten die Weltöffentlichkeit. In der Folge autorisierte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erstmals ein militärisches Eingreifen in einen inneren Konflikt unter dem Banner der Responsibility to Protect (im Deutschen auch Schutzverantwortung). Durch Resolution 1973 wurden die Mitgliedstaaten am 17. März autorisiert „alle notwendigen Maßnahmen“ zum Schutz der Zivilbevölkerung in Libyen zu ergreifen und eine Flugverbotszone einzurichten. Dies wird von vielen als erste erfolgreiche Anwendung der dritten Säule der Responsibility to Protect gesehen.

Diese dritte Säule beinhaltet den Übergangs der Verantwortung zum Schutz der Zivilbevölkerung an die Internationale Gemeinschaft, sollte ein Staat unwillig oder unfähig sein diese vor Massenverbrechen zu schützen. Dabei ist ein militärisches Eingreifen nur eine Option in einem Kontinuum an Reaktionsmöglichkeiten: Diese können von Mediation zwischen den Konfliktparteien über politischen und diplomatischen Druck bis hin zu Sanktionen oder eben, sollten alle anderen Mittel ausgeschöpft sein, dem Einsatz militärischer Gewalt reichen.

Doch die maßgeblich durch die NATO-Staaten Großbritannien und Frankreich durchgeführte Libyen-Intervention sei, so Kritiker, nicht auf das erteilte Mandat beschränkt gewesen: Erklärtes Ziel des Einsatzes war schließlich die Absetzung des libyschen Diktators Gaddafi. Am Beispiel Syrien wird im Folgenden erörtert, welche Auswirkungen der Eingriff in Libyen auf die internationale Reaktion in anderen Situationen, in denen Massenverbrechen begangen werden, hat.

Die Libyen-Intervention

russian in scNachdem zunäc hst Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten ab dem 19 März Angriffe auf militärische Ziele in Libyen geflogen und bereits nach wenigen Tagen die Lufthoheit über Libyen übernommen hatten, ging der Einsatz Ende März in die Verantwortung der NATO über. Unterstützt wurde sie dabei von Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Nachdem die Kontrolle über den Luftraum erreicht war, setzten Großbritannien und Frankreich ihre Angriffe auf militärische Ziele in Libyen fort, um die oppositionellen libyschen Rebellen im Kampf gegen die Truppen des Herrschers  Muammar al-Gaddafi zu unterstützen. Die Intervenierenden zielten dabei auf einen Regimewechsel ab, was mit dem Sturz Gaddafis und der Eroberung der libyschen Hauptstadt Tripolis im August 2011 schließlich erreicht wurde.

 Im Falle Libyens war entscheidend, das die nicht-westliche ständigen Sicherheitsratsmitglieder Russland und China, aber auch die nicht-ständigen Mitglieder Brasilien und Indien die Resolution 1973 nicht blockierten und so ein Eingreifen ermöglichten. Der Sicherheitsrat legitimierte mit dieser Resolution, die unter Bezug auf Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen erteilt worden war, die Anwendung von Zwangsmaßnahmen bis hin zum Einsatz von Gewalt, um den Schutz von Zivilisten sicherzustellen. Das mit der darauf folgenden Intervention verbundene Ziel eines Regimewechsels traf bei vielen Staaten aber auf Ablehnung.

Internationale Reaktionen auf den NATO-Einsatz in Libyen

Die expansive Auslegung des Mandats durch die NATO-Staaten und ihre Verbündeten wurde nicht nur von China und Russland kritisiert sondern auch von anderen Staaten Sicherheitsrat, wie Brasilien, Indien und Südafrika. Auch die Afrikanische Union kritisierte Ende Mai 2011 die einseitige Interpretation der Resolution 1973. Der südafrikanische Präsident Jacob Zuma beklagte, dass die Resolution für einen Regimewechsel missbraucht worden sei. Dies hatte auch direkte Auswirkungen auf den andauernden Entscheidungsprozess des Sicherheitsrates in Bezug auf Syrien. Einige Kommentatoren verweisen daher darauf, dass die Konzentration der NATO auf einen Regimewechsel in Libyen das eigentliche Ziel der Schutzverantwortung, den Schutz von Zivilisten, untergrub und damit zum Sargnagel der Schutzverantwortung werden könnte. Alte Vorurteile, dass die Responsibility to Protect ein Vorwand des Westens zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten sei, wurden wieder aufgewärmt.

Dies spiegelt sich auch in den Reaktionen im Sicherheitsrat auf Bemühungen der westlichen Mitglieder das syrische Assad-Regime für seine Menschenrechtsverletzungen zu verurteilen wider: Am 4. Oktober 2011 scheiterte ein westlicher Resolutionsentwurf zu Syrien im Sicherheitsrat am Veto Russlands und China. Beide Staaten verweisen darauf, dass eine friedliche Lösung gesucht werden müsse. Russland bezog sich dabei auch direkt auf die NATO-Intervention in Libyen und beklagte, dass die Forderung nach einem zügigen Waffenstillstand durch das Eingreifen der NATO zu einem ausgewachsenen Bürgerkrieg geführt habe und dass das westliche Vorgehen auf keinen Fall wiederholt werden dürfe.

Natürlich muss dies auch vor dem Hintergrund der russischen und chinesischen Interessen und geopolitischen Überlegungen gesehen werden. Hinzu kommt, dass Syrien gesellschaftlich ein komplexeres Land ist als Libyen, da hier nicht nur unterschiedliche ethnische Gruppen sondern auch verschiedene, größere religiöse Gruppierungen zusammen leben, von denen eine Minderheit – die Alawiten – seit langer Zeit das politische Leben dominiert. Viele Beobachter befürchten bei einer Destabilisierung der gesellschaftlichen Ordnung die Gefahr eines Ausbruchs ethnischer und religiöser Konflikte. Da Syrien regional eine bedeutendere Rolle einnimmt als Libyen, könnte ein chaotischer Regimewechsel oder ein Bürgerkrieg nach Meinung vieler Kommentatoren und Diplomaten im nahöstlichen Pulverfass katastrophale Konsequenzen haben – ein weiterer Grund dafür, dass bislang die hohe Zahl der Toten immer noch nicht zu einer robusteren Reaktion oder einem Eingreifen geführt hat.

Das Ende der Schutzverantwortung? Nein!

Die Kritik am Handeln der NATO in Libyen und die langsame Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf die Geschehnisse in Syrien bedeutet aber kein Ende für die Responsibility to Protect als internationale Norm. Vielmehr zeigt dies, dass die Norm der Schutzverantwortung sich in einem schwierigen Umfeld entgegengesetzter geopolitischer Interessen bewähren muss. Trotz der Kritik am Handeln der NATO, hat der Einsatz die libysche Bevölkerung vor der mörderischen Gewalt des Diktators Gaddafi geschützt. Man darf nicht vergessen, dass dieser die Rebellen als „Ratten“ bezeichnet und angekündigt hatte, seine Truppen würden von Haus zu Haus gehen, um die Aufständischen ohne Gnade zu jagen – eine Terminologie, die auch in Ruanda vor dem Völkermord 1994 zum Einsatz gekommen war. Zudem muss berücksichtigt werden, dass die NATO in Einklang mit den Werten der Vereinten Nationen in einer multilateralen Operation gehandelt habe, so Ramesh Thakur, einer der geistigen Väter der Schutzverantwortung und Mitglied der International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS), die das Responsibility to Protect-Konzept 2001 entwickelt hatte.
Thakur hat Recht damit, dass der Fall Libyen keineswegs das Ende für die Schutzverantwortung sein wird. Dem Eingreifen sind sorgsame Verhandlungen im Sicherheitsrat vorausgegangen. Es handelte sich nicht um eine unilaterale Interessendurchsetzung der USA wie 2003 im Fall Irak, als humanitäre Motive einen alternative Rechtfertigung für den Krieg lieferten, nachdem die Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen als Legitimierungsgrundlage weggefallen waren. Wichtig sei nun aber auch, so Thakur, dass die ebenfalls mit der Schutzverantwortung verknüpfte Verantwortung der Internationalen Gemeinschaft zur Unterstützung des Wideraufbaus des kriegsversehrten Landes eingelöst werde. Eine Forderung die jedem Beobachter einleuchtend erscheinen dürfte und die angesichts der aktuellen Entwicklungen in Libyen, den in einigen Gebieten aufflammenden Kämpfen und den Vorwürfen Milizen würden Menschenrechtsverletzungen begehen umso wichtiger ist.

