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Ist der Internationale Strafgerichtshof unbrauchbar?

Kritiker werfen dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) vor, dieser sei als Gerichtshof unbrauchbar, um begangene Massenverbrechen gerecht und effektiv zu bestrafen und damit nicht in der Lage zur Wahrung des Weltfriedens beizutragen. Afrikanische Staaten werfen ihm Selektivität und mangelnde Glaubwürdigkeit vor, angesichts der starken Konzentration auf Geschehnisse in Afrika. Israel bezeichnet den IStGH sogar als terrorismusfördernd und fordert im Zusammenhang mit der Aufnahme von Vorermittlungen zu Massenverbrechen in Palästina zum Boykott des IStGH auf. Dabei könnten die Vorermittlungen in Israel auch als Chance gesehen werden, auf Kriegsverbrechen seitens der Hamas aufmerksam zu machen. Häufig wird bei aller Kritik jedoch das eigentliche Problem des IStGH ignoriert: die Reformbedürftigkeit des durch das Veto-System nicht selten blockierten Sicherheitsrates der UN, der damit auch die Arbeit des IStGHs beeinträchtigt. Weiterlesen

Was bedeutet die Aufnahme von Vorermittlungen? Replik auf die israelische Kampagne gegen den IStGH

Zum 1. April 2015 nimmt der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Vorermittlungen zu Massenverbrechen in Palästina auf. Dies löste vor allem in Israel, den USA und Kanada eine Welle der Kritik aus, die sich besonders gegen die einseitige Vorgehensweise der Palästinenser richtet, die als Verstoß gegen die Osloer Verträge wahrgenommen wird. Entgegen eines Ratschlages ihres Außenministeriums entschied sich die israelische Regierung, nicht nur die Einstellung der Vorermittlungen, sondern gar die Abschaffung des Internationalen Strafgerichtshofes selbst zu fordern. So bezeichnete der israelische Außenminister Avigdaor Liberman den IStGH im Endeffekt als terrorismusfördernd, israelfeindlich und unbrauchbar. Eine Überreaktion, die Gefahr läuft internationale Strafgerichtsbarkeit zu diskreditieren und es Israel erschwert, auf die Kriegsverbrechen der Hamas aufmerksam zu machen. Von den Vorermittlungen, die in Palästina kein Novum darstellen, sind keine schnellen Ergebnisse zu erwarten. Sie werden Jahre dauern und außerdem die Möglichkeit bieten, die Hamas für ihre Kriegsverbrechen zur Verantwortung zu ziehen.

Die Aufnahme von Vorermittlungen

Vorweg: Die am 16. Januar 2015 von Fatou Bensouda als Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes verkündeten Vorermittlungen zu der Situation in Palästina sind genau das: Vorermittlungen. Ihre Aufnahme bedeutet weder, dass an Massenverbrechen Beteiligte angeklagt werden, noch, dass überhaupt für den Gerichtshof relevante Verbrechen begangen wurden. Vorermittlungen dienen der Prüfung, ob die Kriterien des Römischen Status (Artikel 53) für eine weitere Ermittlung gegeben sind. Diese Vorprüfung erfolgt durch eine Kammer im Gerichtshof, die später nicht das Verfahren durchführen wird. Sie dient auch der Feststellung, ob hinreichend Beweise vorliegen könnten. Das heißt, es muss zumindest die Möglichkeit einer Rechtsverletzung hinreichend dargelegt werden. Für die Richter der entsprechenden Kammer besteht bei Zweifel an dieser Voraussetzung außerdem die Option, diesen in einem Minderheitsvotum darzulegen. Richter Hans-Peter Kaul nutzte diese Möglichkeit dreimal bei den Vorermittlungen des IStGHs zu den Straftaten in Kenia nach den Wahlen 2007/2008.

Bensouda verwies in ihrem Statement nachdrücklich auf diese Standardprozedur für Vorprüfungen, die im Policy Paper on Preliminary Examinations des IStGHs festgehalten ist. Die Vorermittlungen beruhen auf dem Gerichtshof präsentierten Fakten und Informationen und erfolgen unter den Prinzipien der Unabhängigkeit, der Unparteilichkeit und der Objektivität. Die zu prüfenden Kriterien umfassen sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen einer noch nicht erhobenen Klage: Hierin liegt unter anderem die Zuständigkeit des Gerichtes selbst, sowie ein ausreichendes Rechtsschutzinteresse an den Ermittlungen. Konkret werden sich die Vorermittlungen insbesondere auf die Frage der sachlichen Zuständigkeit und den Grundsatz der Komplementarität fokussieren.

Die (erneute) Selbstüberweisung der Palästinenser

Die Vorermittlungen resultieren aus einer Selbstüberweisung der Palästinenser an den IStGH, die der palästinensische Präsident Mahmud Abbas im Fall eines Scheiterns einer UN-Resolution Ende 2014 ankündigte. Diese hätte Israel unter anderem innerhalb von drei Jahren zum Abzug aus den Palästinensergebieten verpflichtet. Die Palästinenser erkannten damit die zeitliche Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs für mögliche Verbrechen auf dem von ihnen kontrolliertem Gebiet ab dem 13. Juni 2014 an.

Ein Schritt, der im Übrigen kein Novum darstellt. Bereits am 22. Januar 2009 reichte die Palästinensische Autonomiebehörde eine Selbstüberweisung beim IStGH ein, in der sie dem Gerichtshof eine zeitliche Zuständigkeit ab dem 1. Juli 2002 zusprachen. Auch damals nahm der IStGH Vorermittlungen auf, die erst im April 2012 zu einem Abschluss kamen: Der IStGH lehnte die Ermittlungen mangels formaler Zuständigkeit ab.

Die damalige Palästinensische Autonomiebehörde wurde zwar von 130 Staaten in bilateralen Beziehungen als Staat anerkannt und besaß in der UN einen Beobachterstatus, nicht aber den [Status] eines „non member observer states“. Nach Artikel 12 des Römischen Status können jedoch nur staatliche Akteure die Strafgerichtsbarkeit des Gerichtshofes anerkennen und entsprechend nach Artikel 125 eine Selbstüberweisung beim UN-Generalsekretär einreichen. Bei kontroverser Staatlichkeit sei es gemäß der Erklärung des IStGHs Praxis, dass der Generalsekretär sich an Entschlüssen der UN-Generalversammlung orientiere. Da es explizit nicht im Zuständigkeitsbereich des IStGHs liege, eine solche Einstufung selbst vorzunehmen, konstatierte der IStGH angesichts des reinen Beobachterstatus der Autonomiebehörde eine fehlende Staatlichkeit, stellte aber künftige Ermittlungen im Falle einer Anerkennung durch die Generalversammlung in Aussicht.

Am 29. November 2012 erkannte die UN-Generalversammlung die Palästinensische Autonomiebehörde als „non member observer state“ an und ermöglichte die jetzige Selbstüberweisung und den Beitritt. Entsprechend verkündete Ban Ki-moon Anfang Januar im Anschluss an die Unterzeichnung den Beitritt der Palästinenser zum Römischen Statut zum 1. April 2015. Folglich kann seitdem von der formalen Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs ausgegangen werden.

Israelis und Palästinenser sind gleichermaßen betroffen

Durch die Selbstüberweisung und den Beitritt Palästinas hat der IStGH nunmehr die Befugnis, gegen israelische Akteure zu ermitteln, insofern diese relevante Verbrechen auf palästinensischem Boden verübt haben. Dazu zählen alle natürlichen Personen (Artikel 1), die mindestens 18 Jahre alt sind (Artikel 26). Auch diplomatische Immunität schützt nicht (Artikel 27). Darüber hinaus kann eine Vertragspartei den Gerichtshof zwar ersuchen, sich einer bestimmten Situation in einem begrenzten Zeitraum anzunehmen; einseitige Ermittlungen gegen eine bestimmte Konfliktpartei schließt dies aber explizit aus. Das bedeutet, dass sämtliche relevanten Verbrechen mit territorialen oder personellen Bezug zu Palästina zum Gegenstand der Vorprüfung werden, explizit also auch solche von palästinensischen Akteuren.

Materielle Zuständigkeit: Wurden Massenverbrechen begangen?

Auch wenn Israel die formale Zuständigkeit und die Staatlichkeit Palästinas weiterhin in öffentlichen Erklärungen dementieren wird, wird es für den IStGH bei den Vorermittlungen im Kern um die materielle Zuständigkeit gehen. Die materielle Zuständigkeit des IStGHs umfasst die im Römischen Statut aufgenommenen völkerrechtlichen Kernverbrechen (Artikel 5), Genozid (Artikel 6), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Artikel 7), Kriegsverbrechen (Artikel 8) und das Verbrechen des Angriffskriegs (Artikel 5). Der Gerichtshof wird also prüfen müssen, ob ausreichend schwere Hinweise auf diese Verbrechen im Rahmen der formalen, personellen und zeitlichen Zuständigkeit vorliegen.

