Neueste Entwicklungen in der Demokratischen Republik Kongo

Nachdem vergangenen Montag, den 28. November 2011 in der Demokratischen Republik Kongo die zweiten demokratischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen der Geschichte des Landes ausgetragen wurden, scheint sich im Laufe der zögerlich voranschreitenden Auszählung das politische Klima zu erhitzen.

Am Dienstag, den 6. Dezember sollen von der unabhängigen Wahlkommission CENI die vorläufigen Endergebnisse verkündet werden, am 17. Dezember wird das höchste Gericht diese laut dem französischen Sender RFI endgültig bestätigen. Laut neuesten Zwischenergebnissen führt der Amtsinhaber Joseph Kabila derzeit mit 48,8% vor Tshisekedi 33,6% bei einem Auszählungsstand von 52,9% (wobei sich dieser Wert von Provinz zu Provinz unterscheidet, die als Oppositionshochburg bekannte Hauptstadt Kinshasa ist z.B. erst zu 27,4% ausgezählt. Alle anderen Kandidaten, inklusive Kamerhe, Kengo, Mobutu und Mbusa sind weit abgeschlagen. Die Ergebnisse sind insgesamt sehr regional geprägt, so gelingt es einigen regionalen „Statthaltern“ ihre Bastionen für sich zu entscheiden (Kengo und Mobutu in Equateur, Mbusa in Nordkivu, Kamerhe im Südkivu). Kabila liegt in den Kivuprovinzen, Maniema, Katanga und Bandundu sehr gut im Rennen, während Tshisekedi in den Kasai-Provinzen, im Bas-Congo, in Kinshasa und Equateur viele Stimmen einholt.

Die internationalen Wahlbeobachtungsmissionen, sowie die UN-Mission MONUSCO sprechen von insgesamt zufriedenstellenden Verhältnissen, was seitens kongolesischer Beobachter und NGOs sowie verschiedenen Journalisten und Kongo-Experten jedoch in unterschiedlich starker Form zurückgewiesen wird. So berichtete vergangene Woche Human Rights Watch von der massiven Gewalt gegen Oppositionsaktivisten, die mindestens 18 Todesopfer und zahlreiche Verletzte forderte. Der UN-Sicherheitsrat hat sich besorgt zur Entwicklung der letzten Tage geäußert, dennoch ist es aufgrund der Vetomöglichkeit Chinas und Russlands unwahrscheinlich, dass es konkrete Maßnahmen im Falle einer gewaltsamen Eskalation geben wird. Außerdem ist unklar, ob die USA, Frankreich, Großbritannien, aber auch Deutschland Kabila „opfern“ möchten, zu dem ein kompliziertes aber immerhin stabiles Verhältnis besteht.

Nach Kamerhe, Kengo und drei anderen Kandidaten bei den ersten Zwischenergebnissen verlangen nun alle zehn Oppositionskandidaten die Annullierung, bzw. Neuauszählung der Stimmen. Dem Chef der CENI Ngoy Mulunda wird Parteilichkeit und Nähe zum Präsidenten Kabila vorgeworfen. Einige internationale aber auch lokale Beobachterorganisationen (u.a. die EU) und NGOs wie ISBPD aus Kanada haben zudem dementiert, dass der Auszählungsprozess von neutralen Personen außerhalb der CENI begleitet würde. Mittlerweile haben laut Radio Okapi, dem landesweiten UN-Rundfunk, selbst Parlamentskandidaten der Kabila-Mehrheit der CENI Verfehlungen vorgeworfen. Diese Vorwürfe verstärken die bereits seit Tagen aufgekommenen Klagen in Bezug auf massive Unregelmäßigkeiten (u.a. Zerstörung von Wahllokalen, Einschüchterungsversuche, Bestechungsversuche, gewaltsame Einnahme von Wahllokalen durch Sicherheitskräfte und nichtstaatliche Gruppierungen, sowie die Abhaltung tausender Bürger von der Wahl). Weiterhin berichtet der Kongoexperte Jason Stearns, dass Ngoy Mulunda ohne Angabe von Gründen eine nennenswerte Anzahl von Wahlbüros in Kinshasa invalidiert habe – nicht jedoch in anderen Provinzen.

