Der Ostpakistan-Konflikt (1971)

„Tötet drei Millionen, dann wird uns der Rest aus der Hand fressen“

Dies sagte der damalige pakistanische Präsident Yahya Khan auf einer Konferenz im Februar 1970.[1]

Deutschland verstand den Ostpakistankonflikt nicht als eigenes Problem und nahm daher international auch keine aktive Rolle ein. Vielmehr sah man die Möglichkeit der Einwirkung bei anderen und schob Verantwortung von sich. Obwohl die Medien über die Gräueltaten der ostpakistanischen Armee berichteten wurde die Haltung der Regierung von der breiten Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen.

Skulptur bildet die Ermordung von Intellektuellen in Ost-Pakistan (heute Bangladesch) ab (By en:user:Ctg4Rahat [CC BY-SA 4.0-3.0-2.5-2.0-1.0], via Wikimedia Commons)

Skulptur bildet die Ermordung von Intellektuellen in Ost-Pakistan (heute Bangladesch) ab (By en:user:Ctg4Rahat [CC BY-SA 4.0-3.0-2.5-2.0-1.0], via Wikimedia Commons)

Im August 1947 erlangten Indien und Pakistan die staatliche Unabhängigkeit von ihren ehemaligen britischen Kolonisatoren. Pakistan war in West- und Ostpakistan geteilt. Das heutige Pakistan besteht aus dem westlichen Teil. Die beiden Landesteile lagen ca. 2000 Kilometer auseinander und wurden durch Indien getrennt.[2] Im mehrheitlich von Bengalen bewohnten Ostpakistan wurde die in Westpakistan gebräuchliche Sprache Urdu als Amtssprache eingeführt. Obwohl Ostpakistan eine höhere Bevölkerungszahl als Westpakistan hatte, wurde es vom Westen aus regiert.[3] Die seit der Gründung bestehenden Spannungen über die Zugehörigkeit Ostpakistans eskalierten nach den ersten freien Wahlen 1970. als der bengalische Oppositionsführer Mujibur Rahman 1970 mit seiner Awami-Liga Partei die absolute Mehrheit im gesamtpakistanischen Parlament gewann. Der bisherige Regierungschef, General Yahya Khan, akzeptierte  seine Niederlage nicht.

Als Reaktion auf die verlorenen Wahlen setzte die Militärregierung die konstituierende Parlamentssitzung Anfang März 1971 aus. Daraufhin rief die Awami-Liga zum Streik und zivilem Ungehorsam auf, wodurch die öffentliche Ordnung in Ostpakistan zusammenbrach. Am 25. März 1972 wurde Rahman verhaftet und die pakistanische Armee begann – unterstützt durch bengalische Kollaborateure – gewaltsam gegen die Aufständischen vorzugehen.[4]

Mehr als 200.000 Frauen wurden im Zuge des Konflikts Opfer von Vergewaltigungen.[5] Mit den Worten „[s]o wird wenigstens die nächste Generation pakistanisch“, beschrieb ein westpakistanischer Major das Ziel der Massenvergewaltigungen.[6] Darüber hinaus wurden 20.000 Frauen als Gefangene der pakistanischen Armee zur Prostitution gezwungen. „Die Ermordung von Ungläubigen“ war ein weiteres Ziel der westpakistanischen Regierung. Etwa zehn Millionen Menschen, die vornehmlich Hindus waren, flüchteten vor der Gewalt nach Indien. Indien griff schließlich ab Juni 1971 militärisch auf Seiten der bengalischen Befreiungsarmee ein und trug entscheidend zu deren Sieg bei. Als die Unabhängigkeit Bangladeschs (ehemals Ostpakistan) kurz bevor stand, zogen pakistanische Soldaten als am 14. Dezember durch die Großstädte und ermordeten tausende Intellektuelle.[7] Dem neuen Staat, Bangladesch sollte so das geistige Kapital geraubt werden. Am 16. Dezember unterschrieb Pakistan die Kapitulationserklärung und Bangladesch wurde ein unabhängiger Staat. Schätzungen zufolge fielen dem Konflikt bis zu drei Millionen Menschen zum Opfer.

