Beiträge

Zerstörte Gebäude in Azaz in Syrien im August 2012 (Quelle: Voice of America News/Wikimedia)

Interview mit dem Deutschlandfunk Kultur zur Schutzverantwortung

„Rest in Peace, Responsibility to Protect?“ In einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur haben Gregor Hofmann​ und Jens Stappenbeck​ von Genocide Alert e.V. diskutiert, wie es um das Konzept der Schutzverantwortung steht. Öffentliche Unterstützung ist seit der Ausweitung der Militärintervention in Libyen, deren Durchführung auch Genocide Alert kritisch gegenübersteht, zurückgegangen. Doch worum genau handelt es sich bei dem Konzept eigentlich? Dazu geben neben Gregor Hofmann unter anderem auch Bruno Schoch vom Peace Research Institute Frankfurt (PRIF)​ und Peter Rudolf von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)​ Auskunft.

Der Beitrag: „Rest in Peace, Responsibility to Protect?“ – Deutschlandfunk Kultur.
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Frühwarnung weiter denken: Errichtung einer digitalen Vorhersageplattform

Für eine effektivere Prävention muss die Frühwarnpraxis in Deutschland maßgeblich überarbeitet werden. Mitarbeiter von NGOs, Forschungsinstituten und Ministerien könnten sich hierfür in einem digitalen Expert Opinion Pool zusammenfinden. Gebündelte Risikoanalysen sind statistisch aussagekräftiger. Ihre Auswertung könnte zudem einen bislang ungekannten Lern- und Austauschprozess bewirken.

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Deutschland braucht einen Ansatz zur Prävention von Massenverbrechen

Genocide Alert Policy Brief 1/2016

Deutschland sollte einen eigenständigen Ansatz für die Prävention von Massenverbrechen entwickeln. Das heißt frühe Erkennung von Risikofaktoren fördern, entschlossen gegen Anstifter und Täter vorgehen und den Schutz von Zivilisten in VN-Friedenseinsätzen stärken. Es heißt auch, anzuerkennen, dass sich die Prävention von Massenverbrechen und die Krisenprävention zwar überschneiden, aber nicht gleichgesetzt werden können. Weiterlesen

Botschafter Lee Feinstein, (rechts im Bild) und Tod Lindberg, Research Fellow am Hoover-Institut der Stanford University in den USA (links im Bild) beim Roundtable in Berlin am 20. Oktober 2016

Kurzbericht: Expertendiskussion zu Krisenprävention und Prävention von Gräueltaten

Bei einem Roundtable in Berlin am 20. Oktober 2016 diskutierten Experten, Diplomaten und Politiker, wie in der transatlantischen Kooperation die Prävention von Massenverbrechen in der Krisenprävention gestärkt werden kann. Die Veranstaltung mit dem Titel Preventing Crises, Preventing Atrocities: Lessons and Opportunities for Transatlantic Cooperation wurde von Genocide Alert gemeinsam mit dem Global Public Policy Institute (GPPI), der BMW Stiftung Herbert Quandt und dem United States Holocaust Memorial Museum organisiert.

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Gruppenarbeit zu Beginn des Workshops in Berlin, angeleitet von Timo Leimeister (hinten links). Quelle: Genocide Alert

Großes Interesse an Genocide Alert Workshops zur Prävention von Völkermord und Massenverbrechen

Materialien: 20 Jahre Srebrenica und Prävention von Massenverbrechen

Für all jene, die sich weiter über die Geschehnisse in Srebrenica informieren möchten, haben wir hier eine kurze annotierte Literaturliste zusammengestellt. Die ausgewählten Texte wurden teilweise in unseren Workshops in Frankfurt und Berlin verwendet. Die Auflistung ist selektiv und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr wollen wir mit den hier verlinkten Texten einen Einstieg in die Thematik eröffnen und zur weiteren Recherche anregen.

 

Was ist in Srebrenica geschehen?

Während der Beitrag von Holm Sundhaussen einen Überblick über den Hintergrund der Geschehnisse in Srebrenica und des Bosnienkrieges gibt, diskutiert der Beitrag bei der der Bundeszentrale für politische Bildung den Völkermord in Srebrenica:

» Holm Sundhaussen (2008): Der Zerfall Jugoslawiens und dessen Folgen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 32/2008)

» Bundeszentrale für Politische Bildung (9 Juli 2015): 1995: Das Massaker von Srebrenica.