Die Schutzverantwortung bietet mehr Möglichkeiten als nur militärische Gewalt

Mit Blick auf den Fall Syrien und dessen strategische Bedeutung im Nahen Osten wird aber ebenso deutlich, dass die Schutzverantwortung eben nicht nur auf rein militärische Mittel reduziert werden kann. Die notwendigen Kriterien für ein militärisches Eingreifen – vernünftige Erfolgsaussichten und eine legitime Autorität zur Entscheidung über den Einsatz von Gewalt – scheinen in Syrien bislang nicht erfüllt zu sein. Obwohl die Zahl der Toten und die kontinuierliche Gewalt gegen die Zivilbevölkerung als legitimer Grund für ein Eingreifen hinreichend sind und der Emir von Katar in einem Interview eine arabische Intervention in Syrien zum Schutz der Zivilbevölkerung gefordert hatte.

In einer solchen Situation – in der ein Staat beim Schutz der Zivilbevölkerung versagt bzw. selbst Massenverbrechen begeht – müssen darum regionale Organisationen, wie die Arabische Liga eine zentrale Rolle spielen. Dadurch kann auch eine höhere Glaubwürdigkeit der handelnden Akteure sichergestellt werden und die Schutzverantwortung vom Generalverdacht, lediglich ein Deckmantel zur Durchsetzung westlicher Interessen zu sein, befreit werden. Zu diesem Schluss kommt auch Gareth Evans, ehemaliger australischer Außenpolitiker und damaliger Vorsitzender der ICISS. Diese Haltung wurde zudem auch von vielen Staaten im diesjährigen informellen Dialog zur Responsibility to Protect der Generalversammlung der Vereinten Nationen vertreten: Viele Staaten sahen die militärische Intervention in Libyen kritisch, begrüßten aber die konstruktive Rolle regionaler Organisationen bei der Lösung des Konflikts und betonten, dass friedliche ökonomische, politische oder humanitäre Mittel bei der Verhinderung von Massenverbrechen eine zentralere Rolle zukommen müssten. Wenn aber die Initiativen regionaler Organisationen scheitern, wie derzeit die Bemühungen der Arabischen Liga in Syrien, dann muss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen seiner Verantwortung gerecht werden und mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln den Schutz der Zivilisten sicherstellen.

von Gregor Hofmann

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Factsheet: Das Atrocities Prevention Board in den USA: Idee und aktueller Stand

Das ge­plan­te Atro­ci­ties Preven­ti­on Board in den USA ist ei­ne In­itia­ti­ve der ame­ri­ka­ni­schen Re­gie­rung un­ter Füh­rung von Prä­si­dent Ba­rack Oba­ma, die die recht­zei­ti­ge und ef­fek­ti­ve Prä­ven­ti­on und Ver­hin­de­rung von Mas­sen­ver­bre­chen zum Ziel hat. Das Board soll die ver­schie­de­nen Re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen und Ab­tei­lun­gen ko­or­di­nie­ren um ei­ne ko­hä­ren­te Stra­te­gie für die Ver­hin­de­rung von und Re­ak­ti­on auf Mas­sen­ver­bre­chen zu ent­wi­ckeln.

Wie ist das Atro­ci­ties Preven­ti­on Board en­stan­den?
prevegenocide

  • Am 4. Au­gust 2011 er­ließ Prä­si­dent Ba­rack Oba­ma ei­ne so­ge­nann­te „Pre­si­den­ti­al Stu­dy Di­rec­tive (PSD)“ – ei­ne An­wei­sung, in­ner­halb der nächs­ten 120 Ta­ge ein res­sort­übergreifendes Atro­ci­ties Preven­ti­on Board zu schaf­fen.
  • In die­ser An­wei­sung wird die Ver­hin­de­rung von Mas­sen­ver­bre­chen und Ge­no­zid als wich­tig für die na­tio­na­le Si­cher­heit und als ei­ne be­deu­ten­de mo­ra­li­sche Ver­ant­wor­tung der Ver­ei­nig­ten Staa­ten de­fi­niert.
  • Gleich­zei­tig wur­de in der An­wei­sung ei­ne Stu­die ge­for­dert, die die ge­gen­wär­ti­gen Ka­pa­zi­tä­ten der Re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen zur Ver­hin­de­rung von Mas­sen­ver­bre­chen auf­lis­tet und even­tu­el­le Lü­cken auf­zeigt. 
  • Die An­wei­sung des Prä­si­den­ten folg­te ei­ner Emp­feh­lung der Ge­no­ci­de Preven­ti­on Task Force – ei­ne Ex­per­ten­grup­pe, die vom Ho­lo­caust Me­mo­ri­al Mu­se­um in Wa­shing­ton, dem US In­sti­tu­te for Peace und der Ame­ri­can Aca­de­my of Di­plo­ma­cy zu­sam­men­ge­führt wur­de. Die frü­he­re Au­ßen­mi­nis­te­rin der USA, Ma­de­lei­ne Al­b­right und der frü­he­re Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Wil­liam S. Co­hen lei­te­ten die Task Force.
  • Als ei­ne der wich­tigs­ten Grün­de für die Er­schaf­fung des Atro­ci­ties Preven­ti­on Board wur­de von Sei­ten der Oba­ma Re­gie­rung ge­nannt, dass zu oft die Si­tua­ti­on ent­ste­he, in der der  Prä­si­dent und die Re­gie­rung vor der ex­tre­men Ent­schei­dung stün­den, ent­we­der mi­li­tä­risch in ei­ner Si­tua­ti­on ein­zu­grei­fen oder ei­nem Mas­sen­ver­bre­chen zu zu­schau­en. Das Board soll da­für sor­gen, dass die Ad­mi­nis­tra­ti­on schon frü­her auf sol­che Si­tua­tio­nen re­agie­ren und ein brei­tes Spek­trum an Maß­nah­men er­grif­fen wer­den kann.

Was sind die Zie­le des Atro­ci­ties Preven­ti­on Boards?

 

Das Haupt­ziel des Atro­ci­ties Preven­ti­on Boards ist es durch Ko­or­di­nie­rung ei­nen An­satz zu der Ver­hin­de­rung von Mas­sen­ver­bre­chen und Ge­no­zid zu er­schaf­fen, der die ge­sam­te ame­ri­ka­ni­sche Ad­mi­nis­tra­ti­on mit ein­be­zieht. Durch die In­sti­tu­tio­na­li­sie­rung der Ko­or­di­na­ti­on von der Ver­hin­de­rung von Mas­sen­ver­bre­chen soll er­reicht wer­den, dass…

  • …der ge­sam­te Si­cher­heits­ap­pa­rat der USA recht­zei­tig An­zei­chen von Mas­sen­ver­bre­chen er­kennt und auf die­se re­agiert.
  • …al­le Ab­tei­lun­gen und Bü­ros ei­ne Stra­te­gie zur Ver­hin­de­rung und Re­ak­ti­on auf Mas­sen­ver­bre­chen ent­wi­ckeln, die es er­mög­licht, dass al­le Stim­men in­ner­halb der Ad­mi­nis­tra­ti­on ge­hört wer­den und auch even­tu­ell ab­wei­chen­de Mei­nun­gen von den wich­tigs­ten Ent­schei­dungs­trä­gern ge­hört wer­den.
  • …die Ka­pa­zi­tä­ten des Aus­wär­ti­gen Diens­tes, des Mi­li­tärs, von Ent­wick­lungs­hel­fern und an­de­ren re­le­van­ten Ak­teu­ren er­höht wer­den, das ge­sam­te Spek­trum von Maß­nah­men zur früh­zei­ti­gen Prä­ven­ti­on von Mas­sen­ver­bre­chen zu nut­zen.
  • …die USA in die La­ge ver­setzt wird, mit ih­ren Ver­bün­de­ten und Part­nern zu­sam­men an der Prä­ven­ti­on von und Re­ak­ti­on auf Mas­sen­ver­bre­chen zu ar­bei­ten.

Was wer­den die vor­aus­sicht­li­chen Auf­ga­ben des Atro­ci­ties Preven­ti­on Board sein?

  • Ei­ne frü­he und im End­ef­fekt we­ni­ger teu­re Prä­ven­ti­on von Mas­sen­ver­bre­chen.
  • Das Zu­sam­men­füh­ren und Sam­meln von In­di­ka­to­ren von Mas­sen­ver­bre­chen,
  • Die Er­schaf­fung von al­ter­na­ti­ven Ka­nä­len für Be­schwer­den in den ver­schie­de­nen Ab­tei­lun­gen  wäh­rend kon­kre­ter Fäl­le von (po­ten­ti­el­len) Mas­sen­ver­bre­chen.
  • Das Trai­ning von Di­plo­ma­ten, Mi­li­tär­an­ge­hö­ri­gen, Ent­wick­lungs­hel­fern und an­de­ren re­le­van­ten Per­so­nen.
  • Die Zu­sam­men­ar­beit mit re­gio­na­len Or­ga­ni­sa­tio­nen und Ak­teu­ren.

Was ist der ge­gen­wär­ti­ge Stand?

