Die Massenverbrechen im Kosovo (1999)

„heute Abend hat die NATO mit Luftschlägen gegen militärische Ziele in Jugoslawien begonnen. Damit will das Bündnis weitere schwere und systematische Verletzungen der Menschenrechte unterbinden und eine humanitäre Katastrophe im Kosovo verhindern“.[1]

Mit diesen Worten richtete sich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder am 24. März 1999 an die Bevölkerung, um sie über den ersten bewaffneten Bundeswehreinsatz im Ausland seit dem zweiten Weltkrieg zu informieren.

Der Konflikt im Kosovo war bereits im 1989 ausgebrochen, als der damalige jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic die Autonomie der Region aufhob und das kosovarische Regionalparlament entmachtete.[2] Dieses Vorgehen  führte zu einer Reihe von Demonstrationen, bei denen es regelmäßig zu Gewalttaten mit Todesopfern kam.[3] Aufgrund der  zunehmenden Unterdrückung der im Kosovo lebenden Albaner wurde der Rat für den Schutz der Menschenrechte und die erste albanische politische Partei, die Demokratische Liga des Kosovo (LDK – Lidhja Demokratike e Kosoves) unter intellektueller Führung von Dr. Ibrahim Rugova gegründet, die eine friedliche Lösung des Konflikts vorantreiben wollte.[4]

Ruinen eines Dorfes in Morina im Kosovo, das vermutlich im Mai 1999 von serbischen Truppen zerstört wurde (By Tilman Piesk [CC BY 3.0], via Wikimedia Commons)

Ruinen eines Dorfes in Morina im Kosovo, das vermutlich im Mai 1999 von serbischen Truppen zerstört wurde (By Tilman Piesk [CC BY 3.0], via Wikimedia Commons)

Doch die Situation eskalierte weiter. Mit gezielten Umsiedlungsprogrammen verfolgte Milosevic das Ziel, Serben im Kosovo anzusiedeln.[5] Hier  verübten sie systematische Menschenrechtsverletzungen wie Enteignungen, Vertreibungen und Folter. Im Untergrund formierte sich die Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK – Ushtria Çlirimtare e Kosoves), die sich im November 1997 öffentlich zu ihrer Existenz bekannte. In Folge von Überfällen der UÇK auf serbische Sicherheitskräfte und darauf folgender  Vergeltungsschläge wurde die Dringlichkeit des Kosovo-Konflikts  international deutlich. Am 31. März 1998 verabschiedete der UN Sicherheitsrat die Resolution 1160, welche die übermäßige Gewalt seitens serbischer Polizeikräfte gegenüber Zivilpersonen und friedlichen Demonstranten im Kosovo stark verurteilte und sowohl von der Bundesrepublik Jugoslawien als auch von der Führung der Kosovo-Albaner eine friedliche, politische Lösung des Konflikts forderte.[6] Mit der Resolution wurde zudem ein Waffenembargo gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien und dem Kosovo beschlossenen. Diese Resolution zeigte aber keine Wirkung. Im Rahmen einer serbischen Großoffensive gegen die UÇK wurden im Jahr 1998 hunderte von Kosovo-Albanern ermordet und 200.000 in die  Flucht getrieben.[7]

