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Myanmar, 16 Monate nach dem Putsch – Weiterhin hohes Risiko für Zivilbevölkerung

Die Hoffnungen in den Friedens- und Demokratisierungsprozess im südostasiatischen Myanmar wurden enttäuscht: An den Rohingya wird ein Völkermord begangen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit häufen sich in vielen Teilen des Landes. Der Militärputsch von 2021 hat die Situation bedeutend verschärft, und auch ein Jahr später ist keine Entspannung der Lage abzusehen. Das Land befindet sich in einer schweren humanitären Krise. Deutschland muss sich für harte und wirksame Sanktionen auf europäischer Ebene einsetzen und die myanmarische Exilregierung anerkennen.

Ein Policy Brief von Paul Stewens

Trotz der Hoffnungen, die national und international in sie gesetzt wurden, ging die Regierung der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi bald brutal gegen die Minderheit der muslimischen Rohingya im mehrheitlich buddhistischen Myanmar vor. Die im August 2017 begonnene Vertreibungsaktion gegen die v.a. im Rakhine State lebende Gruppe wird von weiten Teilen der internationalen Gemeinschaft als Völkermord angesehen; 900 000 Menschen wurden im Zuge dessen nach Bangladesch vertrieben. Auch in anderen Landesteilen wie den Regionen Kachin und Shan begehen Mitglieder der militärische Führung Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, so bereits der Bericht einer Fact Finding-Mission des UN-Menschenrechtsrates von 2018.

Im Anschluss an international als irregulär durchgeführt kritisierte Wahlen im November 2020, bei denen Aung San Suu Kyis Partei ihre Regierungsmehrheit ausbaute, ergriff das Militär am 1. Februar 2021 durch einen Putsch die Herrschaft im Land, stellte Aung San Suu Kyi unter Hausarrest und Teile des Landes unter Kriegsrecht. Einige der 2020 gewählten Politiker:innen, Vertreter:innen ethnischer Minderheiten und Kernfiguren der Protestbewegung haben sich als vorübergehende nationale Einheitsregierung (NUG) organisiert, teils im Exil, teils im Untergrund. Währenddessen geht das Militär gewaltsam gegen die Zivilbevölkerung vor. Zahlen der Assistance Association for Political Prisoners zufolge wurden seit dem Staatsstreich insgesamt über 1 700 Menschen getötet, über 10 000 befinden sich momentan in Gefangenschaft, weil sie Widerstand gegen die Machtübernahme geleistet haben, und über 100 Personen wurden zum Tode verurteilt. An Heiligabend 2021 erschoss und verbrannte das myanmarische Militär 35 Zivilist:innen, darunter vier Kinder und zwei Angehörige der Organisation Save the Children im überwiegend christlichen Kayah State. Seit Januar 2022 führen die Streitkräfte dort eine Offensive durch, deren Bombardements zu den schwersten seit dem Putsch zählen und mindestens sechs Zivilist:innen getötet und etwa 60 000 vertrieben haben. Auch in der Region Sagaing hat das myanmarische Militär seit Ende Januar 2022 im Rahmen seiner Kampagne der verbrannten Erde 1500 Häuser zerstört, mit mindestens 38 zivilen Opfern und über 10 000 Vertriebenen.

Verschiedene bewaffnete ethnische Oppositionsgruppen haben sich als People’s Defence Forces zusammengeschlossen; in zahlreichen Regionen des Landes kommt es zu Zusammenstößen mit einer großen Zahl an zivilen Opfern und Kriegsverbrechen. Verantwortlich sind dafür nicht nur Regierungskräfte, sondern auch nicht-staatliche Akteure, denen 2021 zwanzig-

Mal so viele Zivilist:innen wie im Vorjahr zum Opfer gefallen sind; Myanmar gehört damit erstmals zu den zehn am meisten von Terrorismus betroffenen Ländern weltweit.