  • Im Ja­nu­ar 2012 wird das Er­geb­nis der Stu­die zu Ka­pa­zi­tä­ten und Lü­cken der Re­gie­rung im Hin­blick auf Prä­ven­ti­on von Mas­sen­ver­bre­chen er­war­tet.
  • Das Board wur­de in­zwi­schen ge­schaf­fen und wird in Kür­ze sei­ne Ar­beit auf­neh­men.
  • Das Board wird sich haupt­säch­lich auf die Prä­ven­ti­on von Mas­sen­ver­bre­chen kon­zen­trie­ren. Ein gro­ßer Teil der Ar­beit wird das Trai­ning von Mit­ar­bei­ten im Aus­wär­ti­gen Dienst und Ent­wick­lungs­dienst be­tref­fen.

Könn­te ein sol­ches Board in Deutsch­land ge­schaf­fen wer­den?

  • Die res­sort­über­grei­fen­de Ko­or­di­nie­rung von Stra­te­gi­en und Maß­nah­men zur Ver­hin­de­rung von Mas­sen­ver­bre­chen ist ei­ne Auf­ga­be, die nicht nur in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten sinn­voll und wich­tig ist.
  • Deutsch­land hat zur­zeit kei­nen sol­chen Me­cha­nis­mus zur Ko­or­di­nie­rung von ver­schie­de­nen Mi­nis­te­ri­en, dem Kanz­ler­amt und dem Bun­des­tag.
  • Auch die an­ge­mes­se­ne Schu­lung von Di­plo­ma­ten, Mi­li­tär und Ent­wick­lungs­hel­fern, An­zei­chen von Mas­sen­ver­bre­chen früh zu er­ken­nen und ef­fek­tiv zu re­agie­ren, ist für Deutsch­land wich­tig.
  • Wel­che Form ei­ne sol­che Ko­or­di­nie­rungs­stel­le in Deutsch­land an­neh­men könn­te ist ei­ne Fra­ge, die frei dis­ku­tiert wer­den soll­te.
  • Ge­no­ci­de Alert e.V. wird zu die­sem The­ma in Kür­ze ein Stra­te­gie­pa­pier ent­wi­ckeln.

So­bald die Er­geb­nis­se der Stu­die be­kannt sind und das Atro­ci­ties Preven­ti­on Board mit sei­ner Ar­beit be­ginnt, wird die­ses Facts­heet ak­tua­li­siert.

Quel­len und Links:

Stand: 17.1.2012

Sarah Brockmeier

Syrien – Ein Fall für die internationale Staatengemeinschaft?

Mit der Ankunft der Beobachtermission der Arabischen Liga wurden die gewaltsamen Reaktionen auf die Proteste in Syrien, die sich inzwischen zu einem blutigen Bürgerkrieg ausgewachsen sind, nicht beendet. Im März 2011 erreichte der Arabische Frühling auch das Regime in Damaskus. Seit dem Beginn der Proteste wurden nach UN-Angaben mehr als 5.000 Zivilisten getötet. Genocide Alert e.V. fasst die Hintergründe und Struktur des komplexen Konfliktes zusammen. 

Im Zuge des „Arabischen Frühlings“ wurden auch in Syrien Forderungen nach Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit laut. Das Baath-Regime regiert seit 1963 in einer Einparteienherrschaft. Tragende Pfeiler des Polizei- und Überwachungsstaates sind der Panarabismus und der syrische Nationalismus – reale Oppositionsparteien sind nicht zugelassen.

Hintergründe des Konfliktes

Mit der Verhaftung und Folterung von Jugendlichen im März 2011, die in Dara’a gegen das Regime gerichtete Graffiti an die Wand sprühten, fanden die Aufstände in Syrien ihren Anfang. Durch das brutale Vorgehen gegen Zivilisten, die hohe Korruption und die fehlende Freiheit wandten sich auch dem Regime wohl gesinnte Syrier gegen Assad.

Die Heterogenität der syrischen Gesellschaft ist ein zusätzlich verschärfender Faktor: Im Land leben zahlreiche (religiöse) Minderheiten, darunter 71% sunnitische Muslime, 12% alawitische Muslime (welche den Präsidenten stellen) sowie Christen, Drusen, schiitische Muslime, Ismaeliten und Juden.

Die Proteste

Syrien Inzwischen haben sich die Proteste in einen das ganze Land überziehenden Bürgerkrieg ausgeweitet. Besonders in den Regionen Homs, Hama und Dara’a sowie der Provinz Idlib spielen sich immer wieder besonders gewalttätige Szenen ab. Aber auch die Hauptstadt Damaskus ist vor der Gewalt nicht sicher. Zuletzt wurde von Angriffen auf zehntausende Demonstranten in einem Vorort der Stadt berichtet.

Mitte September hat sich die Opposition im In- und Ausland auf einen gemeinsamen Nationalrat nach libyschem Vorbild geeinigt. In ihrer Gründungserklärung hatte sich die Opposition gegen einen militärischen Eingriff von Außen ausgesprochen. Doch gibt es inzwischen vermehrt Forderungen nach einer Schutz- oder Flugverbotszone, ähnlich der in Libyen.

Soldaten, die sich weigerten auf Zivilisten zu schießen desertierten aus der syrischen Armee und wurden so selbst zu Gejagten des Regimes. Inzwischen haben sich einige dieser desertierten Soldaten zu der „Freien Syrischen Armee“ zusammengeschlossen, welche sich als bewaffneten Arm der Opposition sieht. Sie verfolgen den Sturz des Baath-Regimes und den Schutz der Zivilbevölkerung.

Syrien als RtoP-Situation

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind bis Mitte Dezember 2011 mindestens 5.000 Zivilisten getötet worden, mehr als 70.000 wurden festgenommen und ca. 15.000 sind ins Ausland geflohen.

Trotz der Zustimmung Assads zu der Entsendung einer internationalen Beobachtermission ging das systematische und brutale Morden in Syrien ungehindert weiter. Und selbst nach Ankunft der Beobachter am 27.12.2011 berichten Aktivisten weiter vom gewaltsamen Vorgehen gegen Zivilisten und friedliche Demonstranten.

Die syrische Führung hatte bereits im November 2011 einem Krisenplan der Arabischen Liga zugestimmt, verstieß jedoch seitdem immer wieder gegen seine Satzung. Die Reaktionen der Arabischen Liga bestanden in der Aussetzung der Mitgliedschaft Syriens, der Verhängung von Sanktionen und der Entsendung einer Beobachtermission.

Für die Ernennung des sudanesischen Generals Mohammed al-Dabi zum Chef der Beobachtermission in Syrien erntete die Arabische Liga weltweit viel Kritik. Al-Dabi gilt als enger Vertrauter des wegen Völkermords gesuchten sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir und leitete den sudanesischen Geheimdienst. Der Nationalrat sieht al-Dabis Stellung mit großer Sorge und wird bei der Arabischen Liga einen Antrag auf Ablösung stellen. Diese überprüft gegenwärtig noch die Beobachtermission. Anhänger der Opposition forderten währenddessen erneut das Eingreifen der Vereinten Nationen.

Das Konzept der RtoP, welches im Falle Libyens wesentlich zu der Entscheidung zu intervenieren beigetragen hat, sieht bestimmte Voraussetzungen vor. So liegt die Schutzverantwortung primär beim Einzelstaat und umfasst die Pflicht, für den Schutz und das Wohlergehen seiner Bürger Sorge zu tragen. Konkret soll die RtoP bei Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit Anwendung finden. Dieses Postulat wurde auf dem UN-Weltgipfel 2005 von fast allen Staaten der Erde unterzeichnet. Zwar existiert keine Opfergrenze, ab wann die Schutzverantwortung greifen soll, jedoch sind die Hinweise auf schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen in Syrien weitaus umfangreicher als sie es beispielsweise in Libyen waren. Neben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat auch die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay die Gewalt gegen Zivilisten als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet. Navi Pillay riet dem UN-Weltsicherheitsrat in einem Bericht, den internationalen Strafgerichtshof einzuschalten. Betrachtet man den bisherigen Konfliktverlauf und die Art der Austragung, dann ist Syrien eine typische RtoP-Situation: Der Staat zeigt sich nicht nur unwillens seine Bürger zu schützen, er begeht die Verbrechen gegen Zivilisten sogar selbst. Dies ist genau einer jener Fälle, für welche die Schutzverantwortung entwickelt wurde. Vielfach wird deswegen eine entsprechende Reaktion des UN-Sicherheitsrats gefordert. Doch sind die Handlungsmöglichkeiten im Fall Syrien deutlich begrenzter als in Libyen.