Kurz nach der Kapitulation Pakistans schickte Indien die Flüchtlinge zurück nach Bangladesch. Viele der Menschen überlebten diesen Fußmarsch wegen Mangelernährung und Krankheit nicht.[8]

Die internationale Staatengemeinschaft investierte nach dem Ende des Konflikts viel in den Wiederaufbau, forderte aber keine Verfolgung der Täter. Erst im Jahre 2010 wurde ein Tribunal in Bangladesch geschaffen, das Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere völkerrechtswidrige Verbrechen von damals verfolgen sollte.[9]

Die Reaktion Deutschlands auf die Geschehnisse

Trotz einer von Westpakistan verhängten Nachrichtensperre, berichtete der Spiegel bereits am 5. April 1971 detailliert von den Gräueltaten der westpakistanischen Armee in Ostpakistan:

„80.000 Elitesoldaten der Zentralregierung in Islamabad verwüsten im feuchtheißen Ganges Delta einen der am dichtesten bevölkerten Landstriche der Welt. Die Zahl der Opfer ist – nach indischen Angaben – ‚astronomisch‘“.[10]

In einem weiteren Artikel vom 19. April 1971 beschreibt der Spiegel die Geschehnisse in Ostpakistan bereits als Genozid.[11]

Die damalige Regierungskoalition von SPD und FDP unter Bundeskanzler Willy Brandt sah den Pakistankonflikt als innere Angelegenheit Pakistans an. Ein Einwirken der Bundesrepublik auf die Konfliktparteien wurde damit ausgeschlossen. Karl Moersch (FDP), parlamentarischer Staatssekretär im Auswärtigen Amt, sagte hierzu bei einer Fragestunde im Bundestag:

„[…] ich muss Sie darauf hinweisen, dass es nicht Sache der Bundesregierung sein kann, von sich aus irgendwo einzugreifen, wo ihre Hilfe nicht erbeten wurde. Ich halte es in diesem Fall wie in ähnlichen Fällen, die bereits vorgekommen sind, für richtig, dass hier vor allem die Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen tätig werden und dass in erster Linie die verantwortlichen Regierungen von sich aus an andere Regierungen herantreten. Eine andere Möglichkeit gibt es meines Erachtens im internationales Verkehr nicht.“[12]

Selbst die Initiative zu ergreifen und zur Lösung des Konflikts beizutragen kam jedoch nicht in Frage.

Der deutsche Botschafter in Neu Delhi Günter Diehl plädierte schon im April 1971 dafür, dass Deutschland seine Zurückhaltung in Bezug auf den Pakistankonflikt aufgeben sollte. Er forderte die Bundesregierung auf, zur Durchsetzung einer Waffenruhe auf die Konfliktparteien einzuwirken.[13]

Doch auch im Gespräch mit dem indischen Außenminister Swaran Singh hielt die Bundesregierung das Argument der Souveränität Pakistans weiter aufrecht. Singh argumentierte, dass die steigende Zahl ostpakistanischer Flüchtlinge, die in Indien Zuflucht suchten, den Konflikt internationalisiert hätten. Er bat die Bundesregierung daher um mehr Engagement, um zu einer politischen Lösung des Konflikts beizutragen. In der Folge wurde das Thema von deutschen Vertretern in bilateralen Gesprächen u. a. mit Frankreich, den USA und Malaysia behandelt. Im Kern wurde eine Einwirkung auf die westpakistanische Regierung diskutiert, die es den Flüchtlingen ermöglichen sollte aus Indien nach Ostpakistan zurückzukehren. Dabei wiesen die internationalen Vertreter darauf hin, dass eine solches Vorgehen als Parteinahme gegen Ostpakistan gewertet werden könnte. Zudem wurde angeführt, dass es sich um eine innere Angelegenheit des pakistanischen Staates handele, die keine Einmischung von Außen zuließe.[14]