Für eine intensivere Beschäftigung mit den damaligen Ereignissen können wir die folgenden Bücher empfehlen:

» Angela Wieser (2007): Ethnische Säuberungen und Völkermord: Die genozidale Absicht im Bosnienkrieg von 1992-1995. Frankfurt: Peter Lang.

» Hajo Funke und Alexander Rhotert (1999): Unter unseren Augen: Ethnische Reinheit. Die Politik des Milosevic- Regimes und die Rolle des Westens. Berlin: Verlag Das Arabische Buch (Schriftenreihe Politik und Kultur am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin, Bd. 2, 1999)

Norrie MacQueen und Annette Weerth gehen in diesen Beiträgen aus einem Sonderheft der Zeitschrift „Vereinte Nationen“ auf das Konzept der UN Schutzone ein – welches in Srebrenica kläglich gescheitert war – und entwickeln Vorschläge für eine Weiterentwicklung solcher international gesicherter Zonen.

» Norrie MacQueen (2015): Srebrenica und die schweren Anfänge einer ›neuen Friedenssicherung. in: Vereinte Nationen 2/2015, S. 99-105.

» Annette Weerth (2015): 20 Jahre Srebrenica – Zeit für ein UN-Schutzzonenkonzept. in: Vereinte Nationen 2/2015, S. 107 – 113.

Die Zeitungsartikel von Andres Wysling (NZZ) und Matthias Funk (DIE ZEIT) gehen auf das Scheitern der Schutzzone in Srebrenica ein

» Andres Wysling (2015): Schutzzone ohne Schutz. in: Neue Zürcher Zeitung  Online 11. Juli 2015.

» Matthias Funk (2015): Die Verlorenen. in: ZEIT ONLINE 12.07.2015.

Auch die UN und die Niederlande haben das Scheitern der Blauhelmsoldaten in Srebrenica umfassend aufgearbeitet. Nachfolgend die offiziellen Untersuchungsberichte

» Vereinte Nationen (1999): The Fall of Srebrenica. UN Document NR.: A/54/549.

» Netherlands Institute for War Documentation (2002): Srebrenica, a ’safe‘ area – Reconstruction, background, consequences and analyses of the fall of a safe area. Amsterdam: NIOD.

Der Krieg in Bosnien-Herzegowina war durch ein großes Ausmaß an sexualisierter Gewalt geprägt. Geschlechterbasierte Gewalt wurde als Instrument zur Zerstörung der Gemeinschaften, für ethnische Säuberungen, mit dem Ziel der Terrorisierung der Bevölkerung und als Teil von Plünderungen angewandt. Die UN geht von mehr als 50.000 Vergewaltigungen während des Konflikts aus. Ein Bericht des Women under Siege Projects gibt einen Überblick:

» Michele Lent Hirsch (08.02.2012): Women Under Siege Project.Conflict Profiles – Bosnia. Womens Media Centre.

Das Buch „Srebrenica – Ein Prozess“ von Julija Bogoeva und Caroline Fetscher vermittelt einen Überblick über die Verhandlungen über den Völkermord in Srebrenica vor dem Internationalen Gerichtshof für das ehemalige Jugoslawien und bereitet hierfür Vernehmungsprotokolle und Prozessdokumente auf.  Hannah Birkenkötters Beitrag im Sonderheft der Zeitschrift „Vereinte Nationen“ und der Text von Amnesty International geben dagegen einen Überblick über den aktuellen Stand der strafrechtlichen Aufarbeitung des Völkermords in Srebrenica und die nachwievor existierenden Probleme in diesem Zusammenhang.

» Hannah Birkenkötter (2015): Wessen Verantwortung, welches Gericht? 20 Jahre nach Srebrenica ist die gerichtliche Aufarbeitung noch lange nicht abgeschlossen. in: Vereinte Nationen 2/2015, S.114-120.

» Amnesty International (11 Juli 2015): Srebrenica: No justice or truth for victims of genocide and their families.