Gemeinsame Antwort der internationalen Gemeinschaft

Aktuell gibt es drei Richtungen in welche sich der Konflikt in Syrien entwickeln kann. Zum einen ist ein Überleben des Regimes denkbar. Doch wäre Präsident Assad, insofern er nicht durch einen internen Staatsstreich abgesetzt worden wäre, extrem geschwächt. Außerdem besteht in dieser Variante die Gefahr eines schwelenden Konfliktes, der jederzeit zum erneuten Ausbruch neigt. Zum anderen wäre ein Regimesturz denkbar, welcher jedoch aufgrund der Gefahr des Abrutschens in einen lange andauernden Bürgerkrieg und der Destabilisierung des Nahen Ostens für viele Staaten nicht wünschenswert erscheint. Drittens, wenn auch unwahrscheinlich, könnte es zu einem nationalen Dialog zwischen Regime und Opposition kommen.

Da die Schreckensmeldungen aus Syrien nicht abreißen, würde ein weiterhin geschlossenes Vorgehen der USA und EU die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates China und Russland in Bedrängnis bringen. Ein gemeinsamer Resolutionsentwurf, der sich auf die Schutzverantwortung stützt, würde den Druck auf Syrien noch einmal erhöhen. Nur mit kollektiven und strengen Sanktionen lässt sich das Assad-Regime international wirkungsvoll isolieren. Weiterhin wäre eine Ermächtigung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) wünschenswert, da die Vorgänge auf eine zusätzliche institutionelle Ebene gehoben würden.
Zudem haben Vertreter des syrischen Nationalrates in der vergangenen Woche bei einer Bundespressekonferenz in Berlin weitere Maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft und auch speziell von der deutschen Bundesregierung gefordert. Diese reichen von finanzieller Unterstützung lokaler Widerstandsgruppen über das Einfrieren der politischen Beziehungen zum Assad-Regime bis hin zum Abziehen des deutschen Botschafters in Damaskus.

Ein durch den UN-Sicherheitsrat legitimiertes militärisches Eingreifen gilt als nahezu ausgeschlossen. Abgesehen von einer notwendigen Zustimmung Moskaus und Pekings sieht das Konzept der RtoP die Ausschöpfung aller nicht-militärischen Mittel vor. Zudem wäre der Grundsatz der „vernünftigen Erfolgsaussichten“ nicht erfüllt: Da im Falle Syriens die Ausdehnung des Konfliktes auf die Nachbarstaaten denkbar ist, könnte dies zu einer Destabilisierung des gesamten Nahen Ostens führen.

Trotz der scheinbar festgefahrenen Ausgangslage im UN-Sicherheitsrat, scheint ein Handeln des Rates angesichts der zunehmenden Todesopfer als unerlässlich. Bloße Appelle an die syrische Regierung werden der Gewalt nicht Einhalt gebieten. Daher sollten im weiteren Diskurs keine Optionen zur Beendigung des Bürgerkrieges ausgeschlossen werden.

 

von Alena Beutler und Gerrit Noppel

Minding the Gap: Approaches and Challenges to Robust Civilian Protection

The below paper by Robert Schütte – president of Genocide Alert – was published by the Friedrich-Ebert Stiftung New York in December 2011.

 

Summary:

  • Protection of civilians from mass atrocity crimes has emerged as a prominent field of international action. United Nations peacekeeping missions as well as armed forces of regional actors such AU, EU, ECOWAS and NATO have in the past conducted military operations with the objective to secure civilians threatened by violence.
  • In the past decade, UN peacekeeping missions have played a pivotal role in protecting untold vulnerable communities from systematic human rights violations. Moreover, the resolute implementation of the so called responsibility to protect in Libya and Côte d’Ivoire in 2011 has underlined the principal feasibility of successful Mass Atrocity Response Operations.
  • Despite these developments, little conceptual work has so far been accomplished on how to operationalize protection of civilians on the ground. Neither the UN nor NATO possess a comprehensive doctrine that guides the preparation, implementation and benchmarking of civilian protection missions. Bridging this conceptual gap will be essential to curbing systematic abuses of human rights and providing vulnerable populations with a modicum of human security.

 

peacekeepers

 

Protection of civilians from mass atrocity crimes has emerged as a prominent field of international action. Humanitarian actors and development workers have been and remain at the forefront of protecting civilians by non-coercive means. More recently, given the international community’s failure to act and intervene in situation such as the genocides in Rwanda and Bosnia, the military dimension of protecting non-combatants has gained in importance. Two different operational types of robust civilian protection can be identified: On the one hand, Peacekeeping missions under a chapter VII mandate such as those in the DRC, Sudan or Côte d’Ivoire. On the other hand, Mass Atrocity Response Operations (MARO) conducted by the armed forces of a state or regional organization such as NATO or ECOWAS, e.g. in Sierra Leone, Kosovo or Libya. Despite a surge in such coercive protection activities, there is still a notable gap in terms of conceptualizing protecting of civilians.

The present paper examines the state and challenges of military civilian protection. In a first section, the work examines the normative and practical development of civilian protection since the end of Cold War. The second section reviews how the protection of civilians has been implemented in peacekeeping operations and MAROs. The third section analyzes present challenges and shortcoming in coercively protecting civilians. Finally, section four looks into how existing gaps could be bridged by investing more effort into a through conceptualization civilian protection from the standpoint of both Peacekeeping Missions and MAROs.

 

1.      Protection of Civilians Since the End of the Cold War

The end of the Cold War led to the intensification of a range of global governance activities.  Compared to the previous superpower deadlock, the most consequential transition occurred in the field of international security. Freed from the obstructive shackles of the US-Soviet competition, the UN Security Council agreed on far-reaching military operations under Chapter VII to enforce the will of the international community. What is more, the Security Council’s role of safeguarding international peace and security became increasingly understood to cover not only inter-state disputes, but also matters of a non-international character such as civil wars or grave breaches of International Humanitarian Law (IHL). The extension of the council’s scope paved the road to UN-mandated military interventions in Iraq and Somalia, as well as UN-enforced peacekeeping operations in Bosnia and Rwanda, just to name a few. Never has the UN been more active than during the decades after the breakdown of the Soviet Union; never was the promotion of democracy and human rights higher on the international agenda.

Yet the enthusiasm of the early 1990s quickly dwindled after a series of failures. The U.S.-led humanitarian intervention in Somalia collapsed after American casualties prompted a hasty withdrawal of U.S. forces. In Rwanda, the United Nations stood idly by while approximately 800.000 Tutsis and moderate Hutus were slaughtered by Hutu militias in the world’s swiftest genocide to date. The UN’s incapacity to avert mass atrocity crimes against unarmed civilians was further highlighted by its peacekeeping mission to Bosnia which was unable to provide even a modicum of security for the population, and whose hesitation, eventually, cleared the way for the Srebrenica genocide in one of the UN’s unsafe ‘safe havens’.

The shock that came with the genocides in Rwanda and Srebrenica caused the UN to rethink its approach to sending blue helmets in the midst of conflict zones. In two landmark reports published in 1999, the UN found two lessons to be learned in the future: First, it stated that “whether or not an obligation to protect civilians is explicit in the mandate of a peacekeeping operation, (…) the United Nations must be prepared to respond to the perception and expectation of protection created by its very presence.” Second, it argued that “when the international community makes a solemn promise to safeguard and protect civilians from massacre, then it must be willing to back its promise with the necessary means.” Rwanda and Srebrenica made clear that protection of civilians (POC) will not come as a sideline to lightly-armed and under-resourced peacekeeping. A new approach was needed.

 

2.      A Big Leap Forward: Normative And Practical Developments Since 1999

From 1999 onwards, major normative and practical innovations found their way into the global governance architecture and set the stage for an improved protection of civilians in armed conflicts. The Brahimi report of August 2000 took up many of these concerns and outlined a way forward towards a more robust peacekeeping but did not give any definitive answers on how to improve civilian protection. This question would be up to succeeding international commissions and the UN secretariat. The unauthorized but eventually successful military operation of NATO to rescue the civilian population of Kosovo from a campaign of ethnic cleansing galvanized opinions as to the sense and righteousness of humanitarian interventions. This involvement of NATO – laconically coined “illegal but legitimate” – highlighted the urgent need for a recalibration of the relationship between state sovereignty and human rights. When UN Secretary-General Kofi Annan called for the finding of a new normative common ground, Canada followed suit and hosted an influential International Commission on Intervention and State Soverreignty (ICISS) which eventually introduced the notion of the responsibility to protect (RtoP) in 2001.

Despite the calamities surrounding NATO’s intervention in Kosovo and the disunity in the Security Council, there were also occasions when the Council did take unanimous action to better protect civilians in armed conflicts. 1999 marked the birth of the first UN peacekeeping operation with an explicit mandate to protect civilians. In its resolution 1270, the UN Security Council decided to establish the United Nations Mission in Sierra Leone (UNAMSIL) and authorized the operation to “afford protection to civilians and imminent threat of physical violence (…) within its capabilities and areas of deployment”. It is important to bear in mind the caveats which the Security Council purposefully included into the mandate. They limit the mission’s scope and area of operations, and were meant to avoid exaggerated expectations regarding the blue helmets capacity to provide more than residual and situational protection.[1] Nonetheless, UNAMSIL heralded the beginning of a new era in which the protection of civilians would soon become an integral part of most UN peacekeeping operations.

