Frieden und Gerechtigkeit – von Itua Omosigho

Beitrag zum Essaywettbewerb “20 Jahre danach –

Was sind die Lehren aus dem Völkermord in Ruanda”

20 Jahre ist der Völkermord in Ruanda nun her, doch vergessen ist er noch nicht! Dieser Text, der aufgrund eines Wettbewerbs entstand, beschäftigt sich mit der Frage, was wir aus den begangenen Verbrechen lernen können? Wie wir sie nachvollziehen und vor allem anderen eine Wiederholung verhindern können; wie Frieden und Gerechtigkeit für die Opfer und alle Betroffenen erreicht werden kann?  

20 Jahre Völkermord in Ruanda – Was haben wir gelernt?

Ich habe lange über dieses Thema nachdenken müssen und konnte mich einfach nicht entscheiden, was ich schreiben sollte. Ich konnte keine Worte finden, die das Geschehene so erklären würden, dass man alle Trauer und jegliche Wut nachempfinden kann, die diese Menschen fühlten. Was können wir aus den Verbrechen, die in Ruanda passierten lernen? Die ehrliche Antwort ist, ich weiß es nicht. Kigali ist 6000 Kilometer von uns entfernt. Zeig einem Jungen aus meiner Klasse (Klassenstufe 11) einen Film über die verheerenden Folgen des Krieges und er wird darüber lachen und Scherze machen, weil er es schlicht nicht verstehen kann.

Deshalb möchte ich die Frage ändern:

Wie zeige ich einem Menschen welches Leid Hass über uns bringt? Uns selbst und andere zerstört uns regelrecht zerfrisst? 800.000 tote Menschen, die ein Leben hatten, Ziele und Wünsche hegten und eine Familie pflegten. Wer darf sich das Recht herausnehmen dies zu beenden?

Wir müssen uns bewusst machen, dass nicht alle Hutu böse Menschen oder Täter waren. Sie hatten vieles erleiden und erdulden müssen und dennoch leisteten einige Widerstand, um ihre Familien zu beschützen oder sich selbst treu zu bleiben. Diese Menschen bekämpften den Genozid und bewiesen so viel Mut und Zivilcourage, dass sie mehr als nur bewundernswert sind. Ich verehre diese Menschen und deshalb möchte ich ein paar namentlich nennen, die mich unter anderem dazu inspirierten diesen Essay zu schreiben: Damas Gisimba, Carl Wilkens und Paul Rusesabagina. Wiederstand kann auf viele Arten geleistet werden, Hauptsache ist er wird geleistet!

Die Einmischung der Europäer und Amerikaner in die afrikanische Kultur zerstörte bestehende Strukturen. Sie förderten zwar die Bildung der Tutsi, gleichzeitig aber auch die Unterdrückung der Hutu. Als die Hutu, wie es jeder andere Mensch auch getan hätte, sich schließlich gegen die Vormachtstellung der Tutsi und somit auch der Europäer widersetzte, sie dem Wunsch der Rache, dem Gruppenzwang , dem Bedürfnis auch einmal etwas Besonderes zu sein, oder vielleicht einfach der Angst nachgaben, zogen sich die Kolonialmächte aus dem Krisengebiet zurück und überließen die Menschen ihrem Schicksal.

Wir dürfen uns kein Urteil  über die Hutu bilden, bevor wir uns nicht selbst die Frage beantworten können: „Wärst du lieber ein Opfer oder ein Täter? Ein Gewinner oder ein Verlierer?“ Wer hat im Test schon lieber eine Sechs statt einer Eins? Da fängt es schon an; bei Kleinigkeiten. Der eigene Überlebenstrieb ist nichts Unnatürliches.