» Julija Bogoeva und Caroline Fetscher (2002): Srebrenica. Ein Prozeß – Dokumente aus dem Verfahren gegen General Radislav Krstic vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag. Frankfurt: Suhrkamp.

 

Wie funktioniert die Frühwarnung vor solch schweren Massenverbrechen wie Völkermord?

Basierend auf der bestehenden Forschung hat das Büro der Vereinten Nationen für Völkermordprävention und die Schutzverantwortung einen Frühwarnungs-Analyserahmen entwickelt. Dieser umfasst eine Liste von 14 Risikofaktoren für schwere Gräueltaten sowie Indikatoren, um diese Risiken einzuschätzen. Acht dieser vierzehn Risikofaktoren sind allgemeiner Natur, sechs sind spezifisch für bestimmte Gräueltaten.

» United Nations Office on Genocide Prevention and the Responsibility to Protect (2014): Framework of Analysis for Atrocity Crimes. A tool for prevention.

Das US Holocaust Memorial Museum hat das bislang wohl umfassendste Frühwarnungsprojekt initiiert, welches einerseits auf einem selbstlernden Algorithmus basiert, der automatisiert Medienberichte auswertet und andererseits auf die Risikoeinschätzungen von Expertinnen und Experten zurückgreift:

» US Holocaust Memorial Museum: Early Warning Project

Darüber hinaus existieren verschieden Mittel der Frühwarnung, die auf verschiedenen Ebenen ansetzen: Wie kann die Bevölkerung vor Ort gewarnt werden? Wie können internationale Akteure solche Risiken frühzeitig erkennen? Welche Rolle können modernde Technologien, wie Mobiltelefone, Soziale Medien oder Satellitenüberwachung spielen? Diese Themen wurden bei einer von Oxfam im November 2009 in Australien durchgeführten Konferenz diskutiert. Die Ergebnisse sind hier zu finden:

» Oxfam (2009): Early Warning for Protection Technologies and practice for the prevention of mass atrocity crimes.

 

Wie können Gräueltaten frühzeitig verhindert werden? Welche Instrumente stehen der internationalen Gemeinschaft zur Verfügung?

Im ersten Bericht des UN Generalsekretärs zur Umsetzung der internationalen Schutzverantwortung werden die drei Säulen der Responsibility to Protect und zugehörige Instrumente diskutiert: Verantwortung des Staates, Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft und Reaktion auf stattfindende Gräueltaten.

» Vereinte Nationen (2009): Umsetzung der Schutzverantwortung. Bericht des Generalsekretärs. UN Dokument Nr.: A/63/677

Das Team um die aktuelle Sonderberaterin für die Schutzverantwortung des UN Generalsekretärs, Prof. Jennifer Welsh, hat eine Rahmenstrategie für die Prävention von Gräueltaten entwickelt.

» Reike, Ruben; Sharma, Serena; Welsh, Jennifer (2013): A Strategic Framework für Mass Atrocity Prevention. Civil-Military Working Paper 3/2013. Australian Civil-Military Centre; Oxford Institute for Ethics, Law and Armed Conflict

In diesem Beitrag geht Alex Bellamy, der aktuelle Direktor des Asia-Pacific Centers for the Responsibility to Protect auf den Unterschied zwischen Krisenprävention und Gräueltatenprävention ein:

» Bellamy, Alex J. (2011): Mass Atrocities and Armed Conflict: Links, Distinctions, and Implications for the Responsibility to Prevent. Stanley Foundation Policy Analysis Brief (February 2011).

In diesem Report geht Gregor Hofmann auf die diplomatische Debatte über die internationale Schutzverantwortung ein. Er stellt dabei verschiedene internationale Initiativen, Netzwerke und Nichtregierungsorganisationen vor, die sich der Prävention von Gräueltaten verschrieben haben.

» Gregor Hofmann (2014): Im Streit gestärkt oder umstrittener als behauptet? Zehn Jahre diplomatische Kontroversen über die Schutzverantwortung, HSFK-Report Nr. 9/2014, Frankfurt/M.

 

Transitional Justice: Wie sieht Vergangenheitsbewältigung und strafrechtliche Aufarbeitung von Massenverbrechen aus?