Sowohl Human Rights Watch als auch Amnesty International weisen in aller Deutlichkeit auf die im Zuge des Gazakrieges und der Besatzungspolitik begangenen Menschenrechtsverletzungen hin. Dass zahlreiche Menschenrechtsverletzungen vorliegen, gerade auch in Form von Unterdrückung, Raketenangriffen und Attentaten palästinensischer Akteure wie der Hamas, steht außer Frage. Ob diese in ihrer Schwere aber relevant für weitere Ermittlungen des IStGHs sein werden, ist schwieriger zu beurteilen.

Einen Anhaltspunkt liefert die Entscheidung des IStGHs bezüglich der am 31. Mai 2010 von israelischen Truppen gewaltsam gestoppten „Gaza Freedom Flotilla“, die unter der Flagge der Union der Komoren in See stach. Am 14. Mai 2013 überwiesen die Komoren als Mitgliedsstaat den Fall an den IStGH, der am gleichen Tag mit den Vorermittlungen begann. Diese endeten am 06.11.2014 damit, dass die materielle Zuständigkeit nicht gegeben sei, obwohl mutmaßlich Kriegsverbrechen begangen wurden. In ihrem Statement erklärte Fatou Bensouda, die Chefanklägerin des IStGHs:

„(…) after carefully assessing all relevant considerations, I have concluded that the potential case(s) likely arising from an investigation into this incident would not be of „sufficient gravity“ to justify further action by the ICC. The gravity requirement is an explicit legal criteria set by the Rome Statute.

Without in any way minimizing the impact of the alleged crimes on the victims and their families, I have to be guided by the Rome Statute, in accordance with which, the ICC shall prioritize war crimes committed on a large scale or pursuant to a plan or policy.”

Bezüglich des jüngsten Gazakrieges wäre es für die Aufnahme von Ermittlungen gemäß des Römischen Status also nötig anzunehmen, dass 1.) Kriegsverbrechen als Teil eines Planes oder einer Politik oder 2.) in großem Umfang verübt wurden. Es reicht somit nicht aus, festzustellen, dass die israelische Armee, die Hamas oder die Gruppe „Islamischer Dschihad“ Kriegsverbrechen begangen haben. Bei der Hamas und dem Islamischen Dschihad könnte eine für den Internationalen Strafgerichtshof relevante Systematik anhand entsprechender Erklärungen zudem eher erkannt werden, wobei dann wiederum die Frage des Umfanges abzuwägen wäre.

Für Israel könnte sich die Siedlungspolitik als der kritischere Punkt erweisen. Gemäß des Genfer Abkommens über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten darf eine Besetzungsmacht nicht Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet deportieren oder umsiedeln. Da zumindest hier von einer entsprechenden Systematik ausgegangen werden kann, könnte sich die von der israelischen Regierung jenseits der Grünen Linie betriebene Siedlungspolitik für den IStGH zu relevanten Kriegsverbrechen summieren. Israel verweist hier auf die in den Verträgen von Oslo getroffenen Abkommen mit den Palästinensern, in denen der Status der Siedlungen auf spätere Verhandlungen verschoben wurden. Eine Erklärung, die zumindest in einem nicht-bindenden Rechtsgutachtachten des Internationalen Gerichtshofs zurückgewiesen wurde, der allerdings keine Strafgerichtsbarkeit bezüglich Kriegsverbrechen besitzt. Es bleibt somit abzuwarten, ob sich der Internationale Strafgerichtshof dieser Beurteilung anschließt.

Zulässigkeit der Klage: Grundsatz der Komplementarität

Unabhängig von mutmaßlich begangenen Massenverbrechen will der IStGH zudem nationale Strafgerichtsbarkeit der Staaten nicht ersetzen und ist ebenfalls kein letztinstanzliches Rechtsmittelgericht, überprüft also keine Verfahren der nationalen Strafgerichtsbarkeit. Gemäß des Grundsatzes der Komplementarität (Artikel 17) kann der IStGH nur strafverfolgend tätig werden, wenn Staaten nicht willens oder nicht in der Lage sind, eine entsprechend schwere Straftat ernsthaft zu verfolgen. Auch während der Vorermittlungen des IStGHs haben Staaten so die Chance, selbstständig tätig zu werden und einem Verfahren des IStGHs zu entgehen.

So bemühte sich etwa Großbritannien um derartige Nachweise, als der IStGH entgegen starken Protestes der britischen Regierung Vorermittlungen in mutmaßliche Kriegsverbrechen britischer Soldaten im Irak aufnahm. Weist Israel nach, dass die vermeidlichen Verantwortlichen für die relevanten Fälle bereits vor eigenen Gerichten zur Verantwortung gezogen werden, bestünde für den IStGH keine Grundlage für eigene Ermittlungen. Und tatsächlich bemüht sich Israel durchaus um die Einhaltung des internationalen Menschenrechtes und investiert Ressourcen in Ermittlungen zu möglichen Verstößen – ganz im Gegensatz zur Hamas oder dem Islamischen Dschihad.

Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird

Die Vorermittlungen des IStGHs in die Situation in Palästina werden Jahre dauern. Die weitaus weniger komplexen Vorermittlungen des IStGHs im Zuge der ersten Selbstüberweisung und der Gaza-Flottilia dauerten jeweils etwa eineinhalb Jahre. Der IStGH wird sowohl von israelischen und palästinensischen Akteure mutmaßlich begangene Kriegsverbrechen untersuchen und entsprechend seiner Praxis beiden Seiten ausreichend Zeit verschaffen, selbstständig tätig zu werden. Ob es schließlich zu Ermittlungen gegen Palästinenser und/oder Israelis kommen wird, ist bis zum Abschluss der Vorermittlungen weiterhin offen. Ganz abgesehen davon, dass es selbst bei laufenden Verfahren für den IStGH bei mangelnder Kooperation schwierig ist, eine Verurteilung herbeizuführen. So sah sich der IStGH zuletzt im Dezember 2014 gezwungen, das laufende Verfahren gegen den kenianischen Präsidenten Kenyatta aufgrund mangelnder Kooperation der kenianischen Regierung und einer mangelnden Grundlage an Beweisen einzustellen.

Der israelischen Regierung ist all dies bewusst, dennoch entschied sie sich, zu einem Boykott des Internationalen Strafgerichtshof aufzufordern, während die Hamas die Ermittlungen paradoxerweise öffentlich unterstützt – möglicherweise aufgrund ihrer ohnehin geringen Auslieferungswahrscheinlichkeit. Eine Bitte zum Boykott richtete die israelische Regierung offenbar auch an die Bundesregierung. Diese Fehlentscheidung resultierte wesentlich aus der Annahme israelischer Politiker, ihr Staat stünde aus anti-israelischen Erwägungen heraus ungerechtfertigt im Fokus des Gerichtshofs. Der israelische Außenminister Liberman argumentiert etwa: „Dasselbe Gericht, dass es nach mehr als 200.000 Toten nicht für angebracht hielt, in Syrien, Libyen oder anderen Orten einzuschreiten, findet es nun erstrebenswert, die moralischste Armee der Welt zu ‚untersuchen‘“.

Simon Adams, Executive Director des Global Centre for the Responsibility to Protect in New York

Wie weiter in Syrien, Mr. Adams?

Diplomatischen Druck über Sanktionen und ein Waffenembargo aufbauen, alle Seiten an einen Tisch zwingen, Überweisung des Falls an den Internationalen Strafgerichtshof und Ausbau der dringend benötigten grenzüberschreitenden humanitären Hilfe – Simon Adams, Executive Director des Global Centre for the Responsibility to Protect in New York schildert im Interview mit Genocide Alert notwendige Maßnahmen die in und für Syrien ergriffen werden sollten. Weiterlesen

Syrien: NGOs fordern Ermittlungen durch den Internationalen Strafgerichtshof

flagen

Gemeinsam mit mehr als 100 Menschenrechtsorganisationen ruft Genocide Alert den UN Sicherheitsrat dazu auf, die Menschenrechtsvebrechen in Syrien durch den Internationalen Strafgerichtshof untersuchen zu lassen. Trotz mehr als 100.000 Opfern systematischer Gewalt gegen die Zivilbevölkerung herrscht in Syrien nach wie vor Straflosigkeit. Die internationale Gemeinschaft darf diese Situation nicht länger hinnehmen. Der UN Sicherheitsrat sollte den Internationalen Strafgerichtshof deswegen umgehend beauftragen, die Verbrechen in Syrien zu untersuchen und die Verantwortlichen anzuklagen.

