Bündnis 90/Die Grünen und die Schutzverantwortung
Die Partei Bündnis 90/Die Grünen ist bisher die deutsche Partei, die sich am intensivsten mit dem Thema der Schutzverantwortung auseinandergesetzt und sich dazu positioniert hat. Dies ist sowohl im Bezug auf die Aktivitäten der Fraktion als auf Ebene der Bundespartei sichtbar.
Partei und Parteiprogramme
In der Wahlperiode 2013-2017 waren die Grünen im Hinblick auf das Prinzip der Schutzverantwortung die aktivste Partei des Bundestags. So verabschiedete die Bundesdelegiertenkonferenz im November 2014 einen Beschluss zu Europäischer Friedenspolitik. Auch zur Bundestagswahl stellten sie ein überzeugendes Menschenrechtskapitel im Wahlprogramm vor. Von allen Parteien weisen die Grünen in ihrem Wahlprogramm die ausführlichsten Vorschläge zur Verhinderung schwerster Menschenrechtsverletzungen vor. Die Grünen haben erkannt, dass Menschenrechte alle Politikfelder betreffen – von Handelspolitik über Sicherheitspolitik bis hin zu Umweltpolitik. Zentraler Pfeiler der grünen Außenpolitik ist neben den nachhaltigen Entwicklungszielen weiterhin das Konzept der Schutzverantwortung.
In ihrem Wahlprogramm 2017 betonen die Grünen den Vorrang ziviler Krisenprävention, bekennen sich jedoch auch zur dritten Säule der Schutzverantwortung und damit zu UN-Friedensmissionen. U.a. werden folgende Maßnahmen dahingehend im Wahlprogramm genannt: Verbesserung von Frühwarn- und Mediationskapazitäten, Einrichtung eines Friedensrat zur Harmonisierung aller Bundesministerien, Aufstockung der Mittel der Deutschen Stiftung Friedensforschung und Ausstattung aller Botschaften mit Menschenrechtsreferent*innen. Außerdem solle sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die UN-Generalversammlung in Krisensituationen mit qualifizierter Mehrheit den UN-Sicherheitsrat überstimmen und friedenserzwingende Maßnahmen nach Kapitel VII beschließen kann. Auch ein größerer deutscher Beitrag zu UN-Friedensmissionen und eine restriktivere Rüstungsexportpolitik werden gefordert. Auch für eine Integration von Menschenrechtspolitik für LSBTIQ* in die Außen- und Entwicklungspolitik treten die Grünen ein. Zudem fordern sie eine Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofes und eine Ausweitung sicherer und legaler Fluchtwege für Menschen aus Krisenregionen.
Zwischen den Bundestagswahlen 2013 und 2017 setzten die Grünen sich gründlich mit der Umsetzung des Prinzips der Schutzverantwortung auseinander. Sie brachten Vorschläge vor, wie bereits bestehende Institutionen und Instrumente der Schutzverantwortung weiter entwickelt werden können. Im November 2014 verabschiedete die Bundesdelegiertenkonferenz einen Beschluss zu Europäischer Friedenspolitik, in dem mehrmals auf die Schutzverantwortung eingegangen wird. Zum einen wird darin beschrieben, welche völkerrechtlichen Instrumente zur Mandatierung von militärischen Eingriffsmissionen entworfen werden müssten für den Fall, dass der UN-Sicherheitsrat blockiert ist. Zum anderen umreißen die Grünen die Kriterien solcher Eingriffsmissionen und betonen, dass es im außenpolitischen Handeln ein „Primat der zivilen Krisenprävention“ geben müsse und dass „alle Politikfelder auf der Grundlage menschenrechtlicher Leitprinzipien aufeinander abgestimmt werden“ müssen (S. 2-3). Der Beschluss analysiert außerdem ausführlich die Krise in Syrien und Irak und ruft die Bundesregierung dazu auf, im Sinne der Schutzverantwortung auf ein UN-Mandat zur Beendigung des Krieges hinzuwirken.
Bundestagswahl 2017
- In den Genocide Alert Wahlprüfsteinen 2017 zur Prävention von Massenverbrechen bekannten sich die Grünen zur Schutzverantwortung.
