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Hoffnungszeichen und Risiken im Sudan nach Monaten des zivilen Aufstandes und dem Sturz Omar al-Bashirs

Der Sudan befindet sich nach der Absetzung von Omar al-Bashir am 11. April 2019 in einem grundlegenden Umbruch. Al-Bashir, der vom International Strafgerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in Darfur gesucht wird, war einer der am längsten herrschenden Führer Afrikas. Sein Sturz wurde durch eine anhaltende und vor allem friedliche Kampagne einer vielfältigen und überraschen d gut organisierten Protestbewegung ausgelöst. Ein friedlicher Übergang zu einer inklusiveren, zivil geführten und mittelfristig auch demokratisch legitimierten Führung schien gelingen zu können. Doch im Juni wurde dieser Übergangsprozess zunächst gewaltsam gestoppt – über 100 Menschen wurden von einer Regierungsmiliz getötet, dutzende vergewaltigt, hunderte verletzt. Die Anfang Juli erzielte Einigung zwischen der Militärjunta und der Oppositionsbewegung schafft neue Hoffnung, ist aber auch mit Risiken behaftet. Teile des zersplitterten Sicherheitsapparats scheinen wenig Interesse an wirklichen Veränderungen zu haben und viele Oppositionelle misstrauen den Militärs.

Beitrag von Gregor Hofmann

Die Proteste und der Sturz Omar al-Bashirs

Im Dezember 2018 gingen hunderte Menschen im Zentrum von Atbara auf die Straße. Sie protestierten gegen die Verdreifachung der Brotpreise durch die Regierung und gegen die schlechte wirtschaftliche Lage: Im Land herrscht schon seit langem eine Wirtschaftskrise, die Inflation ist hoch. Die Proteste breiteten sich auf Khartum und andere Städte aus, Demonstrantinnen und Demonstranten forderten Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit.

Im Laufe der Proteste kam es immer wieder zu Zusammenstößen mit der Polizei, Verhaftungen und die Verhängung martialischer Strafen durch Sondergerichte. Die Demonstrationen gingen jedoch weiter. Im Januar 2019 schlossen sich verschiedene Oppositions-, Protest- und auch Rebellen-Gruppen zur Alliance for Freedom and Change zusammen und veröffentlichten die Declaration of Freedom and Change, in der der Rücktritt Bashirs und des Regimes und eine Demokratisierung des Landes unter einer zivilen Regierung gefordert wurde.

Letztendlich führten die anhaltenden Proteste zum Sturz von Omar al-Bashir: Einige Tage nachdem in Algerien der langjährige Präsident Abdelaziz Bouteflika von Demonstranten zum Abtritt gezwungen wurde, rief die Sudanese Professionals Association, ein Dachverband verschiedener inoffizieller Berufsverbände und Gewerkschaften, zu einem Marsch auf das Militärhauptquartier in Khartum auf. Am 6. April 2019 demonstrierten dann Hundertausende in der Hauptstadt und forderten die Militärangehörigen auf, sich ihnen anzuschließen. An den Protesten waren Vertreter nahezu aller Volksgruppen, jeden Alters, aller Klassen und Geschlechter beteiligt. Daraus entwickelt sich ein ausgedehntes Sit-In: Ein Lager wurde vor dem Militärhauptquartier errichtet. Die Menschen suchten immer kreativere Ausdruckformen für ihren Protest und versorgten sich gegenseitig mit dem Notwendigsten.

Die Polizei versuchte, die Demonstrierenden mit Tränengas und Schüssen aufzuhalten. Teile des Militärs, vor allem niedrigere Ränge, stellten sich jedoch auf Seiten der Protestbewegung und verteidigten sie. Am 11. April schließlich, am sechsten Tag des Protestamps, wurde al-Bashir gestürzt und vom Militär unter Hausarrest gestellt. Staatliche Medien kündigen an, dass alle verhafteten Protestierenden freigelassen werden. Ein Übergangs-Militärrat, der Transitional Military Council, verkündet eine zweijährige Übergangsphase unter Führung des Militärs, nahm auf öffentlichem Druck hin jedoch kurz darauf auch Verhandlungen mit der Protestbewegung auf. Diese wurden allerdings immer wieder unterbrochen.

Mitte Mai 2019 schienen sich der Übergangsmilitärrat und die oppositionelle Alliance for Freedom and Change auf einen Übergangsplan geeinigt zu haben: Nach einer dreijährigen Übergangsphase unter einem mit Militärs und Zivilisten besetzten Rat, sollten freie Wahlen abgehalten werden.

Das Massaker vom 3. Juni

Was danach geschah, ist nicht ganz klar. Nach verschiedenen Berichten waren Teile des Militärrates mit dem vorläufigen Deal unzufrieden, da sie befürchteten, zu viel Macht abtreten zu müssen. Dies galt insbesondere für die sogenannten Rapid Support Forces (RSF) und ihren Anführer, Mohamed Hamdan Dagalo („Hemedti „).

Hemedti ist offiziell der stellvertretende Vorsitzende des Übergangsmilitär-Rates, dem Abdel Fattah al-Burhan, der Inspektor der Streitkräfte, vorsteht. Für viele gilt Hemedti aber de facto als der eigentliche starke Mann. Hemedtis Rapid Support Forces sind eine paramilitärische Einheit, die hauptsächlich gegen Aufständische eingesetzt wird und vor allem aus ehemaligen Mitgliedern der Janjaweed-Miliz besteht, denen bereits während des Darfur-Konflikts schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen wurden. In den letzten Jahren hatte Bashir die RSF stark unterstützt, um andere Elemente des Sicherheitsapparates auszubalancieren. Die RSF gewann auch an Einfluss, da sie die Goldproduktion im Norden der sudanesischen Region Darfur kontrollieren. Außerdem sind sie in die Grenzsicherung eingebunden und haben Kämpfer in den Jemen entsandt, die dort für Saudi Arabien kämpfen.

