Deutschland muss UN-Friedensmissionen stärken

Ohne UN-Friedensmissionen gäbe es höhere Flüchtlingszahlen, mehr Raum für Terrorgruppen, blutigere sowie metastasierende Konflikte. Ein starkes UN-Friedenssicherungssystem ist damit im ureigenen Interesse Deutschlands und Europas. Die Bundesrepublik sollte deswegen ihren personellen Beitrag zu Blauhelmmissionen deutlich aufstocken und darauf drängen das UN-Friedenssicherungssystem effektiver zu machen. Das vorliegende Policy Brief analysiert die Chancen und Probleme des aktuellen Blauhelmsystems und zeigt, wie Deutschland und die EU mit zivilen und militärischen Mitteln die Vereinten Nationen stärken sollten.

 

UN-Friedensmissionen: Globale Stabilitätsanker

Der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen zählt mehr als 13 Millionen Flüchtlinge und über 38 Millionen Binnenvertriebene weltweit. Würden UN-Friedenseinsätze nicht zumindest ein gewisses Maß an Stabilität und Schutz bieten, wären weitaus mehr Menschen auf der Flucht. Nicht zuletzt nach Europa.

Im Südsudan, der Demokratischen Republik Kongo, der Zentral­afrikanischen Republik, Darfur und Mali sind UN-Blauhelme oft die einzigen, die die Zivilbevölkerung vor Massenverbrechen schützen und Zugang zu humanitärer Hilfe erleichtern. Friedensmissionen verhindern oft den Ausbruch von Gewalt, leisten einen Beitrag zu Rechtssicherheit und Friedensförderung und reduzieren das Risiko eines Wiederaufflammens von Kämpfen. Ohne UN-Friedensmissionen gäbe es mehr und blutigere Konflikte, ansteigende Flüchtlingszahlen, erhöhte Destabilisierung benachbarter Länder und weitere Räume für terror­istische Gruppierungen. Ein starkes UN-Friedens­sicherungssystem entspricht damit den deutschen und europäischen Sicherheitsinteressen und Werten.

UN-Friedens­­missionen leiden jedoch unter einer Vielzahl von Problemen: Die Missionen sind mangelhaft ausgestattet, lösen ihr Schutzversprechen zu oft nur unzureichend ein. In Ausnahmefällen waren Blauhelme selbst für Leid verantwortlich, wie im Fall von Vergewaltigungen in der Zentralafrikanischen Republik. Um solche Herausforderungen besser zu bewältigen, müssen sich mehr Länder im Rahmen des UN-Friedenssicherungssystems engagieren.

Es ist begrüßenswert, dass die Bundesregierung den Etat des Auswärtigen Amts für Krisenprävention um 400 Millionen Euro pro Jahr aufstocken und das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze stärker unterstützen will. Eine größere Beteiligung von Bundeswehrsoldaten und Polizisten ist für eine Stärkung von UN-Friedens­einsätzen unabdingbar.

Vereinten Nationen haben aus Fehlern gelernt

UN-Friedensmissionen besitzen eine hohe politische und völkerrechtliche Legitimität. Sie verfügen über ein Mandat des UN-Sicherheitsrats und werden von der UN selbst geführt. Regio­nalorganisationen wie die Afrikanische Union oder die Europäische Union beteiligen sich in einigen Fällen komplementär dazu an der Umsetzung der UN-Mandate. Sie kommen nur mit Zustimmung des Gastlandes zustande. UN-Ein­sätze sind nicht mit „Koalitionen der Willigen“ zu verwechseln, die außerhalb der UN und gegen den Willen des Einsatzlandes operieren.

Die UN hat aus ihren Fehlschlägen gelernt. In den 1990er Jahren wurde der Fehler gemacht, UN-Beobachtermissionen in komplexe Konfliktsituationen zu entsenden. Die klassischen Missionen hatten sich zuvor bei der Überwachung von Waffenstillständen mit klaren Trennlinien zwischen den Konflikt­parteien bewährt. Die neuen UN-Einsätze betreffen hingegen Situationen, in denen zahlreiche nicht-staatliche Gewalt­akteure involviert sind, die an den Konflikten verdienen und oftmals kein Interesse an einem Gewaltverzicht haben. Zivilisten sind häufig direktes Ziel von Angriffen, was eine deutlich engagiertere und robustere Rolle der Blauhelme erfordert. Die Mandate und Ausgestaltung gegenwärtiger Missionen reflektieren diesen Wandel.

