Der Holocaust (1941 – 1945)

„So habe ich, einstweilen nur im Osten, meine Totenkopfverbände bereitgestellt mit dem Befehl unbarmherzig und mitleidslos Mann, Weib und Kind polnischer Abstammung und Sprache in den Tod zu schicken. Nur so gewinnen wir den Lebensraum, den wir brauchen. Wer redet heute noch von der Vernichtung der  Armenier?“

Mit diesen Worten skizzierte Hitler, eine Woche vor dem Angriff auf Polen vor Wehrmachtsoffizieren seine geplante Bevölkerungspolitik für Osteuropa.[1]

Dem Massenmord an den Juden ging ein mehrjähriger, sich radikalisierender Diskriminierungsprozess voran.[2] Kurz nach der Machtergreifung Hitlers wurde mit der Umsetzung einer anti-jüdischen Politik begonnen. Diese fußte einerseits auf gesetzlichen Schritten, welche die Rechte der Juden einschränkten und sie enteigneten. Vorangetrieben wurde diese Politik durch Hetzkampagnen, Terror, Misshandlungen und Gewalt. Das Ziel war zunächst, die Juden gesellschaftlich zu isolieren und sie so zum verlassen Deutschlands zu bewegen.[3] Am 1. April 1933 wurde zu diesem Zweck zum wirtschaftlichen Boykott jüdischer Geschäften und Betriebe aufgerufen. Kurz darauf wurde das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ erlassen. Es ermöglichte, jüdische Beamte aus dem öffentlichen Dienst zu entlassen. Im September 1935 folgten die sogenannten „Nürnberger Gesetze“, welche Juden zu Bürgern zweiter Klasse degradierten.[4]

Abtransport von Frauen und Kindern in die Vernichtungslager nach der Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto, Mai 1943 ([Public domain], via Wikimedia Commons)

Abtransport von Frauen und Kindern in die Vernichtungslager nach der Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto, Mai 1943 ([Public domain], via Wikimedia Commons)

Der Leiter des Reichssicherheitshauptamtes Reinhard Heydrich verschickte im September 1939 den sogenannten „Schnellbrief“. Dieser legte fest, dass Juden im besetzen polnischen Gebiet innerhalb der Großstädte in Ghettos konzentriert werden sollten. Nach der Invasion der deutschen Armee in die Sowjetunion im Juni 1941 ereigneten sich die ersten Massenmorde an der dort ansässigen jüdischen Bevölkerung. Diese wurden von Spezialeinheiten der SS, den „Einsatzgruppen“ durchgeführt. Die in den Lagern lebenden Juden wurden zudem für die deutsche Kriegsmaschinerie zur Zwangsarbeit gezwungen.[5] Die stundenlangen Erschießungen jüdischer Zivilisten stellte für die Soldaten eine enorme psychologische Belastung dar. Deshalb wurde ein Netz aus Vernichtungslagern geschaffen.

Wann der konkrete Beschluss zur massenhaften Ermordung von Juden gefasst wurde, ist in der Forschung weiter strittig. Es wird angenommen, dass die Entscheidung hierfür zwischen Juli 1941 und dem Beginn des Jahres 1942 fiel.[6] Anfang Juli 1941 wies Reichsmarschall Hermann Göring Reichsminister Reinhard Heydrich an, „alle erforderlichen Vorbereitungen […] für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflussgebiet in Europa“ zu treffen.[7] Auf der Wannsee Konferenz am 20. Januar 1942 informierte Reichsminister Heydrich die Staatssekretäre der Reichsministerien über die angelaufene sogenannte Endlösung.[8] Ein Entwurf über die organisatorischen und materiellen Belange im Hinblick auf die Endlösung der europäischen Judenfrage sollte in Wannsee erarbeitet werden.[9]

Dem Holocaust fielen 6 Million Juden zum Opfer. Zu den Opfern des NS-Regimes zählten nicht nur Juden, sondern darüber hinaus auch Sinti und Roma, Oppositionelle, Homosexuelle, Menschen mit Behinderung und Angehörige verschiedener Glaubensrichtungen. Es wird geschätzt, dass dem zweiten Weltkrieg allein in Europa 40. Mio. Menschen zum Opfer fielen.[10]