Spannungen zwischen Sicherheitskräften – insbesondere der RSF – und den Protestierenden waren immer präsent. Am 3. Juni aber verübte die RSF ein Massaker bei der Räumung des seit nunmehr zwei Monaten existierenden Protestcamps vor dem Militärhauptquartier: Über hundert Menschen wurden getötet, mindestens 70 vergewaltigt und Hunderte verletzt. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Auch Zelte, in denen Protestierende schliefen, wurden angezündet. Die Sicherheitskräfte schossen sogar in medizinischen Einrichtungen auf Protestierende. Leichen wurden anschließend im Nil entsorgt, um das Ausmaß zu verdecken. Das Vorgehen erinnerte an das frühere Vorgehen der Janjaweed gegen vermeintliche Rebellendörfer in Darfur.

Ziviler Ungehorsam als Reaktion auf die Gewalt

Das brutale Vorgehen hatte nicht die gewünschte Wirkung: Die Protestbewegung fühlte sich an die Niederschlagung der Proteste in Ägypten nach dem Sturz Mursis im Jahr 2013 erinnert und wollte verhindern, dass dem Sudan ähnliches wiederfährt. So kam es statt zu einem Abflammen der Proteste zu einem mehrtägigen Generalstreik ab dem 9. Juni und einer landesweiten Kampagne zivilen Ungehorsams.

Dieser Druck und anhaltende Proteste zeigten Wirkung: Nach verschiedenen Mediationsversuchen durch Äthiopien und die Afrikanische Union im Laufe des Junis, zeigte sich der Militär-Übergangsrat verhandlungsbereit und begann damit, festgenommene Protestierende freizulassen.

Am Donnerstag, dem 4. Juli 2019, einigten sich das Militär und die Alliance for Freedom and Change schließlich auf eine von der Afrikanischen Union und Äthiopien vermittelte Übergangslösung: Nach eine dreijährigen Übergangszeit sollen Wahlen abgehalten werden. Bis dahin soll ein „Oberster Rat“ das Land führen. Er soll auf jeweils fünf Zivilisten und fünf Militärs sowie einem Vorsitzenden bestehen. Der Vorsitz wechselt zwischen beiden Seiten. Mitte Juli wurde ein erster Teil eines Abkommens unterzeichnet: In den ersten 21 Monaten soll dem Obersten Rat ein Militärvertreter vorstehen, in den folgenden 18 Monaten dann ein Mitglied der Alliance for Freedom and Change. Außerdem soll eine Expertenregierung gebildet werden. Das Militär versprach zudem umfangreiche und unabhängige Untersuchungen der Gewalt gegen Zivilisten – wogegen es sich bislang gesträubt hatte.

Aber viele umstrittene Punkte sind noch nicht geklärt, darunter die Frage, wieviel gesetzgeberischer Einfluss und Exekutivgewalt dem Militär zukommen soll sowie ob Militärangehörigen Immunität von der Strafverfolgung wegen der Ermordung von Demonstranten gewährt werden soll. Rebellengruppen aus Darfur, Blue Nile und Südk-Kordofan sind skeptisch gegenüber dem Übereinkommen, da sie seit Jahren mit dem Militär und insbesondere den RSF in bewaffnetem Konflikt stehen und die sudanesischen Sicherheitskräfte bislang wenig Rücksicht auf die Bevölkerung genommen haben. Auch andere Teile der Oppositionsbewegung beklagen zu viele Zugeständnisse an die Militärs.

Weiterer Übergang mit großen Risiken behaftet

Doch Kommentatoren argwöhnen unter Verweis auf die im Mai erzielte Einigung und das darauf folgende gewaltsame Vorgehen der RSF gegen die Protestierenden Anfang Juni, dass Stabilität und ein sicherer Weg in Richtung Demokratie und einer zivilen Regierung keineswegs  garantiert seien. Da der Führer der RSF, Hemedti, weiterhin als die wahre Machtperson im Militärrat gesehen wird, sind Zweifel angebracht, ob es letztendlich wirklich zu einer Aufklärung der Gewalt und einer demokratischen Transition kommt. Ähnlich wie al-Bashir zuvor, hat Hemedti hat sicher kein Interesse daran, sich einer zivilen Regierung zu unterwerfen, sein Vorgehen zum Gegenstand von Ermittlungen zu machen und seine Miliz in die Armee zu integrieren.

Es besteht weiterhin die Gefahr, dass ein Teil der Sicherheitskräfte, insbesondere Hemedtis RSF, den friedlichen Übergang blockieren. Der Sicherheitssektor im Sudan ist schließlich kein einheitlicher Akteur: Bashir hatte die sudanesische Armee gezielt geschwächt und Sicherheitsaufgaben allmählich an eine dysfunktionale Gruppe von staatlich unterstützten Milizen und Paramilitärs ausgelagert, um einem koordinierten Putsch gegen sich auszuschließen. Es gibt acht konkurrierende Sicherheitsdienste: Das Militär, die Polizei und-Geheimdienstbehörde, sowie sechs Milizen; eine davon sind die Rapid Support Forces.

Experten wie Alex de Waal sehen in Hemedti und den RSF weiterhin die wirklichen Machthaber im Sudan, trotz der Einigung zwischen Militär und Protestbewegung: Die RSF als Hybrid aus ethnischer Miliz, Wirtschaftsunternehmen und transnationaler Söldnertruppe, scheine nun den Staat erobert zu haben. Die RSF kontrolliert seit Ende 2017 die Goldproduktion im Norden Darfurs. Als Bashir im April gestürzt wurde, sei Hemedti einer der reichsten Männer im Sudan gewesen, mit einem engen Netz an Beziehungen. Er habe daher beste Voraussetzungen, um nach der Macht zu greifen.