 

Statement by Civil Society Organizations on Need for Justice

(New York, May 15, 2014) – Over one hundred civil society groups from around the world issued the following statement today to urge the United Nations Security Council to approve a resolution to refer the situation in Syria to the prosecutor of the International Criminal Court:

We, the undersigned civil society groups, urge United Nations Security Council members to approve a draft resolution supported by a broad coalition of countries that would refer the situation in Syria to the prosecutor of the International Criminal Court (ICC). More than three years into a conflict that has claimed well over 100, 000 lives, according to the United Nations, atrocity crimes are being committed with complete impunity by all sides in the conflict, with no end in sight.

Neither Syrian authorities nor the leaders of non-state armed groups have taken any meaningful steps to ensure accountability for past and ongoing grave human rights crimes. The failure to hold those responsible for these violations to account has only fueled further atrocities by all sides. Against this background, we believe the ICC is the forum most capable of effectively investigating and prosecuting the people who bear the greatest responsibility for serious crimes and of offering a measure of justice for victims in Syria.

The latest report from the UN’s Syria Commission of Inquiry, published on March 5, also found that all sides to the Syria conflict continued to commit serious crimes under international law and held that the Security Council was failing to take action to end the state of impunity. The commission, which has published seven in-depth reports since its establishment in August 2011, recommended that the Security Council give the ICC a mandate to investigate abuses in Syria. The need for accountability in Syria through the ICC has likewise been supported by more than
60 UN member countries, representing all regions of world, including 10 of the current members of the Security Council. We urge all Security Council members to heed this call for justice. Other countries should publicly support the draft resolution and warn Russia and China against using their veto power to obstruct accountability for violations by all sides. As a permanent international court with a mandate to prosecute war crimes and crimes against humanity when national authorities are unable or unwilling to do so, the ICC was created to address exactly the type of situation that exists in Syria today. Though the court’s work can be only one piece of the larger accountability effort needed in Syria, it is a crucial first step.

We therefore strongly urge Security Council members to urgently act to fill the accountability gap in Syria. The people of Syria cannot afford further disappointment or delay.

 

Co-signing organizations in alphabetical order:

1. Action des Chrétiens pour l’Abolition de la Torture, France
2. Amnesty International, Benin
3. Advocates for Public International Law, Uganda
4. Arabic Network for Human Rights Information, Egypt
5. Asia Pacific Centre for the Responsibility to Protect, Australia
6. Act for Peace, Australia
7. Arab Coalition for Sudan, Sudan
8. Arab Program for Human Rights Activists, Egypt
9. Arab-European Center Of Human Rights And International Law, Norway
10. Arab Foundation for Development and Citizenship, United Kingdom
11. Andalus Institute for Tolerance and anti-Violence Studies, Egypt
12. Benin Coalition for the International Criminal Court, Benin
13. Cairo Institute for Human Rights Studies, Egypt
14. Campaña Colombiana Contra Minas, Colombia
15. Center for Media Studies and Peacebuilding, Liberia
16. Child Soldiers International, United Kingdom
17. Christian Solidarity Worldwide, Belgium
18. Club des Amis du Droit du Congo, Democratic Republic of Congo
19. Coalition Ivoirienne pour la Cour Penale Internationale, Cote d’Ivoire
20. Colombian Commission of Jurists, Colombia
21. Community Empowerment for Progress Organization, South Sudan
22. Conflict Monitoring Center, Pakistan
23. Congress of National Minorities of Ukraine, Ukraine
24. Comité Catholique Contre la Faim et Pour le Développement – Terre Solidaire, France
25. Comision Mexicana de Defensa y Promocion de los Derechos Humanos, Mexico
26. CSO Network, Western Kenya
27. Dawlaty Foundation, Lebanon
28. Democracia Global, Argentina
29. East Africa Law Society, Tanzania
30. Egyptian Initiative for Personal Rights, Egypt
31. Elman Peace and Human Rights Center, Somalia
32. Euro-Mediterranean Human Rights Network
33. FN-forbundet / Danish United Nations Association, Denmark
34. Franciscans International
35. Fundación de Antropología Forense, Guatemala
36. Georgian Young Lawyers Association, Georgia
37. Genocide Alert, Germany
38. Global Solutions.org, United States
39. Global Justice Center, United States
40. Global Centre for the Responsibility to Protect, United States
41. Gulf Centre for Human Rights, Denmark
42. Horiyat for Development and Human Rights, Libya
43. Humanist Institute for Development Cooperation, The Netherlands
44. Humanitarian Law Center Kosovo, Kosovo
45. Human Rights First, United States
46. Human Rights Watch 47. International Justice Project, United States
48. International Commission of Jurists, Kenya
49. International Society for Civil Liberties & the Rule of Law, Nigeria
50. International Society for Traumatic Stress Studies, United States
51. International Federation of Action by Christians for the Abolition of Torture, France
52. International Center for Policy and Conflict, Kenya
53. Insan, Lebanon
54. Jacob Blaustein Institute for the Advancement of Human Rights, United States
55. Justice Without Frontiers, Lebanon
56. Kenya Human Rights Commission, Kenya
57. La Coalition Burundaise pour la Cour Penale Internationale, Burundi
58. Lira NGO Forum, Uganda
59. Ligue pour la Paix, les Droits de l’Homme et la Justice, Democratic Republic of Congo
60. Media Foundation for West Africa, Ghana
61. Minority Rights Group International, United Kingdom
62. National Youth Action, Inc., Liberia
63. No Peace Without Justice, Italy
64. Norwegian People’s Aid, Norway
65. Optimum Travail du Burkina, Burkina Faso
66. Open Society Justice Initiative
67. Pakistan Body Count, Pakistan
68. PAX, The Netherlands
69. Pax Christi International
70. Parliamentarians for Global Action
71. El Equipo Peruano de Antropología Forense, Peru
72. Physicians for Human Rights, United States
73. Pak Institute for Peace Studies, Pakistan
74. REDRESS, United Kingdom
75. Reporters without Borders, France
76. Rencontre africaine pour la défense des droits de l’homme (Raddho-Guinée), Guinea
77. Reseau Equitas, Cote D’Ivoire
78. Samir Kassir Foundation, Lebanon
79. Southern Africa Litigation Centre, South Africa
80. South African Institute for Advanced Constitutional, Public, Human Rights and
International Law, South Africa
81. Syrian Network for Human Rights, United Kingdom
82. Syria Justice & Accountability Center, The Netherlands
83. Syrian Nonviolence Movement, France
84. Syrian Observatory for Human Rights, United Kingdom
85. Synergie des ONGs Congolaises pour la lutte contre les Violences Sexuelles, Democratic
Republic of Congo
86. Synergie des ONGs Congolaises pour les Victimes, Democratic Republic of Congo
87. The International Federation for Human Rights, France
88. The Centre for Accountability and Rule of Law, Sierra Leone
89. The Association of Political Scientists, Greece
90. The Sentinel Project for Genocide Prevention, Canada 91. The Igarape Institute, Brazil
92. The Arab World Center for Democratic Development, Jordan
93. The United Nations Association of Sweden, Sweden
94. United to End Genocide, United States
95. Vision GRAM-International, Canada
96. Violations Documentation Center, Syria
97. Wake Up Genève for Syria, Switzerland
98. West Africa Civil Society Institute, Ghana
99. West African Bar Association, Nigeria
100. World Federalist Movement, Canada
101. World Federation of United Nations Associations
102. Zarga Organization for Rural Development, Sudan

Vorschläge zur Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag

Emilia von Mettenheim und Torie Cochrane-Buchmüller

Die Rolle des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) ist nicht nur zur weltweiten Strafverfolgung schwerster Menschenrechtsverletzungen, sondern auch zu ihrer Vorbeugung von entscheidender Bedeutung. Eine Stärkung der überstaatlichen Justiz ist ein wichtiges Mittel, um auf internationaler Ebene faire Verfahren zu gewährleisten. Der angedrohte Austritt Kenias beeinträchtigt derzeit allerdings die Glaubwürdigkeit des internationalen Gerichtsorgans in Den Haag. Eine Unterstützung des Strafgerichts durch die Bundesrepublik Deutschland in politischer sowie finanzieller Hinsicht ist daher wichtiger denn je. Insbesondere das Zeugenschutzprogramm des IStGH benötigt Förderung. 


