Der Genozid der Roten Khmer in Kambodscha (1975)

 „Ein oder zwei Millionen junger Leute reichen völlig um das neue Kamputschea aufzubauen“,

– Khmer-Slogan.[1]

Die Bundesregierung unter Helmut Schmidt verhielt sich während Pol Pots Herrschaft passiv. Eine Möglichkeit der Einflussnahme Deutschlands wurde ausgeschlossen und die Verantwortung an internationale Organisationen abgeschoben.

Fotos im Genozid-Museum Kambodschas dokumentieren die Brutalität der Khmer Rouge (by UN Photo/Mark Garten [Fair use, non-profit])

Fotos im Genozid-Museum Kambodschas dokumentieren die Brutalität der Khmer Rouge (by UN Photo/Mark Garten [Fair use, non-profit])

Am 17. April 1975 eroberten die Roten Khmer unter Pol Pot Phnom Penh, die Hauptstadt Kambodschas und riefen die Volksrepublik Demokratisches Kamputschea aus. Ein radikal-kommunistisches System wurde eingeführt. Das Ziel war die Erschaffung einer „ursprünglichen“, agrarisch geprägten Gesellschaft. Die Roten Khmer unterschieden zwischen der „alten“ und der „neuen“ Bevölkerung. Das „neue Volk“, die Stadtbevölkerung wurde zum  Klassenfeind erklärt, der die ländliche Bevölkerung ausbeutete. Zur Umsetzung ihrer Politik ließen die Roten Khmer alle Städte räumen und zwangen die Bevölkerung zur Landarbeit. Bei den gewaltsamen Umsiedlungen starben zehntausende Kambodschaner.[2] Jegliche Form der Religionsausübung und des Privatbesitzes wurden verboten. Außerdem wurde das Geld als Zahlungsmittel abgeschafft. Schulen, Betriebe und kulturelle Einrichtungen wurden zerstört. Auch ethnische Minderheiten, darunter Chinesen, Vietnamesen, Thais und die muslimischen Cham wurden verfolgt.[3] Zu Säuberungsaktionen kam es darüber hinaus auch bei der Armee, der Polizei, den Beamten und in den Kadern der Roten Khmer selbst. Das Tragen schwarzer Einheitskleidung wurde vorgeschrieben und sollte jegliche Individualität beseitigen. Die Bevölkerung wurde überwacht und ihr drohte selbst bei kleinsten Anlässen Folter und Tod. Das Regime ließ fast die gesamte intellektuelle Elite des Landes ermorden. Als intellektuell galten schon Menschen, die lesen konnten oder eine Brille trugen.

1,7 Mio. Kambodschaner starben in den dreieinhalb Jahren der Herrschaft der Roten Khmer. Es war ein beispielloser Genozid am eigenen Volk.[4]

Im Dezember 1978 griffen die Roten Khmer Vietnam an. Das einst von Kambodschanern bewohnte Mekong-Delta sollte zurückgewonnen werden. Dem sofortigen Gegenangriff der vietnamesischen Armee konnten die Roten Khmer nicht Stand halten. Vietnam eroberte am 07. Januar 1979 Phnom Penh und beendete die Herrschaft Pol Pots.[5]

Deutschland und die Roten Khmer

Der Spiegel berichtete bereits am 12.05.1975 über die Geschehnisse unmittelbar nach der Machtübernahme der Roten Khmer Ende April. Zitiert wurde unter anderem der damalige Korrespondent der New York Times, Sydney Sehanberg, der Zeuge der Räumung von Phnom Penh wurde: „Millionen Menschen verließen die Stadt in beklemmender Stille-zu Fuß, auf Fahrrädern oder in Autos, die sie schieben mussten, weil ihnen das Benzin ausgegangen war. Gebeugt unter ihren Säcken mit den letzten Habseligkeiten, die sie eilig zusammengerafft hatten, überzogen sie die Straßen wie ein Teppich von Menschen“.[6]

Die im Westen umlaufenden Gerüchte über Massenexekutionen dementierte der Außenminister der Volksrepublik Kamputschea, Sann Chak bei einem Besuch in Tansania im September 1975.[7] Die Berichterstattung wurde durch die Abschottung des neuen Regimes erschwert. Erst im März 1977 berichtete der Spiegel über den Genozid der Roten Khmer am eigenen Volk. Die Informationen stammten von kambodschanischen Flüchtlingen, die es nach Thailand geschafft hatten.[8]

In den zwei Plenarsitzungen, in denen das Regime in Kambodscha auf Betreiben der Opposition kurz besprochen wurde, verschanzte sich die damalige Regierung hinter der Europäischen Gemeinschaft, den Vereinten Nationen und der Tatsache, dass die Bundesrepublik keine diplomatischen Beziehungen zu Kambodscha unterhielt. Die konkreten Möglichkeiten der Einwirkung auf das Regime in Phnom Penh seien daher äußerst gering.[9] Die Taten der Roten Khmer wurden verurteilt, aber darüber hinaus sah man sich nicht in der Verantwortung, eine aktive Rolle einzunehmen.

