Über dieses Projekt
Prävention von Massenverbrechen und Entwicklungszusammenarbeit
Massenverbrechen sind definitionsgemäß die schwerwiegendsten Angriffe auf Zivilpersonen und führen zu enorm hohen Sterblichkeitsraten und Fluchtbewegungen. Wie kann man frühzeitig handeln, damit gar nicht erst eine Situation entsteht, in der es zu Massenverbrechen kommen kann? Wie kann ein Risiko für das Auftreten solcher Verbrechen frühzeitig erkannt werden? Obwohl es umfassende Forschungen zur Konfliktprävention gibt, gibt es wenig spezifische Forschungen zur Prävention von Massenverbrechen.
Die Verhütung von Gräueltaten erfordert einen spezifischen Ansatz: Solche Verbrechen treten zwar oft, aber nicht immer, in bewaffneten Konflikten auf. Seit 1945 sind etwa ein Drittel dieser Verbrechen außerhalb von bewaffneten Konflikten begangen worden. Sie erfolgen in Form von staatlich kontrollierter Repression, wie in Nordkorea, oder von Diskriminierung und identitätsbezogener Gewalt gegen bestimmte Minderheiten, wie in Myanmar. Sie treten aber auch als kommunale Gewalt auf, als Folge von Spannungen und Gewalt zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, wie etwa Bauern und Nomaden in Mali oder Nigeria.
Die Prävention der schwerwiegendsten Gräueltaten muss daher auf drei Ebenen erfolgen und darf sich nicht nur auf bewaffnete Konflikte konzentrieren. Diplomatische, humanitäre und auch militärische Instrumente der Konfliktbearbeitung müssen Risiken und Anzeichen für mögliche Massenverbrechen bereits bei der Planung entsprechenden Engagements berücksichtigen. Bei drohenden Verbrechen muss direkter Einfluss ausgeübt werden. Und bei bereits eingetretenen Menschenrechtsverletzungen muss schnell reagiert werden, um noch mehr Leid zu verhindern.
Risiken frühzeitig erkennen und strukturelle Ursachen für Massenverbrechen angehen
Zivilisten auf der Flucht in Bor, Südsudan (UN Photo/Hailemichael Gebrekrstos)
Die Prävention von Massenverbrechen sollte daher als Bestandteil von Außen-, Sicherheits-, Handels- und Entwicklungspolitik begriffen werden. Über alle Politikfelder hinweg gilt es eine sogennante atrocity prevention lens einzurichten, gewissermaßen einen Filter , der über die bisher etablierten diplomatischen, humanitären und auch militärischen Instrumente der Konfliktprävention und -bearbeitung gelegt wird, um Risiken und Anzeichen für mögliche Massenverbrechen bereits bei der politischen Planung zu berücksichtigen. Zudem wird so eine Sensibilität dafür geschaffen, dass bei drohenden Verbrechen direkter Einfluss ausgeübt und bei bereits eingetretenen Menschenrechtsverletzungen schnell reagiert werden muss, um noch mehr Leid zu verhindern.
Die frühzeitige Risikoerkennung ermöglicht es wiederum die strukturellen Ursachen anzugehen. Wie der UN-Generalsekretär in seinem Bericht von 2018 über die Umsetzung der Schutzverantwortung betonte: „Es kostet weitaus mehr, die Scherben nach einer Krise wieder zusammenzukehren, als eine Krise zu verhindern. Eine wirksame Prävention von Gräueltaten muss daher in die größeren Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft zur Verhinderung von Krisen und Leiden einbezogen werden.“
Die schwerwiegendsten Gräueltaten, wie Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit, finden nicht über Nacht statt. Solche Verbrechen haben eine Vielzahl von Ursachen. Im Laufe der Jahre entsteht ein gesellschaftliches Klima, in dem ein solches Handeln denkbar und möglich wird. Diskriminierung bestimmter Gruppen, der Verlust grundlegender politischer Rechte, der ungleiche Zugang zu Land und Ressourcen und andere sozioökonomische Nachteile für bestimmte Teile der Gesellschaft sind Warnzeichen für ein Klima, das Grausamkeiten begünstigen kann. Diskriminierung kann zur Teilung der Gesellschaft in verschiedene Gruppen führen. Dies kann zur Ursache von Gewalt werden und dient Agitatoren als Rechtfertigung für gezielte Angriffe gegen andere Gruppen. Um Gräueltaten vorzubeugen, ist es daher wichtig, die zugrundeliegenden Konfliktursachen anzugehen. In diesem Zusammenhang spielt die Entwicklungszusammenarbeit zur Stärkung der lokalen Widerstandsfähigkeit und der niedrigschwelligen Präventionskapazitäten eine zentrale Rolle.
Debatte anstoßen, wie mit Instrumenten der Entwicklungszusammenarbeit zur strukturellen Prävention von Massenverbrechen beigetragen werden kann
„Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ Leitlinien der Bundesregierung (Berlin, 2018)
In Deutschland bezieht wird jedoch regelmäßig auf das Auswärtige Amt verwiesen, wenn die Prävention von Massenverbrechen Thema ist. Die internationale Debatte über die Prävention von Gräueltaten wird in Deutschland kaum rezipiert. Dies liegt unter anderem daran, diese internationale Debatte eng mit dem Prinzip der Schutzverantwortung verbunden ist, dem viele aufgrund der Nähe zur Debatte über humanitäre militärische Interventionen skeptisch gegenüberstehen. Eine Debatte über zivile Möglichkeiten zur Prävention von Massenverbrechen ist aber dringend notwendig. Nicht zuletzt auch, um die Erklärung der Bundesregierung in ihren Leitlinien zur Krisenprävention, dass die Prävention von Völkermord und schwersten Menschenrechtsverletzungen Teil der deutschen Staatsräson sei, Wirklichkeit werden zu lassen.
Wie kann mit Instrumenten der Entwicklungszusammenarbeit zur strukturellen Prävention von Massenverbrechen beigetragen werden? Wir haben Expertinnen und Experten in diesem Bereich befragt, um mehr darüber zu erfahren, wie Prävention von Gräueltaten in Programmen der Entwicklungszusammenarbeit gestärkt werden kann. Die Interviews wurden 2019 geführt und in loser Reihenfolge auf unserer Website veröffentlicht.
Projektteam: Gregor Hofmann und Paul Stewens