Aufarbeitung

Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus setzte in Deutschland nur zögerlich ein. Direkt nach dem Ende des zweiten Weltkriegs beschritt man den Weg der Demokratisierung und integrierte ehemalige Funktionsträger des NS-Staats gesellschaftlich. Über den Nationalsozialismus wurde in der deutschen Öffentlichkeit weitgehend geschwiegen.[11] Vielmehr noch wurden die begangenen Verbrechen und der Holocaust als Werke Hitlers und der SS gesehen. Die Wehrmacht wurde als Inbegriff zeitloser Soldatentugenden mythisiert. Die deutsche Bevölkerung skizzierte man als passiv Duldende, Leidende und Opfer der nationalsozialistischen Führung.[12] Diese Auffassung wurde auch von den Medien vertreten. So schrieb der Stern 1950 über in Spandau inhaftierte Kriegsverbrecher: „Sie alle sind keine Verbrecher. Sie sind Gentlemen.“[13]

Ein Wandel setzte erst um 1958 ein. Diesem vorausgegangen waren Schändungen jüdischer Friedhöfe, Hakenkreuzschmierereien im gesamten Bundesgebiet und antisemitische Skandale wie der des aus Offenburg stammenden Studienrat Ludwig Zind. Dieser hatte bei einer Stammtischdiskussion lautstark kundgetan: es seien zu wenig Juden vergast worden.[14] In Reaktion hierzu verabschiedeten die Kultusminister neue Richtlinien für den Geschichtsunterricht, in dem der Nationalsozialismus ausführlich behandelt werden sollte. Außerdem sollte die Bundeszentrale für politische Bildung mit Schriftreihen und Veranstaltungen die Öffentlichkeit aufklären. Hinzu kamen rechtliche Schritte wie die Einführung des Straftatbestands der Volksverhetzung. Konzentrationslager wie Dachau wurden zu Orten der Erinnerung und der Bau von Gedenkstätten begann.[15] Zudem wurde durch die Landesjustizminister die „Zentrale Stelle zur Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen“ geschaffen, welche die strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechern vorantrieb.[16]

Die Bundestagsdebatte über die Verjährung von NS-Mordverbrechen, sowie der Eichmann-Prozess in Jerusalem und der Auschwitz-Prozess in Frankfurt erfuhren große öffentliche Aufmerksamkeit und förderten die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Frage des Umgangs mit NS-Verbrechen.[17] Zwischen 1965 und 1969 setzte sich der Bundestag mit der Verjährung von NS-Verbrechen auseinander. Das Ergebnis war zunächst eine Aufschiebung der Verjährung, letztendlich wurde die Verjährung für NS-Verbrechen aufgehoben.[18] Die im Jahr 1968 einsetzende Jugendrevolte kritisierte außerdem den Umgang mit der eigenen Vergangenheit.

Die Bundesrepublik schloss zwischen 1959 und 1964 mit zwölf westeuropäischen Staaten sogenannte Globalentschädigungsabkommen und stellte insgesamt 876 Mio. DM an Entschädigungszahlungen bereit. Abkommen mit osteuropäischen Staaten wurden erst nach der Wiedervereinigung geschlossen.[19] Im 1952 geschlossenen Luxemburger Abkommen mit Israel verpflichtete sich die Bundesrepublik zur Zahlung von Entschädigungsleistungen in Höhe von 3,45 Mrd. DM in 14 Jahresraten. Israel sollte hiervon 3 Mrd. erhalten, der Rest ging an die jüdische Weltorganisation. Bei der Abstimmung im deutschen Bundestag war der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer auf die Stimmen der SPD-Opposition angewiesen, die als einzige Fraktion geschlossen für das Abkommen stimmte. Von insgesamt 400 Abgeordneten sprachen sich lediglich 239 für das Abkommen aus.[20] Fünfzehn Abgeordnete der  FDP und CDU/CSU stimmten gegen das Abkommen und 68 enthielten sich.[21] Als Argument gegen das Abkommen wurde die Gefährdung der Beziehungen zu arabischen Staaten angeführt.[22]

