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Wahlen im Südsudan: Jetzt braucht es einen langen Atem

Die Wahlkommission hat es am 8. Februar 2011 endgültig verkündet: bei dem am 9. Januar stattgefundenem Referendum über die Unabhängigkeit des Südsudan haben sich 98,83 % für die Abspaltung entschieden. Damit wurden die am 30. Januar bekannt gewordenen Zwischenergebnisse bestätigt. Somit ist ein wichtiger Bestandteil des Comprehensive Peace Agreement (CPA), dem Friedensabkommen von 2005 umgesetzt worden, das einen Jahrzehnte andauernden Konflikt zwischen dem Nordsudan und dem Süden beendete.

Der sudanesische Präsident Omar al-Bashir verkündete wiederholt, dass er das Ergebnis respektiere und sich für eine friedliche Lösung bei der Klärung der noch offenen Fragen einsetze. Auch der zukünftige Präsident des Südsudan und noch Vize-Präsident des Sudans, Salva Kiir Mayardit, ist an einem friedlichem Dialog mit dem Norden interessiert. Angesichts der gigantischen nun anstehenden Aufgaben ist dies nicht weiter verwunderlich.

Die Situation der Menschen ist nach wie vor dramatisch. Über die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, 4,3 Millionen Menschen waren im Jahr 2010 auf Nahrungsmittellieferungen angewiesen. Nur jeder zweite hat Zugang zu Trinkwasser, Malaria nimmt epidemische Formen an und ist der Grund für 40% aller Krankenhausbesuche. In ganz Südsudan gibt es nur 100 ausgebildete Hebammen, jedes zehnte Kind stirbt bei der Geburt. Hinzu kommt, dass rund 92% der Frauen weder lesen noch schreiben könne, was die gesundheitliche Aufklärung erschwert. Hinzu kommt, dass die andauernden Kämpfe, insbesondere in den letzten 20 Jahren, die Infrastruktur völlig zerstört haben. Es gibt nicht genügend Straßen, auf denen Waren oder Menschen transportiert werden können, nicht genügend Häuser für die Bewohner, kaum funktionierende Wasserleitungen und keinen Strom. Die zukünftigen Staatsstrukturen müssen von Grund auf neu gebaut werden, angefangen bei Büroräumen über die Festlegung von Verwaltungsstrukturen bis hin zur Ausbildung der zukünftigen Verwaltungsbeamten.

Und die Erwartungen sind hoch. „Angesichts unseres Kampfes um Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit, Gleichheit und Menschenwürde wird der Südsudan nicht nur der neueste Staat der Welt sein, sondern ihre neueste Demokratie“, versprach Kiir.

Doch nicht nur innerhalb des Südsudans müssen in kürzester Zeit Unmöglichkeiten möglich werden. Zentrale Aspekte der Unabhängigkeit müssen noch immer zwischen dem Norden und dem Süden ausgehandelt werden. Im Juli 2011 läuft das CPA aus und die Unabhängigkeit soll endgültig vollzogen werden. Die Zeit ist knapp und so laufen bereits intensive Verhandlungen über die Aufteilung der Öleinnahmen, die genaue Grenzziehung sowie die Situation in der heiß umkämpften Region Abyei, für die das Referendum ausgesetzt wurde, weil es keine Einigung über die Wahlberechtigten gab. Zusätzlich sind die Fragen der Staatsangehörigkeit, der Währung, der Gerichtsbarkeit und die Neuaushandlung internationaler Verträge zu klären.

Hinzu kommt, dass weitherhin zahlreiche Gewaltkonflikte fortbestehen. Auch nach dem Referendum kam es in der Region Abyei erneut zu Kämpfen zwischen Nomadenvölkern und der dort ansässigen Landbevölkerung der Ngok Dinka. Auch in der Region Upper Nile kam es am 6. Februar zu erneuten Kämpfen, die 66 Menschen das Leben kosteten.