- Im Genocide Alert Menschenrechtszeugnis zur Bundestagswahl 2017 erhielten die Grünen die Note 1 (sehr gut)
Bundestagsfraktion zwischen 2013 und 2017
Die Grüne Bundestagsfraktion hat sich in der Legislaturperiode zwischen 2013 und 2017 sehr aktiv in der Weiterentwicklung und Umsetzung der Schutzverantwortung mit Anträgen, Reden und Informationsveranstaltungen eingebracht. Die Grünen haben für die Truppenaufstockung der Bundeswehr für die UN-Mission in Mali (MINUSMA) und für den Weiterverbleib deutscher PolizistInnen und Truppen im Rahmen der UN-Mission im Südsudan (UNMISS) gestimmt. Im Gegensatz dazu stimmten sie wegen eines nicht ausreichenden UN-Mandats gegen eine Beteiligung der Bundeswehr an der Intervention gegen den „Islamischen Staat“. Im Dezember 2015 stellten die Grünen im Bundestag einen Antrag zu den Menschenrechtsverletzungen in Burundi und schlossen in ihren Forderungen u.a. ein, Frühwarnsysteme einzurichten, die diplomatischen Bemühungen zur Beilegung des Konflikts zu intensivieren und darüber hinaus eine EU-weite Strategie für die Region Zentralafrika zu entwerfen. Am 9.6.2015 verabschiedete die Bundestagsfraktion den Beschluss „Mehr Globale Verantwortung – Deutsche Politik in den Vereinten Nationen“, in dem sie die Bundesregierung dazu auffordert, sich noch mehr in der UN für die Prävention und Lösung von Krisen einzusetzen unter Einbeziehung aller zivilen Krisenpräventions- und Krisenbearbeitungsinstrumenten. Weiterhin sollte Deutschland sich für den finanziellen und personellen Kapazitätsausbau für Krisenprävention und Mediation innerhalb der UN einsetzen. Dazu fordert der Beschluss, dass Deutschland selbst mehr ziviles, polizeiliches und militärisches Personal für UN-Friedensmissionen zur Verfügung stellen müsse, um die Durchsetzungsfähigkeit der Missionen und Glaubwürdigkeit Deutschlands zu erhöhen. Im Juli 2016 stellte die Fraktion eine umfassende Kleine Anfrage an die Bundesregierung zur Umsetzung der Schutzverantwortung in der deutschen Außenpolitik. Am 18.9.15 organisierte die Grüne Bundesfraktion außerdem einen Kongress mit dem Titel: „Friedenspolitik in einer unfriedlichen Zeit“. In dessen Rahmen fanden Workshops und Podiumsdiskussionen zu ziviler Krisenprävention, „grüner“ Außenpolitik und den globalen Trends hinsichtlich Frieden und Krieg statt.
Bundestagswahl 2013
- Hier finden Sie die Antworten von Bündnis 90/Die Grünen auf die Wahlprüfsteine von Genocide Alert e.V. für die Bundestagswahl 2013 bezüglich des Engagements der Fraktion für die Schutzverantwortung: Meine Stimme für Menschenrechte – Wahlprüfsteine: Bündnis 90/Die Grünen
- Im Menschenrechtszeugnis von Genocide Alert für die Bundestagswahl 2013 erhielten die Grünen eine 1. Hier zum detaillierten Ergebnis der Grünen.
Partei und Parteiprogramme vor 2013
Am 16. November 2012 verabschiedete die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen einen umfassenden Beschluss zur Schutzverantwortung. In dem Beschluss bekennen sich die Grünen „zur Fortentwicklung des Völkerrechts im Sinne der Schutzverantwortung“ und plädieren für ein umfassendes Verständnis der Schutzverantwortung. Zu den Kernforderungen des Beschlusses gehören:
- eine effektive deutsche Politik zur Frühwarnung und Prävention von Massenverbrechen, u.a. durch die Stärkung von VN-Frühwarnmechanismen, eine Erstellung eines Bestandsberichts in der Bundesrepublik zu relevanten Instrumenten und vorhandenen Kapazitäten für eine kohärente R2P-Politik der Bundesregierung, und die Stärkung des „Aktionsplans zivile Krisenprävention“.
- eine im Hinblick auf die Schutzverantwortung verantwortliche Rüstungskontrolle, Entwicklungs- und Handelspolitik, die auf die Verhinderung von Konflikten und die Prävention von Massenverbrechen hinwirken.
- eine Reform des Sicherheitsrates mit einem europäischen Sitz, zu dem auch Deutschland gehört.
- eine stärkere finanzielle und personelle Beteiligung Deutschlands an VN-Friedensmissionen.
