Der Völkermord an den Herero und Nama (1904-1908)

Im Frühjahr 1883 gelang es dem Bremer Tabakwarenhändler Adolf Lüderitz über Mittelsmänner Ländereien entlang der namibischen Küste zu erwerben. Bereits 1884 entschloss sich der damalige Reichskanzler, Fürst Otto von Bismarck, die afrikanischen Latifundien Adolf Lüderitz zu übernehmen und unter die Obhut des Deutschen Reiches zu stellen. „Deutsch- Südwestafrika“ sollte fortan als Siedlerkolonie für deutsche Bauern und Handwerker dienen, deren Sicherheit im Verantwortungsbereich der 1889 eingesetzten „Schutztruppe“ Generalleutnants Lothar von Trothas lag. Des Weiteren trat die „Schutztruppe“ als militärische Stütze bei der infrastrukturellen Erschließung des Landes und der teils gewaltsamen Enteignung der namibischen Urbevölkerung auf. Alsbald verfügten die deutschen Siedler über 70% der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche Namibias. Insbesondere die Stämme der Herero und Nama mussten zusehends um den endgültigen Verlust ihrer Wasserstellen und Weideflächen fürchten.

Todeslager bei Shark Island, Deutsch-Westafrika (heute Namibia), ca. 1903 ([FAL], via Wikimedia Commons)

Todeslager bei Shark Island, Deutsch-Westafrika (heute Namibia), ca. 1903 ([FAL], via Wikimedia Commons)

Im Jahr 1904 rebellierten die Herero gegen das räuberische deutsche Kolonialregime. Getrieben von dem Verlangen das rebellierende Volk der Herero zu vernichten, ging von Trotha mit unsagbarer Brutalität gegen die indigene Bevölkerung vor. Im August 1904 kesselten seine Truppen die verbliebenen Herero am Waterberg ein und setzten zum Entscheidungsschlag an. Die Wenigen, die das Wüten der „Schutztruppen“ überlebten, wurden entweder zum Verdursten in die Omaheke-Wüste getrieben oder in Konzentrationslager eingepfercht. Indes mussten die Nama ähnliches erleiden. Aus Furcht vor dem Schicksal der Herero hatten auch sie sich gegen die Fremdherrschaft aufgelehnt und waren letztendlich gescheitert. Selbst den Toten gewährte das Deutsche Reich keine Ruhe. Ihre Gebeine wurden mitunter in medizinischen Einrichtungen und Museen im deutschen Reich ausgestellt. Dem verbrecherischen Vorgehen der deutschen „Schutztruppe“ fielen bis zu 95. 000 Angehörige der Herero und Nama zum Opfer. Dieses Massenverbrechen wird von Historikern als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts bezeichnet.[1]

Reaktion in Deutschland auf den Völkermord an den Herero und Nama

Über den Aufstand der Herero 1904 berichtete die Freiburger Tageszeitung damals ausführlich. Auch der Reichstag beschäftigte sich mit dem Herero Aufstand, der im Januar 1904 die Entsendung zusätzlicher Truppen und damit einen Nachtragsetat notwendig machte.[2] Hinweise auf die Vernichtungspolitik des deutschen Reichs in der Presse waren spärlich aber vorhanden. Die freie deutsche Presse druckte einen Soldatenbrief ab in dem es hieß: „Die Herero […] müssen alle dran glauben. Gefangene werden nicht gemacht, es wird alles nieder gemacht.“[3] Im Zuge des ersten Weltkriegs verlor Deutschland die Kontrolle über Namibia an das englische Südafrika. Entsprechend dem Willen des Völkerbundes erhielt Südafrika 1920 die Mandatsmacht über Namibia.[4] Die südafrikanische Republik (RSA) baute ihre fünfjährige Militärverwaltung über die ehemalige deutsche Kolonie weiter aus und entließ Namibia erst 1990 in seine Unabhängigkeit. Während der RSA- Fremdherrschaft hatte die namibische Bevölkerung massiv unter der terroristischen Willkür des Apartheid- Systems zu leiden. Ab 1960 riefen verschiedene südwestafrikanische Oppositionsgruppen (u.a. die marxistisch-leninistisch orientierte Volksbefreiungsarmee Namibias (SWAPO)) zum bewaffneten Kampf für die namibische Unabhängigkeit auf; welcher bis 1989 andauern sollte.