Die deutsche Reaktion auf die ethnischen Säuberungen im Kosovo

Die eskalierende Gewalt im Kosovo und die stetig steigenden Zahlen von Geflüchteten erhöhten den Handlungsdruck. Vor der UNO-Vollversammlung gab der damalige FDP-Außenminister Klaus Kinkel zu verstehen, dass man zwar in erster Linie eine diplomatische Lösung verfolge,   eine Lösung  jedoch auch militärischer Natur sein könne.[8] „Eine friedliche Lösung des Kosovo-Problems ist teil der Rückfahrkarte der Bundesrepublik Jugoslawien nach Europa!“.[9] Kinkel implizierte damit, dass Jugoslawien mit seinem Vorgehen die politischen Beziehungen zu Europa aufs Spiel setze. Zwar verabschiedete der UN-Sicherheitsrat  am 23. September 1998 eine weitere Resolution (1199), die Milosevic erneut aufforderte, seinen Kurs zu ändern. Jedoch wurde befürchtet, dass er sich dieser Forderung abermals nicht stellen würde. Die Stimmen im Deutschen Bundestag für eine militärische Lösung des Konflikts wurden immer lauter. Kinkel zog die Lehre aus der deutschen Geschichte und sagte zum Kosovo-Konflikt:

„Dort dürfen wir nicht sagen, daß es kein zweites Bosnien geben darf, sondern wir müssen dafür sorgen, daß es kein zweites Bosnien gibt.“[10]

Wenige Tage nach dem Resolutionsbeschluss 1199 drohte die NATO mit Luftschlägen gegen Jugoslawien.[11] Von Seiten des deutschen Außenministers hieß es, es gehe darum, durch die Drohung mit Gewalt schlimmere Gewalt zu verhindern und eine humanitäre Katastrophe abzuwenden. Dieser Meinung schlossen sich auch 500 der 580 Abgeordneten des 13. deutschen Bundestages an. Sie stimmten für den Antrag, der im Falle eines Scheiterns der vorangegangenen Resolutionen einen militärischen Luftschlag durch die NATO erlaubte und eine Beteiligung der Bundeswehr mit knapp 500 Soldaten garantierten sollte.[12] Gegenstimmen gab es von einigen Parteilinken des Bündnis 90/Die Grünen und der gesamten Bundestagsfraktion der PDS.

Ihr Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi begründete dies wie folgt:

„Wir haben immer vor der Militarisierung der Außenpolitik gewarnt. Es wird heute so schnell an Militär gedacht und so selten an andere Wege und Möglichkeiten, daß dies nicht nur in Europa, sondern weltweit verheerende Folgen hat. Wenn man nämlich internationale Beziehungen und Außenpolitik so militarisiert, dann entsteht doch der Eindruck, daß Einfluß nur der militärisch Starke hat.“ [13]

Gysi kritisierte vor allem, dass nicht alle friedlichen Mittel für die Verhinderung einer humanitären Katastrophe ausgeschöpft worden seien. Mögliche friedliche Wege wurden seitens der PDS in dem Friedensplan vom April 1999 vorgestellt, der eine zivile Lösung beabsichtigte, worunter beispielsweise auch die Rückkehr der 2000 ursprünglich vereinbarten OSZE-Beobachtern in den Kosovo zählte.[14] Ungeachtet der Kritik stimmten die schwarz-gelbe Regierungskoalition und auch Mitglieder der SPD und des Bündnis 90/ Die Grünen mehrheitlich zu.

