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Foto: Marcin Czerniawski auf Unsplash

Was sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit?

von Emma Neuber und Paul Stewens

Verschiedene Tathandlungen, wie Tötung, Versklavung, Folter oder Vergewaltigung müssen nicht zwangsläufig Kriegsverbrechen darstellen, sondern können unter Umständen auch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt werden. Entscheidend ist dabei ihr Kontext. Verbrechen gegen die Menschlichkeit müssen nach dem Rom-Statut im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung begangen werden.

Artikel 7

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

(1) Im Sinne dieses Statuts bedeutet „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ jede der folgenden Handlungen, die im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangen wird

‘Ausgedehnt’ kann sich dabei auf eine große Zahl an Opfer oder ein großes geografisches Gebiet beziehen, während ‘systematisch’ eine planmäßige Gewaltanwendung impliziert.  Die begangenen Handlungen müssen im Rahmen eines Planes oder einer Politik eines Staates oder einer Organisation zur Durchführung eines solchen Angriffs stattfinden. Das setzt nicht notwendigerweise einen bewaffneten Konflikt voraus, sondern kann auch in Friedenszeiten geschehen. So ermittelt der IStGH derzeit etwa wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Venezuela, wo zwar kein bewaffneter Konflikt stattfindet, aber Gewalt gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird, die gegen Bergbau-Operationen protestiert. Dass eine bestimmte Gruppe Ziel des ausgedehnten oder systematischen Angriffs wird, ist dabei nicht erforderlich; er muss sich lediglich gegen die Zivilbevölkerung im Allgemeinen richten. Das ist ein wichtiger Unterschied zum Völkermord. 

Zudem muss ein subjektives Tatbestandsmerkmal erfüllt sein. Das heißt, der:die Täter:in muss die Tathandlung in Kenntnis des Angriffs verübt haben. Das bedeutet nicht, dass der:die Täterin Kenntnis von allen Details des Angriffes oder des oben genannten Plans gehabt haben muss. Es reicht bereits, dass dem:der Täter:in das Vorliegen des Angriffes bekannt war und er:sie wusste oder zumindest in Kauf nahm, dass seine:ihre Handlung Teil des Angriffs war.  

In diesem Kontext und mit der Kenntnis des Kontexts müssen als drittes Element eine oder mehrere der aufgezählten Tathandlungen begangen werden. Neben den oben bereits genannten zählen dazu die Verfolgung einer Gruppe – wobei dabei eine zusätzliche spezielle diskriminierende Absicht vorliegen muss – das zwangsweise Verschwindenlassen von Personen und das Verbrechen der Apartheid.

a) vorsätzliche Tötung;

b) Ausrottung;

c) Versklavung;

d) Vertreibung oder zwangsweise Überführung der Bevölkerung;

e) Freiheitsentzug oder sonstige schwer wiegende Beraubung der körperlichen Freiheit unter Verstoß gegen die Grundregeln des Völkerrechts;

f) Folter;

g) Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft, Zwangssterilisation oder jede andere Form sexueller Gewalt von vergleichbarer Schwere;

h) Verfolgung einer identifizierbaren Gruppe oder Gemeinschaft aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, Gründen des Geschlechts im Sinne des Absatzes 3 oder aus anderen nach dem Völkerrecht universell als unzulässig anerkannten Gründen im Zusammenhang mit einer in diesem Absatz genannten Handlung oder einem der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechen;

i) zwangsweises Verschwindenlassen von Personen;

j) das Verbrechen der Apartheid;

k) andere unmenschliche Handlungen ähnlicher Art, mit denen vorsätzlich große Leiden oder eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der geistigen oder körperlichen Gesundheit verursacht werden

Im Gegensatz zu dem Verbrechen des Völkermords und den Kriegsverbrechen existiert kein separater Vertrag über Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Daher unterscheiden sich die Details seiner Tatbestände geringfügig zwischen verschiedenen Straftribunalen. Die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen arbeitet aber bereits seit mehreren Jahren an einem entsprechenden Dokument.  

Weiterführende Literatur: 

>> eine kurze Einführung zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit findet sich auf der Seite des European Centre for Constitutional and Human Rights: ECCHR: Verbrechen gegen die Menschlichkeit 

>> eine ausführliche rechtliche Analyse von Verbrechen gegen die Menschlichkeit bieten Guido Acquaviva und Fausto Pocar in der Max Planck Enzyklopädie des Internationalen Rechts: Oxford Public International Law: Crimes against Humanity (ouplaw.com)  

>> eine Übersicht über Fälle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem ICTR und dem ICTY kann hier gefunden werden: Crimes against humanity » ICTR/ICTY/IRMCT Case Law Database 

>> eine Übersicht über Fälle vor dem ICC kann hier gefunden werden: cases | International Criminal Court (icc-cpi.int) 

Über dieses Projekt

Mit diesem Projekt möchten wir in dieser undurchsichtigen Gemengelage verschiedener Völkerstraftaten ein wenig Übersichtlichkeit schaffen. Wir zeigen, wo die Trennlinien zwischen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und dem Verbrechen der Aggression verlaufen, wo sie sich überlappen und warum es von Bedeutung ist, wie sie eingeordnet werden. Maßgeblich dafür ist das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH), das Gerichtsbarkeit über und individuelle Strafverantwortung für die vier Kernverbrechen begründet: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression.  

Projektleitung: Emma Neuber, Paul Stewens