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Mit dem Privatjet in die Zelle: Das Karriereende von Bosco Ntaganda

 

 

Ein Paukenschlag. Montag, den 18. März 2013 kursiert seit der Mittagszeit aus gut unterrichteten Quellen die Information, Bosco Ntaganda, Kampfname “Terminator”, habe sich der US-Botschaft in Ruanda in Kigali ergeben. Später am Nachmittag bestätigt sich die Meldung endgültig.  Seit etwa 12 Jahren war er, obgleich nie als offizielle Nummer eins, Strippenzieher verschiedenster Rebellengruppen im Ostkongo.

 

Ein anekdotischer Rückblick

In früher Kindheit und Jugend musste Ntaganda aus Ruanda nach Uganda fliehen. Dort wuchs er in Flüchtlingslagern auf und kehrte Anfang der 1990er Jahre unter Fred Rwigyema und Paul Kagame mit der Rwandan Patriotic Front nach Ruanda zurück und half, den dort wütenden Genozid zu beenden. Es folgen erste Ausflüge in den Ostkongo, wohin die neue ruandische Armee den Schergen des Genozids (heute firmiert unter der Miliz FDLR) folgt, doch zugleich massenweise Massaker unter der Zivilbevölkerung verübt (siehe Mapping-Report der UN). Anschließend schließt sich Ntaganda für kurze Zeit der pro-ruandischen Besatzungsarmee RCD in und um Goma an, bevor er Militärchef von Thomas Lubangas UPC-Rebellen wird. Lubanga ist heute bekannt als erste Person, die vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag verurteilt wird. Aus dieser Zeit, 2002/03, stammt der Haftbefehl des ICC gegen ihn. Mitte des vergangenen Jahrzehnts wechselt der Terminator, übrigens eine Selbstbezeichnung – das Kino der frühen 1990er hatte seinen Einfluss auch in Zentralafrika – zur CNDP, Laurent Nkunda’s Miliz, die im Ostkongo einen Staat im Staate errichtete und zum Teil als Satrap Ruandas agierte. Jener Nkunda befindet sich seit 2009 unter Hausarrest in Ruanda – Folge eines Friedensabkommens zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Ruanda. Dieses Friedensabkommen wurde nicht zuletzt dadurch begünstigt, dass Ntaganda sich willens zeigte, seinen Chef zu verraten. Er und weitere hochrangige CNDP-Offiziere erhalten prestigiöse Positionen in der kongolesischen Regierungsarmee. Der Terminator ist nun stellvertretender Kommandant aller Militäroperation im Ostkongo – und plötzlich General. Zugleich eröffnet er in Goma seinen privaten Grenzübergang nach Ruanda, der zu einem Brennpunkt und Nadelöhr für illegal gehandelte Rohstoffe wird. Der Haftbefehl des ICC gegen ihn besteht zu dieser Zeit bereits, aber der kongolesischen Regierung scheint die scheinbare Stabilität wichtiger zu sein. Ruanda befindet sich nicht unter den Unterzeichnerstaaten des Romstatuts.

Nach den letzten Präsidentsschaftswahlen im Kongo gerät der wiedergewählte Joseph Kabila unter starken diplomatischen Druck. Unabhängig von der Beobachtung, dass er nach einer geschickten Verfassungsänderung wahrscheinlich auch ohne Betrug Wahlsieger gewesen wäre, steht die Hypothek von brennenden Wahllokalen und Distrikten mit über 100% Wahlbeteiligung. Die internationale Gemeinschaft möchte als Gegenpfand den mächtigen Kriegsherren Ntaganda in Den Haag sehen. Kabila macht erste Anstalten, beizugeben. Der ihn aus dem Osten unterstützende Ntaganda (gleichwohl der Tatsache, dass dies immer mehr eine „alliance de convenience“ gewesen ist) verliert Vertrauen und Ruhe, desertiert. Eine Welle weiterer Kommandanten, fast auschließlich Ex-CNDP-Offiziere folgt dem Beispiel. Wenige Wochen später erscheint M23, die Bewegung des 23. März, auf der Bildfläche und verzeichnet rapide Geländegewinne nördlich von Goma, im Dreiländereck zwischen Kongo, Ruanda und Uganda. Während Ntaganda von der Bildfläche verschwindet, wird die Bewegung militärisch von Sultani Makenga und Baudouin Ngaruye geführt. Die Forderung lautet, das Friedensabkommen vom 23. März 2009, dass die CNDP in die Regierungsarmee FARDC integriert hat, nun endlich komplett umzusetzen. Offiziell gehört Ntaganda nicht zur M23, aber schnell wird klar, dass er im Hintergrund agiert.
Die UN-Expertengruppe zum Kongo findet erhebliches Material, dass auch Ruanda und Uganda ihre Finger im Spiel haben. Am 20. November 2012 (wie in vorigen Blogeinträgen berichtet), nimmt M23 Goma im Handstreich und demonstriert etwa zwei Wochen Stärke, bevor der Abzug mit neugewonnenem Material und frischen Rekruten beginnt. Es folgen Verhandlungen in Kampala. In dieser Periode wird zum ersten Mal deutlich, dass innerhalb von M23 die alten politischen, ökonomischen, ethnischen Spannungen des CNDP, die ihren Ursprung in der Absetzung Nkundas durch Ntaganda haben, weiterleben. Makenga, ein enger Vertrauter Nkundas setzt sich mit der Entscheidung für den Abzug und Verhandlungen durch, während der politische Führer Jean-Marie Runiga und Ngaruye mit dem Wunsch, den Feldzug fortzuführen, scheitern. Sie sind Ntagandas Spielsteine in dieser Konstellation. Einige Wochen später, Meldungen über Kämpfe innerhalb von M23 – ein Bruderkampf beginnt. Makenga hatte Runiga als politischen Führer der Bewegung abgesetzt, woraufhin dieser und die Ntaganda-treuen Offiziere sich zu jenem absetzen. Der Gegenangriff folgt binnen weniger Tage. Heftige Schlachten halten den sogenannten „petit Nord“ der Provinz Nordkivu in Atem. Nach etwa drei Wochen wird klar, dass die Makenga-Fraktion siegreich sein würde. Viele hochrangige Ntaganda-Kämpfer sterben. Runiga flüchtet als erster nach Ruanda, begleitet von Ngaruye, sowie Seraphin Mirindi und Innocent Zimurinda. Andere ergeben sich Makenga, wiederum andere den Blauhelmen der MONUSCO. Keine Spur von Bosco Ntaganda, bis jener sich unter mysteriösen Umständen am 18. März in der US-Botschaft ergibt und ironischerweise am 23. März, Namensgeber seiner letzten Rebellenformation, in den Haag den Haftbefehl vorgelesen bekommen wird, nachdem er die obligatorische medizinische Untersuchung überstanden hat. Doch wie ist die vermeintliche Selbstauslieferung zustande gekommen?

Zwei konkurriende Theorien besitzen den größten Grad an Wahrscheinlichkeit und werden jeweils von zahlreichen verschiedenen Informanten und anderen Quellen getragen. Beide gehen davon aus, das Ntaganda zwischen dem 16. und 18. März die Grenze nach Ruanda überquert hat:

Variante A: Ntaganda gelangt unbemerkt auf ruandisches Territorium. Mithilfe der Freunde, die er in der ruandischen Armee noch immer besitzt, reist er inkognito bis nach Kigali. Dort stellt er sich der US-Botschaft und bittet um die Überführung nach Den Haag.

Variante B: Ntaganda wird auf ruandischen Territorium von den dortigen Sicherheitskräften festgenommen und nach Kigali gebracht. Die ruandische Regierung zwingt ihn, sich der US-Botschaft zu stellen und um die Überführung nach Den Haag zu bitten.

Beide Varianten beruhen auf einigen Gemeinsamkeiten. Zum einen muss Ntaganda um sein Leben gefürchtet haben – anders lässt sich die überraschende Selbstauslieferung kaum erklären. Eine drohende Haftstrafe von 10-20 Jahren muss in seinen Augen die bessere Alternative gewesen sein. Weiterhin wird klar, Ruanda hat das Interesse an ihm verloren. War er über zehn Jahre in RCD, UPC, CNDP und M23 ein Handlanger, Partner und Instrument ruandischer Interessen im Kongo, so muss Ruanda nun zum Schluss gekommen sein, dass Ntaganda nunmehr ein belastendes Element geworden ist. Dies zeigt nicht zuletzt, ganz egal ob die Wahrheit mehr Variante A oder B gleicht, die Kooperation des Landes mit dem ICC – gerade auch, weil Ruanda den ICC gemeinhin ablehnt.