Besides the foundation of the International Criminal Court (ICC) in 2002 constituted another major achievement for the ending of impunity for mass atrocity crimes, the development of the responsibility to protect and its unanimous adoption by the UN General Assembly in 2005 were important steps towards a new global common ground on mass atrocity prevention. Although the norm itself did not add anything new to existing Human Rights or International Humanitarian Law, it did have the effect of reaffirming unquestionable minimum standards of civilian protection, and codifying the responsibilities of the international community and its member states towards threatened populations. Once proclaimed, the RtoP underwent a process of cautious elaboration and consensus-building through high-level debates and references in UN resolutions that finally lead to the UN Secretary-General’s 2009 report on implementing the Responsibility to Protect. Confronted with egregious human rights violations in Libya, the Security Council decided in Resolution 1973 for the first time to mandate a military intervention under the banner of the RtoP “to take all necessary measures (…) to protect civilians and civilian populated areas under threat of attack”. The Libya intervention marks a turning point in the international community’s efforts to curb mass atrocities by assuming a responsibility to protect civilians.

Already before this breakthrough of RtoP, UN peacekeeping operations were making practical contributions benefiting the protection of civilians. Sierra Leone was only the first of a number of missions mandated to „protect civilians under imminent threat“. By the end of 2011, eight UN peace missions around the world conduct a broad array of activities aiming at providing security for non-combatants. In fact, the protection of civilians has been adding another layer of complexity to the contemporary, multidimensional peacekeeping operations that furthermore also entail tasks as varied as security sector reform, repatriation of refugees and the support of elections. The United Nations Organization Stabilization Mission in the Democratic Republic of the Congo (MONUSCO) as well as the United Nations Mission in Darfur (UNAMID) are cases in point for the grown complexity of today’s peace operations.

 

3.      On The Ground, In The Air: Implementation of Civilian Protection

Normally, civilian protection makes headlines when massacres have occurred or UN peacekeepers have failed to curb violence against innocents. It is unfortunate that the important role of blue helmets in protecting local populations is often overlooked. This bias is distorting a reality in which robust peace operations actually do make a big difference and provide security to innumerable vulnerable communities. In very general terms, civilian protection through robust peacekeeping can be divided into three broad approaches: Protection by deterrence, by prevention and by engagement.

Protection by deterrence means that the very presence of blue helmets is in most cases sufficient to deter attacks on civilians and boost physical security in a given area of operations. While militias – mostly in bad shape and ill-equipped – shun direct confrontations with well-armed professional blue helmets, national authorities shy the exposure and the reporting of assaults. A peacekeeping mission’s capacity to deter direct violence against civilians is to a large degree a function of two factors: First, its presence in endangered regions and second, its credibility to interfere, if needed by force, to curb violence against non-combatants. It is for this reason that the peacekeepers’ capability to gather and process intelligence is as important as their number, equipment and posture. Besides protection by deterrence, UN peacekeeping operations set a great value on protection by prevention such as supporting Security Sector Reform as well as monitoring and reporting of human rights breaches, which also have an important impact on civilian security. If preventive and deterring measures prove insufficient to protect civilians in some rare yet noteworthy cases UN missions have resorted to the offensive use of force. This approach of protection by engagement was most recently used by UNOCI in 2011 to end attacks of pro-Gbagbo forces on the civilian population in Côte d’Ivoire; equally MONUC has successfully protected the local population of Bukavu in 2006 by resolutely using attack helicopters against militias, forcing the latter to abort their assault and withdraw. However, despite many successful instances of protection by engagement, some fear that the UN might be crossing a line by becoming a party to a conflict.

A distinct type of international efforts in protecting civilians is military humanitarian intervention which, for the sake of terminological and political adequacy, might be called Mass Atrocity Response Operations (MARO). NATO’s interventions in Kosovo 1999 and Libya 2011 figure amongst the most prominent and complex MAROs. Two major differences between these two MAROs and UN peacekeeping operations can be determined: First, the Kosovo and Libya interventions were almost exclusively conducted through the use of air power, supported seaborne, and excluded the deployment of any major ground forces. While missions that are predominantly airborne have dramatically reduced the risks to NATO soldiers, this politically more convenient form of operation comes at the cost of diminishing the effectiveness of civilian protection. Second, MAROs step in with a much more robust, pro-active and offensive posture than UN peacekeeping operations do. While the establishment of protected safe havens and deterrence of atrocities is part and parcel of any civilian protection operation, the crushing of perpetrator forces with the aim to incapacitate any further assaults on civilians plays a much more decisive role than in peacekeeping.

MAROs need not necessarily be airborne, but can have substantial ground force components: ECOWAS’s 1997 intervention in Sierra Leone, the Australian-led INTERFET operation in Timor L’Este in 1999, Britain’s intervention in Sierra Leone in 2000, as well as the European Union’s operation Artemis in Bunia (DRC) in 2003 are examples of MAROs with a footprint on the ground. All these missions were successful in curbing mass atrocities occurring in their respective areas of operation by resolutely exploiting their superiority in weaponry, training, command, control, communication, computer and intelligence assets against ill-disciplined and outgunned enemies. If intervening forces enjoy a significant margin of superiority in terms of capabilities and resolve, MAROs have indeed proven to be effective in protecting civilians from mass atrocities.  

 

4.      Minding the Gap: Obstacles and Challenges in Protecting Civilians

Despite the surge in international efforts to protect civilians over the past two decades, no consensus has emerged on how exactly protection by coercive  means should be implemented. While the UN Security Council is increasingly willing to authorize robust peacekeeping operations to protect civilian populations, neither the UN nor Troop Contributing Countries have had any clear idea what exactly protection of civilians entails. POC is one of the most important objectives of peacekeeping since its inception in 1999, but the UN is still in the process of producing a coherent concept on how blue helmets should conduct and benchmark their protection activities on the ground. The conceptual ground work to date is a Lessons Learned document on civilian protection as well as a so-called Concept Note on POC produced by the Department of Peacekeeping Operations and the Department of Field Support that problematizes a number of issues but lacks substantial guidance and a definition on what protection means. Moreover, UN WOMEN has provided an equally useful guide to preventing gender-based and sexual violence. This works is essential and needs more support but still falls short of a coherent POC doctrine.

The conceptual gap comes at a cost: As long as there is no consensus about what POC actually means, any meaningful instruction of troops in civilian protection is difficult. As a consequence, pre-deployment training and preparation to protect civilians will remain sketchy and leave troops with a task they are not adequately prepared for. Without appropriate training and guidance, the implementation of civilian protection hinges on mission commanders‘ individual leadership and interpretation of their mandates. Should blue helmets only interfere in cases of pending or ongoing assault on an unarmed person, or may armed force also be used offensively to neutralize armed groups known to harass civilians? Does protection only encompass the provision of security to persons, or should blue helmets also step in to stop the looting of essential livestock? The doctrinal gap has practical ramifications for troops and civilians on the ground: For instance in May 2011, militias backed by the government of North-Sudan pillaged and ‘ethnically cleansed’ the town of Abyei while the local United Nations Mission to Sudan (UNMIS) contingent retreated to their compound.

Another difficulty is striking a reasonable balance between force protection and civilian protection. While some contingents are conducting regular unannounced day-and-night foot patrols in hazardous terrain with the aim to maximize their deterrence impact and keep militias off balance, other contingents have shrunk from taking any risks. Passive postures that prioritize force protection over POC, e.g. by conducting announced day patrols in Armored Personnel Carriers, have no positive protection impact on local populations. Passive postures can be due to reasons such as caveats of Troop Contributing Countries, individual commanders’ lack of resolve, inadequate training and motivation etc. A one-sided focus on force protection undermines any peacekeeping mission’s deterrence capacity, and hampers the gathering of intelligence because mission personnel cannot communicate with the population and learn about security issues. The bottom line is that many blue helmets have a hard time figuring out what is expected from them because it is not unequivocally clear how protection of civilians should be conducted.

A further obstacle to effective civilian protection can be contradictory mandates, missing equipment and lacking benchmarking. As for the former, the UN’s operation to the DRC called MONUSCO is a case in point. The mission is not only tasked to protect civilians but also to support the country’s national army that is itself responsible for most human rights violations against civilians. In this case, the blue helmets find themselves between a rock and a hard place because the UN Security Council has endowed them with a contradictory mandate. Moreover, insufficient equipment, ranging from missing satellite phones to lacking helicopters, can be a huge problem for two reasons: On the one hand, because it obstructs the mission’s capacity to carry out its job; on the other hand, because it leaves the impression that a mission does not enjoy sufficient political backing. Both factors understandingly undermine the morale and commitment of blue helmets to put their lives on the line for the protection of threatened civilians. However, even if missions can employ effective protection strategies, a lack of evidence-based benchmarking encumbers the elaboration and transmission of good practices across different missions. To date, no UN peacekeeping operation systematically benchmarks its own performance in protecting civilians. For example, polling amongst affected populations would be one amongst a couple of options to get a better picture of mission performance but is rarely being done. As a consequence, peace operations can to date neither assess nor verify their impact on civilian security.