Probleme laufender Verfahren vor dem IStGH

Obwohl das Gericht in Den Haag im März 2012 sein erstes Urteil verhängt hat und damit einen bedeutenden Milizenführer aus dem Ostkongo, Thomas Lubanga, hinter Gitter brachte, steht der IStGH noch immer vor Problemen: Die Gescheh-nisse rund um die laufenden Prozesse gegen die amtierenden Staatsoberhäupter von Kenia stellen derzeit die Glaubwürdigkeit des IStGH in Frage. Der erste Gerichtstermin wurde auf den 5. Februar 2014 angesetzt. Der amtierende Staatspräsident Kenyatta wird wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, die er während der Präsidentschaftswahlen 2007 begangen haben soll. Er weigert sich, in Den Haag vorstellig zu werden und plant den Rücktritt Kenias vom Römischen Statut. Derweil hat sich der UN-Sicherheitsrat gegen eine Aussetzung des Verfahrens ausgesprochen. Die Fronten verhärten sich zunehmend. Für den Schutz der Autorität des IStGHs ist es wichtig, dass Deutschland seine unterstützende Rolle gegenüber dem IStGH bestärkt und innerhalb wie außerhalb der EU Partner zur Festigung dieses Gerichtsorgans zu finden.

Die acht derzeit laufenden Verfahren in Den Haag richten sich gegen amtierende und ehemalige Regierungsmitglieder der Länder Sudan, Libyen, der Elfenbeinküste und Kenia. Weitere acht Verfahren gegen Rebellenführer und ihre Anhänger aus dem Kongo, Uganda und Sudan sind anhängig. Einige dieser Verfahren befinden sich im Schwebezustand, da die Beklagten flüchtig sind. In allen Prozessen geht es um die Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Während es dem Gerichtshof nach wie vor an Handlungsfähigkeit mangelt, stellt der Fall Kenia nun seine allgemeine Zuständigkeit in Frage. Die Handlungsspielräume des IStGH müssen daher stärker durch die Mitgliedsstaaten deutlich ausgebaut werden.

Deutschland und der IStGH

Die Bundesrepublik gehört zu den größten finanziellen und politischen Unterstützern des Gerichtshofes. Solange sich jedoch Staaten wie die USA und die Volksrepublik China weiterhin der Mitgliedschaft verweigern, bleibt die Handlungsreichweite des IStGH eingeschränkt. Eine bloß symbolische Funktion des Gerichtshofes – und das steht nach wie vor zu befürchten – hätte schwerwiegende Folgen für die Zukunft der internationalen Strafgerichtsbarkeit und wäre ein Misserfolg der von der Bundesrepublik unternommenen Bemühungen um eine stärkere Verrechtlichung der internationalen Beziehungen.

Auch die Rechtsprechung nationaler Gerichte hat große Bedeutung für die allgemeine Anerkennung des Gerichtshofes in Den Haag. In Deutschland liegt das öffentliche Augenmerk auf den am Oberlandesgericht Stuttgart anhängigen Fällen gegen die zwei Milizenführer Ignace Murwanashyaka und seinen Stellvertreter Straton Musoni aus dem Ostkongo. Ihnen wird die maßgebliche Beteiligung an Kriegsverbrechen im Kongo vorgeworfen. Sie sollen von Baden-Württemberg aus bewaffnete Milizen zu Mord und Vergewaltigungen angeleitet haben. Dieser Prozess wendet zum ersten Mal das Völkerstrafrecht (VstGB) an, welches das Römische Statut in deutsches Recht überführt. Damit können die Beklagten auch dann für Taten, die sie im Ausland begangen haben, in Deutschland vor Gericht gebracht werden, wenn diese nicht gegen Deutsche verübt wurden.

Vorschläge zur Stärkung des IStGH

Trotz des Erfolges des IStGH sieht sich die internationale Strafgerichtsbarkeit mit großen Herausforderungen konfrontiert. Wichtig ist deshalb, dass die Unterstützung der Bundesregierung auch in der kommenden Legislaturperiode nicht nachlässt. Hierzu sind jedoch gezielte Maßnahmen erforderlich, die den Handlungsspielraum des Gerichts erweitern könnten.

Die finanzielle Unterstützung von derzeit 13,6 Millionen € durch den deutschen Staat sollte als gutes Beispiel bewahrt und perspektivisch weiter aufgestockt werden. Gerade zur Weiterverfolgung der derzeit anhängigen Fälle ist dieses Geld unverzichtbar und sollte als Bestandteil deutscher Konfliktprävention verstanden werden.

Neben finanzieller Unterstützung sollte diplomatisch auf diejenigen Mitgliedsstaaten eingewirkt werden, die sich ihrer Verantwortung entziehen wollen. Es ist die Aufgabe der Bundesregierung und anderer Unterstützer des IStGHs, zwischen den Gegnern Den Haags, dem Gerichtshof sowie den Anklägern zu vermitteln. Viel können hier auch die vor Ort stationierten politischen Stiftungen beitragen. Diese politische Aufgabe kann der Gerichtshof selbst nicht leisten. Der IStGH darf seine neutrale Funktion nicht verlieren.

Die kontinuierliche Überwachung der nationalen Prozesse nach dem VStGB wie in Stuttgart stellt in diesem Kontext ein vielbeachtetes Zeichen nach außen dar: Deutschland hat das Völkerstrafrecht in nationales Recht überführt und dient damit anderen Staaten als Vorbild. Deutschland sollte aktiver darauf hinwirken, dass andere Staaten diesem Beispiel folgen.

Um den Handlungsspielraum des IStGH zu erweitern und seine Glaubwürdigkeit auf internationaler Ebene zu stärken, ist zudem ein Ausbau des bestehenden Zeugenschutzprogrammes notwendig. Derzeit beteiligt sich Deutschland mit 900.000€ am Opferschutzfonds des IStGH. Hiermit werden die Opfer von Gräueltaten entschädigt. Es liegt auf der Hand, dass sich kaum Zeugen zu einem Fall finden lassen, wenn sich eine Anklageschrift gegen ein noch amtierendes Staatsoberhaupt richtet. Potenzielle Zeugen sehen sich und ihre Angehörigen in solchen Fällen zu Recht in Gefahr und verzichten auf eine Aussage, während die Anklageschrift in Den Haag mangels ergiebiger Prozessführungsgründe zurückgewiesen wird. Hiergegen hilft nur ein effektives Zeugenschutzprogramm.

 

Emilia von Mettenheim ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Völkerrecht bei Genocide Alert.

Torie Cochrane-Buchmüller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Völkerrecht bei Genocide Alert.

Vorschläge zur Stärkung des IStGH – Genocide Alert Policy Brief 1-2014

Mit dem Privatjet in die Zelle: Das Karriereende von Bosco Ntaganda

 

 

Ein Paukenschlag. Montag, den 18. März 2013 kursiert seit der Mittagszeit aus gut unterrichteten Quellen die Information, Bosco Ntaganda, Kampfname “Terminator”, habe sich der US-Botschaft in Ruanda in Kigali ergeben. Später am Nachmittag bestätigt sich die Meldung endgültig.  Seit etwa 12 Jahren war er, obgleich nie als offizielle Nummer eins, Strippenzieher verschiedenster Rebellengruppen im Ostkongo.

 

Ein anekdotischer Rückblick

In früher Kindheit und Jugend musste Ntaganda aus Ruanda nach Uganda fliehen. Dort wuchs er in Flüchtlingslagern auf und kehrte Anfang der 1990er Jahre unter Fred Rwigyema und Paul Kagame mit der Rwandan Patriotic Front nach Ruanda zurück und half, den dort wütenden Genozid zu beenden. Es folgen erste Ausflüge in den Ostkongo, wohin die neue ruandische Armee den Schergen des Genozids (heute firmiert unter der Miliz FDLR) folgt, doch zugleich massenweise Massaker unter der Zivilbevölkerung verübt (siehe Mapping-Report der UN). Anschließend schließt sich Ntaganda für kurze Zeit der pro-ruandischen Besatzungsarmee RCD in und um Goma an, bevor er Militärchef von Thomas Lubangas UPC-Rebellen wird. Lubanga ist heute bekannt als erste Person, die vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag verurteilt wird. Aus dieser Zeit, 2002/03, stammt der Haftbefehl des ICC gegen ihn. Mitte des vergangenen Jahrzehnts wechselt der Terminator, übrigens eine Selbstbezeichnung – das Kino der frühen 1990er hatte seinen Einfluss auch in Zentralafrika – zur CNDP, Laurent Nkunda’s Miliz, die im Ostkongo einen Staat im Staate errichtete und zum Teil als Satrap Ruandas agierte. Jener Nkunda befindet sich seit 2009 unter Hausarrest in Ruanda – Folge eines Friedensabkommens zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Ruanda. Dieses Friedensabkommen wurde nicht zuletzt dadurch begünstigt, dass Ntaganda sich willens zeigte, seinen Chef zu verraten. Er und weitere hochrangige CNDP-Offiziere erhalten prestigiöse Positionen in der kongolesischen Regierungsarmee. Der Terminator ist nun stellvertretender Kommandant aller Militäroperation im Ostkongo – und plötzlich General. Zugleich eröffnet er in Goma seinen privaten Grenzübergang nach Ruanda, der zu einem Brennpunkt und Nadelöhr für illegal gehandelte Rohstoffe wird. Der Haftbefehl des ICC gegen ihn besteht zu dieser Zeit bereits, aber der kongolesischen Regierung scheint die scheinbare Stabilität wichtiger zu sein. Ruanda befindet sich nicht unter den Unterzeichnerstaaten des Romstatuts.