Über die Spekulationen zur Selbstauslieferung hinaus bleiben weitere Fragen im Fall Ntaganda offen. Die Rolle der kongolesischen Regierung (die bereits sehr früh Ntaganda’s Grenzübergang denunziert hatte, die Rolle der siegreichen Makenga-Fraktion der M23, sowie die Rolle der USA – schließlich hätte Ntaganda sich verhältnismäßig einfacher auch den Blauhelmen in Kibumba, in der Nähe seines letzten Hauptquartiers, stellen können. Was Ntaganda dazu bewegt hat, nicht etwa auf eine seiner Farmen in westlich gelegene Masisi zu fliehen ist unklar. Der Zustand seiner Truppen lässt jedoch darauf schließen, dass er über unzureichende Munition verfügte und alle Zugangswege von feindlichen Akteuren versperrt waren.

Seit dem frühen Nachmittag des 22. März sitzt Ntaganda in einem privat gecharterten Jet mit einer Delegation des ICC. Es ist seinen Opfern, aber auch dem (oft nicht ganz zu unrecht) kritisierten Internationalen Strafgerichtshof zu wünschen, dass was ihn betrifft, Gerechtigkeit geschaffen wird. Darauf zu spekulieren, dass Ntagandas Festnahme und eventuelle Verurteilung den Konflikt im Ostkongo lösen kann ist allerdings blauäugig. Der Friedensprozess bleibt festgefahren. Eine Integration der M23 in die Regierung – die nicht ausgeschlossen ist – wird dieses Problem lösen, wenn auch nur auf Zeit. Zugleich kann sie jedoch weitere Probleme schaffen, wie die Desertion anderer Gruppen. Die neue Sondergesandte der UN, Mary Robinson, sieht sich einer höchst delikaten Lage gegenüber, bei der nicht zuletzt die Rolle der beteiligten Regierungen besonders problematisch werden kann.

 

Ein Beitrag von Christoph Vogel, Mercator Fellow
Originalveröffentlichung des Artikels auf www.nefia.org

Interview der Tagesschau mit Genocide Alert Experten zur Krise im Ostkongo

Der Ostkongo wird seit Jahren mit Gewalt überzogen. Die Ursache dafür liege vor allem in ethnischen Konflikten, sagt der Politologe Christoph Vogel. Im Interview mit tagesschau.de erklärt er zudem, warum die UNO in der Region gescheitert ist – und welche undurchsichtige Rolle Ruanda in dem Konflikt spielt.

tagesschau.de: Die Bilder scheinen sich alle Jahre zu wiederholen: Zehntausende Menschen auf der Flucht, Rebellen und Regierungstruppen, die einander bekämpfen. Warum kommt der Osten Kongos seit Jahrzehnten nicht zur Ruhe?

Christoph Vogel: Das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist die Demokratische Republik Kongo als Staat nicht in der Lage, ihr Territorium zu sichern, die Zivilbevölkerung zu schützen – geschweige denn, ihre militärischen Gegner in die Schranken zu weisen. Hinzu kommt: Es gab bei den zahlreichen Konflikten in den vergangenen 20 Jahren immer wieder Einflussnahme von Nachbarstaaten, mal mehr, mal weniger.

Mit dem jetzigen Vorstoß der M23-Rebellen ist die Debatte um Ruandas Einfluss wieder entbrannt. Ruanda spielt auf jeden Fall eine zentrale Rolle, aber wie direkt die Unterstützung Ruandas ist und ob die Befehlskette innerhalb der Rebellengruppe M23 bis zum ruandischen Verteidigungsminister reicht – das lässt sich schwer beweisen. Da wird viel spekuliert.

Verbindungen zum Völkermord von Ruanda

tagesschau.de: Welche Interessen hat Ruanda denn im Kongo?

Vogel: Das reicht zurück bis zum Völkermord von 1994, als Hunderttausende Tutsi in Ruanda ermordet wurden. Viele der damaligen Mörder waren über die Grenze in den Kongo geflüchtet – und die ruandische Regierung will diese dingfest machen. Dabei handelt es sich um Hutu-Milizen. Die M23 hingegen wird von kongolesischen Tutsi befehligt und kontrolliert, als deren Schutzmacht sich Ruanda wiederum versteht.

Der ruandische Präsident Paul Kagame ist selbst Tutsi und hatte in den 1990er-Jahren den Kampf gegen die Hutu unterstützt. Und diese „Jagd“ setzt sich im Nachbarland Kongo fort. Da wird dann behauptet, die „nationale Sicherheit Ruandas“ sei bedroht, oder es gehe um den Schutz der „Brüder und Schwestern“ auf der anderen Seiten der Grenze.

Angesichts der Unfähigkeit der kongolesischen Armee sind die M23-Rebellen aus Sicht Ruandas gewissermaßen Verbündete, um die alten Feinde zu bekämpfen. Hinzu kommen natürlich wirtschaftliche Interessen. In der Region lagern viele Bodenschätze,  unter anderem werden dort Coltan oder Wolfram abgebaut. Trotz verschiedener internationaler Versuche, den Schmuggel einzudämmen, spielt der illegale Handel mit Rohstoffen zwischen Ruanda und Ostkongo nach wie vor eine große Rolle. Denn Ruanda ist für diese Rohstoffe auch ein wichtiges Transitland.

„Auswirkungen der kolonialen Grenzziehung“

tagesschau.de: Sie haben die ethnischen Spannungen und den Kampf um die Ressourcen erwähnt. Was wiegt Ihrer Ansicht nach schwerer – und entfacht den Konflikt immer wieder?

Vogel: Die Rohstoffe sind nicht die eigentliche Ursache des Kriegs, sondern sie begünstigen, dass er immer weitergehen und sich weiter finanzieren kann. Hauptursache sind die koloniale Grenzziehung und die sogenannte Ethnisierung von außen. Denn Huti und Tutsi sind streng genommen keine verschiedenen Ethnien, wurden aber in der Kolonialzeit als solche klassifiziert. Das hat Auswirkungen bis heute.

Hinzu kommt, dass es nicht nur ein Problem zwischen Hutu und Tutsi gibt, sondern auch zwischen den vielen anderen Ethnien, die in der Grenzregion Ostkongo/Ruanda vertreten sind. Und diese Spannungen entzünden sich vor allem an einer Landfrage. Der Ostkongo beispielsweise ist eine der am dichtesten besiedelten Gegenden in der gesamten Region – und auch Ruanda leidet an Platzmangel. Schon seit jeher gab es in dieser Region Landkonflikte, was politisch missbraucht wird und den Konflikt zusätzlich anfeuert.

„Kabila weitgehend abgetaucht“

tagesschau.de: Jenseits dieser Ursachen – wie verhalten sich die kongolesische Regierung und Präsident Joseph Kabila in dem Konflikt? Will er überhaupt Frieden in der Region?

Vogel: Das ist wahrscheinlich eine der kniffligsten Fragen, auf die es derzeit fast keine passende Antwort gibt. Kabila ist weitgehend untergetaucht, abgesehen von einem Fernsehinterview. Es gibt zahlreiche Gerüchte, dass der schwelende Bürgerkrieg ihm und seinen Familienmitgliedern in die Hände spielt. Denn es gibt immer wieder Indizien – auch in den Berichten der UNO -, dass seine Entourage in den Rohstoffhandel involviert ist.

Aber welches Interesse der Präsident tatsächlich verfolgt, ist schwer zu sagen, da er nahezu unsichtbar ist und wenige Informationen aus seinem Umfeld nach außen dringen. Er verfügt zwar über eine Armee; die ist aber in einem derart desolaten Zustand, was die Kommandostrukturen betrifft, dass sie auch gegen kleine, straff organisierte Rebellengruppen wie die M23 wenig ausrichten kann.

tagesschau.de: Und auch die UNO, die im Ostkongo mit bis zu 19.000 Soldaten vertreten ist, scheint nichts bewirken zu können. Wieso?

Vogel: Obwohl es sich bei der Kongo-Mission um den größten UN-Einsatz handelt, ist es für die Blauhelmsoldaten extrem schwierig, in einem Staat mit der Fläche von 2,3 Millionen Quadratkilometern für Ordnung zu sorgen – allein schon was die finanziellen und personellen Mittel angeht. Und die Konfliktlage ist derart verworren, dass es nicht reicht, die widerstreitenden Parteien voneinander zu trennen. Es geht darum, eine Staatlichkeit wiederherzustellen.

Die UNO hat dafür ein sehr komplexes Mandat für den Kongo, das bei genauerem Hinsehen aber kaum durchführbar ist. Der erste Kernpunkt ist der Schutz der Zivilbevölkerung, der zweite die Unterstützung der staatlichen Autoritäten. Der letzte Punkt hatte beim Marsch der Rebellen auf Goma aber zur Folge, dass sich die UNO nicht eingemischt hat, weil die kongolesischen Soldaten sehr schnell geflohen sind und sich ergeben haben.