Laut der International Crisis Group, würden zwar inzwischen viele im sudanesischen Offizierskorps ihr Schicksal eher der Oppositionselite Khartums anvertrauen als Hemedti, den sie als räuberischen Provinzkriegsherrn betrachten und dem es nicht nur an Legitimität, sondern offenbar auch an einer politischen Unterstützerbasis fehlt, um allein zu regieren. Auch hat sich Hemedti nach Einschätzung von Journalisten vor Ort als offizieller Führer der Junta verbrannt, da er spätestens seit dem gewaltsamen Vorgehen gegen die Demonstrantinnen und Demonstranten Anfang Juni international wohl kaum als akzeptabler Gesprächspartner gelten würde. Trotzdem besteht die Gefahr, dass Hemedti den Weg der Gewalt einschlägt, um seine Pfründe zu schützen.

Das instabile Umfeld der aktuellen Geschehnisse im Sudan

Der Sudan liegt schließlich nicht nur an einem zentralen geostrategischen Ort auf dem afrikanischen Kontinent: Er bildet die zentrale Brücke zwischen dem Horn von Afrika und Nordafrika sowie zwischen Nord- und Subsahara-Afrika. Sudan ist auch ein sehr fragiler Staat, in einer instabilen Region. Im benachbarten, seit 2011 unabhängigen, Südsudan schwelt weiterhin der seit 2013 andauernde Bürgerkrieg. Mit Tschad befindet sich der Sudan in einem Rivalitätsverhältnis. Im Jemen, an der Sudan gegenüberliegenden Seite des Roten Meers, herrscht Krieg, in welchem auch sudanesische Soldaten – insbesondere die Rapid Support Forces – als Söldner für Saudi-Arabien kämpfen. In der zentralafrikanischen Republik existiert allenfalls schwache Staatlichkeit. In Libyen kämpfen verschiedene Parteien um die Vorherrschaft im Land – auch dort sollen Hemedtis RSF aktiv sein.

Karte Sudan (Quelle: Open Street Maps)

Karte Sudan (Quelle: Open Street Maps)

Auch der Sudan ist ein instabiler Staat: Während seiner 30-jährigen Regierungszeit haben Bashir und andere Regierungsbeamte  zunächst im bis zum Jahr 2005 andauernden Bürgerkrieg Kriegsverbrechen und anschließend dann Verbrechen gegen die Menschlichkeit, bis hin zum Völkermord an Zivilisten in den Regionen Süd-Kordofan, Blue Nile und Darfur begangen. Diese Konflikte sind nach einer Vermittlung durch die Afrikanische Union seit 2016 zwar ein wenig beruhigt, zu einer endgültigen Einstellung der Feindseligkeiten ist es insbesondere in Süd-Kordofan und Blue Nile jedoch nicht gekommen.

Seit 2007 ist in Darfur außerdem die gemeinsame Mission der UN und der Afrikanischen Union UNAMID in Darfur stationiert, um die Lage zu beruhigen. Die Truppen sollen in erster Linie für den Schutz von Zivilisten sorgen, was ihnen aber kaum gelingt. Im Juli 2018 hatte der Sicherheitsrat ursprünglich beschlossen, UNAMID im Juni 2020 zu beenden und das internationale Engagement in eine zivile Stabilisierungsmission umzuwandeln, während sudanesische Sicherheitskräfte die Ordnungsmacht übernehmen sollen. Menschenrechtsorganisationen und auch der stellvertretende UN-Generalsekretär für Menschenrechte, Andrew Gilmour, berichteten jedoch im Juni 2019, dass es auch in Darfur eine Zunahme der Menschenrechtsverletzungen und Angriffe auf Protestierende gegeben habe. Ende Juni 2019 beschloss der UN Sicherheitsrat daher, den Einsatz von Blauhelmen der Vereinten Nationen in der Region Darfur vorerst fortzusetzen und die Truppenstärke nicht weiter zu reduzieren.

Die Bedeutung externer Akteure

Die mächtigsten Unterstützer der derzeitigen Militär-Junta in Sudan finden sich außerhalb des Sudans – in Kairo, Riyadh und Abu Dhabi. Die Saudis und Emiratis heißen insbesondere Hemedti gut, da seine Rapid Support Forces im Jemen-Krieg als Söldner für Saudi-Arabien kämpfen. Nach dem Sturz Bashirs sagten Ägypten, Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) dem Militärübergangsrat drei Milliarden Euro an Hilfe zu, um sich ihren Einfluss zu sichern. Besonders Saudi Arabien und die VAE scheinen zudem nicht allzu unglücklich über den Sturz ihres alten Verbündeten Omar al-Bashir zu sein, da dieser sich in deren Streit mit Katar im vergangenen Jahr nicht entschieden auf ihre Seite stellte. Die Golfstaaten und Ägypten vertrauen darauf, dass die Generäle den Sudan in einem geordneten Übergang  zu einem, ihnen wohlgesonnenen, Regime führen. Für sie gilt es, ein unangenehmes Zwischenspiel wie in Ägypten zu vermeiden. Also Wahlen, die eine ihnen skeptisch gegenüber eingestellte Regierung hervorbringen könnten.

Und das wäre in der Tat nicht ausgeschlossen: Bei den Demonstrationen wurde schon der Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Saudi Arabien gefordert. Auch die Tatsache, dass das Durchgreifen gegen das Protestcamp in Karthum Anfang Juni kurz nach den ersten Staatsbesuchen der sudanesischen Militär-Führer am 23. Mai in Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten geschah, nährte den Verdacht der Demonstrierenden, dass diese den sudanesischen Militärs signalisiert hätten, dass sie auch den Weg der Gewalt statt den des Kompromisses mittragen würden.