Als im selben Monat die Bundesregierung abgewählt und erstmals durch eine rot-grüne Koalition ersetzt wurde, blieb der politische Kurs in Bezug auf die Kosovo-Krise bestehen: Die wochenlangen Friedensverhandlungen in Rambouillet und Paris, waren im Februar und März 1999 an Milosevic gescheitert. Daraufhin bombardierte die NATO die ohne UN-Sicherheitsratsmandat serbische Ziele.[15] Der 11-wöchige Militäreinsatz wurde in Deutschland intensiv diskutiert. Vor allem der Außenminister Joschka Fischer (B 90/Die Grünen) wurde von den eigenen Parteigenossen  angefeindet. In seiner Rede beim Sonderparteitag in Bielefeld im Mai 1999, bei der er die Zustimmung der Partei für den weiteren Bundeswehreinsatz im Kosovo forderte, wurde er als Kriegshetzer und Heuchler beschimpft und schließlich sogar mit einem Farbbeutel beworfen.[16] Er hielt aber weiterhin an seiner Meinung fest, dass eine unbefristete Einstellung der Bombenangriffe ein falsches Signal an Milosevic senden würde und er dies, falls es von der Mehrheit der Partei beschlossen würde, nicht umsetzen würde, denn er hätte keine Sicherheit, dass: „[…] ohne massiven bewaffneten Schutz es den Menschen nicht genau so wieder gehen wird wie den Männern in Srebrenica, die kalt im Massengrab liegen bis auf den heutigen Tag.“[17]. Der Grundsatz, den er damals verfolgte, lautete: Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus. Darin wurde er auch von der Mehrheit der Teilnehmer beim Sonderparteitag bestärkt. Das Vorgehen der rot-grünen Bundesregierung, deren Parteien sich zuvor tendenziell eher gegen eine Militarisierung der deutschen Politik ausgesprochen hatten, wurde zwar für den Bruch mit dieser Tradition kritisiert. Allerdings half auch die Identitätskrise beider Parteien zur Entscheidungsfindung, denn: „niemand unterstellte SPD und Grünen einen ideologischen Hang zur militärischen Konfliktlösung, im Gegenteil. Gerade das verschaffte der Entscheidung eine Aura politisch-moralischer Ernsthaftigkeit.“[18]

Die tägliche Berichterstattung von Geflüchteten aus dem Kosovo und den steigenden Todeszahlen vermittelte auch in der breiten Bevölkerung das Bewusstsein für eine Intervention. Durch Schlagzeilen wie die der Frankfurter Allgemeinen Zeitung „Kein Ende der Gewalt im Kosovo“, „Noch ein Massengrab“, „Brutaler Krieg gegen Zivilisten“, „Im Kosovo sind ganze Landstriche entvölkert“, „Explosive Lage im Kosovo“ sowie „Gegen Milosevics Machtinstinkt hilft nur der Einsatz von Gewalt“[19] wurde die deutsche Bevölkerung über die derzeitige Lage sensibilisiert. Einzelne Kritiker bemängelten, dass diese Berichterstattung über den Verlauf des Krieges maßlos übertrieben worden sei.[20]

Der Kosovo-Konflikt stellte in Deutschland wie international einen bedeutenden Einschnitt dar und wird bis heute diskutiert. Die kritischen Stimmen, die auf einen Völkerrechtsbruch des ohne UN-Sicherheitsratsmandat durchgeführten NATO-Einsatzes hinwiesen, wurden während des Krieges durch moralische Argumente übertönt.[21] Das völkerrechtswidrige Vorgehen der NATO wurde nach dem Krieg intensiv diskutiert und insbesondere von wissenschaftlicher Seite aus kritisch diskutiert.

Quellen

Weitere Beiträge von Genocide Alert zum Thema

» Deutschland und die Umsetzung der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect)

Verweise im Text

[1] Gerhard Schröder „Wir führen keinen Krieg“. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=wwufuBUx_HQ.

[2] Universität Klagenfurt „Das Ende der Autonomie für Kosovo“. Online verfügbar unter: http://wwwg.uni-klu.ac.at/eeo/Kosovo_Autonomie.

[3] Universität Pristina „Tempel des Wissens: Monographie 1970-2012“ (aus dem Albanischen übersetzt). Online verfügbar unter: http://www.uni-pr.edu/Files/Dokumente/2012/Monografia_UP_2012.aspx, S.34

[4] Universität Pristina „Tempel des Wissens: Monographie 1970-2012“ (aus dem Albanischen übersetzt). Online verfügbar unter: http://www.uni-pr.edu/Files/Dokumente/2012/Monografia_UP_2012.aspx, S.35

[5] Universal-Lexikon „Kosovokrise: Hintergründe und Verlauf eines Konflikts“. Online verfügbar unter: http://universal_lexikon.deacademic.com/262224/Kosovokrise%3A_Hintergr%C3%BCnde_und_Verlauf_eines_Konflikts

[6] UN Sicherheitsratresolution 1160. Online verfügbar unter: http://www.un.org/Depts/german/sr/sr_98/sr1160.pdf

[7] Jens Reuter Kosovo 1998”. Online verfügbar unter: https://ifsh.de/file-CORE/documents/jahrbuch/98/Reuter.pdf, S.212 f.