Die umstrittenen Grenzgebiete werden von speziellen Militäreinheiten bewacht, die sich aus den Armeen des Nordens und des Südens zusammensetzen. Es bleibt zu hoffen, dass die positiven Erfahrungen der letzten Monate genügend Zuversicht auf allen Seiten geschaffen haben, um das nächste Kapitel in der Geschichte des Sudans gemeinsam zu schreiben. Berichten zufolge hat sich die Anzahl von Konflikten aufgrund zahlreicher direkter Mediationsverhandlungen bereits spürbar gesenkt. Allerdings ist es bereits zu Abspaltungen und Kämpfen innerhalb der nordsudanesischen Armee gekommen, nachdem sich ehemalige Rebellengruppierungen in der Upper Nile Region dem Abzug aus dem Gebiet widersetzten.

Von Seiten der internationalen Gemeinschaft gab es vor allem Glückwünsche. Präsident Obama verkündete, dass die USA den Südsudan im Juli 2011 als Staat anerkennen werden. Auch die EU ließ verkünden, dass sie einer stabilen und langen Partnerschaft mit dem Südsudan entgegensieht. AU-Kommissionschef Jean Ping nannte die Volksabstimmung im Südsudan einen „Triumph des sudanesischen Volkes“. Diese internationale Unterstützung ist positiv, doch damit allein ist dem sudanesischen Volk noch nicht geholfen.

In Anbetracht der noch immer stattfindenden Kämpfe und der großen Anzahl noch zu klärender Themen hat die Vereinbarung eines Post-CPA Abkommens höchste Priorität. Insbesondere die Äußerungen von Bashir, denen zufolge die United Mission in Sudan (UNMIS) Truppen mit dem Auslaufen der CPA Vereinbarungen im Juli 2011 den Nordsudan verlassen sollen, lassen neue Konflikte befürchten. Vorstellbar wäre es entsprechend, dass das Mandat der UNMIS auf den Südsudan beschränkt bleibt, und die UN Soldaten gewaltsame Auseinandersetzungen in den noch umstrittenen Grenzregionen, welche zunächst weiter Teil des Nordens bleiben, nicht verhindern könnten.

Die Beteuerungen beider Seiten über eine friedliche Einigung bezüglich der noch anstehenden Themen sind zu begrüßen. Die Anfrage nach Land für eine Botschaft von Seiten des Nordsudan ist ein klares diplomatisches Signal. Trotzdem brauchen die Konfliktparteien Druck von seiten der internationalen Staatengemeinschaft.

Hierbei kommt Deutschland eine entscheidende Rolle zu. Die Bundesrepublik hat im Juli 2011, wenn der Südsudan in die Unabhängigkeit entlassen wird, den Vorsitz des UN-Sicherheitsrates inne. Deutschland muss seinen international gegebenen Verpflichtungen nachkommen und dem Sudan einen wichtigen Platz auf der Agenda geben, auf dass der Staat keine bloße Hülle, sondern ein Vorbild für den afrikanischen Kontinent werden kann.

 von Hannes Krüger

Sudan: Zivilbevölkerung erneut im Visier

Nur sieben Monate ist es her, dass der Südsudan seine Unabhängigkeit gefeiert hat. Seitdem gab es aber für die Menschen auf beiden Seite der Grenze zwischen (Nord)Sudan und Südsudan wenig zu feiern. Interne und grenzüberschreitende Konflikte, in denen zum Teil auch die schlimmsten Muster der Massenverbrechen in Darfur wieder vorkommen, haben die Region in eine erneute humanitäre Krise gestürzt. Ein eskalierender Streit zwischen (Nord)Sudan und Südsudan über die Verteilung von Erdöleinkommen lässt unterdessen noch schlimmere Gewaltausbrüche befürchten.
Die traurige Bilanz bisher:  Mehr als eine Millionen Menschen sind laut UNO Schätzungen allein von den Konflikten in den beiden nördlichen Regionen Blue Nile und Süd Kordofan betroffen. In der gesamten Region befinden sich bereits Hunderttausende auf der Flucht. An vielen Orten droht eine Hungersnot, nachdem durch Kämpfe die Agrarwirtschaft sehr beeinträchtigt wurde. Hilfsorganisationen kommen nur schwer zu den betroffenen Bevölkerungen durch.