Laut der International Crisis Group gibt es aber inzwischen Anzeichen dafür, dass Saudi Arabien und die anderen Unterstützer aus dem Golf ihre Position angesichts der internationalen Verurteilung der Angriffe auf unbewaffnete Demonstranten abgeschwächt haben. Am 5. Juni äußerte Saudi-Arabien öffentlich „große Besorgnis“ über den Verlust von Menschenleben im Sudan und forderte eine Wiederaufnahme des Dialogs. Dieser Kritik durch Saudi Arabien scheint auch auf Druck der USA zurückzuführen sein, die drauf drängen, dem Willen der Protestierenden zu folgen und einen Übergang zu einer zivil geführten Regierung einzuleiten. Saudi Arabien scheint aber offensichtlich auch zu versuchen, es sich mit einer möglichen zivilen Regierung nicht vollkommen zu verscherzen.

Zweifelsohne haben diese Staaten den größten Einfluss auf das ansonsten international und auch in Afrika – die Afrikanische Union hat die Mitgliedschaft Sudans in der Regionalorganisation nach dem Massaker Anfang Juni ausgesetzt – weitgehend isolierte Militär in Sudan.

Doch auch die Europäische Union hat einen gewissen Einfluss und auch eine Verantwortung durch ihre Kontakte zu den sudanesischen Sicherheitskräften: Die EU arbeitet mit Sudan im Rahmen des sogenannten Khartum-Prozesses zusammen. Der Khartum-Prozess ist eine Dialogplattform zwischen der EU und den Ländern am Horn von Afrika. Sie existiert seit 2014 und wurde beim EU-Gipfel in Malta 2015 mit dem Migrationsmanagement in der Region beauftragt. Der Khartum-Prozess umfasst eine Vielzahl von Initiativen. Alle sollen die Zahl der Menschen, die das Mittelmeer überqueren, reduzieren. Im Rahmen der Koordinierung dieser Maßnahmen arbeiten europäische Sicherheitsbehörden mit sudanesischen Sicherheitskräften in Khartum zusammen und damit – zumindest indirekt – auch mit den Rapid Support Forces Hemedtis, denn die RSF sind auch in die Grenzsicherung in Sudan eingebunden.

Was kann nun getan werden?

Die Afrikanische Union, die EU und andere Staaten müssen ihren Druck aufrechterhalten, damit die Militärs in Sudan nicht wieder zu ihrem Plan zurückkehren, innerhalb relativ kurzer Zeit Wahlen abzuhalten. Es braucht eine Übergangsphase, um die notwendigen Strukturen für faire Wahlen zu schaffen. Die AU, die USA und die EU sollten den Mitglieder der sudanesischen Sicherheitskräfte, die einem politischen Abkommen im Wege stehen oder gar mit Gewalt drohen, weiterhin deutlich machen, dass sie mit gezielten Sanktionen, Einfrieren von Vermögenswerten und Reiseverboten belegt werden könnten. Dies gilt insbesondere für Hemedti. Im Falle eines Abbruchs des Übergangsprozesses oder neuer Gewalttaten sollte diese Sanktionen schnell umgesetzt werden.

Die EU und die USA sollten weiterhin bekräftigen, dass keine Gespräche mit Khartum über die Normalisierung der Beziehungen möglich sind, solange es keinen stabilen, friedlichen und für die Protestbewegung akzeptablen Übergang gibt, der auf eine zivile Führung hinausläuft. Dies könnte dann die Aufhebung von Sanktionen, seitens der USA die offizielle Aufhebung des Labels „staatlicher Sponsor des Terrorismus“, oder auch einen Schuldenerlass bedeuten. Die Zusammenarbeit mit sudanesischen Behörden im Migrationsmanagement sollte erst dann wieder aufgenommen werden, wenn zuverlässige und überprüfbare Garantien im Bereich Menschenrechtsschutz vorliegen.

Akteure mit Einfluss auf Kairo, Riad und Abu Dhabi, insbesondere die USA, aber auch die EU und Deutschland, sollten die Golfstaaten und Ägypten auffordern, Druck auf die Generäle in Khartum auszuüben. Sie sollten die sudanesische Junta drängen, sich an die geschlossene Übereinkunft zu halten und eine zivil geführte Übergangsregierung zu stützen, die die Stabilität wiederherstellen kann. Gerade Ägypten, ein wichtiger regionaler Akteur und derzeit auch Vorsitzender der AU, sollte jedes Interesse daran haben, ein Chaos wie in Libyen in einem weiteren Nachbarstaat zu vermeiden.

Saudi-Arabien und die VAE sollten außerdem Hemedti und die RSF versuchen zu zügeln und sie auffordern, sich zurückzuziehen, um den Abstieg ins Chaos zu verhindern. Stattdessen sollte denen Raum gegeben werden, die in der Lage sind, einen friedlichen Übergang zu gestalten und ein Abgleiten in einen Bürgerkrieg zu verhindern.

Nach dem nun verschobenen Abzug von UNAMID und den jüngsten Entwicklungen im Land muss der UN-Sicherheitsrat die prekäre Sicherheitslage in Darfur weiterhin genau beobachten. Mit Blick auf die Schutzverantwortung der internationalen Gemeinschaft gilt dies insbesondere im Hinblick auf die Gefahr weiterer Massaker und schwerster Menschenrechtsverletzungen. Es sollte außerdem deutlich gemacht werden, dass der Sicherheitsrat und die internationale Gemeinschaft vom Übergangsmilitärrat und der nun hoffentlich folgenden Übergangsregierung erwarten, dass die für die Gewalt Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden und Omar al-Bashir und andere Mitglieder des alten Regimes, die vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht werden, endlich nach Den Haag ausgeliefert werden.

 

Autor: Gregor Hofmann, Vorsitzender Genocide Alert

Dieser Text ist eine aktualisierte Fassung eines Vortrags des Autors zur Lage in Sudan bei der Sitzung der Landesarbeitsgemeinschaft Frieden von Bündnis 90/Die Grünen RLP am 6. Juli 2019 in Mainz.