Wiederholt ermahnte die Bundesrepublik Deutschland infolgedessen die Konfliktparteien des namibischen Unabhängigkeitskrieges diplomatische Lösungen anzustrengen und Kampfhandlungen einzustellen. Sie zählte zu den Unterzeichnern der UN-Resolution 435, die das militärische Vorgehen Südafrikas vorurteilte und die Entlassung Namibias in die Unabhängigkeit einforderte.[5] Deutschland verknüpfte mit der Entscheidung zur Resolutionsunterzeichnung vermutlich auch wirtschaftliche Interessen. Im Zusammenhang mit der Etablierung eines eigenständigen namibischen Staates (1989/1990) bekräftigte die Regierung Kohl den gemeinsamen Wunsch nach einem stärkeren Engagement der deutschen Entwicklungshilfe in Südwestafrika. Als Argument für eine stärkere entwicklungspolitische Hilfe wurde auch die besondere „historische Verantwortung“ Deutschlands für Namibia angeführt. In der Sitzung des deutschen Bundestages vom 24. Februar 1989 griffen die Opposition aus SPD und Grünen das Argument der „historischen Verantwortung“ auf und verwiesen auch auf deutsche koloniale Massenverbrechen.[6]

Erst jetzt gelangte die Ermordung der Herero und Nama zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurück in das parlamentarische Bewusstsein. Ungeachtet dessen war jenes zunächst weder von Einfluss noch von Dauer. Zwar besuchte Bundeskanzler Helmut Kohl 1995 Namibia, vermied dabei allerdings ein Zusammentreffen mit Hinterbliebenenverbänden der Herero und Nama.[7] Nach den Wirren des namibischen Befreiungskampfes hatten sich solche Zusammenschlüsse erstmals bilden können, um klare Entschuldigungs- und Reparationsforderungen an die BRD zu artikulieren.[8] Die scheinbar andauernde Ignoranz Deutschlands den Herero und Nama-Genozid gar als solchen zu benennen, veranlasste einige Verbände die BRD vor dem District Court in Washington zu verklagen. Ohne Erfolg.[9]

Nach dem Ende der Ära Kohl versuchte sich die rot-grüne Bundesregierung in zaghaften Schritten mit der komplexen Thematik auseinanderzusetzen. Außenminister Joschka Fischer verurteilte 2004 die Untaten der ehemaligen deutschen Kolonialregierung. Er vermied es allerdings den Mord an Herero und Nama als Völkermord zu bezeichnen und erteilte dahingehenden Reparationsforderungen eine klare Absage.[10] Die neue Bundesregierung folgte ihren Vorgängern in der Argumentation, dass die 1904-1908 erfolgten Verbrechen vor Verabschiedung der UN-Völkermordkonvention (1948) begangen worden seien. Man könne somit nicht von einem Genozid sprechen.[11] Zwar sprach die deutsche Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul (SPD) auf einer Gedenkveranstaltung zum 100. Jahrestag der Niederschlagung des Herero- Aufstandes von Völkermord; die offizielle Linie der Bundesregierung vertrat Sie hiermit jedoch nicht.[12]

Verschiedenste Interessengruppen der Herero und Nama blieben indes nicht untätig und kämpften vehement für die Anerkennung als Hinterbliebene eines Völkermords. Eine 2015 diesbezüglich an Bundespräsident Joachim Gauck überstellte Petition blieb – wie die Anklage vor dem Washingtoner District Court – nahezu erfolglos. Obwohl das Auswärtige Amt erklärte, dass man die kolonialen Verbrechen künftig als Genozid bezeichnen werde, wurde keine offizielle Entschuldigung der Bundesregierung ausgesprochen (CDU/CSU- SPD). Zudem wurden die weiteren Petitionsforderungen nach Ausgleichszahlungen nicht berücksichtigt.

Im September 2011 kam es jedoch zur Repatriierung von menschlichen Überresten der Herero und Nama. Diese hatten sich bis dato in der Sammlung der Berliner Charité befunden und wurden in einer Zeremonie an eine namibische Regierungsdelegation übergeben.[13] Der CDU Abgeordnete Ruprecht Polenz wurde außerdem  deutscher Versöhnungsgesandter mit der Aufarbeitung der Jahre 1904-1908 betraut.[14] Ungewohnten Rückhalt erfuhren die Herero und Nama im Juni 2016 durch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. In seinem Protest gegen die Armenienresolution des deutschen Bundestages wies er auf den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts hin.[15] Die deutsche Regierung reagierte mit dem Vorschlag einer deutsch-namibischen Versöhnungserklärung. Gleichzeitig distanzierte sie sich von eventuell zu entrichtenden Reparationen. Vielmehr verwies sie auf die umfangreiche deutsche Entwicklungshilfe, die man Namibia (und somit den Herero und Nama) bereits gewährt habe (16).[16]