If the UN’s conceptual understanding of civilian protection is deemed sketchy, NATO’s approach to civilian protection in Libya can only be described as ad hoc and opaque. With its resolution 1973, UN Security Council authorized NATO “to take all necessary measures (…) to protect civilians and civilian populated areas under threat of attack”. The resolution granted the coalition forces much flexibility insofar as all necessary means – explicitly comprising armed force, excluding only occupation forces – could be brought to bear for the purpose of protecting threatened civilians and civilian populated areas. According to this interpretation, a Libyan military unit may not have fired a single round but still be a threat to a civilian populated area and, therefore, be a legitimate target for allied airplanes. Moreover, Libyan air defenses and command and control installations have been qualified as legitimate targets given that they could either contribute to the threatening of civilians and civilian populated areas or endanger the implementation of the no-fly-zone over Libya. It is indeed difficult to conceive of any military asset under Gaddafi’s control which could not potentially have fallen under the above criteria.

Despite its broad leeway in interpreting and implementing the Security Council’s mandate, NATO’s intervention did face practical restraints: First, the alliance was keen to prevent any collateral damage. Under the laws of war, civilian casualties are permissible as long as an attack has been conducted in a discriminate and proportional manner. However, the humanitarian character of the Libya intervention implied that NATO had to be held to significantly higher standards than those prescribed by International Humanitarian Law. Prima facie evidence suggests that – despite some incidents to the contrary – NATO has abided by these self-imposed high standards, e.g. by calling off strike sorties which, although legal under the terms of IHL, were deemed too dangerous for civilians. Second, the alliance was only authorized to apply all necessary means to protect civilians and civilian populated areas. While any objective definition of military necessity is already problematic in the context of a conventional armed conflict, defining necessity in the context of a MARO is even more difficult. This suggests that in the context of a MARO, the standard of military necessity should be higher than in a regular armed conflict. The lack of an applicable POC doctrine defining who should protect whom when and by what means will make it difficult to find a consensus on how interventions should be conducted. The dispute among Security Council members about NATO’s interpretation of resolution 1973 and how it has conducted its military campaign was in part due to this unsettled issue. This disagreement also included the question if regime change was indeed necessary to protect civilians.

 

5. Bridging the Gap: Towards a Civilian Protection Doctrine

The United Nations and its many agencies look back at many years of experience and expertise in protecting civilians. Compendia on best practice and lessons learned in POC do exist and should be used as a starting point to develop a comprehensive UN-wide POC doctrine that explicitly spells out the role of civil and military components in safeguarding local populations. Despite hesitations to tackle the politically sensitive issue of defining protection of civilians, a POC doctrine would be a major step to streamline protection activities, pre-deployment training and evidence-based benchmarking at the UN. The doctrine would facilitate the development of adequate civilian protection training modules and allow for more specific instructions on how UN peacekeepers are expected to protect civilians prior to their deployment. Once on the ground, conduct and performance of blue helmets would be more consistent, reliable and adequate. Furthermore, a comprehensive concept of protection would make it possible to develop evidence-based and comparable benchmarking criteria to measure mission performance and facilitate the transfer of best practices across operations. Although indeed different in character and objective, robust UN peacekeeping operations could learn from experiences made in Counter Insurgency (COIN) operations in Iraq and Afghanistan. In contrast to the literature on peacekeeping operations and POC in particular, there is a wealth of theoretical and practical works written on the subject of fighting asymmetric warfare and securing civilian communities. Moreover, recent COIN campaigns have stressed the protection of local populations as a centerpiece of their efforts and developed a wealth of practices that could be useful for UN peacekeepers as well. For example, NATO forces in Afghanistan have devised useful metrics on measuring the security of civilians that could easily be adapted to UN peacekeeping needs and fill a painful void.

Rapid reaction Mass Atrocity Response Operations face specific challenges that are different from regular military conduct and peacekeeping. The development and incorporation of a veritable MARO doctrine would help anticipate such challenges by improving awareness, training, conduct and benchmarking of future interventions. The Carr Center for Human Rights Policy at Harvard’s Kennedy School of Government has published a path-breaking report on how successful MAROs – with light or heavy footprint – should be planned and launched. One of the principal lessons is that MAROs cannot rely on standard military doctrines and procedures but are subject to different logics. For example, humanitarian military operations need to deploy as fast as possible to break the momentum of ongoing mass atrocities. Moreover, it would be useful to study to what extent predominantly airborne MAROs such as the NATO-led interventions in Kosovo and Libya can most effectively contribute to the protection of civilians. Given NATO’s current aversion against risking any military casualties, it is reasonable to expect that future MAROs will most likely be mainly airborne rather than full-fledged interventions with ground force. If Western-led land invasions are no longer at the order of the day, it does make sense to examine alternative ways to launch MAROs. The increased use of unmanned aerial vehicles, hitherto used in the context of anti-terror operations, could become an option to monitor and control areas affected by mass atrocities, and if necessary take out marauding militias. In contrast to manned aircrafts, the capacity of drones to spy out and hit potential targets with both much greater accuracy and much less danger to civilians would be a boon in conducting a MARO under adequately tight rules of engagements. The Libya intervention – relying heavily on the use of unmanned aerial vehicles – has highlighted that coercive POC from above is possible thanks to modern weapons systems, although we have to bear in mind that this approach profited from the country’s favorable topography. If, by contrast, Libya would have been situated in a heavily vegetated terrain with jungles or dense forests, NATO’s strategy to use its air force to protect civilians would have been much more difficult.

The development and incorporation of a MARO doctrine should be understood as capacity building for civilian protection by coercive means. It would provide political decision-makers with more options in dealing with situations of mass atrocities. While the US armed forces have begun to ponder over the matter, NATO, EU and AU countries should follow suit. If the international community is serious about civilian protection and its responsibility to protect, a more systematic approach to the prevention and curbing of mass atrocities is inevitable.



[1] Holt, Victoria & Glyn, Taylor (2009): Protecting Civilians in the context of UN Peacekeeping Operations. Success, Setbacks and Remaining Challenges, p. 39f., available at http://www.peacekeepingbestpractices.unlb.org/PBPS/Pages/Public/viewdocument.aspx?id=2&docid=1014 (accessed on 13.9.2011)

 

By Robert Schütte

Die DR Kongo nach den Wahlen 2011: Der alte Präsident wird auch der Neue sein!

Gestern bestätigte der Oberste Gerichtshof der DR Kongo die Wahlergebnisse der nationalen Wahlkommission CENI. Damit liegt der aussichtsreichste Oppositionskandidat Etienne Tshisekedi (33%) hinter dem Amtsinhaber Joseph Kabila, der nach offiziellen Angaben 49% der Stimmen erhielt und damit wiedergewählt ist.

Die Durchführung und Auswertung der Wahlen am 28. November 2011 war begleitet von massivenZweifeln an Transparenz und Rechtmäßigkeit. So war in einigen Hochburgen des Präsidenten, wie zum Beispiel in Nordkatanga, die Wahlbeteiligung ungewöhnlich hoch, während in Kinshasa sowie in den Provinzen Equateur, Kasai Occidental und Kasai Oriental, wo weniger Unterstützung für Kabila zu erwarten war, eine ungewöhnliche große Anzahl an Stimmen einfach verloren ging. Erstaunlich ist auch die hohe Anzahl an Ausnahmegenehmigungen, die den Verdacht fiktiver und doppelter Wähler nahelegt. Einschüchterungen von Wählern, Zerstörung von Wahllokalen, sowie fehlerhafte Registrierung und Organisation des Urnengangs wurden beobachtet. Darüber hinaus wurde sowohl vor als auch nach dem Wahlgang diverser Radio- und Fernsehkanäle zensiert, abgeschaltet und für die Propaganda der Regierung benutzt. Nicht nur die kongolesischen Regierungskritiker und die Opposition des Landes werfen dem Lager Kabilas Wahlfälschung und Unregelmäßigkeiten vor. Mehrere internationale Wahlbeobachterteams, wie das der Europäischen Union oder des US-amerikanischen Carter Centers, bestätigen in ihren Berichten die geäußerten Vorwürfe und stellen das offizielle Wahlergebnis in Frage. Die in der DR Kongo populäre katholische Kirche hat sich zugleich auf die Seite der Opposition gestellt und in Person des Kardinals Monsengwo die Wahlen als illegitim klassifiziert.