Somit gab es im Prinzip niemanden mehr, den die Blauhelmsoldaten unterstützen konnten. Denn die UNO ist nicht dazu befugt, alleine einen Verteidigungskrieg zu führen, sondern nur unterstützend für die kongolesische Armee.

tagesschau.de: Sehen Sie irgendeine Chance auf Frieden in der Region?

Vogel: Im Moment erscheint mir das sehr schwierig, weil die kongolesische Regierung und M23 nicht zu Verhandlungen bereit  sind. Vor allem die kongolesische Regierung scheint das zu blockieren. Nur wenn es Zugeständnisse aller Seiten gäbe und einen Dialog aller Beteiligten – und nicht nur derjenigen, die zurzeit an der Macht sind – hätte ein Frieden vielleicht eine Chance. Dann könnte sich mit  vorsichtiger internationaler Unterstützung vielleicht etwas bewegen. Aber danach sieht es leider an allen Fronten nicht aus.

Christoph Vogel hat Politikwissenschaft und Afrikanistik an der Universität Köln sowie Peace and Conflict Studies an der Makerere University in Kampala studiert. Er forschte über bewaffnete Konflikte und humanitäre Hilfe im Kongo, in Uganda, Burundi und Haiti sowie bei der UNO. Vogel ist Stipendiat der Stiftung Mercator und seit 2011 Mitarbeiter von Genocide Alert.

Das Interview führte Jörn Unsöld, tagesschau.de.

Das Interview auf tagesschau.de hier.
Das Kurz-Video mit Interview hier.

Im Osten nichts Neues? M23-Rebellen erobern die kongolesische Grenzstadt Goma

Eine neue humanitäre Katastrophe und Gewalt gegen die Zivilbevölkerung muss jetzt verhindert werden!

(von Christoph Vogel, Mercator Fellow)

Die Sicherheitslage in den Ostprovinzen der Demokratischen Republik Kongo verschlechtert sich weiter. In Nord- und Südkivu, wo insgesamt zwischen 20 und 30 verschiedene Milizgruppen ihr Unwesen treiben verlagern sich die Kräfteverhältnisse zugunsten der Bewegung des 23. März (M23), einer nichtstaatlichen bewaffneten Gruppe, die sich aus Deserteuren der Regierungsarmee FARDC zusammensetzt. Jene waren seit April in verschiedenen Schüben aus der Armee geflohen und konnten in verschiedenen Gebieten nördlich von Goma schnelle Gebietsgewinne erzielen (Interview Christoph Vogel vom 19.7.2012 für Genocide Alert). Nach einer längeren Feuerpause zwischen M23 und FARDC, unter anderem aufgrund diverser diplomatischer Bemühungen regionaler und internationaler Vermittlungsakteure, wie UN, AU, und ICGLR, brachen um den 15. November neuerliche Gefechte aus.

Der Fall Gomas

Gegen die marode kongolesische Armee, selbst Verursacherin eines großen Teils der Kriegsverbrechen in der Region, konnten die besser trainierten und ausgerüsteten Kombattanten des M23 rapide Zugewinne verbuchen. Die Kampfhandlungen kulminierten am 20. November im direkten Angriff auf die Provinzhauptstadt Goma, die innerhalb weniger Stunden in die Hände der Aufständischen fiel. Weder FARDC noch die UN-Truppen der MONUSCO leisteten nennenswerten Widerstand – was eine unmittelbare humanitäre Tragödie vorerst verhinderte, da es nicht zum Häuserkampf auf Goma kam. Zahlreiche mediale und zivilgesellschaftliche Quellen aus der Stadt berichten dennoch von Plünderungen (durch fliehende FARDC-Soldaten) sowie willkürliche Exekutionen (durch M23-Soldaten). Im Anschluss an die Machtübernahme in Goma kündigte M23 an, alle verbliebenen Staatsangestellten (Polizei, Militär, Verwaltung) schnellstmöglich in seine eigene Verwaltungsstruktur einzugliedern und erneuerte die Forderung nach Verhandlungen mit der kongolesischen Regierung unter Präsident Kabila, dessen Legitimität nach den verkorksten Wahlen vor einem Jahr stark beschädigt ist. Bislang verweigert sich die Regierung Kabila jeglichen direkten Verhandlungen mit M23, unter Bezugnahme auf Indizien, die eine substantielle Unterstützung der Meuterer durch Ruanda und neuerdings auch Uganda unterstellen.

Die Kivuprovinzen bleiben Brandherd

Sources: Protection Cluster South Kivu; MONUSCO; Oxfam GB.Nach der Eroberung Gomas bleibt die Lage in Bezug auf Sicherheit und Versorgung in beiden Kivuprovinzen prekär. Sollte sich die kongolesische Regierung weiterhin sperren, Verhandlungen mit M23 einzugehen, so drohen diese, auch die Provinzhauptstadt des Südkivu, Bukavu, einzunehmen. Ein gesteigertes militärisches Potential (von anfangs ca. 400 auf nunmehr etwa 2000 straff organisierte und gut ausgerüstete Soldaten) lassen diese Ankündigung realistisch erscheinen. Ginge die Regierung auf das Verhandlungsangebot ein, wäre eine friedvolle Lösung möglich, doch diverse Hindernisse lassen diese Option unwahrscheinlich werden: Einerseits ist es nach der Eskalation der vergangenen Monate kaum mehr denkbar, dass sanktionierte Individuen wie Sultani Makenga, Baudouin Ngaruye oder Innocent Kaina (die militärischen Anführer von M23) in die Regierungsarmee zurückintegriert oder amnestiert werden. Andererseits würde ein Kuhhandel zwischen Regierung und M23, die beide in Großteilen der Kivuprovinzen als illegitime Kräfte betrachtet werden, eine Gewaltspirale auslösen, da Gruppierungen wie Nyatura, FDLR, APCLS, die verschiedenen Raia Mutomboki und diverse andere Mayi Mayi Milizen jenes kaum akzeptieren würden. Eine Graphik zeigt eine ungefähre Verteilung der wichtigsten bewaffneten Gruppen der Region und illustriert die zuvor geschilderte Gefahr.

Die Rolle regionaler und internationaler Akteure

Seit dem Zwischenbericht der UN-Expertengruppe zur Demokratischen Republik Kongo sieht sich das Nachbarland Ruanda wachsenden Vermutungen ausgesetzt, M23 materiell und personell zu unterstützen. Der aktuell dem UN-Sicherheitsrat vorliegende Endbericht (eine Kopie liegt dem Autor vor) untermauert diese Vorwürfe und betont zudem die Rolle Ugandas in diesem Konflikt. Beide Nachbarn des Kongo schauen auf eine bewegte Geschichte verschiedener direkter Interventionen sowie impliziter Unterstützung kongolesischer Rebellen in den vergangenen 20 Jahren zurück, leugnen allerdings jegliche Beteiligung an M23. Die bislang vorgetragenen Indizien lassen nur schwerlich Beweise führen, ein gewisser Einfluss Ugandas, vor allem aber Ruandas scheint jedoch außer Frage. Beide Staaten sind, wie der Kongo, Mitglieder der Internationalen Konferenz der Region der Großen Seen (ICGLR), die als vermittelndes Organ von UN und AU interveniert. Bis zum heutigen Tage, an dem ein weiteres Mal Staats- und Regierungschefs der ICGLR in Kampala tagen, hat die Regionalorganisation außer einem erweiterten gemeinsamen Verifikationsmechanismus zur Granzüberwachung (EJVM) wenig erreicht. Die Entsendung einer multinationalen, neutralen Friedenstruppe, die zusätzlich zur MONUSCO die Region stabilisieren und die Zivilbevölkerung schützen soll, liegt in weiter Ferne, da die Modalitäten in Bezug auf finanzielle und personelle Aspekte unklar bleiben. Darüber hinaus sehen Beobachter die Erfolgschancen einer solchen Intervention skeptisch, da dies zunächst eine weitere Militarisierung der kriegsgeplagten Kivuprovinzen in der Person von Soldaten, deren Verhalten nicht abzusehen ist, bedeutete. Derzeit tagt ebenfalls der UN-Sicherheitsrat zum Thema und es gibt Überlegungen, das Mandat der MONUSCO der seit dem 20. November veränderte Lage anzupassen. Ein Quantensprung ist aus New York jedoch angesichts multipler Interessen, der Präsenz Ruandas im Sicherheitsrat (bis 1. Januar 2013 zwar noch ohne Stimmrecht im Rahmen der Einführung der fünf neuen nichtständigen Mitglieder) sowie der nicht abzusehenden Bereitschaft der truppenstellenden Staaten kaum zu erwarten.