Nach den letzten Präsidentsschaftswahlen im Kongo gerät der wiedergewählte Joseph Kabila unter starken diplomatischen Druck. Unabhängig von der Beobachtung, dass er nach einer geschickten Verfassungsänderung wahrscheinlich auch ohne Betrug Wahlsieger gewesen wäre, steht die Hypothek von brennenden Wahllokalen und Distrikten mit über 100% Wahlbeteiligung. Die internationale Gemeinschaft möchte als Gegenpfand den mächtigen Kriegsherren Ntaganda in Den Haag sehen. Kabila macht erste Anstalten, beizugeben. Der ihn aus dem Osten unterstützende Ntaganda (gleichwohl der Tatsache, dass dies immer mehr eine „alliance de convenience“ gewesen ist) verliert Vertrauen und Ruhe, desertiert. Eine Welle weiterer Kommandanten, fast auschließlich Ex-CNDP-Offiziere folgt dem Beispiel. Wenige Wochen später erscheint M23, die Bewegung des 23. März, auf der Bildfläche und verzeichnet rapide Geländegewinne nördlich von Goma, im Dreiländereck zwischen Kongo, Ruanda und Uganda. Während Ntaganda von der Bildfläche verschwindet, wird die Bewegung militärisch von Sultani Makenga und Baudouin Ngaruye geführt. Die Forderung lautet, das Friedensabkommen vom 23. März 2009, dass die CNDP in die Regierungsarmee FARDC integriert hat, nun endlich komplett umzusetzen. Offiziell gehört Ntaganda nicht zur M23, aber schnell wird klar, dass er im Hintergrund agiert.
Die UN-Expertengruppe zum Kongo findet erhebliches Material, dass auch Ruanda und Uganda ihre Finger im Spiel haben. Am 20. November 2012 (wie in vorigen Blogeinträgen berichtet), nimmt M23 Goma im Handstreich und demonstriert etwa zwei Wochen Stärke, bevor der Abzug mit neugewonnenem Material und frischen Rekruten beginnt. Es folgen Verhandlungen in Kampala. In dieser Periode wird zum ersten Mal deutlich, dass innerhalb von M23 die alten politischen, ökonomischen, ethnischen Spannungen des CNDP, die ihren Ursprung in der Absetzung Nkundas durch Ntaganda haben, weiterleben. Makenga, ein enger Vertrauter Nkundas setzt sich mit der Entscheidung für den Abzug und Verhandlungen durch, während der politische Führer Jean-Marie Runiga und Ngaruye mit dem Wunsch, den Feldzug fortzuführen, scheitern. Sie sind Ntagandas Spielsteine in dieser Konstellation. Einige Wochen später, Meldungen über Kämpfe innerhalb von M23 – ein Bruderkampf beginnt. Makenga hatte Runiga als politischen Führer der Bewegung abgesetzt, woraufhin dieser und die Ntaganda-treuen Offiziere sich zu jenem absetzen. Der Gegenangriff folgt binnen weniger Tage. Heftige Schlachten halten den sogenannten „petit Nord“ der Provinz Nordkivu in Atem. Nach etwa drei Wochen wird klar, dass die Makenga-Fraktion siegreich sein würde. Viele hochrangige Ntaganda-Kämpfer sterben. Runiga flüchtet als erster nach Ruanda, begleitet von Ngaruye, sowie Seraphin Mirindi und Innocent Zimurinda. Andere ergeben sich Makenga, wiederum andere den Blauhelmen der MONUSCO. Keine Spur von Bosco Ntaganda, bis jener sich unter mysteriösen Umständen am 18. März in der US-Botschaft ergibt und ironischerweise am 23. März, Namensgeber seiner letzten Rebellenformation, in den Haag den Haftbefehl vorgelesen bekommen wird, nachdem er die obligatorische medizinische Untersuchung überstanden hat. Doch wie ist die vermeintliche Selbstauslieferung zustande gekommen?

Zwei konkurriende Theorien besitzen den größten Grad an Wahrscheinlichkeit und werden jeweils von zahlreichen verschiedenen Informanten und anderen Quellen getragen. Beide gehen davon aus, das Ntaganda zwischen dem 16. und 18. März die Grenze nach Ruanda überquert hat:

Variante A: Ntaganda gelangt unbemerkt auf ruandisches Territorium. Mithilfe der Freunde, die er in der ruandischen Armee noch immer besitzt, reist er inkognito bis nach Kigali. Dort stellt er sich der US-Botschaft und bittet um die Überführung nach Den Haag.

Variante B: Ntaganda wird auf ruandischen Territorium von den dortigen Sicherheitskräften festgenommen und nach Kigali gebracht. Die ruandische Regierung zwingt ihn, sich der US-Botschaft zu stellen und um die Überführung nach Den Haag zu bitten.

Beide Varianten beruhen auf einigen Gemeinsamkeiten. Zum einen muss Ntaganda um sein Leben gefürchtet haben – anders lässt sich die überraschende Selbstauslieferung kaum erklären. Eine drohende Haftstrafe von 10-20 Jahren muss in seinen Augen die bessere Alternative gewesen sein. Weiterhin wird klar, Ruanda hat das Interesse an ihm verloren. War er über zehn Jahre in RCD, UPC, CNDP und M23 ein Handlanger, Partner und Instrument ruandischer Interessen im Kongo, so muss Ruanda nun zum Schluss gekommen sein, dass Ntaganda nunmehr ein belastendes Element geworden ist. Dies zeigt nicht zuletzt, ganz egal ob die Wahrheit mehr Variante A oder B gleicht, die Kooperation des Landes mit dem ICC – gerade auch, weil Ruanda den ICC gemeinhin ablehnt.

Über die Spekulationen zur Selbstauslieferung hinaus bleiben weitere Fragen im Fall Ntaganda offen. Die Rolle der kongolesischen Regierung (die bereits sehr früh Ntaganda’s Grenzübergang denunziert hatte, die Rolle der siegreichen Makenga-Fraktion der M23, sowie die Rolle der USA – schließlich hätte Ntaganda sich verhältnismäßig einfacher auch den Blauhelmen in Kibumba, in der Nähe seines letzten Hauptquartiers, stellen können. Was Ntaganda dazu bewegt hat, nicht etwa auf eine seiner Farmen in westlich gelegene Masisi zu fliehen ist unklar. Der Zustand seiner Truppen lässt jedoch darauf schließen, dass er über unzureichende Munition verfügte und alle Zugangswege von feindlichen Akteuren versperrt waren.

Seit dem frühen Nachmittag des 22. März sitzt Ntaganda in einem privat gecharterten Jet mit einer Delegation des ICC. Es ist seinen Opfern, aber auch dem (oft nicht ganz zu unrecht) kritisierten Internationalen Strafgerichtshof zu wünschen, dass was ihn betrifft, Gerechtigkeit geschaffen wird. Darauf zu spekulieren, dass Ntagandas Festnahme und eventuelle Verurteilung den Konflikt im Ostkongo lösen kann ist allerdings blauäugig. Der Friedensprozess bleibt festgefahren. Eine Integration der M23 in die Regierung – die nicht ausgeschlossen ist – wird dieses Problem lösen, wenn auch nur auf Zeit. Zugleich kann sie jedoch weitere Probleme schaffen, wie die Desertion anderer Gruppen. Die neue Sondergesandte der UN, Mary Robinson, sieht sich einer höchst delikaten Lage gegenüber, bei der nicht zuletzt die Rolle der beteiligten Regierungen besonders problematisch werden kann.

 

Ein Beitrag von Christoph Vogel, Mercator Fellow
Originalveröffentlichung des Artikels auf www.nefia.org

Genocide Alert unterzeichnet Aufforderung an den tschadischen Präsidenten Idriss Deby, den Haftbefehl gegen Umar al-Baschir anzuerkennen

Genocide Alert unterzeichnet Aufforderung an den tschadischen Präsidenten Idriss Deby, den Haftbefehl gegen Umar al-Baschir anzuerkennen. Am 12. Juli 2010 stellte der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) gegen al-Bashir, Präsident des Sudan einen Haftbefehl wegen Völkermords aus. In einem gemeinsamen Schreiben fordern 97 internationale Organisationen den Präsidenten des Tschad dazu auf, den Haftbefehl anzuerkennen, Umar al-Baschir nicht in den Tschad einreisen zu lassen oder den Haftbefahl bei einer Einreise auszuführen.

