20 Jahre danach-Was sind die Lehren aus dem Völkermord in Ruanda? – von Marlen Klassen

Beitrag zum Essaywettbewerb “20 Jahre danach –

Was sind die Lehren aus dem Völkermord in Ruanda”

Der 7. April 2014. Während ein Großteil unserer deutschen Bevölkerung mit diesem Monat den Frühling und die ersten warmen Sonnenstrahlen verbindet, ist dieses Datum für die Einwohner Ruanders mit Todesangst, Leid, Verlust und Trauer verbunden. Es ist 20 Jahre her, dass im Land der 1000 Hügel ein erbarmungsloser Völkermord ausbrach. Innerhalb von ca. 3 Monaten starben etwa 800.000 Tutsi und gemäßigte Hutu durch die Hand der radikalen Hutu. Das wochenlange Morden fand nicht im Geheimen statt, sondern unter größtenteils passiver Beobachtung der Weltbevölkerung.

Die Leidtragenden leben bis heute in ständiger Angst davor, dass sich dieses Massaker wiederholen könnte. Ist diese Gefahr genauso präsent wie vor 20 Jahren? Oder hat die internationale Gemeinschaft aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt? Erst wenn man beginnt, das damalige Handeln und seine eigene Rolle kritisch zu reflektieren, seine Fehltritte und Versäumnisse schonungslos aufzudecken, kann man Lehren aus dem Völkermord in Ruanda ziehen.

Grundlegend dafür ist, dass der Genozid nicht als punktuelles Ereignis, sondern als Höhepunkt einer Entwicklung gesehen wird. Man muss versuchen zu verstehen, warum es innerhalb eines Volkes zwischen den Völkergruppen der „Tutsi“ und „Hutu“ derart eskalierte.

Die Ursprünge dieser Gewaltentwicklung liegen schon 100 Jahre zurück und stehen noch in Verbindung mit der Kolonialisierung. Damals begannen die Europäer, die Tutsi als genetisch überlegen anzusehen und stärkten ihre politische Macht zur Sicherung ihrer eigenen Stellung. Zusätzlich gefördert wurde die Unterscheidung in Volksgruppen durch den 1931 ausgestellten Personalausweis, in dem die Zugehörigkeit eines jeden Ruanders genannt war.

Rückblickend muss man feststellen,dass diese dem Land fast aufgezwungene Unterscheidung eine furchtbare Entwicklung ins Rollen brachte, die Tausende Menschenleben kostete. In den folgenden Jahrzehnten kämpften die Hutu auf aggressivste Weise den Kampf um Macht, indem sie die Gruppe der Tutsi drangsalierten und unterdrückten.

Es stellt sich die Frage, warum die internationale Gemeinschaft, vertreten durch zahlreiche Botschaften direkt in Ruanda, nicht rechtzeitig eingriff. Teilweise wird als Begründung des passiven Verhaltens argumentiert, dass Informationsblockaden existierten, die darauf zurückzuführen sind, dass Botschafter keine einheitliche Einschätzung der Bedrohungssituationen weitergaben. Aber spätestens im April 1993 kann die Welt nicht mehr mit Ahnungslosigkeit argumentieren. Der Hetzradiosender „Mille collines“ wird gegründet, welcher ganz direkt das ruandische Volk gegeneinander aufhetzt, Gewalt zelebriert und die Hutus motiviert, das Land von „Kakerlaken“ (umgangssprachlich für Tutsis) zu befreien. Von der internationalen Seite sah man davon ab, etwas zu unternehmen, um die Pressefreiheit und die Bemühungen um Demokratisierung zu schützen. In diesem Falle standen Rechte wie die freie Meinungsäußerung über dem Wert eines Menschenlebens.

Während des Völkermordes, der mit der Ermordung des ruandischen Präsidenten begann, zeigte sich die UNO sehr passiv, das entscheidende Eingreifen blieb aus.

Ein großer Fehler war es, dass die in Krisengebieten stationierten internationalen Truppen (UNAMIR) strukturell und technisch nicht ausreichend vorbereitet wurden. Obwohl die Einheiten sowieso stark unterbesetzt waren, zog man Truppen ab, anstatt das Kontingent aufzustocken. Auch zahlreiche Hilfsorganisationen verließen das Land zum eigenen Schutz.

Statt die ruandische Regierung wirksam unter Druck zu setzen, blieben die auswärtigen Ämter meist stille Beobachter.

