Balance-Akt der afrikanischen Mitgliedstaaten des IStGH

Die Nachrichtenagentur Reuters meldete vor kurzem, dass die Afrikanischen Mitgliedsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) trotz der Anklage des sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir ihre Mitgliedschaft nicht beenden würden.

Vom 8. bis 9. Juni trafen sich die Vertreter der 30 afrikanischen Mitgliedstaaten des IStGH, um ihre Reaktion auf die Anklage des sudanesischen Präsidenten wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu diskutieren. Die allgemeine Haltung war, vom UN Sicherheitsrat einen Aufschub des Verfahrens unter Artikel 16 des Römer Statuts zu verlangen. Der von einigen Beobachtern befürchtete Rückzug der 30 afrikanischen Mitgliedsstaaten vom IStGH fand keinen Konsens. Lediglich Libyen, Senegal, Djibouti und die Komoren hatten sich dafür stark gemacht. Die afrikanischen Mitgliedsstaaten scheinen mehrheitlich die Position zu vertreten, dass der UN Sicherheitsrat das Verfahren um ein Jahr aufschieben solle. Diese Position hatte sich schon anlässlich eines Treffens der Staats- und Regierungschefs der Afrikanischen Union (AU) im Februar diesen Jahres herauskristalisiert. Die Argumentation der AU ist, dass eine Strafverfolgung al-Bashirs einen Friedensprozess gefährden könne und deshalb Alternativen zur Lösung des Darfur Konflikts gefunden werden müssten. Gemäss einem Artikel der Sudan Tribune hatten die 19 Mitgliedsstaaten des COMESA (Market for Eastern and Southern Africa) diese Position auf ihrem Gipfeltreffen in Simbabwe vom 7. Juni erneut bestätigt. Im Vorfeld des Treffens der 30 Mitgliedstaaten haben 40 Vertreter der afrikanischen Zivilgesellschaft eine Erklärung herausgegeben. In dieser so genannten Kapstadt Erklärung teilen die Vertreter der Zivilgesellschaft einerseits die Bedenken der Mitgliedsstaaten in Bezug auf die westliche Dominanz und Politisierung der internationalen Strafgerichtsbarkeit, gleichzeitig fordern sie diese aber auch auf, den IStGH aktiv zu unterstützen und zu dessen gesteigerten Legimität beizutragen und gleichzeitig nationale und regionale Justizmechanismen zu stärken.

Khartum lehnt die Position der afrikanischen Mitgliedsstaaten mit der Argumentation ab, dass ein Bezug auf Artikel 16 des Römer Statuts die Gerichtsbarkeit des IStGH anerkennen würde. Der Sudan hat das Statut nicht ratifiziert und hat bisher versucht den massiven Menschenrechtsverletzungen mit nationalen Justizmechanismen zu begegnen. Das Regime in Khartum nutzt diese beiden Gründe als Vorwand, um nicht mit dem Gerichtshof kooperieren zu müssen und eine mögliche Verurteilung al-Bashirs abzuwehren. Diese nationalen Bestrebungen eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für die im Darfur begangenen Gräueltaten zu schaffen sind höchst unzureichend und müssen deshalb als Abwehrstrategie gegenüber dem Strafgerichtshof bezeichnet werden.

Seit der IStGH im März 2009 einen internationalen Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten erlassen hat, hat al-Bashir mehrere Auslandsreisen in Länder getätigt, die allesamt keine Mitglieder des IStGH sind. Mit diesen Reisen in befreundete Staaten scheint al-Bashir einerseits Unterstützung von Verbündeten zu suchen und andererseits die Glaubwürdigkeit des Gerichtshofs untergraben zu wollen. Genocide-Alert hat diese Thematik an anderer Stelle in einem Artikel  analysiert.

Das kürzliche Treffen der 30 Mitgliedstaaten des IStGH und die dabei eingenommene Mittelposition zeigen, dass diese Staaten ihre eigenen Interessen und Agenden verfolgen. Eine Desavouierung des IStGH durch einen allgemeinen Rückzug der Mitgliedschaft wurde auf der einen Seite vermieden. Die Gründe dafür mögen vielschichtig sein. Die meisten afrikanischen Mitgliedsstaaten wollen sich bestimmt keinen Affront gegenüber den westlichen Mitgliedstaaten des IStGH leisten. Dazu kommt, dass für viele dieser Staaten ein Image-Verlust aufgrund eines Rückzugs vom IStGH zu verkraften wäre. Des Weiteren haben sie auch ein genuines Interesse an der Umsetzung des IStGH-Mandats, da die Beendigung einer Kultur der Straflosigkeit mittel- und langfristig zur inneren Stabilität beitragen kann. Sie setzen voraus, dass ihre Souveränität respektiert und nicht ungleiche Maßstäbe zwischen afrikanischen und westlichen Ländern angelegt werden. Auf der anderen Seite können die afrikanischen Staaten das Wirken des Gerichtshofs im Fall al-Bashirs jedoch nicht ohne weiteres gutheissen. Zum einen wollen sie einen Präzedenzfall vermeiden, in welchem ein amtierender Präsident verurteilt würde und zum anderen wollen sie einer befürchteten Politisierung der internationalen Strafgerichtsbarkeit entgegenwirken.