Was nun zu tun ist

Trotz dieser alles andere als vielversprechenden Gemengelage, müssen die nationalen, regionalen und internationalen Akteure weiter zu verstärktem konstruktiven Engagement aufgefordert werden. Die Lösung der humanitären Krise im Kongo hängt nach wie vor von der Beendigung der bewaffneten Konflikte und der damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen ab. Hierzu sind folgende Maßnahmen unerlässlich:

1. Die Demokratische Republik Kongo

– muss ihre staatliche Schutzverantwortung gegenüber all ihrer Zivilbevölkerung wahrnehmen und jegliche Menschenrechtsverletzungen ihrer Sicherheitskräfte umgehend unterbinden.

– muss alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

– soll sämtliche politischen und diplomatischen Bemühungen ausschöpfen, um mit M23, ihren Nachbarstaaten sowie allen bewaffneten Gruppen auf ihrem Territorium zielführende Verhandlungen einzugehen.

2. Die Bewegung des 23. März (M23)

– muss alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

– soll mit sofortiger Wirkung ihre militärischen Aktivitäten einstellen und eine friedliche Beilegung des Konflikts mit der Demokratischen Republik Kongo anstreben

– soll jegliche Aktivität, die politische und territoriale Souveränität der Demokratischen Republik Kongo verletzt, einstellen.

3. Die anderen nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen

– müssen alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

– sollen mit sofortiger Wirkung den Dialog mit der Demokratischen Republik Kongo zum Zwecke einer friedlichen Beilegung des Konflikts suchen

– sollen die Allianzbildung mit anderen Gruppen, inklusive M23, sowie kriminellen Elementen der FARDC einstellen, ebenso wie alle anderen Kampfhandlungen.

4. Die Republiken von Ruanda und Uganda

– müssen alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

– sollen mir sofortiger Wirkung jegliche Unterstützung von M23 sowie anderer nichtstaatlicher bewaffneter Akteure einstellen und dies glaubhaft machen.

– sollen sämtliche politischen und diplomatischen Bemühungen ausschöpfen, um den Dialog der Demokratischen Republik Kongo mit M23 und anderen bewaffneten Gruppen auf kongolesischem Territorium zu unterstützen.

5. Die ICGLR und die AU

– müssen alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

– soll im Rahmen der bestehenden Verhandlungsrunden zwischen ihren Mitgliedsstaaten, insbesondere der Demokratischen Republik Kongo, Ruanda und Uganda einen ehrlichen, offenen und zielführenden Dialog fördern.

– soll vor allen anderen Lösungsmöglichkeiten für eine friedvolle Beilegung des Konflikts in Einklang mit völker- und menschenrechtlicher Gesetzgebung eintreten.

6. Die Vereinten Nationen, insbesondere deren Sicherheitsrat

– müssen alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

– soll im Rahmen der bestehenden Friedensmission MONUSCO alle non-eskalativen Maßnahmen ausschöpfen, um die bereits jetzt horrenden humanitären Konsequenzen des Konflikts einzudämmen.

– soll vor allen anderen Lösungsmöglichkeiten für eine friedvolle Beilegung des Konflikts in Einklang mit völker- und menschenrechtlicher Gesetzgebung eintreten.

7. Die bilateralen und internationalen Partner, hier insbesondere Deutschland,

– müssen alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

–  sollen in ihrer Rolle als Mitglieder der Vereinten Nationen und deren Sicherheitsrat auf ein unmittelbares Ende aller Kampfhandlungen in der Demokratischen Republik Kongo drängen.

–  sollen ihren Einfluss im Rahmen internationaler Zusammenarbeit dazu nutzen, alle Konfliktparteien mit politischen Mitteln dazu aufzufordern, ihre Aktivitäten einzustellen.

Christoph Vogel , Mercator Fellow 

(Dieser Artikel spiegelt die persönliche Ansicht des Autors wider.)

Thomas Lubanga Dyilo – Der erste Fall des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag

Nach 10-jährigem Bestehen hat der IStGH am 14. März 2012 sein erstes Urteil erlassen: Thomas Lubanga Dyilo wurde als Mittäter wegen Kriegsverbrechen gemäß Artikel 8(2)(e)(vii), 25(3)(a) des Rom-Statuts verurteilt. Das Gericht hält es für zweifelsfrei bewiesen, dass der ehemalige Warlord und Führer der Union des patriotes congolais (UPC) samt deren militärischen Arm (Force patriotique pour la libération du Congo, FPLC) zwischen 2002 und 2003 Kinder unter 15 Jahren zwangsverpflichtet, in die Miliz eingegliedert und als Kindersoldaten in dem bewaffneten Konflikt eingesetzt hat.

Daraufhin wurde der 51-jährige Lubanga am 10. Juli 2012 zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt (Artikel 76 Rom-Statut). Der Ankläger hatte zwar 30 Jahre gefordert, jedoch berücksichtigte das Gericht mildernde Umstände, da Lubanga mit dem Gericht kooperiert hatte. Berufung ist bislang nicht eingelegt worden. Noch ist unklar, wo Lubanga die Gefängnisstrafe ableisten muss. Infrage kommen acht Länder, die ein entsprechendes Abkommen mit dem Gericht unterzeichnet haben. Davon haben sich bereits sechs Länder bereit erklärt die Strafe zu vollziehen: Belgien, Finnland, Großbritannien, Mali, Österreich und Serbien.

Kontext

Die Demokratische Republik Kongo gehört trotz ihres Rohstoffreichtums zu den ärmsten Staaten der Welt. Nicht erst seit 2002 befindet sich das Land in einem andauernden bewaffneten Konflikt. Insbesondere der reiche Osten ist seit 1996 Schauplatz vielschichtiger Konflikte zwischen bewaffneten Stammesmilizen und Rebellentruppen, einheimischen Regierungssoldaten und ausländischen Armeen wie etwa aus Ruanda und Uganda. Seither kamen über 5 Millionen Menschen ums Leben. Lubangas Miliz werden zahlreiche schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, unter anderem ethnische Massaker, Folter, sexuelle Gewalt, Vergewaltigung und Missbrauch von Mädchen und Frauen als Sexsklaven.

Anklage auf Kindersoldaten beschränkt

Im Fokus des Lubanga-Verfahrens stand die Problematik der Rekrutierung von Kindersoldaten. Der Ankläger beschränkte sich hierbei auf den Tatbestand des Kriegsverbrechens in Form der Eingliederung, Zwangsrekrutierung und Einsetzung von Kindersoldaten in bewaffneten Konflikten. Tatbestände wie sexueller Missbrauch, Vergewaltigung und andere sexuelle Gewaltakte wurden somit von vornherein nicht ins Verfahren aufgenommen. Der Ankläger begründete dies damit, dass die Beweislage allein hinsichtlich der Kindersoldaten hinreichend war. Ein Teilfreispruch im allerersten Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs hätte der Glaubwürdigkeit des Gerichts schaden können. Selbst die Anstrengungen der Opfer, den Anklagegegenstand materiell zu erweitern, brachten keinen Erfolg. Diese Beschränkung der Anklage allein aufgrund gerichtspolitischer Befürchtungen hat zumindest einen faden Beigeschmack.

Neuheit: Verfahrensrechte für Opfer

Die vielfältigen Verfahrensrechte der Opfer in dem Verfahren vor dem IStGH sind eine Neuerung im Völkerstrafrecht. Die Verfahrensordnungen des Internationale Tribunal für Jugoslawien sowie des internationales Tribunals für Ruanda kennen keine gesonderten Opferrechte. Nur Verfahren vor dem Rote-Khmer-Tribunal in Kambodscha („Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia“) sehen auch eine weitreichende Opferbeteiligung einschließlich Entschädigungszahlungen vor. Diese gibt es jedoch lediglich in Form von kollektiven oder ideellen Entschädigungen (moral reparation). Individualentschädigungen sieht auch das Rote-Khmer-Tribunal nicht vor.
Während des Lubanga-Verfahrens vor dem IStGH haben insgesamt 129 Opfer am Verfahren direkt teilgenommen, indem sie unabhängig vom Ankläger Beweise einführen und Zeugen befragen durften. Drei Opfer haben selbst als Zeugen ausgesagt. Zudem existiert mit Artikel 75 des Rom-Statuts die Möglichkeit Entschädigungszahlungen zu beantragen. Die Regelungen des IStGH sind jedoch vielfach noch konkretisierungsbedürftig (vgl. Artikel 68 Rom Statut, Artikel 85 Verfahrens- und Beweisordnung). Es wird erwartet, dass die Entscheidung bzgl. der Entschädigung der Opfer im Lubanga-Verfahren zahlreiche bisher ungeregelte Fragen beantworten wird. Offen ist beispielsweise, wie groß der Kreis der Opfer ist, der berechtigt sein soll Entschädigungen einzuklagen. Im Rahmen des Lubanga-Verfahrens haben mehr als 20 Personen einen Antrag auf Entschädigung gestellt. Ferner ist klärungsbedürftig, ob eine Kollektiventschädigung gezahlt oder ob jedes Opfer individuell entschädigt werden soll. Mit Spannung wird ferner erwartet, wie die Entschädigungen finanziert werden: Haftet der Verurteilte mit seinem Vermögen? Wird eine Ausfallhaftung bereitgehalten?
Genocide Alert sieht in der Anerkennung eigener Verfahrensrechte für Opfer einen bedeutenden Schritt. Die Position der Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen in Strafverfahren muss dringend gestärkt werden. Das ist entscheidend, weil die Interessen des Anklägers nicht zwingend mit den Interessen der Opfer übereinstimmen. Dieser Interessenkonflikt spiegelt sich im Lubanga-Verfahren in der Beschränkung des Anklagegegenstandes und dem Versuch der Opfer den Anklagegegenstand insbesondere auf sexuelle Gewaltdelikte auszuweiten. Genocide Alert begrüßt daher, dass im IStGH-Verfahren der Stimme der Geschädigten gesteigertes Gehör verschafft wird. Opferrechte müssen einen festen Platz im internationalen Strafverfahren haben, um alle betroffenen Interessen ausreichend zu berücksichtigen, die Aufarbeitung schwerster Menschenrechtsverletzungen zu fördern und gesellschaftliche Befriedung voranzutreiben. Besondere Wichtigkeit kommt an dieser Stelle dem Anspruch auf Opferentschädigung zu.