Die folgenden beiden Texte von Martina Fischer und Susanne Buckley-Zistel geben einen sehr guten Überblick über die Entwicklung der Vergangenheitsaufarbeitung und Versöhungsinitiativen in der Folge von bewaffneten Konflikten:

» Fischer, Martina: Transitional Justice and Reconciliation: Theory and Practice. In:  Advancing Conflict Transformation: The Berghof Handbook II, hrsg. v. B. Austin, M. Fischer und H. J. Giessmann. Opladen/Framington Hills: Barbara Budrich Publishers. S. 406-430.

» Susanne Buckley-Zistel (2007), Transitional Justice, in: Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, 2007, S. 1-8.

 

Schutz von Zivilisten und UN Peacekeeping

Die folgenden Texte von Thorsten Benner und Phillip Rotmann sowie von Ekkehard Griep, Ashley Jackson und den Citizens for Global Solutions geben einen sehr guten Überblick über die Entwicklung des Schutzes von Zivilisten durch UN Friedensmissionen. Dieser Aspekt hat in Folge der Aufarbeitung der Geschehnisse in Ruanda und Srebrenica an Bedeutung zugenommen:

» Thorsten Benner (2010): Vom Versprechen zur Umsetzung: Der Schutz von Zivilisten als Aufgabe von UN-Friedensmissionen. Erhöhte menschliche Anforderungen an multilaterale Friedensmissionen? – „Menschliche Sicherheit“ als Herausforderung für die internationale Friedenspolitik, Arbeitspapiere DSF No. 5 (Osnabrück, DSF), S. 42-53.

» Thorsten Benner und Phillipp Rotmann (2009): Heillos überfordert. UN-Friedenseinsätze und der Schutz von Zivilisten in Konfliktzonen. in: Vereinte Nationen 4/2009, S. 147-152.

» Ekkehard Griep (2015): ›Standby‹: Zeit für die Wiederbelebung einer guten Idee. in: Vereinte Nationen 2/2015, S.106.

» Citizens für Global Solutions (2010): Protecting Civilians in Armed Conflict.

» Ashley Jackson (2014): Protecting Civilians: the gap between norms and practice. in: Humanitarian Policy Group – Policy Brief 56. London: Overseas Development Institute.

 

Diese Liste wurde zusammengestellt von Aurora Kastrati, Jessica von Farkas,
Christoph Schlimpert, Gregor Hofmann und Timo Leimeister


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Quelle: I, Pyramid / wikipedia.org, eigene Bearbeitung

Jetzt anmelden: Workshops von Genocide-Alert in Berlin und Frankfurt zu Prävention von Völkermord und Massenverbrechen

Pressemitteilung: 20 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda – Deutschland muss die richtigen Lehren ziehen

20 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda – Deutschland muss die richtigen Lehren ziehen

 

Mehr als 800.000 Tote. Das ist die schockierende Bilanz des Völkermordes in Ruanda, dessen Beginn sich 2014 zum 20. Mal jährt. 20 Jahre später ruft die Menschenrechtsorganisation Genocide Alert zu einem entschiedeneren deutschen Engagement zur weltweiten Verhinderung schwerster Menschenrechtsverbrechen auf. Dr. Robert Schütte, Vorsitzender von Genocide Alert, erklärt hierzu:

 

„1994 schaute die Welt dem Morden tatenlos zu. Wenn wir in diesen Tagen den Opfern des Völkermordes gedenken, darf dieses Versagen nicht vergessen werden. Schwerste Menschenrechtsverbrechen wie der Völkermord in Ruanda sind systematisch geplant. Sie müssen ebenso systematisch verhindert werden. Auch heute sind Hundertausende Zivilisten von schwersten Menschenrechtsverbrechen bedroht: In Syrien, der Zentralafrikanischen Republik, im Südsudan und in der Demokratischen Republik Kongo. Wir dürfen nicht einfach wegsehen, wenn Menschen systematisch ermordet und vertrieben werden. Deutschland hat die Verantwortung und moralische Pflicht, ein erneutes Ruanda zu verhindern.“

 

Im Jahr 1994 war Ruanda ein Schwerpunktland deutscher Entwicklungshilfe.  Deutsche Behörden reagierten jedoch nicht auf Warnzeichen, selbst als NGOs wie Human Rights Watch bereits auf schwere Menschenrechtsverbrechen hinwiesen. Auch eine Bundeswehrberatergruppe unterstütze das ruandische Regime bis zuletzt. Als Deutschland von den Vereinten Nationen während des Genozids um konkrete Hilfe gebeten wurde, lehnte die Regierung von Helmut Kohl ab. Noch nicht einmal 147 Flüchtlinge, die das Land Rheinland-Pfalz aufnehmen wollte, durften nach Deutschland kommen.