Pdf.-Version der Aufforderung an den tschadischen Präsident Idriss Deby

Thomas Lubanga Dyilo – Der erste Fall des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag

Nach 10-jährigem Bestehen hat der IStGH am 14. März 2012 sein erstes Urteil erlassen: Thomas Lubanga Dyilo wurde als Mittäter wegen Kriegsverbrechen gemäß Artikel 8(2)(e)(vii), 25(3)(a) des Rom-Statuts verurteilt. Das Gericht hält es für zweifelsfrei bewiesen, dass der ehemalige Warlord und Führer der Union des patriotes congolais (UPC) samt deren militärischen Arm (Force patriotique pour la libération du Congo, FPLC) zwischen 2002 und 2003 Kinder unter 15 Jahren zwangsverpflichtet, in die Miliz eingegliedert und als Kindersoldaten in dem bewaffneten Konflikt eingesetzt hat.

Daraufhin wurde der 51-jährige Lubanga am 10. Juli 2012 zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt (Artikel 76 Rom-Statut). Der Ankläger hatte zwar 30 Jahre gefordert, jedoch berücksichtigte das Gericht mildernde Umstände, da Lubanga mit dem Gericht kooperiert hatte. Berufung ist bislang nicht eingelegt worden. Noch ist unklar, wo Lubanga die Gefängnisstrafe ableisten muss. Infrage kommen acht Länder, die ein entsprechendes Abkommen mit dem Gericht unterzeichnet haben. Davon haben sich bereits sechs Länder bereit erklärt die Strafe zu vollziehen: Belgien, Finnland, Großbritannien, Mali, Österreich und Serbien.

Kontext

Die Demokratische Republik Kongo gehört trotz ihres Rohstoffreichtums zu den ärmsten Staaten der Welt. Nicht erst seit 2002 befindet sich das Land in einem andauernden bewaffneten Konflikt. Insbesondere der reiche Osten ist seit 1996 Schauplatz vielschichtiger Konflikte zwischen bewaffneten Stammesmilizen und Rebellentruppen, einheimischen Regierungssoldaten und ausländischen Armeen wie etwa aus Ruanda und Uganda. Seither kamen über 5 Millionen Menschen ums Leben. Lubangas Miliz werden zahlreiche schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, unter anderem ethnische Massaker, Folter, sexuelle Gewalt, Vergewaltigung und Missbrauch von Mädchen und Frauen als Sexsklaven.

Anklage auf Kindersoldaten beschränkt

Im Fokus des Lubanga-Verfahrens stand die Problematik der Rekrutierung von Kindersoldaten. Der Ankläger beschränkte sich hierbei auf den Tatbestand des Kriegsverbrechens in Form der Eingliederung, Zwangsrekrutierung und Einsetzung von Kindersoldaten in bewaffneten Konflikten. Tatbestände wie sexueller Missbrauch, Vergewaltigung und andere sexuelle Gewaltakte wurden somit von vornherein nicht ins Verfahren aufgenommen. Der Ankläger begründete dies damit, dass die Beweislage allein hinsichtlich der Kindersoldaten hinreichend war. Ein Teilfreispruch im allerersten Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs hätte der Glaubwürdigkeit des Gerichts schaden können. Selbst die Anstrengungen der Opfer, den Anklagegegenstand materiell zu erweitern, brachten keinen Erfolg. Diese Beschränkung der Anklage allein aufgrund gerichtspolitischer Befürchtungen hat zumindest einen faden Beigeschmack.

Neuheit: Verfahrensrechte für Opfer

Die vielfältigen Verfahrensrechte der Opfer in dem Verfahren vor dem IStGH sind eine Neuerung im Völkerstrafrecht. Die Verfahrensordnungen des Internationale Tribunal für Jugoslawien sowie des internationales Tribunals für Ruanda kennen keine gesonderten Opferrechte. Nur Verfahren vor dem Rote-Khmer-Tribunal in Kambodscha („Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia“) sehen auch eine weitreichende Opferbeteiligung einschließlich Entschädigungszahlungen vor. Diese gibt es jedoch lediglich in Form von kollektiven oder ideellen Entschädigungen (moral reparation). Individualentschädigungen sieht auch das Rote-Khmer-Tribunal nicht vor.
Während des Lubanga-Verfahrens vor dem IStGH haben insgesamt 129 Opfer am Verfahren direkt teilgenommen, indem sie unabhängig vom Ankläger Beweise einführen und Zeugen befragen durften. Drei Opfer haben selbst als Zeugen ausgesagt. Zudem existiert mit Artikel 75 des Rom-Statuts die Möglichkeit Entschädigungszahlungen zu beantragen. Die Regelungen des IStGH sind jedoch vielfach noch konkretisierungsbedürftig (vgl. Artikel 68 Rom Statut, Artikel 85 Verfahrens- und Beweisordnung). Es wird erwartet, dass die Entscheidung bzgl. der Entschädigung der Opfer im Lubanga-Verfahren zahlreiche bisher ungeregelte Fragen beantworten wird. Offen ist beispielsweise, wie groß der Kreis der Opfer ist, der berechtigt sein soll Entschädigungen einzuklagen. Im Rahmen des Lubanga-Verfahrens haben mehr als 20 Personen einen Antrag auf Entschädigung gestellt. Ferner ist klärungsbedürftig, ob eine Kollektiventschädigung gezahlt oder ob jedes Opfer individuell entschädigt werden soll. Mit Spannung wird ferner erwartet, wie die Entschädigungen finanziert werden: Haftet der Verurteilte mit seinem Vermögen? Wird eine Ausfallhaftung bereitgehalten?
Genocide Alert sieht in der Anerkennung eigener Verfahrensrechte für Opfer einen bedeutenden Schritt. Die Position der Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen in Strafverfahren muss dringend gestärkt werden. Das ist entscheidend, weil die Interessen des Anklägers nicht zwingend mit den Interessen der Opfer übereinstimmen. Dieser Interessenkonflikt spiegelt sich im Lubanga-Verfahren in der Beschränkung des Anklagegegenstandes und dem Versuch der Opfer den Anklagegegenstand insbesondere auf sexuelle Gewaltdelikte auszuweiten. Genocide Alert begrüßt daher, dass im IStGH-Verfahren der Stimme der Geschädigten gesteigertes Gehör verschafft wird. Opferrechte müssen einen festen Platz im internationalen Strafverfahren haben, um alle betroffenen Interessen ausreichend zu berücksichtigen, die Aufarbeitung schwerster Menschenrechtsverletzungen zu fördern und gesellschaftliche Befriedung voranzutreiben. Besondere Wichtigkeit kommt an dieser Stelle dem Anspruch auf Opferentschädigung zu.

Meilenstein im Völkerstrafrecht

Das Urteil wird als Meilenstein der Völkerstrafrechtsgeschichte und Teilsieg im Kampf gegen Straflosigkeit schwerster Menschenrechtsverletzungen gefeiert. Es belegt die Relevanz internationaler Strafgerichtsbarkeit und untermauert die Existenzberechtigung des Internationalen Strafgerichtshofs. Seit seiner Entstehung wird dem IStGH vorgeworfen, zu langsam und uneffektiv zu arbeiten. Das erste Urteil ist eine deutliche Kampfansage. Spätestens jetzt muss jeder Kriegsverbrecher den Ruf aus Den Haag vernehmen: Schwere Menschenrechtsverletzungen werden verfolgt und bestraft, national und international!

Das Internationale Tribunal für Jugoslawien sowie das internationale Tribunal für Ruanda werden in den nächsten Jahren die letzten Anklagen verhandeln. Charles Taylor, der frühere Präsident von Liberia, wurde im April 2012 vom Sondertribunal für Sierra Leone wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Das Urteil des IStGH im Fall Lubanga bildet einen wichtigen Folgeschritt in Richtung einer effektiven internationalen Strafgerichtsbarkeit. Trotz dieses durchaus positiven Ausblicks besteht aber noch immer Handlungsbedarf. Etliche wegen schwerster Menschenrechtsverbrechen Angeklagte sind noch flüchtig, unter anderen: Bosco Ntaganda – Stellvertreter Lubangas in der UPC –, Omar Al-Bashir, und Joseph Kony.
Zudem kooperieren noch immer nicht alle Staaten mit dem IStGH. Der ist aber auf den Vollzug seiner Anordnungen durch nationale Polizeibehörden angewiesen. Zwar zählt der IStGH 121 Mitgliedstaaten, zu denen auch Deutschland und alle anderen EU-Staaten gehören, die Liste der Nicht-Mitglieder demonstriert allerdings eine schwerwiegende Schwäche: Die politischen Schwergewichte USA, China, Russland sind nicht dabei und auch Indien, Pakistan, Iran, Israel, Syrien, Sudan und Nordkorea lehnen den Gerichtshof ab.