[8] Deutschlandfunk, Interview mit Klaus Kinkel vor der 53. UNO-Vollversammlung. Online verfügbar unter: http://www.deutschlandfunk.de/vor-der-53-uno-vollversammlung.694.de.html?dram:article_id=59668

[9] Auswärtiges Amt. Rede von Klaus Kinkel vor dem Bundestag (5. März 1998). Online verfügbar unter: http://www.cvce.eu/content/publication/2004/10/27/8e3f770f-9eef-4484-bbfb-dedc08b4f6f6/publishable_de.pdf

[10] Protokoll der Plenarsitzung vom 16. Oktober 1998. Online verfügbar unter  http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/13/13248.pdf.

Matthias Geis (2009) “Der linke Krieg”. Online verfügbar unter: http://www.zeit.de/2009/13/10-Jahre-Kosovo

[11] Deutscher Bundestag “Antrag der Bundesregierung, Drucksache 13/11469”. Online verfügbar unter: www.einsatz.bundeswehr.de/resource/resource/…/981012_13-11469_kfor.pdf, S.2

[12] Protokoll der Plenarsitzung vom 16. Oktober 1998. Online verfügbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/13/13248.pdf

[13] Gregor Gysi (1998) “Gegen den Einsatz der Bundeswehr – aus politischen, moralischen und vielen historischen Gründen. Online verfügbar unter: http://archiv2007.sozialisten.de/politik/publikationen/kpf-mitteilungen/view_html?zid=7052&bs=1&n=0

[14] Helmut Holter (1999) “Verhandeln statt Bomben und Granaten” http://archiv2007.sozialisten.de/politik/publikationen/kpf-mitteilungen/view_html?zid=7403&bs=1&n=0

[15] Klaus Dahmann (2007) “Von Rambouillet bis Wien: Chronik der Kosovo-Verhandlungen. Online verfügbar unter: http://www.dw.com/de/von-rambouillet-bis-wien-chronik-der-kosovo-verhandlungen/a-2992263

[16] Wolfgang Näser (1999) “Rede Joschka Fischers auf dem außerordentlichen Parteitag in Bielefeld, 13.05.1999”. Online verfügbar unter: http://staff-www.uni-marburg.de/~naeser/kos-fisc.htm

[17] Wolfgang Näser (1999) “Rede Joschka Fischers auf dem außerordentlichen Parteitag in Bielefeld, 13.05.1999”. Online verfügbar unter: http://staff-www.uni-marburg.de/~naeser/kos-fisc.htm

[18] Matthias Geis (2009) “Der linke Krieg”. Online verfügbar unter: http://www.zeit.de/2009/13/10-Jahre-Kosovo

[19] Frankfurter Allgemeine Archiv. Online verfügbar unter: http://fazarchiv.faz.net/fazSearch/index/searchForm?DT_from=01.01.1998&KO=&timeFilter=&timePeriod=dateFilter&dosearch=new&CO%2C1E=&crxdefs=&NN=&BC=&q=kosovo+krieg&search_in=&DT_to=01.07.1999&sorting=&submitSearch=Suchen&maxHits=&offset=970&CN=&toggleFilter=#hitlist

[20] AG Friedensforschung “Wie man einen Konflikt verkauft”. Online verfügbar unter: http://www.ag-friedensforschung.de/themen/NATO-Krieg/rupp.html

[21] Jürgen Habermas (1999) “Bestialität und Brutalität”. Online verfügbar unter: http://www.zeit.de/1999/18/199918.krieg_.xml


Autorin: Aurora Kastrati