Meilenstein im Völkerstrafrecht

Das Urteil wird als Meilenstein der Völkerstrafrechtsgeschichte und Teilsieg im Kampf gegen Straflosigkeit schwerster Menschenrechtsverletzungen gefeiert. Es belegt die Relevanz internationaler Strafgerichtsbarkeit und untermauert die Existenzberechtigung des Internationalen Strafgerichtshofs. Seit seiner Entstehung wird dem IStGH vorgeworfen, zu langsam und uneffektiv zu arbeiten. Das erste Urteil ist eine deutliche Kampfansage. Spätestens jetzt muss jeder Kriegsverbrecher den Ruf aus Den Haag vernehmen: Schwere Menschenrechtsverletzungen werden verfolgt und bestraft, national und international!

Das Internationale Tribunal für Jugoslawien sowie das internationale Tribunal für Ruanda werden in den nächsten Jahren die letzten Anklagen verhandeln. Charles Taylor, der frühere Präsident von Liberia, wurde im April 2012 vom Sondertribunal für Sierra Leone wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Das Urteil des IStGH im Fall Lubanga bildet einen wichtigen Folgeschritt in Richtung einer effektiven internationalen Strafgerichtsbarkeit. Trotz dieses durchaus positiven Ausblicks besteht aber noch immer Handlungsbedarf. Etliche wegen schwerster Menschenrechtsverbrechen Angeklagte sind noch flüchtig, unter anderen: Bosco Ntaganda – Stellvertreter Lubangas in der UPC –, Omar Al-Bashir, und Joseph Kony.
Zudem kooperieren noch immer nicht alle Staaten mit dem IStGH. Der ist aber auf den Vollzug seiner Anordnungen durch nationale Polizeibehörden angewiesen. Zwar zählt der IStGH 121 Mitgliedstaaten, zu denen auch Deutschland und alle anderen EU-Staaten gehören, die Liste der Nicht-Mitglieder demonstriert allerdings eine schwerwiegende Schwäche: Die politischen Schwergewichte USA, China, Russland sind nicht dabei und auch Indien, Pakistan, Iran, Israel, Syrien, Sudan und Nordkorea lehnen den Gerichtshof ab.

Genocide Alert nimmt das Lubanga-Urteil zum Anlass, weiter darauf hin zu wirken, dass alle Staaten schwere Menschenrechtsverletzungen bekämpfen, verfolgen und bestrafen. Kriegsverbrecher dürfen nirgendwo einen sicheren Hafen finden, in dem sie sich straffrei bewegen können. Vor allem die IStGH-Mitgliedsstaaten müssen sich in Erinnerung rufen, dass der IStGH nur dann effektiv und erfolgreich arbeiten kann, wenn seine Entscheidungen auch national umgesetzt werden. Die international eingerichteten Gerichte haben ihre Arbeit erfolgreich aufgenommen. Nun ist es an den Nationalstaaten ihnen die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen. Die Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen aus politischen Gründen muss beendet werden!

Sinthiou Estelle Buszewski

Kongo-Experte Christoph Vogel zur Situation im Kongo

 

Genocide Alert: Seit einigen Wochen machen einige hundert Rebellen der sogenannten M23 den Osten des Kongo unsicher und treiben tausende Menschen in die Flucht. Was steckt hinter M23 und welche Ziele verfolgen sie?
Christoph Vogel: M23 ist eine Bewegung, die sich aus desertierten Regierungssoldaten gebildet hat. Der Name kommt vom sogenannten Friedensabkommen vom 23. März 2009 zwischen der Regierungsarmee und der damaligen CNDP. Diese Rebellengruppe unter Laurent Nkunda hat zwischen ca. 2007 und 2009 in Nord-Kivu und teilweise auch in Süd-Kivu versucht, einen eigenen Staat im Staat zu gründen und hätte damals auch fast Goma erobert. Sie setzten sich hauptsächlich aus sogenannten „kongolesischen Tutsi“ zusammen, wie auch jetzt M23.

Das Narrativ, welches M23 für die Rebellion hauptsächlich verwendet, ist, dass das Abkommen vom 23. März nicht umgesetzt wurde. Es beinhaltet als wichtigsten Punkt die Integration der damaligen Rebellen in die Regierungsarmee, umfasst aber auch zahlreiche andere Punkte, wie zum Beispiel Dezentralisierung und mehr Eigenverantwortung für die Kivu-Region, humanitäre Bereiche, sowie zahlreiche andere Zugeständnisse, z.B. Vergabe von Posten an Leute aus dem Osten. Dazu kommt ein zweites Narrativ: Die M23 sieht sich (wie die CNDP damals) als Schutztruppe für die sogenannten „kongolesischen Tutsi“, der ruandischsprachigen Bevölkerungsteile in den Kivu-Provinzen, die sich aufgrund der Konfliktgeschichte und der verschiedenen ethnischen und politische Probleme immer wieder Verfolgungen ausgesetzt sehen. Das sind die beiden offiziellen Narrative, die man bisher erkennen kann.

In den vergangenen Tagen verdichten sich Meldungen von Informanten, dass die M23 gemeinsam mit anderen Deserteuren, verschiedenen Mayi-Mayi Milizen (Yakutumba und Nyatura), sowie Rebellengruppen in Ituri (FPRI /COGAI) und Südkivu (Raia Mutomboki) eine Allianz zu schmieden versuchen. Dies würde die Lage natürlich noch einmal erheblich verändern.
GA: Wie schätzt du mögliche Sezessions- oder Putschabsichten der M23 ein?
CV: Es gibt natürlich einerseits die Befürchtung dass die M23 als eigenständige Gruppe gewisse Territorien in den Kivus, besonders in Nord-Kivu, unter ihre Kontrolle bringen könnte. Das läuft unter der Parole „tukate nchi“ (was auf Kiswahili „Lasst uns das Land zerschneiden!“ bedeutet). Das könnte ein Hinweis sein, dass eine Art Sezession angestrebt wird. Und gleichzeitig gibt es die Gerüchte, dass Ruanda hinter der M23 Rebellion steckt.

Ich halte eine Sezession jedoch momentan für sehr unrealistisch. Im Vergleich zu der Zeit zwischen 1998 und 2003 im „Zweiten Kongokrieg“, als in einigen Regionen tatsächlich eine Art de facto Sezession für ein paar Jahre stattfand ist es mittlerweile so, dass MONUSCO (als Nachfolgemission von MONUC) eine der größten Friedensmission ist, die die UN derzeit hat. Das macht die Sache für die M23 vor Ort ist schwieriger und ich kann mir letztendlich auch nicht vorstellen, dass die führenden Köpfe der M23 eine Sezession wirklich wollen. Schließlich gehören sie zu den Leuten, die die Konflikttopographie im Osten natürlich am besten kennen und genau wissen, dass jeder Sezessionsversuch, selbst wenn er erfolgreich wäre, in neue Probleme münden würde. Das wäre dann von Anfang an ein Kleinstaat, der aus einem riesigen Flickenteppich verschiedener bewaffneter Gruppen und unterschiedlicher politischer Interessen bestehen würde, die auf sehr unterschiedlichen ethno-politischen Narrativen und ökonomischen Interessen basieren würde.
GA: Wie verhält sich Präsident Kabila in dieser Situation?
CV: Die Desertion von Bosco Ntaganda mit einigen getreuen Bataillonen und später von der Gruppe um Sultani Makenga, dem operativen Kommandanten von M23, wurde zum Teil von Kabila provoziert. Kabila hat vor einigen Monaten in Goma eine Rede gehalten, in der er indirekt Bosco Ntaganda zur persona non grata erklärt hat, die Strafverfolgung auf kongolesischer Seite oder eine Festsetzung zu befürchten hätte. Die Rede wurde auf Kiswahili gehalten und in den westlichen Medien zum Großteil falsch übersetzt, nämlich als eine unmittelbare Aufforderung zur Festnahme. Dabei hatte Kabila nur angekündigt, dass eine Verhaftung von Ntaganda jederzeit möglich sei. Das hat natürlich viel Unruhe verursacht und sich letztendlich auch auf die unmittelbare Desertion ausgewirkt. Seitdem war die Rolle der Regierung jedoch eher passiv.