Genocide Alert nimmt das Lubanga-Urteil zum Anlass, weiter darauf hin zu wirken, dass alle Staaten schwere Menschenrechtsverletzungen bekämpfen, verfolgen und bestrafen. Kriegsverbrecher dürfen nirgendwo einen sicheren Hafen finden, in dem sie sich straffrei bewegen können. Vor allem die IStGH-Mitgliedsstaaten müssen sich in Erinnerung rufen, dass der IStGH nur dann effektiv und erfolgreich arbeiten kann, wenn seine Entscheidungen auch national umgesetzt werden. Die international eingerichteten Gerichte haben ihre Arbeit erfolgreich aufgenommen. Nun ist es an den Nationalstaaten ihnen die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen. Die Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen aus politischen Gründen muss beendet werden!

Sinthiou Estelle Buszewski

Syrien Interview von Genocide Alert mit Völkerrechtler Professor Kreß

Schlüsselaussagen des Interviews:

  • Viel spricht dafür, dass in Syrien Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden. Deshalb ist die Krise in Syrien ein Fall für die internationale Schutzverantwortung.
  • Die UN Generalversammlung könnte durch eine Verurteilung Syriens weiteren diplomatischen Druck aufbauen.
  • Die Einrichtung einer Schutzzone auf syrischem Territorium durch die Türkei führte ebenso in eine völkerrechtliche Grauzone wie Waffenlieferungen an die syrische Opposition.
  • Ein direkte diplomatische, finanzielle und friedlich-logistische Unterstützung der syrischen Opposition wäre in Anbetracht der systematischen Menschenrechtsverletzungen des syrischen Regimes völkerrechtlich gut begründet.

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Genocide Alert: Handelt es sich bei den Menschenrechtsverbrechen in Syrien um eine Situation der Schutzverantwortung („Responsibility to Protect“)?

 

Prof. Kreß: Inzwischen fällt es schwer, sich dieses Eindrucks zu erwehren. Zu Beginn der Gewaltanwendung in Syrien war von außen betrachtet nicht klar, ob es sich nicht vielleicht um räumlich begrenzte und spontane Gewaltexzesse der Sicherheitskräfte handelte. Die Informationen, die uns jetzt aus Syrien erreichen, sprechen indessen recht eindeutig für einen konzertierten Angriff der Staatsgewalt gegen einen Teil der eigenen Bevölkerung, die im Kern friedliche Opposition, wo immer im Land sich diese zeigt oder vermutet wird.

Genocide Alert: Kann man Ihrer Meinung nach von einem bewaffneten Konflikt in Syrien sprechen?

Prof. Kreß: Da habe ich erhebliche Zweifel. Denn hierzu müsste der syrischen Staatsmacht mindestens eine einigermaßen organisierte gegnerische Konfliktpartei in einer quasi-militärischen Auseinandersetzung entgegentreten. An dieser Stelle hat sich die Situation in Syrien jedenfalls bislang anders entwickelt als in Libyen.

Genocide Alert: In welcher Form hat das syrische Regime Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen?

 

Prof. Kreß: Der Begriff der Verbrechen gegen die Menschlichkeit setzt einen ausgedehnten oder systematischen Angriff eines Kollektivs gegen eine Zivilbevölkerung voraus. Wann Menschenrechtsverletzungen die Schwelle eines solchen Angriffs erreichen, ist noch nicht abschließend geklärt. Überzieht die Regierung eines Staates eine erstarkende Opposition systematisch mit Mord und Folter, ist ein solcher Angriff gegeben. Hierum geht es in Syrien.

Genocide Alert: Welche Handlungsmöglichkeiten bestehen nun noch nach dem Veto Russlands und Chinas im UN Sicherheitsrat? Wäre eine Behandlung der Situation auch im Rahmen der UN Generalversammlung möglich, z.B. gemäß der Uniting for Peace-Prozedur?

Prof. Kreß: Nach der Satzung der Vereinten Nationen ist die Generalversammlung nicht befugt, über die Anwendung von Zwangsmaßnahmen zu beschließen. Insoweit verfügt der Sicherheitsrat über das Monopol der Entscheidung. Die Generalversammlung hatte im Zuge der Korea-Krise der 1950er Jahre versucht, dieses Monopol durch die von Ihnen angesprochene Uniting for Peace-Resolution aufzubrechen. Doch ist dieser Versuch nicht zu einer informell satzungsändernden Praxis erstarkt, wie der Internationale Gerichtshof in einem Rechtsgutachten der 1960er Jahre festgestellt hat. In demselben Gutachten hält der Gerichtshof indessen fest, dass die Generalversammlung nicht schon deshalb daran gehindert ist, sich mit einer Situation zu befassen, die den internationalen Frieden bedroht, weil diese Situation auf der Tagesordnung des Sicherheitsrats steht. Die Generalversammlung könnte Syrien also durchaus verurteilen, obgleich eine solche Verurteilung im Sicherheitsrat gescheitert ist. In Verbindung mit dem Druck, den die Arabische Liga derzeit auf Syrien ausübt, würde ein solches Vorgehen ein willkommenes Zeichen gegen das Assad-Regime aussenden und zugleich einen weiteren Beleg dafür liefern, dass Russland und China in dieser Frage isoliert sind.

Genocide Alert: Derzeit werden verschiedene Szenarien für ein stärkeres internationales Engagement zu Gunsten der syrischen Opposition durchgespielt. Eine der dabei wiederholt genannten Optionen wäre die Einrichtung einer Schutzzone durch die Türkei auf syrischem Boden an der Grenze der beiden Länder. Wäre solch ein Schritt völkerrechtswidrig? Könnte die Türkei vor dem Hintergrund syrischer Flüchtlingsströme eine solche Maßnahme als Selbstverteidigung geltend machen?

 

Prof. Kreß: Die Türkei begäbe sich hierdurch in eine völkerrechtliche Grauzone. Denn die Einrichtung und Durchsetzung einer solchen Schutzzone auf syrischem Boden ohne die Erlaubnis Syriens wäre eine Gewaltanwendung gegen diesen Staat. Auf das in der Satzung der Vereinten Nationen verbriefte Selbstverteidigungsrecht könnte sich die Türkei hierzu trotz Flüchtlingsströmen aus Syrien nicht berufen. Einen anderen Rechtstitel zur grenzübergreifenden Gewaltanwendung ohne Mandat des Sicherheitsrats sieht die Satzung der Vereinten Nationen nicht vor. Allerdings ist in der neueren Praxis verschiedentlich geltend gemacht worden, dass Gewalt zur Beendigung schwerster und in größtem Umfang begangener Menschenrechtsverletzungen angewandt werden dürfe. So hat beispielsweise Großbritannien 1991 die Einrichtung und Durchsetzung einer Flugverbotszone zum Schutz der irakischen Kurden vor dem Angriff Saddam Husseins begründet, ohne dass dies in der internationalen Staatengemeinschaft auf nennenswerte Kritik gestoßen wäre. Die Frage ist, ob sich diese Praxis so weit verdichtet hat, dass an diesem Punkt von einer informellen Änderung der Satzung der Vereinten Nationen gesprochen werden könnte. Hier bestehen gewichtige Zweifel, zumal der Kosovo-Einsatz der Vereinten Nationen die blockfreien Staaten zu einem (freilich abstrakten) Bekenntnis gegen die so genannte unilaterale humanitäre Intervention veranlasst hat. In dieser Situation geht jeder Staat, der sich zur Durchführung einer unilateralen humanitären Intervention entschließt, ein völkerrechtliches Risiko ein. Gleichzeitig besteht natürlich die Chance, die Entwicklung hin zur Herausbildung einer Erlaubnis zur unilateralen Gewaltanwendung im humanitären Extremfall zu konsolidieren, wenn es gelingt, einen weiteren erfolgreichen Präzedenzfall zu setzen, d.h. mit einem entsprechenden Gewalteinsatz keine nennenswerte internationale Kritik hervorzurufen.

Genocide Alert: Wie wäre es völkerrechtlich zu bewerten, wenn die Arabische Liga die Türkei zur Vornahme einer humanitären Intervention mandatieren würde?