Abschließend ist zu sagen, dass eine deutsche Regierung erstmals seit 112 Jahren einen von Deutschen begangenen Völkermord als solchen wirklich bezeichnet und anerkannt hat, man von einem ernsthaften Versuch der Wiedergutmachung jedoch nur bedingt sprechen kann. Das geringe Interesse mit dem sich die bundesdeutsche Medienlandschaft der Thematik unregelmäßig widmet, ist hierfür bezeichnend.

Quellen

Weitere Beiträge von Genocide Alert zum Thema

» Deutschland und die Umsetzung der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect)

Verweise im Text

[1] Sebastian Conrad: Deutsche Kolonialgeschichte. München 2008.

[2] Uni Freiburg (o. D.) „Historische Bestände digital/ Freiburger Zeitung“. Online verfügbar unter https://fz.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=01&day=17r2&year=1904&month=01&project=3

[3] Frank Oliver Sobich (2006) Schwarze Bestien, rote Gefahr. Rassismus und Antisozialismus im deutschen Kaiserreich. Frankfurt: Campus Verlag.

[4] Spiegel Online „Brutales Herrentum. Deutscher ´Rassenkrieg´ gegen die Herero“. Online verfügbar unter: http://www.spiegel.de/einestages/suedwestafrika-der-deutsche-voelkermord-an-den-herero-a-1073974.html

[5] UN- Resolution 435. Online verfügbar unter: http://peacemaker.un.org/sites/peacemaker.un.org/files/NM_780929_SCR435(1978).pdf

[6] 129. Plenarsitzung des deutschen Bundestages am 24. Februar 1989. Online verfügbar unter: http://suche.bundestag.de/search_bt.do?actualPage=530&resultsSubCategoryFilter=&sort=ra&tab=all&queryAll=protokolle&datumBis=&oneCategoryOnlySearch=false&filterHyphen=false&drucksachennr=false&schlagwort=false&titel=false&resultsPerPage=10&resultsCategoryFilter=&displayCategories=false&language=de&datumVon

[7] Bundesregierung: Deutschland hat keinen Völkermord an Herero an Nama begangen. Online verfügbar unter: http://webarchiv.bundestag.de/archive/2013/1212/presse/hib/2012_08/2012_367/05.html

[8] Reinhart Kössler: Facing Postcolonial Entanglement and the Challenge of Responsibillity. Actor Constellations between Namibia and Germany. München 2013.

[9] Frankfurter Allgemeine „Namibia. Bitte um Vergebung“. Online verfügbar unter: http://www.faz.net/aktuell/politik/namibia-bitte-um-vergebung-1175713.html

[10] Bundesregierung: Deutschland hat keinen Völkermord an Herero an Nama begangen. 2013. Online verfügbar unter: http://webarchiv.bundestag.de/archive/2013/1212/presse/hib/2012_08/2012_367/05.html

[11] UN- Resolution 435. Online verfügbar unter: http://peacemaker.un.org/sites/peacemaker.un.org/files/NM_780929_SCR435(1978).pdf

[12] Rede der ehemaligen dt. Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul. 2004. Online verfügbar unter: http://www.windhuk.diplo.de/Vertretung/windhuk/de/03/Gedenkjahre__2004__2005/Seite__Rede__BMZ__2004-08-14.html

[13] Auswärtiges Amt (2011) „Historische Verantwortung gegenüber Namibia“. Online verfügbar unter http://auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Aktuelle_Artikel/Namibia/110930-Herero_Nama_node.html

[14] Deutscher Sondergesandte für die deutsch – namibischen Regierungsverhandlungen in Namibia. Online verfügbar unter: http://www.windhuk.diplo.de/Vertretung/windhuk/de/03/Besuch__Sponderbeauftragter__Polzenz.html

[15] Spiegel Online „Massaker an den Herero. Der deutsche Völkermord“. Online verfügbar unter: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/armenien-resolution-deutscher-voelkermord-an-den-herero-a-1096149.html

[16] Auswärtiges Amt (2011) „Historische Verantwortung gegenüber Namibia“. Online verfügbar unter http://auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Aktuelle_Artikel/Namibia/110930-Herero_Nama_node.html


Autor: Tristan Buhmann