Afrikanische Union: Bashir verhaften oder nicht?

Die Afrikanische Union (AU) sendet zurzeit widersprüchliche Signale bezüglich der Vollstreckung des Haftbefehls gegen Sudan’s Präsidenten Omar al-Bashir. So zitierten am 11. Juli Nachrichtenagenturen wie Reuters und AFP Thabo Mbeki, ehemaliger Präsident Südafrikas und Vorsitzender einer Arbeitsgruppe der AU zum Thema Darfur, mit der Aussage, dass sicherlich alle vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) angeklagten in Den Haag erscheinen sollten. Allerdings setze sich in der achtköpfigen Kommission die Erkenntnis durch, dass die Herstellung von Gerechtigkeit auf andere Weise angegangen werden müsse, da die Verfolgung al-Bashirs durch den IStGH die Friedensbemühungen im Sudan behindern würde.

Schon am 4. Juli, während des Gipfels der Afrikanischen Union in Sirte, Libyen, hatte der Revolutionsführer Ghadafi verkündet, dass die afrikanischen Mitglieder des IStGHs al-Bashir nicht ausliefern würden. Dies wäre im Gegensatz zu ihren Verpflichtungen als Unterzeichner des Statuts des IStGHs. Am 4. März 2009 hatte ein unabhängiges Tribunal des IStGHs, bestehend aus Richtern ghanischer, litauischer und brazillianischer Herkunft, den Haftbefehl gegen Bashir erlassen. Der Haftbefehl wirft ihm Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor, der Anklagepunkt des Völkermords wurde fallengelassen. Chefankläger Luis Moreno Ocampo hält jedoch an diesem Anklagepunkt fest und bekräftigt, genügend Beweise zu haben, um al-Bashir Völkermord an Darfurern nachzuweisen.  Zuvor waren auch Haftbefehle gegen x und y wegen xy erlassen worden.

Nachdem Reuters von einem Beschluss des Gremiums berichtet hatte, den internationalen Haftbefehl gegen Sudan’s Präsident Omar al-Bashir zu ignorieren und Bashir nicht an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) auszuliefern, wurde dies tags darauf vehement bestritten. Reuters publizierte daraufhin eine korrigierte Version seiner Mitteilung, ohne jedoch die Aussagen Mbekis zu verändern. Laut Quellen von Sudan Tribune hat Mbeki stark gegen den Vorschlag Libyens militiert, da dieser die Arbeit der vom ihm angeführten Kommission untergrabe. Auf der anderen Seite befürchten Kritiker, dass die Kommission al-Bashir vor seiner gerichtlichen Verfolgung beschützen wolle.

Die Diskussion ist bei weitem nicht beendet und vollzieht sich sowohl innerhalb wie auch ausserhalb der Afrikanischen Union. So kündigte Uganda am 13. Juli an, dass al-Bashir möglicherweise während seines Besuchs des Landes ihm Rahmen einer internationalen Konferenz am Ende des Monats verhaftet werden könnte. Chefankläger Ocampo unterstrich während einer Pressekonferenz, dass Uganda als Unterzeichner des Status des IStGHs zur Kooperation verpflichetet wäre. Die Möglichkeit einer Verhaftung hatte al-Bashir schon davon abgehalten, Jacob Zuma’s Vereidigung in Südafrika zu besuchen. 30 afrikanische Staaten haben das Statut des Internationalen Gerichtshofes unterzeichnet und sind somit verpflichtet, ihn bei Besuchen in ihren Ländern festzunehmen.

 Johanne Kübler

Balance-Akt der afrikanischen Mitgliedstaaten des IStGH

Die Nachrichtenagentur Reuters meldete vor kurzem, dass die Afrikanischen Mitgliedsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) trotz der Anklage des sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir ihre Mitgliedschaft nicht beenden würden.

Vom 8. bis 9. Juni trafen sich die Vertreter der 30 afrikanischen Mitgliedstaaten des IStGH, um ihre Reaktion auf die Anklage des sudanesischen Präsidenten wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu diskutieren. Die allgemeine Haltung war, vom UN Sicherheitsrat einen Aufschub des Verfahrens unter Artikel 16 des Römer Statuts zu verlangen. Der von einigen Beobachtern befürchtete Rückzug der 30 afrikanischen Mitgliedsstaaten vom IStGH fand keinen Konsens. Lediglich Libyen, Senegal, Djibouti und die Komoren hatten sich dafür stark gemacht. Die afrikanischen Mitgliedsstaaten scheinen mehrheitlich die Position zu vertreten, dass der UN Sicherheitsrat das Verfahren um ein Jahr aufschieben solle. Diese Position hatte sich schon anlässlich eines Treffens der Staats- und Regierungschefs der Afrikanischen Union (AU) im Februar diesen Jahres herauskristalisiert. Die Argumentation der AU ist, dass eine Strafverfolgung al-Bashirs einen Friedensprozess gefährden könne und deshalb Alternativen zur Lösung des Darfur Konflikts gefunden werden müssten. Gemäss einem Artikel der Sudan Tribune hatten die 19 Mitgliedsstaaten des COMESA (Market for Eastern and Southern Africa) diese Position auf ihrem Gipfeltreffen in Simbabwe vom 7. Juni erneut bestätigt. Im Vorfeld des Treffens der 30 Mitgliedstaaten haben 40 Vertreter der afrikanischen Zivilgesellschaft eine Erklärung herausgegeben. In dieser so genannten Kapstadt Erklärung teilen die Vertreter der Zivilgesellschaft einerseits die Bedenken der Mitgliedsstaaten in Bezug auf die westliche Dominanz und Politisierung der internationalen Strafgerichtsbarkeit, gleichzeitig fordern sie diese aber auch auf, den IStGH aktiv zu unterstützen und zu dessen gesteigerten Legimität beizutragen und gleichzeitig nationale und regionale Justizmechanismen zu stärken.