 

Prof. Kreß: Die inzwischen sehr deutliche Kritik der Arabischen Liga am Vorgehen Syriens ist sehr zu begrüßen. Es ist deshalb richtig, dass die westlichen Staaten die enge Abstimmung mit der Liga als der maßgeblichen Regionalorganisation suchen. Als Regionalorganisation – um zu Ihrer Frage zu kommen – kann die Arabische Liga allerdings nicht vom Gewaltverbot der Satzung der Vereinten Nationen dispensieren. Die Unterstützung der Errichtung einer Schutzzone auf syrischem Staatsgebiet durch die Arabische Liga würde lediglich die Chance erhöhen, dass die Staatengemeinschaft wohlwollend oder jedenfalls duldend auf eine solche begrenzte humanitäre Intervention reagiert. Ganz allgemein gilt übrigens, dass jeder Staat, der einen Gewalteinsatz zur Abwendung einer humanitären Katastrophe erwägt, gut beraten ist, sich in ein Staatenkollektiv einzufügen, um dem Verdacht zu begegnen, das humanitäre Motiv bemäntele vielleicht lediglich nationale Machtinteressen.

Genocide Alert: Welche mit dem Völkerrecht zu vereinbarende Möglichkeiten zur Unterstützung der syrischen Opposition stehen zur Verfügung? Wo ist die Grenze zu einer illegalen Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes zu ziehen?

 

Prof. Kreß: Zunächst kommen sämtliche Maßnahmen in Betracht, die das Assad-Regime zwar als „unfreundlich“ bewerten mag, die jedoch keiner völkerrechtlichen Verhaltensnorm und insbesondere nicht dem Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten widersprechen. Ein Beispiel ist der Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Im Übrigen kann man sich völkerrechtlich auf den Standpunkt stellen, die massiven Menschenrechtsverletzungen Syriens berechtigten die übrigen Staaten zur Durchführung von so genannten Gegenmaßnahmen (früher sprach man von Repressalien), um das syrische Regime von weiteren Völkerrechtsverletzungen abzubringen. Solche Gegenmaßnahmen, die man vorzugsweise im kollektiven Verbund wird durchführen wollen, könnten Handlungen einschließen, die ansonsten gegen Völkerrecht verstießen und insbesondere als völkerrechtswidrige Intervention zu bewerten wären. Die Europäische Union hat ja bereits beschlossen, Vermögenswerte solcher Personen einzufrieren, die vorrangig für die Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Zu denken ist weiterhin an die finanzielle Unterstützung der syrischen Opposition. Weitere Maßnahmen, die in diesem Zusammenhang erwogen werden könnten, wäre die Erlaubnis zur Eröffnung von Verbindungsbüros auf dem eigenen Staatsgebiet oder die Lieferung von Satellitentelefonen und ähnlicher Ausrüstung, um der syrischen Opposition so dabei zu helfen, mit der Weltöffentlichkeit zu kommunizieren. Völkerrechtlich heikel wird es bei Waffenlieferungen. Denn der Internationale Gerichtshof hat Waffenlieferungen an eine nicht-staatliche Bürgerkriegspartei auf die Schwelle der Gewaltanwendung gehoben und damit den Spielraum für die völkerrechtliche Rechtfertigung eingeschränkt. Völkerrechtspolitisch lässt sich an dieser Stelle sicher trefflich streiten. So sinnvoll es grundsätzlich ist, Waffenlieferungen an die nicht-staatliche Bürgerkriegspartei auszuschließen, so fragwürdig erscheint ein kategorisches völkerrechtliches Verbot, einer vom staatlichen Militär oder staatlichen Sicherheitskräften angegriffenen Zivilbevölkerung dabei zu helfen, sich zu verteidigen.

Genocide Alert: Ist Syrien verpflichtet humanitären Organisationen Zugang zu gewähren?

 

Prof. Kreß: Die Pflicht des Gebietsstaates, humanitären Organisationen Zugang zu gewähren, damit diese bei Bedarf unparteiisch Hilfe leisten können, ist im Völkerrecht der bewaffneten Konflikte ausdrücklich geregelt. Im Friedenszustand sollte im Ergebnis nichts anderes gelten, wenn sich ein Teil der Bevölkerung in akuter Lebensgefahr befindet. Die aktuelle internationale Diskussion, die vor allem im Hinblick auf Notlagen in der Folge von Naturkatastrophen geführt wird, deutet denn auch stark in diese Richtung. Doch hilft die hier diskutierte Pflicht natürlich praktisch nicht, wenn die schwere Notlage erst durch den Angriff der Regierung des Gebietsstaates heraufbeschworen wird. Denn eine solche Regierung wird den Zugang verweigern, und um diesen mit Gewalt durchzusetzen, müsste man wiederum bereit sein, eine völkerrechtliche Grauzone zu betreten.

professor kress*Prof. Kreß ist Inhaber des Lehrstuhls für deutsches Strafrecht, europäisches Strafrecht, Völkerstrafrecht sowie für Friedenssicherungs- und Konfliktsvölkerrecht an der Universität zu Köln. Er war Mitglied der deutschen Regierungsdelegation bei der Staatenkonferenz in Rom zur Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) und ist seit 2003 wissenschaftliches Mitglied der deutschen Regierungsdelegationen in der Staatenversammlung des IStGH. Bei der ersten Überprüfungskonferenz zum Statut des IStGH im letzten Jahr in Kampala hat Prof. Kreß an dem Verhandlungsdurchbruch zum Verbrechen der Aggression (Crime of Aggression) mitgewirkt.

Das Gespräch führten Esther Iglesias Gonzalez und Robert Schütte am 15.02.2012

Das Interview mit Prof. Kreß in PDF.

Afrikanische Union: Bashir verhaften oder nicht?

Die Afrikanische Union (AU) sendet zurzeit widersprüchliche Signale bezüglich der Vollstreckung des Haftbefehls gegen Sudan’s Präsidenten Omar al-Bashir. So zitierten am 11. Juli Nachrichtenagenturen wie Reuters und AFP Thabo Mbeki, ehemaliger Präsident Südafrikas und Vorsitzender einer Arbeitsgruppe der AU zum Thema Darfur, mit der Aussage, dass sicherlich alle vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) angeklagten in Den Haag erscheinen sollten. Allerdings setze sich in der achtköpfigen Kommission die Erkenntnis durch, dass die Herstellung von Gerechtigkeit auf andere Weise angegangen werden müsse, da die Verfolgung al-Bashirs durch den IStGH die Friedensbemühungen im Sudan behindern würde.

Schon am 4. Juli, während des Gipfels der Afrikanischen Union in Sirte, Libyen, hatte der Revolutionsführer Ghadafi verkündet, dass die afrikanischen Mitglieder des IStGHs al-Bashir nicht ausliefern würden. Dies wäre im Gegensatz zu ihren Verpflichtungen als Unterzeichner des Statuts des IStGHs. Am 4. März 2009 hatte ein unabhängiges Tribunal des IStGHs, bestehend aus Richtern ghanischer, litauischer und brazillianischer Herkunft, den Haftbefehl gegen Bashir erlassen. Der Haftbefehl wirft ihm Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor, der Anklagepunkt des Völkermords wurde fallengelassen. Chefankläger Luis Moreno Ocampo hält jedoch an diesem Anklagepunkt fest und bekräftigt, genügend Beweise zu haben, um al-Bashir Völkermord an Darfurern nachzuweisen.  Zuvor waren auch Haftbefehle gegen x und y wegen xy erlassen worden.

Nachdem Reuters von einem Beschluss des Gremiums berichtet hatte, den internationalen Haftbefehl gegen Sudan’s Präsident Omar al-Bashir zu ignorieren und Bashir nicht an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) auszuliefern, wurde dies tags darauf vehement bestritten. Reuters publizierte daraufhin eine korrigierte Version seiner Mitteilung, ohne jedoch die Aussagen Mbekis zu verändern. Laut Quellen von Sudan Tribune hat Mbeki stark gegen den Vorschlag Libyens militiert, da dieser die Arbeit der vom ihm angeführten Kommission untergrabe. Auf der anderen Seite befürchten Kritiker, dass die Kommission al-Bashir vor seiner gerichtlichen Verfolgung beschützen wolle.

Die Diskussion ist bei weitem nicht beendet und vollzieht sich sowohl innerhalb wie auch ausserhalb der Afrikanischen Union. So kündigte Uganda am 13. Juli an, dass al-Bashir möglicherweise während seines Besuchs des Landes ihm Rahmen einer internationalen Konferenz am Ende des Monats verhaftet werden könnte. Chefankläger Ocampo unterstrich während einer Pressekonferenz, dass Uganda als Unterzeichner des Status des IStGHs zur Kooperation verpflichetet wäre. Die Möglichkeit einer Verhaftung hatte al-Bashir schon davon abgehalten, Jacob Zuma’s Vereidigung in Südafrika zu besuchen. 30 afrikanische Staaten haben das Statut des Internationalen Gerichtshofes unterzeichnet und sind somit verpflichtet, ihn bei Besuchen in ihren Ländern festzunehmen.

 Johanne Kübler