Als die Berichte von Flüchtlingen über die Gräueltaten der Roten Khmer zunehmend über die Presse verbreiteten wurden, hinterfragte der Bundestagsabgeordnete Dr. Karl-Heinz Narjes (CDU/CSU) das passive Verhalten der Bundesregierung. Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Hildegard Hamm-Bücher verwies erneut darauf, dass die Einwirkungsmöglichkeiten auf das abgeschottete Kambodscha gering seien.[10]

Erst mit dem Fall Pol Pots und dem anschließenden Bürgerkrieg wurde die Zukunft Kambodschas Bestandteil politischer Debatten im Bundestag. Aber auch unter Bundeskanzler Helmut Kohl sah man die Verantwortung primär bei den Vereinten Nationen und begrüßte diplomatische Vorstöße wie die Kambodscha-Konferenz 1989 in Paris.[11] Die Bundesrepublik übernahm jedoch weiterhin keine aktive Vermittlerrolle.

Der Abgeordnete Freimut Duve (SPD) sagte bei einer Debatte im Bundestag: „Dieser Massenmord, dieser Genozid in Kambodscha ist das zweite große Menschheitsverbrechen nach Auschwitz gewesen“.[12] Frau Dr. Hamm-Bücher hinterfragte in dieser Debatte, ob die deutsche Außenpolitik nicht viel zu deutschland- und europazentriert sei und ob eine „Weltverantwortung“ der Passivität der Bundesregierung entgegen zu halten sei.[13] Helmut Schäfer, der damalige Staatsminister im Auswärtigen Amt, entgegnete jedoch: „Ich war der erste Angehörige einer deutschen Bundesregierung, der nach Ende des Krieges in Vietnam, in Laos und auch in Thailand gewesen ist […]. Da ist das Thema Kambodscha besprochen worden. […] [E]s gibt seit langem schon […] eine Position der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesregierung in dieser Angelegenheit“.[14]

Als Kambodscha unter die Verwaltung der Vereinten Nationen gestellt wurde, um eine friedliche Übergangsperiode und demokratische Wahlen zu gewährleisten, beteiligte sich die Bundeswehr an der Vorbereitungsoperation United Nations Advanced Mission in Cambodia (UNAMIC). Von Oktober 1991 bis März 1992 waren insgesamt 15 Sanitätssoldaten für die Operation im Einsatz. Ein Kabinettsbeschluss vom 8. April 1992 bildete die Grundlage für die Beteiligung der Bundeswehr an der Mission United Nations Transitional Authority in Cambodia (UNTAC). Rund 150 Sanitätssoldaten und ein Feldlazarett übernahmen die medizinische Versorgung von UNTAC Personal und Teilen der Zivilbevölkerung. Es war der erste Auslandseinsatz eines deutschen Kontingentes signifikanter Größe.[15]

Quellen

Weitere Beiträge von Genocide Alert zum Thema

» Deutschland und die Umsetzung der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect)

Verweise im Text

[1] Der Spiegel (07.03.1977) „Sofort hinaus“. Online verfügbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41019372.html

[2] Der Spiegel (07.03.1977)

[3] Der Spiegel (07.03.1977)

[4] Bundeszentrale für politische Bildung (2015) „Vor 40 Jahren: Beginn der Terrorherrschaft der Roten Khmer“. Online verfügbar unter http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/204989/terror-der-roten-khmer.

[5] Der Spiegel (07.03.1977)

[6] GIZ (k. D.) „Eyes on Darkness“. Online verfügbar unter https://www.giz.de/Entwicklungsdienst/de/downloads/giz_2012-Ausstellungskatalog_zfd_eyes_on_darkness.pdf.

[7] Der Spiegel (12.05.1975) „Blut getauscht“. Online verfügbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41521142.html.

[8] Der Spiegel (07.03.1977)

[9] Protokoll der Plenarsitzung vom 11.11.1977. Online verfügbar unter http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/08/08056.pdf.

[10] Protokoll der Plenarsitzung vom 17.02.1978. Online verfügbar unter http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/08/08073.pdf.

[11] Protokoll der Plenarsitzung vom 25.01.1990. Online verfügbar unter http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/11/11191.pdf.

[12] Protokoll der Plenarsitzung vom 15.03.1990. Online verfügbar unter

http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/11/11202.pdf.

[13] Protokoll der Plenarsitzung vom 15.03.1990.

[14] Protokoll der Plenarsitzung vom 15.03.1990.

[15] Bundeswehr (2014) „Kambodscha-UNAMIC“. Online verfügbar unter http://www.einsatz.bundeswehr.de/portal/a/einsatzbw/!ut/p/c4/04_SB8K8xLLM9MSSzPy8xBz9CP3I5EyrpHK9pPKU1PjUzLzixJIqIDcxKT21ODkjJ7-4ODUPKpFaUpWql52Ym5SfApRK1C_IdlQEADc3nPc!/.


Autorin: Nina Sudholt