- eine Förderung des Internationalen Strafgerichtshof.
In dem Beschluss nehmen die Grünen ausdrücklich Bezug auf die Möglichkeit, im Ausnahmefall militärische Mittel für die Verhinderung von Massenverbrechen einzusetzen und beschreiben Leitlinien für den Einsatz von Militär im Kontext der Schutzverantwortung.
Im Bundestagwahlprogramm der Grünen von 2009 wurde auf RtoP Bezug genommen (S.6) sowie auch im Europawahlprogramm von 2009 (S.161). In ihrem Europawahlprogramm wird außerdem ausdrücklich davor gewarnt, die Debatte um die Schutzverantwortung auf den militärischen Aspekt zu beschränken. Bündnis 90/Die Grünen sehen die RtoP vor allem als Präventionsinstrument und stellen sich vehement gegen die Instrumentalisierung der Norm als Vorwand zur humanitären Intervention.
Bundestagsfraktion und Abgeordnete vor 2013
Anfang Mai 2012 reichte die Bundestagsfraktion der Grünen den umfassenden Antrag „Schutzverantwortung weiterentwickeln und wirksam umsetzen.“ ein. Der acht Seiten lange Antrag umfasst insgesamt 28 sehr ausführliche Empfehlungen an die Bundesregierung und setzt sich besonders detailliert mit der „Responsibility to Protect“ auseinander.
Zwar versteht die Fraktion die Schutzverantwortung noch nicht als verpflichtende völkerrechtliche Norm und ebenfalls noch nicht als Völkergewohnheitsrecht, dennoch sieht sie in den letzten Jahren eine fortschreitende gewohnheitsrechtliche Etablierung der Norm. Die Forderungen, die im Detail im Antrag hier nachzulesen sind, umfassen u.a.:
- eine Stärkung der Büros der Sondergesandten des VN-Generalsekretärs für die Prävention von Völkermord und RtoP durch die Bundesregierung,
- einen stärkeren Einsatz der Bundesregierung bei den VN um Koordinierungsaufgaben verschiedenster VN-Organisationen zu stärken und damit Krisen früher vorzubeugen,
- einen Einsatz der Bundesregierung zur Verhinderung von Blockaden im Sicherheitsrat bei drohenden Massenverbrechen, u.a. durch stärkere Unterstützung von regionalen Organisationen und dem Einsatz von „Uniting for Peace“ Resolutionen, in Fällen, in denen der Sicherheitsrat blockiert ist,
- einen Einsatz der Bundesregierung für die internationale Ausarbeitung von Kriterien für „RtoP Einsätze“,
- eine Ausarbeitung durch die Bundesregierung einer „nationalen Strategie zur institutionellen und programmatischen Verankerung der Schutzverantwortung auf nationaler Ebene“, einschließlich einer Prüfung einer deutschen Version des amerikanischen „Atrocities Prevention Boards“, einer regelmäßigen Einbeziehung von NGOs in die Umsetzung der RtoP und einer aktiven Öffentlichkeitsarbeit zur Schutzverantwortung und
- einen Einsatz der Bundesregierung für eine „Operationalisierung der Schutzverantwortung im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- Verteidigungspolitik (GSVP), der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD), des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) und der EU-Entwicklungspolitik“.
In einem Fraktionsbeschluss vom 11. Dezember 2012 zur Rolle Deutschlands bei den Vereinten Nationen unterstrich die Fraktion erneut ihre Unterstützung für die Schutzverantwortung und schreibt unter anderem:
„Wir wollen, dass Deutschland RtoP als wichtige Säule einer menschenrechtsgeleiteten globalen Friedenspolitik begreift und die internationale RtoP-Agenda entsprechend der deutschen historischen Verantwortung für die Verhütung von Völkermord aktiv und mit eigenen Initiativen voranbringt. Wir setzen uns dafür ein, dass VN-Frühwarnmechanismen gestärkt und besser miteinander verzahnt werden, um vorhandene Informationen im Hinblick auf drohende oder bereits stattfindende Massenverbrechen schnell auswerten zu können.“ (S.4).