Eine Hauptursache für diesen Zustand ist, dass das nordsudanesische  Regime, das vermutlich inzwischen mehr vom Militär als durch die lang-amtierende National Congress Party geführt wird (siehe PDF S. 3), weiterhin auf seine alten Kriegsstrategien setzt. So werden Zivilisten abermals aus der Luft bombardiert und aus ihren Wohnorten vertrieben. Hilfsorganisationen wird der Zugang zu den Betroffenen aktiv und absichtlich verwehrt.

Dazu kommt im Südsudan eine weitere Problematik:  Der neue Staat ist durch Aufstände von abtrünnigen Militäreinheiten und schweren ethnischen Spannungen belastet. Diesen Sicherheitsherausforderungen wird er nicht gerecht. Nach Schätzungen der UNO mussten 2011 allein im Süden mehr als 325.000 Menschen vor Kämpfen fliehen (siehe S/2011/678, s. 11).  Auch das Jahr 2012 begann mit der Nachricht, dass Zehntausende Menschen durch einen Konflikt zwischen Angehörigen der Stämme Lou Nuer und Murle vertrieben wurden.

Die internationale Schutztruppe UNMISS ist unterbesetzt, schlecht ausgerüstet, und von der Situation überfordert. Bereits vor der Unabhängigkeit wurde den Blauhelmen der damals bestehenden UNMIS angesichts von Attacken auf Zivilisten in der Region Süd Kordorfan Untätigkeit vorgeworfen. So zitiert die englische Zeitung Independent Augenzeugen die behaupten, dass ein ägyptisches Kontingent  im Juni 2011 in Süd Kordofan Hinrichtungen von Zivilisten tatenlos beobachtet haben soll. Im Süden konnten Ende Dezember Truppen der Nachfolgemission UNMISS zusammen mit der Südsudanesischen Armee Tausende Kämpfer der Lou Nuer nicht von einem Pogrom an Mitgliedern des Murle Stamms abhalten.

Diplomatisch zeigt sich die internationale Gemeinde aber noch ohnmächtiger. Für seine wiederholten Menschenrechtsverletzungen hat der Nordsudan nur wenig Kritik geerntet; das Regime durfte sogar einen seiner Generäle, der auch in Darfur in Verbrechen verwickelt war, zum Vorsitzenden der Menschenrechtsbeobachtermission der Arabischen Liga im Syrien kurieren. In der EU bemerkt man zwar ein gelegentliches Händeringen – aber die Möglichkeit von gezielten Sanktionen gegen die Verantwortungsträger im Sudan kommt nicht einmal auf die Tagesordnung.

Dabei hat der Nordsudan in den letzten Monaten eine Serie von Offensiven gegen die eigene Bevölkerung in Gang gebracht – und Vorbereitungen für weiteres Blutvergiessen werden offenbar schon getroffen.

Die Verbindungen der Bevölkerung in den betroffenen Provinzen zum Südsudan stellen aus Sicht der Zentralregierung des Sudan ein ernstes Problem dar, was dessen hartes Vorgehen erklärt. Will man der Region einen Frieden ermöglichen, muss zunächst dieses im Zuge der Unabhängigkeit „übriggebliebene Problem“  gelöst werden.  Im zweiten ungelösten Teilungskonflikt – dem Verbleib der umstrittenen und von Khartoum besetzten Grenzregion Abyei – sollten dessen Bürger entsprechend des Nord-Süd Friedensabkommens von 2005 entscheiden dürfen, ob sie sich dem Norden oder dem Süden anschließen wollen. Die Provinzen Süd Kordofan und Blue Nile sollten weiterhin dem Norden zugehörig bleiben, jedoch einem besonderem Status zuerkannt bekommen. So sah es auf dem Papier aus, für das die EU damals gebürgt hat. Die Realität die sich nun aufzeichnet ist eine ganz andere.
Auch wenn sich die internationale Gemeinschaft derzeit vor allem mit den Umbrüchen in der arabischen Welt und der Situation in Syrien befasst, darf sie dabei die Konflikte im Sudan und Südsudan nicht erneut aus den Augen verlieren. Zu gravierend ist die humanitäre Notlage und zu akut die Gefahr, selbst das Erreichte zu verspielen.