Wenn uns etwas misslingt, suchen wir die Schuld bei anderen. Warum? Weil es leichter ist! Hass und Wut erfordern keine Stärke; Loslassen und Trauern können dagegen schon. Wenn ein Mensch stirbt, werden wir in einen dunklen Abgrund gestürzt. Wir versinken in einem Meer aus Verlust und die Rache oder die Wut ist wie ein Licht, das uns verspricht, auf diesem Weg an die Oberfläche zu gelangen. Doch wenn das Licht erlöscht, sind wir in einer dunklen Höhle gefangen und der Sauerstoff geht uns langsam zur Neige. Wir müssen die Trauer zulassen, die uns vielleicht in einen Strudel ziehen mag, aber vielleicht kommen wir am Ende an einem schönen Ort wieder heraus.

Ich hoffe nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt hat verstanden, dass es wichtig ist, seinen möglichen Feind genauer in Augenschein zu nehmen, ihm die Hand zu reichen und sich bewusst zu machen, dass er auch ein Freund sein könnte, dass wir uns vor dem Fremden nicht fürchten müssen.

Ich persönlich kann nicht nachempfinden, was in Ruanda passiert ist, aber ich weiß, wie sehr ich meine Familie liebe und dementsprechend groß wäre meine Trauer, wenn ich sie verlieren würde. Niemals will ich erfahren, wie es ist, in ständiger Angst um mich selbst und die Menschen, die ich liebe, zu leben und ich kann an keinen anderen Menschen auf der Welt denken, dem dies nicht genauso gehen würde.

Ich kann nicht sagen was richtig ist, genauso wenig weiß ich, wie man den Frieden bewahren könnte, aber ich weiß, dass Frieden und Gerechtigkeit, für uns selbst und andere niemals durch Gewalt und Krieg erreicht werden können. Wir müssen lernen andere Menschen, aber besonders uns selbst für das zu respektieren, was wir sind; uns zu reflektieren und nicht die Fehler bei anderen zu suchen. Deshalb empfinde ich es als besonders wertvoll und wichtig, dass die Verbrechen von damals nun aufgearbeitet werden, dass es Gerichtsverhandlungen gibt und die UN bei dem Wiederaufbau demokratischer Strukturen hilft.

Ich weiß, dass nichts, was ich sage, das Geschehene ungeschehen machen kann, nichts, was ich schreibe, Verluste ersetzen kann und nichts, was ich fühle, das Leid eines Opfers zu lindern vermag. Dennoch ist es mir ein tiefes Bedürfnis, mein Mitgefühl auszusprechen. Ich kenne niemanden der von dem Völkermord betroffen war persönlich, aber dennoch gilt es den Verstorbenen Respekt zu zollen, denn dieser gebührt jedem Menschen, egal welchem Land oder Stamm er auch angehört.

Auch wenn der Genozid nun zwanzig Jahre her ist, weiß ich, dass es noch immer nicht vergessen ist, dass die Wunden niemals verheilen werden, dass sie vernarben und wieder aufbrechen, aber niemals verschwinden werden. Noch immer besteht der Konflikt zwischen Hutu und Tutsi weiter. Doch wenn es nicht möglich ist zu vergessen, dann muss man erinnern. Niemand kann wissen, ob die Erinnerung uns vor neuen grausamen Taten schützen kann, aber wir müssen uns bewusst machen, dass jeder eine Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere trägt. Den Blick abwenden ist genauso falsch wie ein schlimmes Verbrechen zu begehen und in Ruanda sahen nicht nur einzelne Menschen weg, sondern ganze Nationen.

Doch am besten wäre es, wenn es niemals erst zu solch drastischen Katastrophen wie in Ruanda kommt. Wie können wir das erreichen? Mir fällt dazu nur eines ein:

Wir müssen lernen, voneinander zu lernen. Wir müssen Frieden lehren statt Krieg und wir müssen lernen, uns als gleichberechtigte Individuen zu sehen, die nicht irgendwelchen fremden Gruppen angehören und somit jegliche Persönlichkeit verlieren. Wir sind nicht alle gleich, wir sind verschieden und es liegt an uns dies endlich zu respektieren und als Bereicherung zu erkennen.

 

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