Im gleichen Dokument fordert die Fraktion der Grünen ein „mit dem in den USA eingerichteten Mass Atrocities Prevention Board vergleichbares Gremium zu schaffen.“
Auch vor dem Antrag im Mai 2012 gab es von Seiten der Fraktion der Grünen eine Reihe von positiven Bezugnahmen auf die Schutzverantwortung. In verschiedenen Anträgen der Faktion Bündnis 90/Die Grünen und unterschiedlicher Bundestagsabgeordneter wurde immer wieder auf die Schutzverantwortung verwiesen. So wird exemplarisch im Antrag 17/5909 vom 25. Mai 2011 die Schutzverantwortung als Argumentationsgrundlage für die Unterstützung der humanitären Hilfe zugunsten der libyschen Zivilbevölkerung und der Flüchtlinge aus Libyen und für eine menschenwürdige Behandlung und Aufnahme von Schutzbedürftigen herangezogen. Im Antrag 17/5192 vom 23. März 2011 für eine neue Politik gegenüber den Ländern Nordafrikas und des Nahen Osten wird darauf verwiesen, dass der libysche Staat seine Schutzverantwortung vorsätzlich verletzt und die internationale Staatengemeinschaft somit ihre Verantwortung wahrzunehmen habe. Dabei werden zwar die zivilen Maßnahmen im Rahmen der RtoP bevorzugt, jedoch werden auch militärische Maßnahmen befürwortet um schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Dass zudem die „Verhältnismäßigkeit der Mittel“ betont wird, zeigt, dass sich die Fraktion Bündnis90/Die Grünen aktiv und detailliert mit der Schutzverantwortung auseinandergesetzt haben. Im Antrag 16/13392 vom 17. Juni 2009 ruft die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie verschiedene Bundestagsabgeordnete die Bundesregierung auf, „sich aktiv im Rahmen der EU und der VN für die Ausformulierung und wirksame Umsetzung der internationalen Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) mit dem Ziel einer Stärkung ziviler Krisenprävention einzusetzen.“ Ein gemeinsamer Antrag und späterer Beschluss von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der FDP und der SPD zum 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Dezember 2008 beinhaltete die Aufforderung an die Bundesregierung „im Rahmen der Vereinten Nationen an der Ausgestaltung des Konzepts der Schutzverantwortung von Staaten (Responsibility to Protect) mitzuwirken“ (Drucksache 16/11215).
Links zu Beiträgen zur Schutzverantwortung durch Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen/der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und anderen:
- Kleine Anfrage der Faktion der Grünen und Antwort der Bundesregierung, Juli 2015: Zehn Jahre Schutzverantwortung – Anspruch und Wirklichkeit der Umsetzung des
- Konzepts durch Deutschland
- Genocide Alert, 12.09.2013: Menschenrechtszeugnis zur Bundestagswahl 2013
- Marieluise Beck, 10.7.2013: Srebrenica mahnt: Schutzverantwortung übernehmen
- Kerstin Müller, 29.11.2012: Bundestagsrede: UN-Sicherheitsrat und Schutzverantwortung
- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, 11.12.2012: Fraktionsbeschluss: Deutschland als ein aktives und motiviertes Mitglied in den Vereinten Nationen – Grüne Initiativen zur deutschen VN-Politik
- Winfried Nachtwei, Beitrag auf der Bundesdelegiertenkonferenz zur Debatte zur Schutzverantwortung, 21.12.2012
- Frithjof Schmidt, Außenpolitische Rede zum TOP Schutzverantwortung auf der Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen, Hannover, 16.11.2012
- Bundestagsrede von Kerstin Müller, 29.11.2012, „UN-Sicherheitsrat und Schutzverantwortung – Parlament„, Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Beschluss der Grünen zur Schutzverantwortung: „Für eine Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte – Responsibility to Protect – Vom Recht des Stärkeren zum Schutz des Individuums durch Stärkung des Rechts“, 34. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz Hannover, 16.-18. November 2012
- Interview mit Kerstin Müller zur Schutzverantwortung vom 8.6.2012, veröffentlicht am 22.7.2012
- Ein detaillierter Bericht zur Veranstaltung „Menschenrechte verantwortlich schützen – Konzept der Responsibility to Protect weiterentwickeln“ der Grünen am 08.06.2012 in Berlin.
- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, 09.05.2012: Antrag im Bundestag: Schutzverantwortung weiter entwickeln und wirksam umsetzen.
- Winfried Nachtwei, 15.06.2012: „Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) zwischen Notwendigkeit, Tücken und Umsetzung – Herausforderung für deutsche Sicherheits- und Friedenspolitik“.
- Tom Koenigs, 28.072012 „Debatte zur Schutzverantwortung im Bundestag“ Protokoll und Video der Diskussion
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