Als die sozial-liberal geführte Bundesregierung im Jahr 1970 am 8. Mai erstmals im Bundestag dem Kriegsende gedachte protestierte die CDU/CSU gegen eine solche „Kapitulations-Würdigung“.[23]

1979 erzielte die Ausstrahlung der amerikanischen Serie „Holocaust“ außerordentlich hohe Einschaltquoten. Das führte, in den 1980er Jahren zu einem Anstieg an Serien und Filmen, die sich mit der Thematik auseinandersetzen.[24]

Der damalige Bundespräsident Roman von Weizsäcker erklärte am 8. Mai 1985 in einer Rede zu 40 Jahren Kriegsende:

„Und dennoch wurde von Tag zu Tag klarer, was es für uns alle gemeinsam zu sagen gilt: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“.[25]

Diese Aussage markierte eine dramatische Wende. Noch im Jahr 1955 hatte die Frankfurter Allgemeine Zeitung geschrieben, der 8. Mai sei ein „düsterer Tag der tiefsten Erniedrigung“ für die Deutschen gewesen.[26]

Am 7. Dezember sank der damalige Bundeskanzler Willy Brandt vor dem Mahnmal für die Opfer des Aufstandes im Warschauer Ghetto auf die Knie. Brand war als Oppositioneller vor den Nazis ins Exil geflohen und wurde deshalb von rechts als „Volksverräter“ beschimpft. In seinen Memoiren schrieb Willy Brandt über den Kniefall: „Am Abgrund der Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt.“ Zudem erkannte Brandt als erster Bundeskanzler die Oder-Neiße-Linie als Grenze zu Polen an.[27]

Der deutsche Prozess der Aufarbeitung wird heute international positiv wahrgenommen. Dieser diente nach der Wiedervereinigung auch innerhalb Deutschlands als Vorbild. So sollten anfängliche Fehler bei der Aufarbeitung der SED Diktatur vermieden werden.[28]

Die Bedeutung des Holocausts

Die gesellschaftliche und politisch getragene Auffassung „nie wieder Krieg“, manifestierte sich im Grundgesetz (GG). Im Bewusstsein seiner Verantwortung verpflichtet sich die Bundesrepublik „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“. Artikel 26 (1) GG untersagt außerdem jegliche Handlungen, die geeignet sind, das Zusammenleben der Völker zu stören sowie die Führung eines Angriffskrieges.

Außenpolitisch relevante Kriterien stellen für die Bundesrepublik von Anfang an die Wahrnehmung als friedlich demokratischer Staat und verlässlicher, berechenbarer Partner dar. Gefördert wird dies durch die enge Integration in internationale Strukturen, wie der EU, der NATO und später den Vereinten Nationen.[29] Die Erfahrungen des zweiten Weltkriegs nehmen demnach eine zentrale Stellung in der deutschen Identität ein und führten zu einer international pazifistischen Positionierung der Bundesrepublik.

Die Schlussfolgerung „nie wieder Auschwitz“ zog man erst zehn Jahre nach dem Mauerfall. Diese späte Einsicht war der anfänglichen Verdrängung des Holocausts geschuldet. Der damalige Außenminister Joschka Fischer (B90/Grünen) sagte 1999 auf dem Parteitag der Grünen: „Auschwitz ist unvergleichbar. Aber ich stehe auf zwei Grundsätzen, nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus. Beides gehört bei mir zusammen.“[30] Vor dem Hintergrund des Kosovo Konflikts korrelierte die pazifistische Position Deutschlands mit der internationalen normativen Form. Der Grundsatz nie wieder Krieg hätte einen weiteren Völkermord nicht verhindert. Eine Umorientierung der deutschen Identität war nötig.

Quellen

Weitere Beiträge von Genocide Alert zum Thema

» Deutschland und die Umsetzung der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect)

Verweise im Text

[1] Friedrich Ebert Stiftung Netz Quelle (1939) „Die NS-Bevölkerungs- und Vernichtungspolitik für Osteuropa“. Online verfügbar unter http://library.fes.de/library/netzquelle/zwangsmigration/32ansprache.html.