Zusätzlich aufgekommen sind Gerüchte über die Ankunft von ausländischen Soldaten und Söldnern am Flughafen Ndjili in Kinshasa. Offiziell sollte zusätzliches Wahlmaterial aus Südafrika eingeflogen werden, doch geschah dies bereits nach Schließung der Wahllokale vergangenen Mittwoch/Donnerstag, wie AFP berichtete. In Pretoria fanden daraufhin Proteste von Exilkongolesen statt. Seit Samstag herrscht in der DR Kongo eine landesweite Kommunikationssperre für SMS, Telefonate sind jedoch noch möglich. Die Maßnahme soll bis mindestens Dienstag aufrechterhalten werden. Es gibt widersprüchliche Meldungen zur genauen Ursache dieser Entwicklung, die am Sonntag vom amtierenden Innenminister Lumamu offiziell bestätigt wurde. Die Opposition betrachtet das Vorgehen neben dem geltenden Versammlungsverbot als zusätzlich Schikane der Kabila-Regierung und auch die Menschenrechtsorganisation FIDH hat Beschwerde beim Innenministerium eingelegt. Allgemein wird die Stimmung in Kinshasa immer angespannter. Als Tshisekedi Sonntagabend sein Haus verlassen wollte, kam es laut mehreren Augenzeugen zu Schusswechseln, bei dem jedoch niemand verletzt wurde. Hinzu kommt die Angst der Zivilbevölkerung vor einer Eskalation, die die Flucht von mindestens 3000 Personen nach Brazzaville provoziert hat, weitere sollen Kinshasa  in andere Richtungen verlassen haben. Der Menschenrechtsaktivist Alex Engwete berichtet aus Kinshasa, dass sich unter den swahiliphonen Ostkongolesen in der Hauptstadt die Angst mehrt, im Falle eines Wahlsieges von Kabila zur Zielscheibe für Tshisekedi-Anhänger zu werden. Im Umkehrschluss beschweren sich seit Beginn der Wahlen zahlreiche Oppositionsanhänger über das repressive und gewaltsame Vorgehen der Polizei und der Republikanischen Garde Kabilas.

Diese Woche werden zahlreiche Schulen in Kinshasa geschlossen bleiben, es gibt ebenfalls Berichte, dass die internationalen Fluggesellschaften ihre Flüge vorerst aussetzen. Gerüchte über eine allgemeine Ausgangssperre in Kinshasa konnten bislang noch nicht verifiziert werden. Am Sonntagabend hat die kongolesische Bischofskonferenz alle Politiker, die CENI und die Bürger zu Ruhe aufgerufen und forderte  auf, das Wahlergebnis anzuerkennen. Aufgrund ihrer gesellschaftlichen, aber auch sozialen und wirtschaftlichen Rolle, übt die katholische Kirche in der DR Kongo einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Menschen aus. In den kommenden Tagen wird sich herausstellen, inwiefern die nunmehr schwierige politische Lage sich beruhigen kann oder es zu weiteren, womöglich schwerwiegenderen Vorfällen kommt. Laut AFP und anderen Medien hat der wichtigste Oppositionskandidat Tshisekedi bereits angekündigt, nach der Veröffentlichung am 6. Dezember seinen Anhängern eine wie auch immer geartete „Losung“ zu verkünden und kann dabei auf die Unterstützung anderer Kandidaten wie u.a. Kamerhe zählen.

Genocide Alert e.V. lädt alle Beteiligten ein, konstruktiv auf die Situation einzuwirken und den Schutz der Zivilbevölkerung an erste Stelle zu setzen. So ruft Genocide Alert e.V. insbesondere die deutsche Bundesregierung, das Auswärtigen Amt, sowie die Bundestagsausschüsse „Auswärtiges“ sowie „Menschenrechte und Humanitäre Hilfe“ dazu auf, sich zeitnah und konsequent mit der derzeitigen Situation in der DR Kongo auseinanderzusetzen und zu eruieren, inwiefern die Bundesrepublik Deutschland diplomatisch, finanziell, materiell und personell dazu beitragen kann, eine drohende Eskalation zu verhindern. Hierzu gilt es, vor dem UN-Sicherheitsrat, innerhalb der europäischen Partner in der EU aber auch auf bilateralem Wege mit der kongolesischen Regierung eine entschiedene Politik im Sinne des Schutzes von Zivilisten und der Wahrung der politischen Rechte des kongolesischen Volkes zu vertreten. Darüber hinaus möchte sich Genocide Alert e.V. an die deutsche Medienlandschaft wenden, die im Vergleich zu den Wahlen 2006, das Thema DR Kongo insbesondere in den letzten zwei Wochen stark vernachlässigt hat. Die Analysten von Genocide Alert e.V. stehen jeglicher Kooperation mit den Medien daher offen gegenüber und betonen die immens wichtige Rolle, die den Medien und in Folge dessen einer aufgeklärten internationalen Öffentlichkeit bei der Verhinderung einer Eskalation zukommt.

 

von Christoph Vogel