 

Genocide Alert ruft die deutsche Politik dazu auf, die eigenen Frühwarnmechanismen zu stärken, um Warnzeichen früher und effektiver sammeln und analysieren zu können. Deutschland sollte UN-Friedensmissionen stärker unterstützen: Mit Personal, Material und logistischen Fähigkeiten. Die Bundesregierung sollte zudem die Mittel für Krisenprävention deutlich erhöhen..


 

Mehr Informationen zu den Projekten von Genocide Alert anlässlich des Völkermords in Ruanda finden Sie hier auf unseren Projektwebseiten zum Thema.

 

Credit © European Union, 2013

Interview mit Franziska Brantner: Die Verantwortung Europas

Dr. Fran­zis­ka Brant­ner ist Mit­glied des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments aus Ba­den-Würt­tem­berg. Sie ist au­ßen­po­li­ti­sche Spre­che­rin der Frak­ti­on Grü­ne/EFA und ge­hört dem Aus­wär­ti­gen Aus­schuss an. Sie ist Be­richt­er­stat­te­rin des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments für das The­ma der Schutz­ver­ant­wor­tung (‚Re­s­pon­si­bi­li­ty to Pro­tect‘). Im In­ter­view mit Ge­no­ci­de Alert kom­men­tiert Frau Dr. Brant­ner den in die­sem Früh­jahr ver­öf­fent­lich­ten Be­richt der „Eu­ropean Task Force on the EU Preven­ti­on on Mass Atro­ci­ties.“ Der Be­richt spricht kon­kre­te Emp­feh­lun­gen aus, wie die EU ih­re Fä­hig­kei­ten stär­ken kann um bes­ser zu ei­ner Ver­hin­de­rung schwers­ter Men­schen­rechts­ver­bre­chen wie Völ­ker­mord bei­tra­gen zu kön­nen.

Ge­no­ci­de Alert: War­um soll­te es in der Ver­ant­wor­tung der Eu­ro­päi­schen Uni­on lie­gen schwers­te Men­schen­rechts­ver­bre­chen welt­weit zu ver­hin­dern?

Brant­ner: Na­tür­lich liegt es nicht nur in der Ver­ant­wor­tung der Eu­ro­päi­schen Uni­on, aber Eu­ro­pa be­sitzt auf­grund sei­ner Ge­schich­te ei­ne be­son­de­re Ver­ant­wor­tung, um Men­schen­rechts­ver­bre­chen zu ver­hin­dern. Vor al­lem aber hat sich die EU ganz ein­deu­tig, auch in ih­ren Ver­trä­gen, zu Mul­ti­la­te­ra­lis­mus und den Ver­ein­ten Na­tio­nen be­kannt hat. Und da­mit steht sie auch in der Pflicht, das Prin­zip der Schutz­ver­ant­wor­tung (‚R2P‘), das 2005 von al­len Mit­glieds­staa­ten der Ver­ein­ten Na­tio­nen de­kla­riert wur­de um­zu­set­zen. Die EU muss ei­nen an ih­ren Ka­pa­zi­tä­ten und Fä­hig­kei­ten ge­mes­se­nen wich­ti­gen Bei­trag zu des­sen Um­set­zung bei­tra­gen, das Prin­zip je­doch nicht neu er­fin­den. Letzt­lich wä­re es auch der Glaub­wür­dig­keit der EU zu­träg­lich, wenn es ihr stär­ker ge­län­ge, ih­ren heh­ren Ab­sich­ten ent­spre­chen­de Ta­ten fol­gen zu las­sen.