 

von David Dagan und Christoph Schlimpert

Sudan vor der Spaltung: Deutschland kann durch diplomatische Maßnahmen Zivilisten schützen – wenn es jetzt handelt

In Ägypten hat die Revolution einen Diktator gestürzt und Hoffnungen auf ein neues System beflügelt, in Libyen mündete sie in einem Bürgerkrieg, in dem der Western nun zum Schutz von Zivilisten interveniert. Zwischen diesen beiden Ländern und politischen Situationen liegt der Sudan. Dort sind Zivilisten weiterhin großen Gefahren ausgesetzt, die sich mit den Unruhen in der Region nur verschärfen. Das Referendum, in dem der Südsudan im Januar seine Unabhängigkeit beschlossen hat, verlief zwar weitgehend friedlich. Zuletzt haben jedoch Kämpfe in der Grenzregion Abyei tausende Menschen zur Flucht gezwungen, und mit der offiziellen Teilung am 9. Juli könnte es zu massiver Gewaltanwendung kommen. Deutschland kann mit sofortiger Diplomatie dazu beitragen, dass dies verhindert wird – und dass die internationale Gemeinschafts somit nicht unter Druck kommt, eine zweite humanitäre Intervention in der Region zu lancieren.
Deutschland muss alles tun, um den bisherigen Fortschritt im Süden abzusichern und endlich eine Lösung des Darfurkonflikts zu finden. Dazu werden kurzfristige sowie mittel- und langfristige Maßnahmen notwendig sein. Im vorliegenden Policy Brief stellt Genocide Alert kurzfristige Empfehlungen vor – Maßnahmen, die Deutschland umgehend ergreifen sollte. Es bleiben bis zum nächsten Wendepunkt im Sudan nur noch vier Monate Zeit. Humanitäre Krisen sind am besten und billigsten gelöst, wenn sie von vornherein verhindert werden.Deutschland sollte umgehend:

    • Sich intensiv für eine Stärkung der UNO Blauhelmtruppen UNMIS (Südsudan) und UNAMID (Darfur) einsetzen. Das UNMIS Mandat wird im Juli auslaufen. Es muss nicht nur für den neuen Staat im Südsudan sondern auch für die kritischen Grenzgebiete im Nordsudan erneuert werden. Hierzu muss die Diplomatie alles daran setzten, Khartum in der Ablehnung  einer Verlängerung umzustimmen. Außerdem muss die volle Mobilität beider Missionen garantiert werden. Die Praxis der sudanesischen Armee, Blauhelmen den Zugang zu Krisengebieten zu verweigern, darf nicht mehr toleriert werden. Und die nun Jahre andauernde Diskussion über 20 fehlende Helikopter für UNAMID muss endlich in Handeln umgesetzt werden. Zu guter Letzt sollten die truppenstellenden Länder gebeten werden, geographische Beschränkungen für den Einsatz ihrer Soldaten aufzuheben. (Weitere Details siehe GA Policy Brief vom Januar hier).
    • Einen detaillierten Plan für seine Sudanpolitik zusammenstellen, in dem Krisenszenarien durchdacht sind und in dem politische, wirtschaftliche, entwicklungspolitische und militärische Maßnahmen integriert werden. Die Bundesregierung hat zwar im Oktober ein neues „Sudankonzept“ angekündigt, doch dies besteht lediglich aus vier Seiten. Diplomatische Maßnahmen für die post-Referendum-Phase werden sogar auf nur einer halben Seite angerissen. Der Plan sollte vertieft und soweit wie möglich öffentlich gemacht werden.
    • Druck auf Khartum und Juba (Südsudan) ausüben, die offenen Fragen des Unabhängigkeitsprozesses rasch zu klären. Insbesondere muss die Ungewissheit über die Zukunft der Öleinkommen beseitigt werden. Deutschland sollte die Verhandlungen über Öl, Schulden, Staatsangehörigkeit und Grenzkontrollen, Grenzziehung, usw. auf höchster Ebene beobachten (siehe nächsten Punkt). In Kooperation mit AU, USA und anderen Beobachtern sollte Bundeskanzlerin Merkel bereit sein, sich, falls notwendig, persönlich in die Gespräche einzuschalten. Deutschland sollte sich außerdem bereit erklären, wirtschaftliche Abkommen mittels Beobachtern zu garantieren.
    • Einen hochrangigen Diplomaten als Sudanbeauftragten ernennen. Diese Person würde die diplomatischen Bemühungen in New York, Khartum, Brüssel und anderswo koordinieren; direkten Zugang zu Außenminister Westerwelle oder Kanzlerin Merkel haben; und die deutsche Beobachtung der Nord-Süd Verhandlungen leiten.
    • Die richtigen Signale zu Darfur senden. Auch die Darfur-Friedensgespräche muss Deutschland auf höchster Ebene beobachten. Deutschland sollte sich öffentlich zu der internationalen Verpflichtung bekennen, die Rückkehr der über 2 Millionen Flüchtlinge und den Wiederaufbau ihrer Existenzen zu ermöglichen. Diplomatisch sollte Deutschland sich dafür einsetzen, dass Khartum die internationalen Anreize zu einer friedlichen Lösung im Süden nicht als Lizenz dafür sieht, in Darfur weiter auf Krieg zu setzen.
    • Bereitschaft zeigen, diplomatische und wirtschaftliche Hebel anzuwenden. Dazu muss erst der politische Wille innerhalb der deutschen Politik aufgebaut werden. Wie im GA Policy Briefvom Januar beschrieben, kann Deutschland gegenüber Khartum, falls notwendig, mehrere Druckmittel einsetzen. Dazu gehören die Herabstufung bilateraler diplomatischer Beziehungen, die deutsche Ablehnung eines internationalen Schuldenerlasses für das Regime und eine Androhung von personenbezogenen Sanktionen, wie sie die EU zuletzt gegen den ivorischen Präsidenten Laurent Gbagbo beschlossen hat. Diplomatischen Einsatz leisten bedeutet auch, in der EU zu führen, nicht aber die Sudanpolitik im Konsens ersticken zu lassen. Im UNO-Sicherheitsrat gilt es, eine kraftvolle Stimme für die sudanesische Bevölkerung zu bilden, und gegebenenfalls auch nicht vor einer Unstimmigkeit mit China und Russland zurückzuschrecken. Die Bedeutung von Aufmerksamkeit auf höchster Ebene darf außerdem nicht unterschätzt werden. Wenn Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Westerwelle ihre Besorgnis über den Sudan ausdrücken, setzt dies ein wichtiges Signal für die deutschen Medien, die deutschen Diplomaten und nicht zuletzt für das Regime in Khartum.
  • Weiterhin humanitäre Hilfe sowie Entwicklungshilfe leisten und den Aufbau von Institutionen im Südsudan unterstützen. Um einen gescheiterten Staat sowie das Ausbrechen von Konflikten zwischen verschiedenen Gruppen im Südsudan zu verhindern, muss die südsudanesische Bevölkerung Verbesserungen ihrer Lebensbedingungen spüren. Wichtige Friedensdividenden in diesem Zusammenhang sind der Bau von Straßen, besserer Zugang zu Wasser und Gesundheitsversorgung, und Beschäftigungsprogramme für Jugendliche. Des Weiteren sollte Deutschland den Aufbau von staatlichen Institutionen und Polizei  unterstützen. Wie weitestgehend bisher geschehen, sollte die deutsche Hilfe stets die Dynamiken der verschiedenen Konflikte berücksichtigen.

Im Sudan geht es darum, den Frieden zu gewinnen. Deutschland darf dabei nicht fehlen.