Khartum lehnt die Position der afrikanischen Mitgliedsstaaten mit der Argumentation ab, dass ein Bezug auf Artikel 16 des Römer Statuts die Gerichtsbarkeit des IStGH anerkennen würde. Der Sudan hat das Statut nicht ratifiziert und hat bisher versucht den massiven Menschenrechtsverletzungen mit nationalen Justizmechanismen zu begegnen. Das Regime in Khartum nutzt diese beiden Gründe als Vorwand, um nicht mit dem Gerichtshof kooperieren zu müssen und eine mögliche Verurteilung al-Bashirs abzuwehren. Diese nationalen Bestrebungen eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für die im Darfur begangenen Gräueltaten zu schaffen sind höchst unzureichend und müssen deshalb als Abwehrstrategie gegenüber dem Strafgerichtshof bezeichnet werden.

Seit der IStGH im März 2009 einen internationalen Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten erlassen hat, hat al-Bashir mehrere Auslandsreisen in Länder getätigt, die allesamt keine Mitglieder des IStGH sind. Mit diesen Reisen in befreundete Staaten scheint al-Bashir einerseits Unterstützung von Verbündeten zu suchen und andererseits die Glaubwürdigkeit des Gerichtshofs untergraben zu wollen. Genocide-Alert hat diese Thematik an anderer Stelle in einem Artikel  analysiert.

Das kürzliche Treffen der 30 Mitgliedstaaten des IStGH und die dabei eingenommene Mittelposition zeigen, dass diese Staaten ihre eigenen Interessen und Agenden verfolgen. Eine Desavouierung des IStGH durch einen allgemeinen Rückzug der Mitgliedschaft wurde auf der einen Seite vermieden. Die Gründe dafür mögen vielschichtig sein. Die meisten afrikanischen Mitgliedsstaaten wollen sich bestimmt keinen Affront gegenüber den westlichen Mitgliedstaaten des IStGH leisten. Dazu kommt, dass für viele dieser Staaten ein Image-Verlust aufgrund eines Rückzugs vom IStGH zu verkraften wäre. Des Weiteren haben sie auch ein genuines Interesse an der Umsetzung des IStGH-Mandats, da die Beendigung einer Kultur der Straflosigkeit mittel- und langfristig zur inneren Stabilität beitragen kann. Sie setzen voraus, dass ihre Souveränität respektiert und nicht ungleiche Maßstäbe zwischen afrikanischen und westlichen Ländern angelegt werden. Auf der anderen Seite können die afrikanischen Staaten das Wirken des Gerichtshofs im Fall al-Bashirs jedoch nicht ohne weiteres gutheissen. Zum einen wollen sie einen Präzedenzfall vermeiden, in welchem ein amtierender Präsident verurteilt würde und zum anderen wollen sie einer befürchteten Politisierung der internationalen Strafgerichtsbarkeit entgegenwirken.

Angesichts dieser verschiedenen Beweggründe ist die eingenommene Mittelposition zu deuten. In welche Richtung sich dieser Balance-Akt der afrikanischen Mitgliedstaaten bewegt, bleibt abzuwarten. Die Tatsache, dass diese Staaten mit ihrer „Artikel 16“-Mittelposition einen solchen Balance-Akt vollführen, macht sie empfänglich für Überzeugungsversuchen derjenigen Staaten und zivilgesellschaftlichen Vertreter, welche al-Bashir entweder politisch zu isolieren oder diesen zu verhaften und nach Den Haag zu überstellen versuchen. Es gilt nun die afrikanischen Mitgliedstaaten von der politischen Neutralität der internationalen Strafgerichtsbarkeit zu überzeugen, wobei diese Bekenntnisse auch durch eine entsprechende Praxis des UN Sicherheitsrates und Chef-Anklägers unterstrichen werden müssen. Der Strafgerichtshof muss von allen Mitgliedstaaten als legitimes und komplementäres Instrument zu nationalen und regionalen Justizmechanismen angesehen werden, welches die staatliche Souveränität nicht bedroht, sondern diese mittel- und langfristig zu stärken vermag. Gelingt dies, ist es wahrscheinlich, dass die Skepsis der afrikanischen Mitgliedstaaten beseitigt, der Gerichtshof gestärkt und al-Bashir ein für allemal isoliert und womöglich verhaftet werden kann.

Christoph Bleiker

Omar al-Bashir zu Gast bei Freunden

Der sudanesische Präsident Omar al-Bashir wird seit Anfang März als erstes Staatsoberhaupt im Amt mit einem internationalen Haftbefehl wegen des Verdachts auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen als Anführer der sudanesischen Kampagne gegen Aufständische in Darfur durch den Internationalen Strafgerichthof (IStGH) verfolgt. Theoretisch müsste nun jeder Staat, der das Statut von Rom unterzeichnet hat, al-Bashir verhaften, wenn er sich in diesem Staat aufhielte. Kurz nach der Veröffentlichung hatten sudanesische Politiker Bashir von internationalen Reisen abgeraten. Mittlerweile ist er aber wieder unterwegs.

Von der Weltöffentlichkeit unbeachtet ist Präsident Omar al-Bashir am 21. April nach Äthiopien zu Gesprächen gereist. Verhaftet zu werden brauchte Bashir nicht zu fürchten, schließlich gehört Äthiopien nicht zu den Unterzeichnern des Status des IStGH, wie auch Außenamtssprecher Wahide Belay in Addis Abeba betonte.Seitdem hat Al Bashir Eritrea, Ägypten, Katar, Saudi-Arabien und Libyen unbehelligt besucht.