Die Oppositionskandidaten waren nicht bereit, den Wahlausgang anzuerkennen. Wie schon im Vorfeld der Wahlen erklärte sich Tshisekedi kurzerhand selbst zum neuen Präsidenten des Landes und stellte bereits sein Kabinett vor. Der drittplatzierte Kandidat Vital Kamerhe rief offiziell das Oberste Gericht an und forderte die Annullierung der Ergebnisse.

Die Kabila-Regierung hingegen spielt die Anschuldigungen herunter und macht die Unerfahrenheit der kongolesischen Wahlkommission in Verbindung mit dem immensen organisatorischen Aufwand für die mangelhafte und intransparente Wahlorganisation verantwortlich.

Die große Frage, die sich nun im Bezug auf die internationale Gemeinschaft stellt, ist: Welche Konsequenzen sind zu erwarten? Bleibt es bei einem Rüffel für den Amtsinhaber aus dem Ausland? Damit würde die internationale Gemeinschaft, welche die enorme Wichtigkeit dieser zweiten freien Wahlen in der noch jungen Republik immer wieder betont hat, ihre eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen. Vorab wurde von internationaler Seite her versprochen, die Situation genau im Auge zu behalten und weder Ausschreitungen noch andere Gewaltaktionen zu tolerieren. Zwar ist der von vielen herbeigeahnte Bürgerkrieg bisher nicht ausgebrochen und ebenso wenig lässt sich eindeutig nachweisen, ob eine ordentlich durchgeführte Wahl einen anderen Sieger hervorgebracht hätte. Dennoch bleibt die Situation im Kongo äußerst fragil. Ob und wie Opposition und Bevölkerung auf die Bestätigung der Ergebnisse durch den Obersten Gerichtshof reagieren wird, werden erst die kommenden Tage zeigen.

Genocide Alert e.V. fordert daher, die Lage weiterhin genau zu beobachten. Wurden die Kongolesen  – und darauf deutet derzeit alles hin – um ihre faire und freie Wahl betrogen, muss der Druck auf Kabila und die Wahlkommission erhöht werden, den Vorwürfen des Wahlbetrugs zu begegnen. Dabei sollte die internationale Gemeinschaft finanziell und fachlich unterstützen. Unter allen Umständen sollte ein noch stärkeres Ausbrechen von Gewalt verhindert werden.

Neueste Entwicklungen in der Demokratischen Republik Kongo

Nachdem vergangenen Montag, den 28. November 2011 in der Demokratischen Republik Kongo die zweiten demokratischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen der Geschichte des Landes ausgetragen wurden, scheint sich im Laufe der zögerlich voranschreitenden Auszählung das politische Klima zu erhitzen.

Am Dienstag, den 6. Dezember sollen von der unabhängigen Wahlkommission CENI die vorläufigen Endergebnisse verkündet werden, am 17. Dezember wird das höchste Gericht diese laut dem französischen Sender RFI endgültig bestätigen. Laut neuesten Zwischenergebnissen führt der Amtsinhaber Joseph Kabila derzeit mit 48,8% vor Tshisekedi 33,6% bei einem Auszählungsstand von 52,9% (wobei sich dieser Wert von Provinz zu Provinz unterscheidet, die als Oppositionshochburg bekannte Hauptstadt Kinshasa ist z.B. erst zu 27,4% ausgezählt. Alle anderen Kandidaten, inklusive Kamerhe, Kengo, Mobutu und Mbusa sind weit abgeschlagen. Die Ergebnisse sind insgesamt sehr regional geprägt, so gelingt es einigen regionalen „Statthaltern“ ihre Bastionen für sich zu entscheiden (Kengo und Mobutu in Equateur, Mbusa in Nordkivu, Kamerhe im Südkivu). Kabila liegt in den Kivuprovinzen, Maniema, Katanga und Bandundu sehr gut im Rennen, während Tshisekedi in den Kasai-Provinzen, im Bas-Congo, in Kinshasa und Equateur viele Stimmen einholt.

Die internationalen Wahlbeobachtungsmissionen, sowie die UN-Mission MONUSCO sprechen von insgesamt zufriedenstellenden Verhältnissen, was seitens kongolesischer Beobachter und NGOs sowie verschiedenen Journalisten und Kongo-Experten jedoch in unterschiedlich starker Form zurückgewiesen wird. So berichtete vergangene Woche Human Rights Watch von der massiven Gewalt gegen Oppositionsaktivisten, die mindestens 18 Todesopfer und zahlreiche Verletzte forderte. Der UN-Sicherheitsrat hat sich besorgt zur Entwicklung der letzten Tage geäußert, dennoch ist es aufgrund der Vetomöglichkeit Chinas und Russlands unwahrscheinlich, dass es konkrete Maßnahmen im Falle einer gewaltsamen Eskalation geben wird. Außerdem ist unklar, ob die USA, Frankreich, Großbritannien, aber auch Deutschland Kabila „opfern“ möchten, zu dem ein kompliziertes aber immerhin stabiles Verhältnis besteht.

Nach Kamerhe, Kengo und drei anderen Kandidaten bei den ersten Zwischenergebnissen verlangen nun alle zehn Oppositionskandidaten die Annullierung, bzw. Neuauszählung der Stimmen. Dem Chef der CENI Ngoy Mulunda wird Parteilichkeit und Nähe zum Präsidenten Kabila vorgeworfen. Einige internationale aber auch lokale Beobachterorganisationen (u.a. die EU) und NGOs wie ISBPD aus Kanada haben zudem dementiert, dass der Auszählungsprozess von neutralen Personen außerhalb der CENI begleitet würde. Mittlerweile haben laut Radio Okapi, dem landesweiten UN-Rundfunk, selbst Parlamentskandidaten der Kabila-Mehrheit der CENI Verfehlungen vorgeworfen. Diese Vorwürfe verstärken die bereits seit Tagen aufgekommenen Klagen in Bezug auf massive Unregelmäßigkeiten (u.a. Zerstörung von Wahllokalen, Einschüchterungsversuche, Bestechungsversuche, gewaltsame Einnahme von Wahllokalen durch Sicherheitskräfte und nichtstaatliche Gruppierungen, sowie die Abhaltung tausender Bürger von der Wahl). Weiterhin berichtet der Kongoexperte Jason Stearns, dass Ngoy Mulunda ohne Angabe von Gründen eine nennenswerte Anzahl von Wahlbüros in Kinshasa invalidiert habe – nicht jedoch in anderen Provinzen.

Zusätzlich aufgekommen sind Gerüchte über die Ankunft von ausländischen Soldaten und Söldnern am Flughafen Ndjili in Kinshasa. Offiziell sollte zusätzliches Wahlmaterial aus Südafrika eingeflogen werden, doch geschah dies bereits nach Schließung der Wahllokale vergangenen Mittwoch/Donnerstag, wie AFP berichtete. In Pretoria fanden daraufhin Proteste von Exilkongolesen statt. Seit Samstag herrscht in der DR Kongo eine landesweite Kommunikationssperre für SMS, Telefonate sind jedoch noch möglich. Die Maßnahme soll bis mindestens Dienstag aufrechterhalten werden. Es gibt widersprüchliche Meldungen zur genauen Ursache dieser Entwicklung, die am Sonntag vom amtierenden Innenminister Lumamu offiziell bestätigt wurde. Die Opposition betrachtet das Vorgehen neben dem geltenden Versammlungsverbot als zusätzlich Schikane der Kabila-Regierung und auch die Menschenrechtsorganisation FIDH hat Beschwerde beim Innenministerium eingelegt. Allgemein wird die Stimmung in Kinshasa immer angespannter. Als Tshisekedi Sonntagabend sein Haus verlassen wollte, kam es laut mehreren Augenzeugen zu Schusswechseln, bei dem jedoch niemand verletzt wurde. Hinzu kommt die Angst der Zivilbevölkerung vor einer Eskalation, die die Flucht von mindestens 3000 Personen nach Brazzaville provoziert hat, weitere sollen Kinshasa  in andere Richtungen verlassen haben. Der Menschenrechtsaktivist Alex Engwete berichtet aus Kinshasa, dass sich unter den swahiliphonen Ostkongolesen in der Hauptstadt die Angst mehrt, im Falle eines Wahlsieges von Kabila zur Zielscheibe für Tshisekedi-Anhänger zu werden. Im Umkehrschluss beschweren sich seit Beginn der Wahlen zahlreiche Oppositionsanhänger über das repressive und gewaltsame Vorgehen der Polizei und der Republikanischen Garde Kabilas.