Der Informationsminister hat zwar aktive Propaganda betrieben, um die M23 damit in die Ecke zu drängen. Nachdem der Verdacht aufgekommen ist, dass Ruanda eine wichtige Rolle bei M23 spielen könnte, gab es aber sehr zeitnah diplomatische Bemühungen zwischen den Außenministern der DR Kongo und Ruanda. Ansonsten ist der Präsident selbst relativ still geblieben. Die Gründe dafür kennt man nicht. Es gibt Gerüchte, wonach dies einfach seiner eigenen Führungsschwäche zuzuschreiben ist. Andere Gerüchte besagen, dass Kabila selbst mehr in die Angelegenheit involviert sein könnte als es derzeit scheint. Mitte Juli haben sich er und der ruandische Präsident Kagame am Rande des Gipfels der Afrikanischen Union in Addis Ababa für eine Stunde getroffen und über M23 gesprochen. Bisher ist jedoch nicht bekannt, was genau besprochen wurde.
GA: Bleiben wir bei Ruanda. Kürzlich wurde der Bericht der Expertengruppe der Vereinten Nationen zu der DR Kongo veröffentlicht, in dem sehr detailliert aufgeführt wird, in welcher Weise Ruanda die M23 materiell, logistisch, finanziell etc. unterstützt und damit auch gegen UN-Sanktionen verstößt. Welche Motive verfolgt Ruanda dabei?
CV: Die Berichte der UN Group of Experts gehören seit einigen Jahren mit zu den besten empirischen Quellen, die es zu der Situation in der DR Kongo gibt. Dabei ist es üblich, dass für jedes Faktum, welches im Bericht erscheint drei voneinander unabhängigen Quellen – so gibt es die Methodologie vor – bestätigt werden müssen. Für das aktuelle Addendum zum Zwischenbericht wurde die Methodologie sogar noch einmal verschärft und auf fünf unabhängige Quellen erweitert.

Dabei wurde allerdings von ruandischer Seite kritisiert, dass keinerlei ruandische Quellen befragt wurden. Zusätzlich zu den zivilgesellschaftlichen und privaten Akteuren werden auch immer Informationen aus Armee- und Geheimdienstkreisen in der DR Kongo eingeholt. Jedoch wurden dieses Mal keine Informationen auf ruandischer Seite beschafft. Das sollte man wissen, bevor man die Informationen beurteilen kann.

In Gesprächen mit Mitarbeitern an diesem Bericht durfte ich einige der Beweise, die im Anhang aufgeführt sind, mit eigenen Augen sehen und deren Richtigkeit – außerhalb des Kontextes – überprüfen, besonders hinsichtlich der Telefonanrufe und SMS. Jedoch kann man nicht aus den Telefonmitschnitten schließen, dass zwischen ruandischer Seite und M23 eine Waffenlieferung oder ähnliches beschlossen wurde. Das geben die Beweise nicht eindeutig her. Es ist aber ein offenes Geheimnis, dass bei vorangegangenen Rebellionen immer ein sehr enger Kontakt mit der ruandischen Regierung bestanden hat. Für die ehemalige CNDP beispielsweise ist das erwiesen, aber auch schon im Zweiten Kongokrieg für RCD-Goma.

Es ist kaum mehr von der Hand zu weisen, dass einige der Rekruten der M23 aus Ruanda kamen aber das heißt nicht unbedingt, dass die ruandische Regierung sie aktiv geschickt hat. Es spricht alles dafür, dass Ruanda in irgendeiner Form mitmischt, die Motive bleiben jedoch unklar und es ist bislang nicht endgültig zu beweisen, dass die Rebellion von Ruanda angezettelt wurde.

Ein interessanter Hinweis dazu ist, dass nicht nur „Tutsi“ auf Seiten der M23 sind, sondern zum Teil auch demobilisierte ehemalige-FDLR Kämpfer („Hutu-Milizen“). Das ist sozusagen eine alliance contre nature.
GA: Kommen wir noch einmal auf Bosco Ntaganda zurück. Du sagtest ja bereits, dass er eine der zentralen Rollen bei der Rebellion spielt. Kürzlich gab es ja noch einen zweiten Haftbefehl mit einer erweiterten Anklage beim IStGH gegen Ntaganda. Ntaganda ist im Ostkongo auch einer der größten Profiteure des Ressourcenhandels. Wie würdest du seine Rolle bei M23 beschreiben?
CV: Er ist mit Sicherheit eine zentrale Figur auch aufgrund der Tatsache, dass die Bedrohung Ntagandas durch Kabila letztendlich als Katalysator der Desertationen wirkte. Derzeit sieht es jedoch so aus, dass Ntaganda operativ nur wenig mit M23 zu tun hat. Nach seiner Desertation wurde er zuletzt auf seiner Farm in Masisi gesehen, westlich von Goma, während das eigentliche M23-Stammgebiet ja eher um Rutshuru bzw. Bunagana nordöstlich von Goma liegt. Seit diesem Zeitpunkt ist er aber verschollen. Es gibt Gerüchte, wonach Ntaganda aktives Mitglied von M23 ist, es gibt aber auch solche, die besagen, dass es zwischen den Anhängern von Makenga und denen von Ntaganda interne Streitigkeiten gegeben hat. Man vermutet dennoch, dass Ntaganda von M23 gedeckt wird, allerdings nicht notwendigerweise ein Teil der Rebellion ist.

Vielleicht noch einen kurzen Kommentar zum Haftbefehl, der zu einem absolut brandaktuellen Zeitpunkt kommt. Dabei muss man jedoch beachten, dass sowohl der erste als auch der zweite Haftbefehl sich auf Verbrechen beziehen, die vor dem Ausbruch der M23 Rebellion begangen wurden. Die Anklage ist also nicht direkt auf das bezogen, was aktuell passiert.
GA: Kommen wir nochmal auf den Expertenbericht der Vereinten Nationen zu sprechen, der ja deutlich macht, dass die M23 schwerpunktmäßig im Grenzgebiet DR Kongo/Ruanda/Uganda aktiv ist. Nun hat die M23 einen Marsch auf Goma angekündigt. Was macht deiner Meinung nach die Brisanz dieser Ankündigung aus?
CV: Der Marsch wurde ja bereits mehrfach angekündigt und fast noch häufiger dementiert. Die militärische Führung um Makenga und sein offizieller Sprecher Kazarama haben gesagt, dass M23 nicht auf Goma marschieren wird. Die letzte öffentliche Ankündigung eines Marsches auf Goma kam vom neu ernannten politischen Sprecher, Bischof Runiga, der auch schon damals für die CNDP eine Sprecherfunktion hatte und interessanterweise auch der Schwiegervater von Laurent Nkunda ist.

Was einen Marsch auf Goma betrifft, sollte man beachten, dass die M23 erst vor zwei Wochen zum ersten Mal aktiv Territorien eingenommen hat, nachdem sie bis zu diesem Zeitpunkt die kongolesischen Streitkräfte nur defensiv bekämpft hat. Bunagana und Rutshuru wurden eingenommen und die M23 sind bis vor Kiwanja und Rumangabo in Richtung Goma vormarschiert. Diese Positionen wurden aber sehr schnell wieder aufgegeben, offiziell zumindest. Inoffiziell haben dann Polizeieinheiten, die eher M23 Sympathisanten sind, diese Gebiete wieder übernommen, bevor dann letztendlich die kongolesische Regierung teilweise mit Unterstützung der MONUSCO wieder Boden gut machen konnte. Diese Taktik zeigt, dass die M23 im Moment zwar operativ zwar sehr gut aufgestellt ist – besonders hinsichtlich der Ausstattung mit Waffen und der Fähigkeiten ihrer Streitkräfte – allerdings dürfte es aufgrund der wenigen Kombattanten militärisch für die M23 derzeit nicht möglich sein, Goma einzunehmen, vor dem Hintergrund, dass die kongolesische Regierung mit ihrem Partner, der MONUSCO, ziemlich viele Streitkräfte und auch teilweise schweres Gerät zusammengezogen haben. Trotz der rhetorischen Ankündigungen ist es daher meiner Meinung nach sehr unwahrscheinlich, dass die M23 in den nächsten Tagen oder Wochen auf Goma marschieren wird, es sei denn es würde tatsächlich noch eine Hetzjagd gegen ruandophone Bürger in Goma geben. Das würde die Sachlage noch einmal verändern. In der letzten Woche gab es schon derartige Zwischenfälle.
GA: Was waren das für Zwischenfälle?