Als Reaktion auf den Haftbefehl hatten religiöse Führer Bashir noch vor Reisen ins Ausland abgeraten. Dabei hatten sie vor allem den Besuch des Gipfels der Liga der arabischen Staaten in Doha, Katar, im Visier. Der Präsident gibt sich über alle Zweifel erhaben und deutete an, dass der Haftbefehl seine Position gestärkt habe. So sagte er laut AFP, dass er an der heimischen Front im Sudan gesehe habe „wie das sudanesische Volk spontan auf die Straßen ging um den Präsidenten des Sudans zu unterstützen“ und „wir haben einen sehr starken Rückhalt von regionalen Organisationen und der Liga arabischer Staaten gefunden“. 

In der Tat ist es so, dass Omar al-Bashir seit Veröffentlichung des Haftbefehls sein Land sogar häufiger verlassen hat als zuvor. Die Afrikanische Union (AU) hat sich schon vor Bekanntgabe des Haftbefehls gegen eine derartige strafrechtliche Verfolgung Bashirs ausgesprochen und den UN-Sicherheitsrat in dieser Frage um Beistand gebeten. Laut AU gefährdeten die Bemühungen des IStHGH den – bisher nirgendwo sichtbaren – Friedensprozess im Sudan und einen Erfolg der gemeinsamen AU-UN-Mission für die sudanesische Krisenregion Darfur (UNAMID). Auch die Arabische Liga hat Bashir auf dem Gipfel in Doha ihre „Solidarität“ zugesichert.

Al-Bashir scheint es allen beweisen zu wollen, dass ihm der Haftbefehl mehr Unterstützung gebracht hat als je zuvor. Allerdings hat es wählte er seine Reiseziele mit Bedacht gewählt. So meint auch der Chefankläger des IStGH, Luis Moreno-Ocampo in einem Interview mit der Basler Zeitung, Bashir sei verzweifelt und ein Präsident auf der Flucht. Er versuche zu demonstrieren, dass er sich frei bewegen könne, und doch habe er durch die Wahl seiner Reiseziele deutlich gemacht, dass ihm der IStGH auf den Fersen sei. So erfreut sich Bashir außsserhalb der arabischen Welt weniger Freunde. Dies wurde deutlich, als sich der Präsident Brasiliens, Lula da Silva, sich beim arabisch-süd-amerikanischen Gipfel nicht neben Bashir setzen wollte. Und doch bleibt die Frage warum Bashir für die arabischen Staaten noch kein ausreichendes Imageproblem ist um zu einer Distanzierung zu führen.

Wenn Äthiopien einen  wegen schwerster Menschenrechtsverbrechen per Haftbefehl gesuchten Staatsmann mit vollen Ehren empfängt und die Arabische Liga sich hinter Bashir stellt, so hat das vor allem einen Grund: Diese Staatschefs haben zwar nicht imminent eine Verfolgung durch den IStGH zu fürchten, da ihre Staaten das Rom Statut nicht unterzeichnet haben, doch sind ihnen unabhängige internationale Gerichtsbarkeiten nicht geheuer. Von den Mitgliedern der Arabischen Liga haben bisher lediglich Jordanien, Djibuti und die Komoren das Statut ratifiziert. Aus diesem Lager hört man nun vor allem den Vorwurf, bei der Verfolgung durch den IStGH handele es sich um Neo-Kolonialismus. Bashir hat es verstanden, die real existierenden Erblasten aus dem Kolonialismus propagandistisch für seine Zwecke zu instrumentalisieren und angebliche Araber gegen angebliche Afrikaner aufzuhetzen.

Wenn also die westlichen Diplomaten und Gesandten das Staatsessen in Addis Abeba boykottieren ist das ein mehr als nötiges diplomatisches Zeichen des Protests. Bisher haben es die Unterstützer des IStGH in Europa allerdings versäumt, den Worten Taten folgen zu lassen. Denn die gemeinsame Truppe der Afrikanischen Union und der Vereinten Nationen in Darfur zählt nur 15 000 Soldaten und Polizisten, obwohl 26 000 vorgesehen waren, und obwohl die Reaktion Bashirs auf den Haftbefehl abzusehen war. Und nach wie vor ist die Europäische Union der zweitgrößte Handelstpartner des Sudan (EUROSTAT). Über mangelnden Einfluss kann sich die EU also nicht beklagen.

Omar al-Bashir scheint sich also momentan zu Recht in Sicherheit zu wiegen. Innenpolitisch hat es ihm sicher gefallen, als einige Tausend Sudanesen in die Hauptstadt Karthoum gefahren worden sind, um ihm zuzujubeln und gegen den Haftbefehl zu demonstrieren. Momentan schaffen es interne Kritiker Bashirs auch noch nicht, sich gegen Bashirs Getreuen durchzusetzen. Bis dahin kann sich al-Bashir noch vor seinen „Freunden“ als Widerstandskämpfer gegen die angeblichen westlichen Kolonisatoren profilieren. Nach wie vor scheint Solidarität mit dem Täter, nicht mit den Opfern, Trumpf zu sein.

Johanne Kübler ist stellvertr. Vorsitzende von Genocide Alert.

Haftbefehl gegen Omar al-Bashir

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat am Mittwoch, 4. März 2009, Haftbefehl gegen Sudans Präsident Omar al-Baschir wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in der sudanesischen Region Darfur erlassen. Es ist das erste Mal, dass der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen einen amtierenden Staatschef erlässt. Dies ist vor allem ein Zeichen dafür, dass solche Verbrechen nicht weiterhin ungestraft bleiben.