Diese Woche werden zahlreiche Schulen in Kinshasa geschlossen bleiben, es gibt ebenfalls Berichte, dass die internationalen Fluggesellschaften ihre Flüge vorerst aussetzen. Gerüchte über eine allgemeine Ausgangssperre in Kinshasa konnten bislang noch nicht verifiziert werden. Am Sonntagabend hat die kongolesische Bischofskonferenz alle Politiker, die CENI und die Bürger zu Ruhe aufgerufen und forderte  auf, das Wahlergebnis anzuerkennen. Aufgrund ihrer gesellschaftlichen, aber auch sozialen und wirtschaftlichen Rolle, übt die katholische Kirche in der DR Kongo einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Menschen aus. In den kommenden Tagen wird sich herausstellen, inwiefern die nunmehr schwierige politische Lage sich beruhigen kann oder es zu weiteren, womöglich schwerwiegenderen Vorfällen kommt. Laut AFP und anderen Medien hat der wichtigste Oppositionskandidat Tshisekedi bereits angekündigt, nach der Veröffentlichung am 6. Dezember seinen Anhängern eine wie auch immer geartete „Losung“ zu verkünden und kann dabei auf die Unterstützung anderer Kandidaten wie u.a. Kamerhe zählen.

Genocide Alert e.V. lädt alle Beteiligten ein, konstruktiv auf die Situation einzuwirken und den Schutz der Zivilbevölkerung an erste Stelle zu setzen. So ruft Genocide Alert e.V. insbesondere die deutsche Bundesregierung, das Auswärtigen Amt, sowie die Bundestagsausschüsse „Auswärtiges“ sowie „Menschenrechte und Humanitäre Hilfe“ dazu auf, sich zeitnah und konsequent mit der derzeitigen Situation in der DR Kongo auseinanderzusetzen und zu eruieren, inwiefern die Bundesrepublik Deutschland diplomatisch, finanziell, materiell und personell dazu beitragen kann, eine drohende Eskalation zu verhindern. Hierzu gilt es, vor dem UN-Sicherheitsrat, innerhalb der europäischen Partner in der EU aber auch auf bilateralem Wege mit der kongolesischen Regierung eine entschiedene Politik im Sinne des Schutzes von Zivilisten und der Wahrung der politischen Rechte des kongolesischen Volkes zu vertreten. Darüber hinaus möchte sich Genocide Alert e.V. an die deutsche Medienlandschaft wenden, die im Vergleich zu den Wahlen 2006, das Thema DR Kongo insbesondere in den letzten zwei Wochen stark vernachlässigt hat. Die Analysten von Genocide Alert e.V. stehen jeglicher Kooperation mit den Medien daher offen gegenüber und betonen die immens wichtige Rolle, die den Medien und in Folge dessen einer aufgeklärten internationalen Öffentlichkeit bei der Verhinderung einer Eskalation zukommt.

 

von Christoph Vogel

Die große Chance und Gefahr der Wahlen in der DRC – verkannt von internationalen und nationalen Akteuren

“This election in Congo is the ultimate test. Is Congo on course to consolidate its fledgling democracy or return to a state of widespread instability, insecurity and violence?“

Mit dieser Einschätzung ist Thierry Vircoulon, der Zentralafrika-Direktor der International Crisis Group nicht alleine. Der gewaltlose Ablauf der zweiten Präsidentschaftswahlen seit dem Ende der Diktatur von Mobutu Sese Seko nächsten Sonntag in der DR Kongo ist unbedingt notwendig, gerade weil die Gefahr eines Abgleitens in bürgerkriegsähnliche Zustände in der instabilen DR Kongo so hoch ist. Die internationale Gemeinschaft und die zentralen politischen Akteure im Kongo ignorieren diese Gefahr und vergeben damit die Chance, die hoffnungsvollen Entwicklungen in der DR Kongo durch eine faire, freie Stimmabgabe zu fördern.

Die internationale Gemeinschaft fährt Finanzierung und Unterstützung durch Wahlbeobachter zurück
Die internationale Gemeinschaft stellt etwa 500 Wahlbeobachter, das sind 1500 weniger als bei der Wahl 2006. Die Vereinten Nationen setzen neben den 20.000 in der DR Kongo stationierten MONUSCO Soldaten keine zusätzlichen Wahlbeobachter ein. Bei den Wahlen 2006 haben die VN hingegen 2250 Wahlbeobachter gestellt. Auch die Europäische Union hat ihre Wahlbeobachter von 300 auf 150 reduziert. 2006 hat die EU 80% der Kosten der Wahlen getragen, während sie 2011 nur ein Viertel der Kosten beiträgt.

Radikalisierung der Anhänger
Die Gewalt in der DR Kongo hat in den vergangen Monaten stetig zugenommen. Es kommt zu Zusammenstößen zwischen gewaltbereiten und gut ausgebildeten Jugendlichen, die von den politischen Parteien mobilisiert und organisiert werden ebenso wie zu Überfällen auf Journalisten, Oppositionellen und Parteizentralen. Militär und Polizei schüchtern Regierungskritiker und Oppositionelle ein.

Polarisierendes Gebären der politischen Akteure
Die Kandidaten machen mit radikalisierenden Aussagen auf sich aufmerksam. Etienne Tshisekedi hat sich in einem Interview am 6. November bereits selbst zum neuen Präsidenten ernannt. Seiner Ansicht nach ist ein regulärer Wahlsieg Kabilas (ohne Wahlbetrug) nicht möglich. Auf ähnliche Weise radikalisieren andere Kandidaten ihre Anhänger, anstatt sie auf die Möglichkeit einer Wahlniederlage vorzubereiten.

Schwierigkeiten bei der Organisation
Die Wahldurchführung und -organisation bei 32 Millionen Wahlberechtigten in 64 000 Wahllokalen bedeutet einen sehr hohen logistischen Aufwand. Bis heute ist unklar, ob die Wahlkommission CENI am selben Tag die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ordnungsgemäß und fair durchführen kann. Die Registrierung der Wähler wurde erst ein halbes Jahr später als geplant, im Juli 2011, beendet. Die Registrierung durch die CENI war vom Vorwurf von Unregelmäßigkeiten und Doppelregistrierung begleitet.

Keine Gewährleistung des notwendigen Schutzes für die Zivilbevölkerung durch Internationale Akteure

Bereits im Oktober hatte der Leiter der MONSCO Blauhelmmission Roger Meece in Berlin darauf hingewiesen, dass bei einer drohenden Eskalation der Gewalt der Schutz der kongolesischen Zivilbevölkerung nicht gewährleistet ist. Es ist daher dringend geboten, dass sich die internationale Gemeinschaft auf dieses Szenario vorbereitet, um schnelle Hilfsmaßnahmen einleiten zu können.

Es bleibt zu hoffen, dass – trotz des zurückgefahrenen Engagements der internationalen Gemeinschaft, der unverantwortlichen und polarisierenden Äußerungen der politischen Eliten und der gewaltbereiten Anhänger politischer Parteien, des Militärs und der Polizei, sowie des (immensen) logistischen Aufwands – sich eine friedliche Mehrheit der Kongolesen und Kongolesinnen  durchsetzt und politische Vertreter wählt, die sich für ihr Wohl und eine demokratische Zukunft des Landes einsetzen.

 

Von Carla Schraml

„Die Demokratische Republik Kongo stabilisieren“

Ein Kommentar zum interfraktionellen Antrag des Deutschen Bundestags, vgl. Drucksache 17/6448 vom 06.07.2011

von Christoph Vogel, Johanna Schmidt und Sven Scheid

Genocide Alert begrüßt den interfraktionellen Antrag und das Engagement der einzelnen Abgeordneten ausdrücklich. Dennoch kann dies nur ein erster Schritt hin zu einer deutschen Kongopolitik sein, die über die bisherigen Aktivitäten hinausgeht. Dabei erkennt Genocide Alert drei Schwerpunktbereiche:

  1. Genocide Alert befürwortet allgemein einen stärker multilateral ausgerichteten Ansatz derUnterstützung für die DR Kongo, zum Beispiel durch eine stärkere Beteiligung am multilateralen Pooled Fund der Vereinten Nationen für den Kongo. Wünschenswert sind ebenso mehr Harmonisierung und Koordinierung der Maßnahmen auf europäischer Ebene, z.B. bei der Reform des Sicherheitssektors.
  2. Durch mehr finanzielle Unterstützung des Internationalen Strafgerichtshofs könnte dieser seine Kapazitäten für die DR Kongo deutlich steigern und weitere Prozesse gegen Menschenrechts- und Kriegsverbrechen im Kongo anstreben. Damit würde man sich dem Vorwurf der Selektivität der Anklagen erwehren. Gesteigerte internationale Unterstützung des IStGH ist ein Beitrag zu mehr Gerechtigkeit und könnte die Legitimität dieser Institution stärken.
  3. Eine verbesserte finanzielle, materielle und personelle Ausstattung würde es der MONUSCO erlauben, unabhängiger von der FARDC zu operieren und den Schutz vonZivilisten wieder verstärkt in den Mittelpunkt zu rücken.

Für den detaillierten Kommentar, bitte laden Sie die folgende PDF Datei:  Kommentar von Genocide Alert zum interfraktionellen Antrag zur Demokratischen Republik Kongo lesen.