CV: Es handelte sich dabei um eine Art Motorradfahrer-Gang, deren Mitglieder in verschiedenen Teilen der Stadt und insbesondere an der Universität von Goma gezielt ruandophone und vor allem junge Männer gestellt und in ihnen vorgeworfen haben, Kollaborateure und Sympathisanten der M23 zu sein. Auf der Basis von sprachlichen und unter Umständen auch physiognomischen Merkmalen wurden die jungen Männer dann in die Mangel genommen, durch die Stadt gehetzt. Einige Ruander bzw. ruandophone Kongolesen mussten über die Grenze nach Ruanda flüchten. Hierzu gibt es einen Bericht des POLE Instituts, man weiß aber nicht genau, wer die Angreifer waren. Höchstwahrscheinlich Kongolesen die die ruandischsprachige Bevölkerung als Bedrohung verstehen oder von einflussreichen Individuen angestiftet wurden. Es gibt aber natürlich auch das Gegengerücht, wonach die ruandophon-kongolesische oder sogar die ruandische Seite selbst die Übergriffe angezettelt haben, um die politische Notwendigkeit zu schaffen, unter Umständen doch in Goma einzumarschieren. Wie so vieles in diesem Kontext ist das nur sehr schwer zu auseinanderzuhalten.
GA: Die Vereinten Nationen befürchten eine Eskalation des Konflikts. In der letzten Woche haben Einheiten der MONUSCO sogar Angriffe auf die Rebellen mit Hubschraubern rund um Goma geflogen. Wie schätzt du die Möglichkeiten externer Einflussnahme ein, um die Zivilbevölkerung zu schützen und den Konflikt womöglich zu beruhigen?

CV: Grundsätzlich gibt es natürlich immer die Möglichkeit, diplomatisch oder militärisch zu versuchen den Konflikt zu lösen. Um mit der diplomatischen Seite zu beginnen: Es gab am 11. Juli ein Sondertreffen der Internationalen Konferenz der Region der Großen Seen auf Außenministerebene um über den Konflikt zu sprechen. Daraus ging eine Erklärung hervor, die unter anderem die Errichtung einer zusätzlichen internationalen neutralen Schutztruppe für die Grenzregion vorsieht und gleichzeitig die Absichtserklärung enthält, positiv auf den Konflikt einwirken zu wollen, um M23 und FDLR zu isolieren und zu eliminieren.

Die Staats- und Regierungschefs der Afrikanischen Union, die ein paar Tage später in Addis Ababa getagt haben, haben diese Erklärung größtenteils mitgetragen. Das sind vielversprechende Zeichen.

Es hat sich in den letzten Jahren aber auch oft gezeigt, dass Ruanda relativ unempfindlich gegenüber der afrikanischen peer pressure ist. Der Erfolg solch diplomatischer Maßnahmen ist daher skeptisch zu betrachten, obwohl es positiv zu werten ist, dass Kongolesen und Ruander sich regelmäßig an einen Tisch setzen und sich unterhalten. Das war auch schon einmal anders.

Auf internationaler Ebene ist es seit Veröffentlichung des Berichts schwierig, weil sich Ruanda sehr in die Enge gedrängt fühlt und letztendlich derzeit auch auf UN-Ebene kaum Diskussionsbereitschaft zeigt. Die kongolesische Regierung hat nach den Vorwürfen bzgl. der Wahlen im letzten Jahr viel Kredit verspielt und zahlreiche internationale Partner vor allem aus Europa und Nordamerika scheinen ein wenig die Lust verloren zu haben, auf der kongolesischen Seite allzu sehr unterstützend tätig zu sein.

Zu den militärischen Optionen ist zu sagen, dass die UN-Mission natürlich angesichts des großen Territoriums und dessen Topographie extreme Schwierigkeiten hat, das Mandat zu erfüllen. Die Hauptaufgabe der UN – der Schutz der Zivilbevölkerung – kann trotz aller Anstrengungen, womöglich auch zum Teil aufgrund von Fehlwahrnehmungen, leider nicht erfüllt werden. Dazu kommt, dass die UN-Mission nach zahlreichen Kollaborationen mit der kongolesischen Regierungsarmee schon seit langem nicht mehr als neutrale, friedensstiftende Kraft perzipiert wird, sondern als Konfliktpartei, die an der Seite der kongolesischen Armee kämpft. Letztere ist in etwa für ähnlich viele Menschenrechtsverletzungen verantwortlich wie die verschiedenen Rebellengruppen. Neben der mangelnden operativen Kapazität schwächt das natürlich auch die Legitimität der Mission. Das wurde Mitte Juli infolge der Helikopterangriffe auf M23 – bei denen anscheinend auch Zivilisten ums Leben gekommen sind – wiederum deutlich.

Was die mögliche Einrichtung einer regionalen Friedenstruppe, falls sie denn zustande kommen sollte, angeht, wird entscheidend sein, welche Staaten beteiligt wären, wie das Mandat ausgestaltet würde und inwiefern die Truppe als legitime Schlichtungseinheit wahrgenommen würde oder nicht.
GA: Siehst du eine aktive Rolle, die Deutschland in dem Fall spielen könnte?
CV: Deutschland ist sicher nicht in der schlechtesten Position, sich gerade hier verstärkt diplomatisch zu engagieren. Es hat als aktives Partnerland sowohl auf kongolesischer als auch auf ruandischer Seite eine solide Position, um möglicherweise als honest broker tätig zu sein – besonders im Vergleich zu Frankreich oder Belgien, die eine ganz andere Geschichte mit den betreffenden Staaten verbindet.

Ich sehe jedoch im Moment auf deutscher Seite nicht das politische Interesse sich verstärkt diplomatisch einzubringen, obwohl es wünschenswert wäre, dass gerade aufgrund der taktisch guten Position Deutschlands, mehr unternommen würde, um auf den Konflikt einzuwirken. Allerdings hat man in den bisherigen Konflikten zumeist beobachten können, dass im Endeffekt die USA oder eben Belgien und Frankreich und regionale Partner stärker engagiert waren als Deutschland.
GA: Herzlichen Dank, Christoph.

Die große Chance und Gefahr der Wahlen in der DRC – verkannt von internationalen und nationalen Akteuren

“This election in Congo is the ultimate test. Is Congo on course to consolidate its fledgling democracy or return to a state of widespread instability, insecurity and violence?“

Mit dieser Einschätzung ist Thierry Vircoulon, der Zentralafrika-Direktor der International Crisis Group nicht alleine. Der gewaltlose Ablauf der zweiten Präsidentschaftswahlen seit dem Ende der Diktatur von Mobutu Sese Seko nächsten Sonntag in der DR Kongo ist unbedingt notwendig, gerade weil die Gefahr eines Abgleitens in bürgerkriegsähnliche Zustände in der instabilen DR Kongo so hoch ist. Die internationale Gemeinschaft und die zentralen politischen Akteure im Kongo ignorieren diese Gefahr und vergeben damit die Chance, die hoffnungsvollen Entwicklungen in der DR Kongo durch eine faire, freie Stimmabgabe zu fördern.

Die internationale Gemeinschaft fährt Finanzierung und Unterstützung durch Wahlbeobachter zurück
Die internationale Gemeinschaft stellt etwa 500 Wahlbeobachter, das sind 1500 weniger als bei der Wahl 2006. Die Vereinten Nationen setzen neben den 20.000 in der DR Kongo stationierten MONUSCO Soldaten keine zusätzlichen Wahlbeobachter ein. Bei den Wahlen 2006 haben die VN hingegen 2250 Wahlbeobachter gestellt. Auch die Europäische Union hat ihre Wahlbeobachter von 300 auf 150 reduziert. 2006 hat die EU 80% der Kosten der Wahlen getragen, während sie 2011 nur ein Viertel der Kosten beiträgt.

Radikalisierung der Anhänger
Die Gewalt in der DR Kongo hat in den vergangen Monaten stetig zugenommen. Es kommt zu Zusammenstößen zwischen gewaltbereiten und gut ausgebildeten Jugendlichen, die von den politischen Parteien mobilisiert und organisiert werden ebenso wie zu Überfällen auf Journalisten, Oppositionellen und Parteizentralen. Militär und Polizei schüchtern Regierungskritiker und Oppositionelle ein.

Polarisierendes Gebären der politischen Akteure
Die Kandidaten machen mit radikalisierenden Aussagen auf sich aufmerksam. Etienne Tshisekedi hat sich in einem Interview am 6. November bereits selbst zum neuen Präsidenten ernannt. Seiner Ansicht nach ist ein regulärer Wahlsieg Kabilas (ohne Wahlbetrug) nicht möglich. Auf ähnliche Weise radikalisieren andere Kandidaten ihre Anhänger, anstatt sie auf die Möglichkeit einer Wahlniederlage vorzubereiten.