[2] Bundeszentrale für politische Bildung (2014) „Völkermord. Holocaust“. Online verfügbar unter http://www.bpb.de/izpb/183872/voelkermord?p=2.

[3] Yad Vashem (k. D.)  „Über den Holocaust“. Online verfügbar unter http://www.yadvashem.org/yv/de/holocaust/about/index.asp.

[4] Yad Vashem (k. D.)

[5] Yad Vashem (k. D.)

[6] Bundeszentrale für politische Bildung (2014)

[7] Yad Vashem (k. D.)

[8] Bundeszentrale für politische Bildung (2014)

[9] NS-Archiv (1942) „ Das Wannssee-Protokoll“. Online verfügbar unter http://www.ns-archiv.de/verfolgung/wannsee/wannsee-konferenz.php.

[10] Politische Landschaft (o. D.) „ Einige Thesen zum Zweiten Weltkrieg und seinen Nachwirkungen“. Online verfügbar unter http://www.politische-landschaft.at/workshop/einige-thesen-zum-zweiten-weltkrieg-und-seinen-nachwirkungen/.

[11] Bundeszentrale für politische Bildung (2008) „Geschichte der Erinnerungskultur in der DDR und BRD“. Online verfügbar unter http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/geschichte-und-erinnerung/39814/geschichte-der-erinnerungskultur.

[12] Wolfrum, Edgar (2009) Die Anfänge der Bundesrepublik, die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und die Fernwirkungen heute. In: Ursula Bitzeio; Anja Kurke; Meik Woyke (Hg.) „Solidargemeinschaft und Erinnerungskultur im 20. Jahrhundert“, Bonn: Dietz Verlag, 363-377 Online verfügbar unter http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/13758/1/Wolfrum_Anfaenge_Bundesrepublik.pdf.

[13] Wolfrum, Edgar (2009)

[14] Wolfrum, Edgar (2009); Jüdische Allgemeine (2013) „1958: „Zu wenige Juden vergast“. Online verfügbar unter http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/14970.

[15] Wolfrum, Edgar (2009)

[16] Bundeszentrale für politische Bildung (2008)

[17] Bundeszentrale für politische Bildung (2008); Wolfrum, Edgar (2009)

[18] Wolfrum, Edgar (2009)

[19] Hockerts, Hans Günter (2013) „Wiedergutmachung in Deutschland 1945-1990. Ein Überblick“. Online verfügbar unter http://www.bpb.de/apuz/162883/wiedergutmachung-in-deutschland-19451990-ein-ueberblick?p=all.

[20] Wolfrum, Edgar (2009)

[21] Nelhiebel, Kurt (2010) „Der braune Faden. Vom deutschen Hass auf Juden und Kommunisten“. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, (4) 107-115.

[22] 1000 Dokumente (o. D.) „Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel [„Wiedergutmachungsabkommen“], 10. September 1952“. Online verfügbar unter http://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0016_lux_de.pdf.

[23] Wolfrum, Edgar (2009)

[24] 3Sat (2015) „Greuel im Zweiten Weltkrieg – Etappen der Aufarbeitung“. Online verfügbar unter http://www.3sat.de/mediathek/?obj=48890.

[25] Wolfrum, Edgar (2009)

[26] Wolfrum, Edgar (2009)

[27] Sontheimer, Michael (2010) „Willy Brandt in Warschau. Kniefall vor der Geschichte.“ Online verfügbar unter http://www.spiegel.de/einestages/willy-brandt-in-warschau-a-946886.html.

[28] Wolfrum, Edgar (2009)

[29] Bundeszentrale für politische Bildung (2009) Deutsche Außenpolitik. Informationen zur politischen Bildung, 304.

[30] Der Spiegel (1999) „Auszüge aus der Fischer-Rede“. Online verfügbar unter http://www.spiegel.de/politik/deutschland/wortlaut-auszuege-aus-der-fischer-rede-a-22143.html.


Autorin: Nina Sudholt