 

Ge­no­ci­de Alert: Wel­che drei Emp­feh­lun­gen der Task Force wür­den Sie als die wich­tigs­ten her­vor­he­ben?

Brant­ner: Die Emp­feh­lun­gen der Task Force zur Prä­ven­ti­on durch die EU von schwers­ten Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen be­inhal­ten zahl­rei­che wert­vol­le An­satz­punk­te. An ers­ter Stel­le gilt es, die Emp­feh­lung zum ex­pli­zi­ten und EU-wei­ten Be­kennt­nis zur Schutz­ver­ant­wor­tung auf­zu­neh­men. Das Eu­ro­päi­sche Par­la­ment ver­ab­schie­de­te im April die­ses Jah­res ei­ne Emp­feh­lung an den Rat zum Prin­zip der Schutz­ver­ant­wor­tung in der es den Rat und die Mit­glieds­staa­ten auf­for­dert, ei­nen ‚Eu­ro­päi­schen Kon­sens zur Schutz­ver­ant­wor­tung‘ zu ent­wi­ckeln. Die­ser soll ähn­lich wie ver­gan­ge­ne Kon­sen­se zur Ent­wick­lungs­po­li­tik (2006) und zur hu­ma­ni­tä­ren Hil­fe (2008) die EU In­sti­tu­tio­nen und die Mit­glieds­staa­ten ver­pflich­ten, ih­re Maß­nah­men auf der Ba­sis ge­mein­sa­mer Grund­sät­ze zu ko­or­di­nie­ren.

Zwei­tens möch­te ich die For­de­rung nach ei­ner un­ver­züg­li­chen und ziel­ge­rich­te­te­ren Re­ak­ti­on auf Früh­war­nun­gen her­vor­he­ben. Da sich die EU-Struk­tu­ren, ins­be­son­de­re der Eu­ro­päi­sche Aus­wär­ti­ge Dienst (EAD), ho­ri­zon­tal mit den ver­schie­de­nen As­pek­ten von R2P be­fas­sen, ist ein op­ti­ma­ler und hand­lungs­ori­en­tier­ter In­for­ma­ti­ons­fluss un­er­läss­lich. Ei­ne EU-R2P Ko­or­di­nie­rungs­stel­le könn­te da­bei be­hilf­lich sein.

Drit­tens ist die in­ter­na­tio­na­le Ko­ope­ra­ti­on bei Ver­net­zung und Aus­tausch mit lo­ka­len zi­vil­ge­sell­schaft­li­chen Ak­teu­ren un­ab­ding­bar. Die Schutz­ver­ant­wor­tung kann nur funk­tio­nie­ren, wenn es ein uni­ver­sell ge­stütz­tes und um­zu­set­zen­des Prin­zip bleibt.

 

Ge­no­ci­de Alert: Wie se­hen Sie die Rol­le des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments bei der Um­set­zung der Emp­feh­lun­gen des Be­richts?

Brant­ner: Das Eu­ro­päi­sche Par­la­ment ist ein gro­ßer Be­für­wor­ter des Prin­zips der Schutz­ver­ant­wor­tung und sei­ner Um­set­zung. Dies zeig­te sich auch bei der Ver­ab­schie­dung der Emp­feh­lung an den Rat und des­sen über­wäl­ti­gen­der Zu­stim­mung durch die ver­schie­de­nen Frak­tio­nen. Ei­ni­ge der Emp­feh­lun­gen des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments fin­den sich auch im Be­richt der Task Force wie­der. Wir ha­ben dem Rat und den Mit­glieds­staa­ten ei­ne Frist von ei­nem hal­ben Jahr ge­setzt bis sie uns über Schrit­te zur Über­nah­me der Emp­feh­lun­gen zu be­rich­ten ha­ben. Das EP hat im Be­reich der Ge­mein­sa­men Au­ßen- und Si­cher­heits­po­li­tik kei­ne zwin­gen­de Kom­pe­ten­zen, muss je­doch kon­sul­tiert wer­den. Die­se Er­in­ne­rungs- und Mah­nungs­funk­ti­on wird das EP auch im Be­reich der Schutz­ver­ant­wor­tung wei­ter aus­füh­ren, und au­ßer­dem als Brü­cke zwi­schen Zi­vil­ge­sell­schaft und den be­schlie­ßen­den Or­ga­nen des Rats und des EADs agie­ren.