Angesichts dieser verschiedenen Beweggründe ist die eingenommene Mittelposition zu deuten. In welche Richtung sich dieser Balance-Akt der afrikanischen Mitgliedstaaten bewegt, bleibt abzuwarten. Die Tatsache, dass diese Staaten mit ihrer „Artikel 16“-Mittelposition einen solchen Balance-Akt vollführen, macht sie empfänglich für Überzeugungsversuchen derjenigen Staaten und zivilgesellschaftlichen Vertreter, welche al-Bashir entweder politisch zu isolieren oder diesen zu verhaften und nach Den Haag zu überstellen versuchen. Es gilt nun die afrikanischen Mitgliedstaaten von der politischen Neutralität der internationalen Strafgerichtsbarkeit zu überzeugen, wobei diese Bekenntnisse auch durch eine entsprechende Praxis des UN Sicherheitsrates und Chef-Anklägers unterstrichen werden müssen. Der Strafgerichtshof muss von allen Mitgliedstaaten als legitimes und komplementäres Instrument zu nationalen und regionalen Justizmechanismen angesehen werden, welches die staatliche Souveränität nicht bedroht, sondern diese mittel- und langfristig zu stärken vermag. Gelingt dies, ist es wahrscheinlich, dass die Skepsis der afrikanischen Mitgliedstaaten beseitigt, der Gerichtshof gestärkt und al-Bashir ein für allemal isoliert und womöglich verhaftet werden kann.

Christoph Bleiker

Responsibility to Protect – Pure Machtpolitik oder echte Menschenrechtspolitik?

Die Internationalen Kommission zu Intervention und staatlicher Souveränität (ICISS) veröffentlichte im Jahre 2001 einen Bericht, der mit der benennung der Schutzverantwortung oder „Responsibility to Protect“ die Debatte über die sogenannte humanitäre Intervention neu entfacht. Robert Schütte und Johanne Kübler haben in einem Occasional Paper der Human Security Research Unit der Universität Marburg den Hintergrund der Kontroverse rund um Souveränität und Intervention analysiert und gängige Kritiken des Konzepts mithilfe von Theorien der Internationalen Beziehungen erklärt.

Conclusion: The Responsibility to Protect Between Concealed Power Politics and Principled Policy

Humanitarian objectives play an increasing role in the public discourse of politicians and media, which has even lead social scientists to identify a so called CNN effect influencing the public agenda profoundly. The mobilization of political support and financial aid in cases of human suffering brought to the attention of a wider international public indicates an increasing attachment to the needs and fears of people around the world. It has become a commonplace to assume that economic globalisation and liberal-democratic hegemony are contributing to or even causing the growing extent of interdependence throughout the world, thereby cumulatively reducing the importance of the factors time and space for social interaction. It is for this that classical concepts of security are increasingly queried with the aim to broaden the focus and analysis of the issue. Kofi Annan got this situation to the point stating that “today, no walls can separate humanitarian or human rights crises in one part of the world from national security crises in the other.“ In fact, the fall of the Berlin wall and the dissolution of the communist military and ideological counterpart to liberal democracy have greatly picked up the pace in favour of human rights. It is in this new global political context that the gap between expectations in a new human world order and the mind-shocking humanitarian catastrophes at the beginning of the 90s have provoked a controversy concerning the limits of sovereignty as well as the international community’s duty to react. Furthermore, the failure of the United Nations Security Council to overcome old lines of division has spread the opinion of a need to reform the global architecture of global security governance.

The present paper has outlined that, thanks to its long engagement for the humanitarian cause and its implementation of Human Security as official foreign policy doctrine, Canada has took up the task to find a viable answer to the question of humanitarian intervention and state sovereignty. The resulting report The Responsibility to Protect has elaborated and clarified a more comprehensive notion of sovereignty, which stresses the responsibility of a state to protect its citizens from harm. Given that a state is not able or not willing to provide for the security of its people, the international community is allowed to react under certain conditions. Such an interference in the domestic affairs of another state has to meet high criteria of legitimacy, adequacy, proportionality and prospect of success over the long run, therefore comprising also a responsibility to prevent and to rebuild, besides the already discussed responsibility to intervene. In this setting the Security Council plays the chief part, which can only be overridden in cases of an obvious defection on grounds of political mischief of a veto-power. Despite all efforts to avoid any possibility of voluntaristic exploitation of the rules stated by the ICISS, there is a line of division mainly between the liberal democratic sphere and the G-77. In order to account for the prevailing logic of approval and opposition to the reports proposition, the paper has outlined and discussed two theoretical approaches to the question: A Classical Realist position, drawing on E. H. Carr, identifying the support of the west and the resistance of the G-77 as a form of concealed powerpolitics. Furthermore a Constructivist perspective, which considers the enforcement of human rights a principled belief gaining a more salient role for the definition of national interests after the end of Cold War, thereby granting to normative ideas an independent and powerful role in the explanation of foreign policy. In any case, it is impossible to assign one of the approaches an a priori superiority. The Judgement of which paradigm serves better as an explication of the logic for support and opposition of a new notion of sovereignty is contingent on the preferences of the researcher, and maybe also on his cultural and political background.

Following Kuhn’s explanation of normal science and paradigmatic shift, this is rather a socio-psychological question of persuading researchers than a task to consider what is right or wrong, because a paradigm “cannot be made logically or even probabilistically compelling for those who refuse to step into the circle” of its hermeneutical hard-core. Both approaches concede an intrinsic value to the understanding of world politics, and it lies basically with the prevailing researcher to estimate which one is more convincing. It remains still to be answered whether the Realist hegemony in International Relations Theory will be challenged by more sociologically influenced theories like that of Constructivism. In order to see further than the end of ones own epistemic nose, it is remarkable to note such a steady shift in economics translating in an incorporation of psychological and sociological, that is for our purpose ideational, variables in its research design: For his work on psychological factors in economics, Daniel Kahnemann even received the Nobel Price in 2002. In any case, to find adequate theoretical interfaces for the concept of Human Security in International Relations theory is a valuable field of research for the Human Security community, clarifying thereby the scope and precision of the concept to analyze question of security at the beginning of the 21st century.