Mehr Engagement zeigte Deutschland bei der Bewältigung der durch den Konflikt ausgelösten Flüchtlingskrise in Indien. Aber auch die Bereitstellung der Hilfsgelder erfolgte nur in Abstimmung mit den internationalen Partnern. Hier folgte man dem Spendenaufruf des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen. Die Hilfe kam jedoch für viele Flüchtlinge zu spät. Viele fielen einer sich ausbreitenden Cholera Epidemie zum Opfer. Indien wurde mit dem Problem lange allein gelassen und war wegen ihrer spärlichen Kapazitäten mit der Situation überfordert. Erst im Juni setzten internationale Hilfslieferungen ein. Die Bundesrepublik stellte Gelder in Höhe von 6 Millionen DM zur Soforthilfe bereit.[15]

Das Argument der Verantwortung aufgrund der eigenen Geschichte wurde im Zusammenhang mit dem Ostpakistankonflikt nicht angebracht. Die damalige Regierung sah sich nicht in der Lage eine aktive Vermittlerrolle zur Beilegung des Konfliktes einzunehmen. Die staatliche Souveränität Pakistans stand zudem der Durchsetzung der Menschenrechte im Wege. Eine Einmischung in innere Angelegenheiten eines souveränen Staates wurde ausgeschlossen. Obwohl dieser Staat schwerste Menschenrechtsverbrechen an der eigenen Bevölkerung beging. Neben Printmedien, wie dem Spiegel, berichtete auch die Tagesschau über den Konflikt.[16] Weder die deutsche Bevölkerung noch die Regierung sahen sich in der Verantwortung zu einer Lösung des Konfliktes beizutragen. Mit den sich ereignenden Gräueltaten hatte man nichts zu tun. Eine Handlungsmöglichkeit sah man nur im Zusammenhang mit der Flüchtlingskriese, hierfür stellten die Bundesregierung und die Bevölkerung finanzielle Mittel bereit.

Quellen

Weitere Beiträge von Genocide Alert zum Thema

» Deutschland und die Umsetzung der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect)

Verweise im Text

[1] „Bangladesh Genocide Archive”. Online verfügbar unter http://www.genocidebangladesh.org.

[2] Hasnain Kazim „Bengalisches Trauma“, Spiegel Online, 22.03.2011. Online verfügbar unter http://www.spiegel.de/einestages/geburt-des-staates-bangladesch-a-947131.html.

[3] Barbara Böttger „Ein vergessener Völkermord wird aufgearbeitet“, Deutschlandfunk. Online verfügbar unter http://www.deutschlandfunk.de/ein-vergessener-voelkermord-wird-aufgearbeitet.724.de.html?dram:article_id=99964.

[4] Hasnain Kazim 2011

[5] Barbara Böttger 2010

[6] Der Spiegel (28.06.1971) „Rache an den Brüdern in Allah“. Online verfügbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43243059.html.

[7] Hasnain Kazim 2011

[8] Barbara Böttger 2010

[9] Barbara Böttger 2010

[10] Der Spiegel (05.04.1971) „Kurzer Prozeß“. Online verfügbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43732456.html.

[11] Der Spiegel (19.04.1971) „Flammen des Verrats“. Online verfügbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43278772.html.

[12] Protokoll der Plenarsitzung vom 14.05.1971. Online verfügbar unter http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/06/06124.pdf.

[13] Hans-Peter Schwarz (Hg.) (2002) Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1971. München, Oldenburg Wissenschaftsverlag.

[14] Hans-Peter Schwarz (Hg.) (2002)

[15] Der Spiegel (14.06.1971) „Unterlassene Hilfeleistung“. Online verfügbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43231218.html.

[16] Tagesschau (27.10.2010) „Jahresrückblick 1971 – Krisenherde der Welt“. Online verfügbar unter https://www.tagesschau.de/multimedia/video/jahresrueckblick/1971/video797004.html.


Autorin: Nina Sudholt