 

Ge­no­ci­de Alert: Die Eu­ro­päi­sche Uni­on be­treibt be­reits ei­ne An­zahl von Ak­ti­vi­tä­ten zur Kon­flikt­prä­ven­ti­on und -be­ar­bei­tung. Was ist der Un­ter­schied zwi­schen die­sen Ak­ti­vi­tä­ten und der Ver­hin­de­rung schwers­ter Men­schen­rechts­ver­bre­chen?

Brant­ner: Dies ist ge­nau ei­ne der Fra­gen, bei der das Eu­ro­päi­sche Par­la­ment in sei­ner Emp­feh­lung den Rat und die Mit­glieds­staa­ten um Auf­klä­rung bit­tet. Kön­nen wir das Prin­zip der Schutz­ver­ant­wor­tung mit den der EU zur Ver­fü­gung ste­hen­den Struk­tu­ren, Me­cha­nis­men und In­stru­men­ten ef­fek­tiv um­set­zen? Wo sind Nach­bes­se­run­gen not­wen­dig?

Wir ha­ben in der Emp­feh­lung klar­ge­macht: Be­son­de­res Ge­wicht bei der Um­set­zung von R2P hat für uns sein prä­ven­ti­ver An­satz. Die EU be­sitzt zahl­rei­che Mög­lich­kei­ten zur Kon­flikt­vor­beu­gung, bei­spiels­wei­se in ih­ren ver­schie­de­nen Au­ßen­fi­nan­zie­rungs- in­stru­men­ten  wie dem Sta­bi­li­täts­in­stru­ment und dem Eu­ro­päi­schen In­stru­ment für De­mo­kra­tie und Men­schen­rech­te, oder in den zi­vi­len und mi­li­tä­ri­schen Mis­sio­nen der Ge­mein­sa­men Si­cher­heits- und Ver­tei­di­gungs­po­li­tik. Hin­zu kom­men die bi­la­te­ra­len Ab­kom­men der EU mit ih­ren Part­ner­län­dern.

Der Schritt zur tat­säch­li­chen Ver­hin­de­rung schwers­ter Men­schen­rechts­ver­bre­chen liegt dar­in, die zwei­fel­los be­ste­hen­den Fä­hig­kei­ten zur Kon­flikt­vor­beu­gung- und Be­ar­bei­tung in an­ge­mes­se­ner Form und zum rich­ti­gen Zeit­punkt ein­zu­set­zen. Und hier­für be­nö­tigt es das vom Eu­ro­päi­schen Par­la­ment ge­for­der­te bes­se­re Ver­ständ­nis was die EU bei der Um­set­zung von R2P er­rei­chen möch­te, so­wie ent­spre­chen­der Früh­er­ken­nung po­ten­ti­ell kri­ti­scher Si­tua­tio­nen, um früh­zei­tig agie­ren zu kön­nen. Da­her set­zen wir uns auch für R2P spe­zi­fi­sche Trai­nings für EU Di­plo­ma­ten ein.

 

Ge­no­ci­de Alert: Vie­le der Emp­feh­lun­gen der Task Force er­for­dern Hand­lun­gen durch die Mit­glieds­staa­ten. Wel­che kon­kre­ten Maß­nah­men soll­te die Bun­des­re­gie­rung er­grei­fen, um schwers­te Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen zu ver­hin­dern?