Madeleine Albright, die während des Genozids in Ruanda Botschafterin bei der UNO war, erklärt die Passivität folgend: „Das Problem ist, dass politische Führer total überbelastet sind. Es gibt so viel zu tun. Es ist ja nicht so, dass sie nichts tun. Man kann Jemandem,der nicht in der US-Regierung oder irgendeiner anderen gearbeitet hat, nicht erklären, was alles passiert, was alles Aufmerksamkeit verlangt.“

Natürlich darf man der Regierung nicht unterstellen, untätig gewesen zu sein. Aber ganz offensichtlich hatte das Leben eines Menschen nicht die oberste Priorität.

Der Völkermord hat nach langen, rund 100 Tagen eine Ende gefunden. Zahlreiche Familien wurden ausgerottet, traumatisierte Menschen mit körperlichen und seelischen Verletzungen bleiben zurück. Wir können all das nicht ungeschehen machen. Jetzt ist es an uns, die Vergangenheit zu nutzen um die Zukunft zu gestalten. Welche Lehren konnten wir aus dem Genozid ziehen?

Seit dem Völkermord hat sich einiges in Ruanda getan. Die internationale Gemeinschaft ist bemüht, die Grausamkeiten juristisch aufzuarbeiten. Dazu wurde der internationale Strafgerichtshof (ICTR) beauftragt, die Tatbestände zu sammeln und für Gerechtigkeit zu sorgen.

Die Bundesrepublik Deutschland hat dabei eine große historische Verantwortung, gerade wenn es um Themen wie die systematische Ausrottung von bestimmten Menschengruppen geht. In Deutschland hat 2011 der Prozess zum Völkermord in Ruanda vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main begonnen. Angeklagt ist ein seit 2002 in Hessen lebender Asylbewerber, dem die Bundesanwaltschaft vorwirft, im Jahre 1994 Massaker angeordnet zu haben. Der ehemalige Bürgermeister einer ruandischen Gemeinde soll somit für den Tod von hunderten Menschen verantwortlich sein. Gefordert wird eine lebenslange Haftstrafe, am 18.02.2014 soll das Urteil fallen. Dieser Prozess ist ein Beispiel dafür, dass wir gelernt haben, Verantwortung zu übernehmen anstatt den Blick von Problemen abzuwenden.

Zudem gab es auch im militärischen Bereich positive Veränderungen. Beispielsweise gelten schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen nun offiziell als Grund für militärische Interventionen.

Um die politische Zusammenarbeit zwischen verfeindeten Bevölkerungsteilen zu fördern und das Land auf dem Weg zur Einheit zu begleiten, gehören Sensibilisierungsgruppen, Gedenkfeiern und Versöhnungskomissionen zum festen Bestandteil der ruandischen Gesellschaft.

Aber das allein greift die Problematik nicht an der Wurzel. In Ruanda sind ca. 50 % der Bevölkerung jünger als 18 Jahre. Junge, arbeitslose Menschen ohne Zukunftsperspektive können sehr leicht von politisch Unverantwortlichen mobilisiert werden. Gerade deshalb muss Entwicklungshilfe der zentrale Wirkungsbereich der internationalen Gemeinschaft sein. Das Hauptanliegen besteht darin, die Jugend besser auf ihre Zukunft vorbereiten zu können. Die Schule muss für jedes Kind zugänglich sein und neben Allgemeinbildung auch Themen wie die Beilegung von Konflikten oder das Umgehen mit Traumata beinhalten.

Auch die Förderung des wirtschaftlichen Wohlergehens ist untrennbar mit der Armutsbekämpfung verbunden.

Viel Grausames musste geschehen, bis die internationale Gemeinschaft gelernt hat, aktive Teilnahme und aufrichtiges Interesse daran zu zeigen, flächendeckende Menschenrechtsverletzungen rechtzeitig zu erkennen und dagegen vorzugehen anstatt sie zu verharmlosen oder zu ignorieren.Jetzt gilt es, die Lehren, die wir aus dem nicht mehr rückgängig zu machenden Genozid in Ruanda 1994 ziehen können, Schritt für Schritt in die Tat umzusetzen. Die damaligen Fehler dürfen sich nicht mehr wiederholen.Wir tragen Verantwortung, vor Gott und den Menschen.

 

Quellen:

Dokumentationen:

  • Schlimmer als Krieg
  • Vergeben,Vergessen…und danach
  • Völkermorde: Das Mitwirken der NATO und UNO durch aktive-Passivität
  • Film: Als das Morden begann

Websites:

 

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