Schwierigkeiten bei der Organisation
Die Wahldurchführung und -organisation bei 32 Millionen Wahlberechtigten in 64 000 Wahllokalen bedeutet einen sehr hohen logistischen Aufwand. Bis heute ist unklar, ob die Wahlkommission CENI am selben Tag die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ordnungsgemäß und fair durchführen kann. Die Registrierung der Wähler wurde erst ein halbes Jahr später als geplant, im Juli 2011, beendet. Die Registrierung durch die CENI war vom Vorwurf von Unregelmäßigkeiten und Doppelregistrierung begleitet.

Keine Gewährleistung des notwendigen Schutzes für die Zivilbevölkerung durch Internationale Akteure

Bereits im Oktober hatte der Leiter der MONSCO Blauhelmmission Roger Meece in Berlin darauf hingewiesen, dass bei einer drohenden Eskalation der Gewalt der Schutz der kongolesischen Zivilbevölkerung nicht gewährleistet ist. Es ist daher dringend geboten, dass sich die internationale Gemeinschaft auf dieses Szenario vorbereitet, um schnelle Hilfsmaßnahmen einleiten zu können.

Es bleibt zu hoffen, dass – trotz des zurückgefahrenen Engagements der internationalen Gemeinschaft, der unverantwortlichen und polarisierenden Äußerungen der politischen Eliten und der gewaltbereiten Anhänger politischer Parteien, des Militärs und der Polizei, sowie des (immensen) logistischen Aufwands – sich eine friedliche Mehrheit der Kongolesen und Kongolesinnen  durchsetzt und politische Vertreter wählt, die sich für ihr Wohl und eine demokratische Zukunft des Landes einsetzen.

 

Von Carla Schraml

„Die Demokratische Republik Kongo stabilisieren“

Ein Kommentar zum interfraktionellen Antrag des Deutschen Bundestags, vgl. Drucksache 17/6448 vom 06.07.2011

von Christoph Vogel, Johanna Schmidt und Sven Scheid

Genocide Alert begrüßt den interfraktionellen Antrag und das Engagement der einzelnen Abgeordneten ausdrücklich. Dennoch kann dies nur ein erster Schritt hin zu einer deutschen Kongopolitik sein, die über die bisherigen Aktivitäten hinausgeht. Dabei erkennt Genocide Alert drei Schwerpunktbereiche:

  1. Genocide Alert befürwortet allgemein einen stärker multilateral ausgerichteten Ansatz derUnterstützung für die DR Kongo, zum Beispiel durch eine stärkere Beteiligung am multilateralen Pooled Fund der Vereinten Nationen für den Kongo. Wünschenswert sind ebenso mehr Harmonisierung und Koordinierung der Maßnahmen auf europäischer Ebene, z.B. bei der Reform des Sicherheitssektors.
  2. Durch mehr finanzielle Unterstützung des Internationalen Strafgerichtshofs könnte dieser seine Kapazitäten für die DR Kongo deutlich steigern und weitere Prozesse gegen Menschenrechts- und Kriegsverbrechen im Kongo anstreben. Damit würde man sich dem Vorwurf der Selektivität der Anklagen erwehren. Gesteigerte internationale Unterstützung des IStGH ist ein Beitrag zu mehr Gerechtigkeit und könnte die Legitimität dieser Institution stärken.
  3. Eine verbesserte finanzielle, materielle und personelle Ausstattung würde es der MONUSCO erlauben, unabhängiger von der FARDC zu operieren und den Schutz vonZivilisten wieder verstärkt in den Mittelpunkt zu rücken.

Für den detaillierten Kommentar, bitte laden Sie die folgende PDF Datei:  Kommentar von Genocide Alert zum interfraktionellen Antrag zur Demokratischen Republik Kongo lesen.

Offener Brief an MdBs: Demokratische Republik Kongo: Was unternimmt Deutschland zur Unterstützung von Sicherheit und Stabilität im Vorfeld der Wahlen 2011?

Anlässlich der Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo am 28. November 2011 versendete Genocide Alert am 08. September 2011 einen offenen Brief an alle Bundestagsfraktionen und ausgewählte Bundestagsabgeordnete, um eine Unterstützung eines sicheren Urnenganges im November zu fordern.

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Osten der Demokratischen Republik Kongo gehört zu einer der gefährlichsten Regionen weltweit. Besonders in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu beherrschen zahlreiche gewaltbereite, bewaffnete Rebellengruppen das Territorium. Trotz Unterstützung der UN-Blauhelmmission (MONUSCO) ist die dortige Armee nur begrenzt in der Lage, für die Sicherheit der Zivilbevölkerung zu sorgen. Plünderungen, Entführungen, Morde und Massenvergewaltigungen gehören seit über einem Jahrzehnt zum grausamen Alltag im Osten des Landes. Wie bewaffnete Auseinandersetzungen bei den Wahlen im Jahr 2006 und die gewaltsame Unterdrückung der Proteste gegen angebliche Manipulationen der Wählerregistrierung vor der Wahlkommission in Kinshasa zeigen, stellen die für den 28. November diesen Jahres anberaumten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ein weiteres Sicherheitsrisiko dar.

Vor diesem Hintergrund fordern wir Sie auf, einen freien und sicheren Urnengang im November 2011 im Kongo zu unterstützen und dadurch einen Beitrag zur Stabilisierung des Landes zu leisten.

Auf eine Entsendung von EUFOR Truppen wird bei dieser Wahl verzichtet, obwohl der Einsatz im Juli 2006 erfolgreich verlief. Umso wichtiger erscheint es, dass Deutschland sich für eine weitreichende und engagierte Überwachung und Begleitung der Wahlen durch die MONUSCO, die EU, die kongolesischen Parteien und die kongolesische Zivilgesellschaft einsetzt.

Von der Europäischen Union wurden 47 Millionen Euro für die Wahlbeobachtung freigegeben. Die Bedingungen für die Entsendung eines Wahlbeobachterteams vor Ort werden eruiert. Das Auftreten von Gewalt Anfang Juli zeigt die unbedingte Notwendigkeit, dass von Seiten der EU, MONUSCO und von Seiten der kongolesischen Parteien und der Zivilgesellschaft Transparenz über den Ablauf der Wahlen hergestellt wird.

Konkret fordert Genocide Alert:

  • Die Entsendung europäischer Wahlbeobachter und den Einsatz und das Training ziviler Wahlbeobachter sicherzustellen, um zu vermeiden, dass eine unfaire und unfreie Wahl durch fehlende Transparenz ermöglicht wird.
  • Die Implementierung eines Code of Conduct zu fordern, der die Parteien dazu verpflichtet, politische Freiheiten einzuhalten, auf Hassreden zu verzichten und die Wahlergebnisse allein durch legale Mittel anzufechten und von Vergeltungsmaßnahmen nach den Wahlen abzusehen. Diese Selbstverpflichtung soll im Rahmen einer öffentlichen Zeremonie von den politischen Parteien unterschrieben werden.
  • Ein Komitee zu schaffen, welches die Einhaltung des Code of Conduct überwacht. Dieses Komitee sollte aus Vertretern der Zivilgesellschaft, der politischen Parteien, diplomatischen Vertretern und der MONUSCO zusammengesetzt sein. Das Komitee überwacht und berichtet über den Ablauf der Wahlen.

Aufgrund der Entscheidung, keine EUFOR Truppen zu entsenden und der noch nicht definierten Aufgaben der europäischen Wahlbeobachtungskommission kommt der MONUSCO eine bedeutende Rolle zu. Der UNO-Sicherheitsrat hat mit der Verlängerung des MONUSCO-Mandats bis zum 30. Juni 2012 auch entschieden, dass MONUSCO die Wahlen technisch und logistisch unterstützen wird. Das allein wird aber nicht ausreichen.

Konkret fordert Genocide Alert:

  • MONUSCO personell und materiell aufzustocken, so dass der Schutz von Zivilisten substantiell verbessert werden kann. Dazu gehören auch die Dokumentation und Verfolgung schwerer Menschenrechtsverletzungen besonders im Osten des Landes.
  • Die weitreichende Unterstützung legitimer Sicherheitsmaßnahmen der kongolesischen Autoritäten durch die MONUSCO.
  • Ein verstärktes Engagement der MONUSCO sowohl vor als auch nach den Wahlen für eine Reform des Sicherheitssektors und der Rekrutierung und Ausbildung der kongolesischen Armee.

Wir würden uns über eine Stellungnahme Ihrerseits freuen und verbleiben bis dahin mit freundlichen Grüßen,

Robert Schütte, Vorsitzender Genocide Alert e.V.

Johanna Schmidt, Projektkoordinatorin, DR Kongo