Brant­ner: Die Bun­des­re­gie­rung könn­te ei­ne gan­ze Men­ge tun. Auf der Ebe­ne der EU soll­te sie ei­ne trei­ben­de Kraft sein, um die Um­set­zung der vie­len sinn­vol­len Emp­feh­lun­gen des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments vor­an­zu­trei­ben. Da­für müss­te Ber­lin auch ei­ne Ver­mitt­ler­rol­le ein­neh­men zwi­schen Po­si­tio­nen von Mit­glieds­staa­ten, die den bra­si­lia­ni­schen Vor­schlag zur ‚Re­s­pon­si­bi­li­ty whi­le pro­tec­ting‘ und der not­wen­di­gen Ent­wick­lung von Kri­te­ri­en bei der Um­set­zung von R2P-Man­da­ten ab­leh­nen, so­wie je­nen Mit­glieds­staa­ten, die die­sem Bei­trag auf­ge­schlos­se­ner ge­gen­über­ste­hen. Fer­ner soll­te die Bun­des­re­gie­rung ih­ren Stand­punkt ei­ner re­strik­ti­ven  Rüs­tungs­ex­port­pra­xis nicht nur me­di­en­wirk­sam ver­kün­den, son­dern auch in der Aus­fuhr­pra­xis ein­hal­ten. In­ter­na­tio­na­le Po­si­tio­nen wie der Ge­mein­sa­men Stand­punkt der EU zu Waf­fen­ex­por­ten aus 2008 und der dies­jäh­ri­ge Waffenhandelsvertrag (ATT) muss die Bun­des­re­gie­rung ein­heit­lich um­set­zen und an­de­re Un­ter­zeich­ner zu kon­se­quen­ter An­wen­dung drän­gen. Denn in die­sen Do­ku­men­ten ha­ben wir Ver­bo­te von Waf­fen­aus­fuh­ren, wenn mit den zu ex­por­tie­ren­den Gü­tern im Ziel­land ’schwe­re Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen‘ (EU Stand­punkt) oder gar ex­pli­zit die vier R2P-Ver­bre­chen (ATT) be­gan­gen wer­den könn­ten.

Was für die EU gilt, gilt auch für Deutsch­land: Ein R2P-Be­stands­be­richt zu vor­han­de­nen Ka­pa­zi­tä­ten und In­stru­men­ten für die Um­set­zung der Schutz­ver­ant­wor­tung soll­te er­stellt wer­den. Auch könn­ten deut­sche Di­plo­ma­ten ge­zielt zu po­ten­ti­el­len R2P-Si­tua­tio­nen und de­ren Früh­er­ken­nung ge­schult wer­den. Des Wei­te­ren muss Deutsch­land auch wei­ter­hin das in­ter­na­tio­na­le Netz­werk von R2P-Ko­or­di­nie­rungs­stel­len un­ter­stüt­zen – ge­nau­so wie die im Ju­li 2013 ins Amt be­ru­fe­ne R2P-Son­der­be­auf­trag­te des Ge­ne­ral­se­kre­tärs der Ver­ein­ten Na­tio­nen, Jen­ni­fer Welsh.

Genocide_Alert_Interview_mit_Franziska_Brantner_MEP_zur_European_Task_Force_on_Prevention_of_Mass_Atrocities

 

Wei­ter­füh­ren­de Links:

 

Europas moralische Verantwortung

Europas moralische Verantwortung: Der Bericht der Task Force on the EU Prevention of Mass Atrocities und seine Implikationen für die deutsche Politik

von Gregor Hofmann

Europa hat eine moralische Verantwortung Menschenrechtsverbrechen vorzubeugen und zu stoppen. Diese ergibt sich nicht nur aus der eigenen Geschichte, sondern auch aus direkten oder indirekten Beiträgen europäischer Staaten an solchen Verbrechen. Mit ihrer Unterstützung für die internationalen Schutzverantwortung – die Responsibility to Protect (RtoP) – hat sich die Europäische Union zu dieser Verantwortung bekannt. Die Schutzverantwortung proklamiert, dass jeder Staat die Verantwortung hat seine Bürgerinnen und Bürger vor Menschenrechtsverbrechen wie Völkermord, ethnischen Säuberungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen. Versagt der Einzelstaat in seiner Verantwortung steht die internationale Gemeinschaft in der Pflicht durch Unterstützung des Einzelstaates oder Zwang in Form von Sanktionen bis hin zum Einsatz militärischer Gewalt, mandatiert durch den UN Sicherheitsrat, die bedrohte Bevölkerung zu schützen. Aus diesem Bekenntnis ergibt sich eine Verpflichtung nicht nur die eigene Bevölkerung vor diesen Verbrechen zu schützen, sondern auch auf solche Verbrechen in Drittstaaten zu reagieren bzw. diese zu verhindern. Doch was tut die Europäische Union in diesem Bereich? Weiterlesen