All dies hat das Land in eine schwere humanitäre Krise geführt. Seit dem Staatsstreich wurden nach UN-Angaben über 280 000 Menschen vertrieben – zusätzlich zu den 370 000, die bereits vorher als Binnenvertriebene im Land lebten. Gleichzeitig sind über drei Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen; die Militärregierung blockiert diese allerdings.

Der UN-Sicherheitsrat hat in dieser Sache bisher ausschließlich hinter verschlossenen Türen getagt und sich nur in Pressemitteilungen geäußert; eine öffentliche Debatte oder gar eine Resolution zu den Geschehnissen in Myanmar hat es bisher nicht gegeben. Zahlreiche westliche Staaten wie die USA haben targeted sanctions gegen einzelne Mitglieder der myanmarischen Militärregierung in Stellung gebracht, die bisher jedoch nicht ausreichen, um die Gewalt zu beenden. Deutschland hat 2020 seine Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und der Kreditanstalt für Wiederaufbau mit Myanmar beendet. Es unterstützt stattdessen über einen Zeitraum von drei Jahren Flüchtlingslager und Gemeinden in Bangladesch mit insgesamt 15 Millionen Euro, um die große Zahl dorthin geflüchteter Rohingya zu versorgen. Unter Expert:innen ist dieser Schritt jedoch umstritten.

Obwohl die EU bereits einige Wirtschaftssanktionen gegen Myanmars Militärregierung sowie ein Waffenembargo erlassen hat, sind diese bei weitem nicht umfassend genug – nicht zuletzt, weil Gas- und Erdölprojekte dabei konsequent ausgespart blieben. Das muss sich in der nächsten EU-Sanktionsrunde ändern; Deutschland sollte aktiv darauf hinwirken, dass auch der Erdöl- und Erdgassektor sanktioniert wird, um so eine wichtige Geldquelle des Regimes stillzulegen. Das gilt für westliche Partner ebenso wie für die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen und besonders der ASEAN, denn obwohl Deutschland der viertgrößte Abnehmer für Güter aus Myanmar ist, exportiert das Land den Großteil seines Erdgases nach China und Thailand.

Eine drängende Frage stellt auch die die Anerkennung dar: Ist die NUG oder die Militärregierung die rechtmäßige Vertretung von Myanmar? Der französische Senat hat bereits die NUG als Regierung anerkannt, und auch das Europäische Parlament hat sich in einer Resolution hierfür ausgesprochen. Die UN-General-versammlung hat sich in der Frage, wer Myanmar in den Vereinten Nationen repräsentiert, vertagt – und damit den NUG-Botschafter vorerst im Amt belassen, der nun nicht durch einen Kandidaten der Militärregierung ersetzt wird.

In der jüngeren Vergangenheit ist Deutschland zunehmend davon abgerückt, nur Staaten, nicht aber Regierungen anzuerkennen, etwa im Falle des venezolanischen Interimspräsidenten Juan Guaidó 2019. Bisher hat sich die Bundesregierung zur Frage der Anerkennung noch nicht geäußert, doch eine formale Anerkennung der NUG ist geboten. Besonders für die völkerstrafrechtliche Aufarbeitung der Verbrechen in Myanmar wäre dies von größter Bedeutung. Im momentanen Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) können nur in sehr begrenztem Umfang Verbrechen verfolgt werden, weil Myanmar keine Vertragspartei des IStGH ist. Die NUG hat dagegen bereits eine Erklärung beim Gerichtshof hinterlegt, sich auch rückwirkend dessen Gerichtsbarkeit unterwerfen zu wollen. Angesichts der limitierten Möglichkeiten Deutschlands, auf die Situation in Myanmar Einfluss zu nehmen, sollte sein Handeln im Rahmen der verfügbaren Optionen umso entschlossener und auf eine Anerkennung der NUG durch die Bundesregierung und andere Staaten gerichtet sein.

» Dieser Text wurde im Mai 2022 als Genocide Alert Policy Brief veröffentlicht (pdf)