Der Anschuldigung wegen Völkermordes wurde nicht stattgegeben. Völkermord wird als willkürliche und systematische, teilweise oder vollständige  Vernichtung von ethnischen, rassischen, religiösen oder nationalen Gruppen definiert. Der Hauptankläger, Luis Moreno-Ocampo, beschuldigte al-Bashir, eine Kampagne zur Auslöschung der afrikanischen Stämme Fur, Masalit und Zaghawa gelenkt zu haben. Zwei der drei Richter des Untersuchungsausschusses befanden die Indizien dafür als nicht ausreichend, da sie die drei afrikanischen Stämme als auch andere Gruppen in der Region als sudanesische Staatsangehörige ansehen, die der gleichen Rasse und Religion angehören. Für eine Anklage wegen Völkermordes wird jedoch ein einstimmiges Urteil benötigt. Moreno-Ocampo führte des Weiteren an, dass die Unterbindung von humanitären Hilfeleistungen, der Lieferung von Nahrungsmitteln und anderen lebenswichtigen Gütern durch die sudanesische Regierung als ein Indiz für Völkermord verstanden werden kann, was jedoch für zwei Richter nicht ausreichend war. Moreno-Ocampo kann jedoch die Völkermordanklage zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgreifen, wenn er neue Beweise dafür vorlegen kann.
Unabhängig davon, welche Verbrechen zur Anklage geführt haben: Das Urteil des Strafgerichtshofs bedeutet für viele Opfer in Darfur Hoffnung auf Gerechtigkeit. Moreno-Ocampo betonte in seiner Anklage vom Juni 2008, dass die Mobilisierung des gesamten Staatsapparates, inklusive Militär, Geheimdienst, diplomatische und öffentliche Ämter sowie Rechtssystem die unabdingbare Voraussetzung für die Durchführung dieser Verbrechen war. Al Bashir ist schon der dritte Sudanese, gegen den ein Haftbefehl verhängt wurde. Die sudanesische Regierung hat sich bis jetzt geweigert, den sudanesischen Minister Ahmed Haroun und den Dschandschawid-Anführer Ali Kosheib nach Den Haag auszuliefern, obwohl sie nach Resolution 1593 der Vereinten Nationen rechtmäßig dazu verpflichtet ist. Der Internationale Strafgerichtshof kann zwar die Festnahme von al-Bashir im Sudan nicht erzwingen. Die beteiligten Richter wiesen jedoch darauf hin, dass alle Vertragsparteien des Rom-Statuts sowie auch alle Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zur Kooperation bei der Festnahme und Auslieferung aufgefordert sind.
Katharina Zechner

Weitere Humanitäre Organisationen von Ausweisung bedroht

Das Regime des Sudan erwägt, weitere humanitäre Hilfsorganisationen des Landes zu verweisen, nachdem gegen den amtierenden Präsidenten, Omar Al-Bashir, ein Haftbefehl des internationalen Strafgerichtshofes erlassen worden ist. Als Reaktion auf die Entscheidung des IStGH wurden bereits mehrere humanitäre Hilfsorganisationen ausgewiesen, darunter, Oxfam, Ärzte ohne Grenzen, Save the Children, Refugee Council, Care, Actions Contre La Faim, International Rescue Committee und Mercy Corps. Der IStGH erliess den Haftbefehl wegen des Verdachts für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in Darfur.

Die Repressalien gegen Hilfsorganisationen als Reaktion auf eine solche Entscheidung wurden von Analysten vorhergesehen (vgl. Genocide Alert Policy Brief 5/2009). Sie entsprechen dem bekannten Verhaltensmuster des Regimes in Khartoum, unter Druck die Grenzen des Willens der internationalen Gemeinschaft auszuloten. Dazu unterbindet das Regime bewusst die humanitäre Versorgung für Millionen Zivilisten im Sudan, um die internationale Gemeinschaft zur Rücknahme ihrer Maßnahmen zu zwingen.

Das Vorgehen des Regimes wird von abenteuerlich anmutenden Behauptungen begleitet. Präsident Bashir bezeichnete den Haftbefehl als Ergebnis eines „zionistischen Komplotts“ und „Neokolonialismus“, während Hassabo Mohammed Abdel Rahman, Vorsitzender der „Kommission für humanitäre Angelegenheiten“ der sudanesischen Regierung, den Hilfsorganisationen Kooperation mit dem Internationalen Strafgerichtshof vorwarf. Er ging so weit zu behaupten, die Organisationen hätten Beweismaterial gegen die sudanesische Regierung gefälscht und dem IStGH zugespielt.

Teilweise wurden Mitarbeiter der Hilfsorganisationen vorübergehend eingesperrt, während andere aufgefordert wurden, das Land innerhalb von 24 Stunden zu verlassen. Es wurde Arbeitsmaterial der Organisationen, wie Computer und Fahrzeuge, beschlagnahmt. Die internationalen Helfer weisen die Vorwürfe zurück. Oxfam erklärt hierzu, „keine Meinung“ zu den Aktivitäten des IStGH zu haben und betont sein ausschließlich humanitäres Interesse an der Linderung der Not der Menschen.

Die 6500 Ausgewiesenen machen 40% der humanitären Helfer im Sudan aus. Obwohl sechs Untergliederungen der Vereinten Nationen den Sudan zur Rücknahem der Entscheidung aufriefen, bekräftigte Mutrif Siddig, ein hoher außenpolitischer Beamter, die Entscheidung und nannte sie „unwiderruflich“.

Währenddessen warnt Genocide Alert davor, angesichts des Verhaltens Khartums den politischen und strafrechtlichen Druck einzustellen. Bisherige Haftbefehle internationaler Tribunale hätten in der Vergangenheit, flankiert von politischem Druck, bereits Völkerrechtsbrecher wie Slobodan Milosevic vor Gericht und damit zur verdienten Verurteilung gebracht. Auch in diesem Fall könne konzertiertes Handeln der internationalen Gemeinschaft zum Erfolg führen und langfristig die Grundlage für Gerechtigkeit und Frieden schaffen.

Daniel Fallenstein