Das Prinzip der Zustimmung, Neutralität und des minimalen Einsatzes von Gewalt gilt weiterhin. Für den Schutz von Zivilisten, der mittlerweile in fast allen Mandaten als eine Hauptaufgabe festgeschrieben ist, dürfen UN-Truppen dennoch Zwangsmittel einsetzen. Die „Force Intervention Brigade“ in der Demokratischen Republik Kongo zeigt, dass ein offensives Vorgehen seitens der UN erfolgreich sein kann. Seit 2013 kommt die unter Führung des deutschen Diplo­maten Martin Kobler stehende Truppe mit Soldaten aus Südafrika, Malawi und Tansania zum Einsatz. Sie schaffte es in kurzer Zeit die Rebellengruppierung M23 zu besiegen, welche bis dahin die Zivilbevölkerung terrorisiert hatte.

Europa überlässt die Risiken Anderen

Noch vor 20 Jahren stellten europäische Länder mit 25.000 Soldaten 40 Prozent der UN-Blauhelme. Mittlerweile beschränkt sich Europa überwiegend auf finanzielle Unterstützungen. Es überlässt damit den Truppenstellern aus der nicht-westlichen Welt die tatsächlichen Risiken. Europa stellt derzeit nur 7% der insgesamt 106.000 Soldaten und Polizisten in UN-Missionen. Deutschland kam Mitte 2015 lediglich auf einen Beteiligungsanteil von 0,16% (175 Personen). Diese Zahl hat bei anderen europäischen Verbündeten wie den Niederlanden oder Frankreich (681 bzw. 906 Soldaten und Polizisten) zu Recht für Unmut gesorgt.

Eine solche „Arbeitsteilung“ wird immer brü­chiger. Während die Industriestaaten versuchen, an der Kostenschraube zu drehen, wächst die Frustration in den Ländern des globalen Südens, deren Truppen in den Krisengebieten stehen.

Um die Nachhaltigkeit des UN-Friedenssicherungs-systems zu erhalten, müssen Deutschland und Europa größere personelle Verantwortung übernehmen. Konkret heißt das: Mehr Truppen mit besserer Ausrüstung und Ausbildung. Im Fall von Misshandlungen muss die UN z.B. Blauhelm-Kontingente auswechseln können, ohne das Friedensmissionen vor Ort kollabieren.

Deutschland sollte größeren Beitrag leisten

Viele Friedensmissionen benötigen dringend zivile und militärische Fähigkeiten, über die Deutschland verfügt. Nach dem Ende des ISAF-Einsatzes und der Truppen­reduzierungen auf dem Balken verfügt die Bundeswehr über freie Kapazitäten für UN-Missionen. Bereits wenige deutsche Kräfte können andere Kontingente in die Lage versetzen, die Wirkung der Missionen erheblich zu verbessern. Vor allem sind Auf­klärungsfähigkeiten notwendig, um Bedrohungen zu erkennen und Zivilisten und Blauhelme effektiver zu schützen. Hubschrauber werden für die erforderliche Mobilität und als Luftunterstützung benötigt. Deutschland kann logistische und technische Fähigkeiten wie Pioniere und Sanitätseinheiten beisteuern und sollte in diese Kapazitäten in Zukunft verstärkt investieren.

Die Bundesregierung sollte entsprechende Planung-en für Fähigkeiten und Kapazitäten in ihrem neuen Weißbuch festhalten. Die Bundeswehr sollte selbst ein Konzept zum Schutz von Zivilisten entwickeln und in die eigene Ausbildung integrieren. Zudem sollte die Selbstverpflichtung des Koalitionsvertrages umgesetzt werden, im Rahmen einer Bund-Länder-Verein­barung die Voraussetzungen für die umfangreichere Entsendung deutscher Polizeibeamter zu schaffen.

Die EU hält jeweils zwei EU-Battlegroups bereit, um innerhalb weniger Tage robust in Krisen intervenieren zu können. Obwohl diese Verbände seit acht Jahren bestehen, wurden sie bisher nie eingesetzt.

Zwischen der Mandatierung einer UN-Mission durch den UN-Sicherheitsrat und deren Eintreffen am Einsatzort vergeht hingegen meist zu viel Zeit. Diese Phase ist jedoch entscheidend für den Schutz bedrohter Bevölkerungen sowie für die Erfolgsaus-sichten einer Mission. EU-Battlegroups sind ein geeignetes Instrument, um diesen kritischen Zeitraum zu überbrücken. Deutschland sollte sich daher dafür stark machen, diese als Brücken­kapazitäten für UN-Missionen zur Verfügung zu stellen.

 

Autor: Christoph Schlimpert, stellvertretender Vorsitzender von Genocide Alert

Download: Hier das Policy Brief Blauhelmmissionen stärken als PDF herunterladen.