 

David Dagan, Christoph Schlimpert, Sarah Brockmeier

Die PDF Version dieses Policy Briefs ist hier zu finden. Mehr Hintergrundinformationen zur Situation im Sudan sind zu finden im Genocide Alert Policy Brief vom Januar, sowie Genocide Alert Artikeln zu den Gefahren nach dem Referendum und derzeitigen Situation im Sudan

Der Bürgerkrieg im Sudan: Hintergründe des Nord-Süd-Konflikts

Sudans Geschichte seit seiner Unabhängigkeit von Großbritannien 1956 ist eine Geschichte von Bürgerkriegen und ethnischen Säuberungen, die Millionen von Menschen das Leben gekostet haben. In den vergangenen Jahren war Sudan vor allem durch den Völkermord in Darfur in den Medien präsent. Doch lange Zeit war der so genannte Nord-Süd-Konflikt zwischen der nord- und zentralsudanesischen Elite und dem Südsudan, der mit einer Unterbrechung von elf Jahren zwischen 1956 und 2005 tobte, der zentrale Konflikt im Sudan – und galt als Musterbeispiel für einen hochkomplexen, möglicherweise gar unlösbaren Bürgerkrieg. Zwei und drei Millionen Menschen fielen dem Krieg zum Opfer, und mehr als sieben Millionen Menschen wurden zu Flüchtlingen.

 

Wie die anderen Konflikte im Sudan auch ist der Nord-Süd-Bürgerkrieg nur zu verstehen, wenn man ihn im Zusammenhang fundamentaler Fehlentwicklungen eines postkolonialen Staates begreift. Der Staat, den die Briten in die Unabhängigkeit entließen, war keine historisch gewachsene Einheit, sondern ein willkürlich zusammengeworfener Raum der Größe Westeuropas, der mindestens 19 ethnische Gruppen mit rund 600 Untergruppen und hunderten von Sprachen beherbergt. Von Beginn an kontrollierte die überwiegend arabisch-islamische zentralsudanesische Elite im Norden – eine Minderheit – den Staat und seine Ressourcen. In der Wahrnehmung des Südens, deren Bewohner in der Regel weder Araber noch Muslime waren, hatte sich mit der Unabhängigkeit kaum etwas geändert. Waren zuvor die Briten ihre Kolonialherren gewesen, saßen die neuen Kolonialherren nun in der sudanesischen Hauptstadt Khartum, definierten die Identität des Sudans arabisch-islamisch und hatten kein Interesse an einer Entwicklung des Sudans jenseits des Kernbereichs. Der Süden wehrte sich; der erste Bürgerkrieg, der bis 1972 dauern sollte, war die Folge. Im Friedensabkommen („Addis Abeba Agreement“) wurde dem Süden zunächst eine weitgehende Autonomie zugesprochen, die 1983 jedoch wieder durch Khartum aufgehoben wurde, was zum erneuten Ausbruch des Bürgerkriegs führte.

In dieser Weigerung des Nordens, auf dem Verhandlungsweg föderale Strukturen zuzulassen, die allen Regionen eine politische Partizipation und eine gerechte Ressourcenverteilung ermöglicht, liegt der Kern aller Konflikte im Sudan. Die Zentrale hat jahrzehntelang systematisch und mit Erfolg daran gearbeitet, Macht, Privilegien und Wohlstand so wenig wie möglich teilen zu müssen und andere ethnische Gruppen in der „Peripherie“ des Landes zu marginalisieren. Statt politischer Prozesse, deren Ergebnis nur eine angemessene Partizipation aller Landesteile und Ethnien hätte sein können, entschied sich Khartum für eine Reihe von Unterwerfungskriegen, die – im Falle Darfurs – bis zum heutigen Tage anhalten.

Der Nord-Süd-Bürgerkrieg konnte 2005 mit dem Comprehensive Peace Agreement (CPA) vorerst beendet werden. Die zentralen Bestimmungen des Abkommens sahen zwar eine gerechte Verteilung der Ressourcen (vor allem der steigenden Öleinnahmen), eine Beteiligung der südsudanesischen Rebellengruppe SPLA/M (Sudan People’s Liberation Army/Movement) an der Regierung und eine weitgehende Autonomie des Südens vor. Die Umsetzung des Abkommens stockte jedoch von Beginn an, vor allem aus zwei Gründen. Zum einen war aus Sicht Khartums das CPA vor allem der Versuch, neue Spielräume für den Völkermord in Darfur zu gewinnen. Dementsprechend war die sudanesische Regierung natürlich nicht an einer schnellen Implementierung des CPA interessiert – im Gegenteil. Zum anderen war von Beginn an klar, dass eine Bestimmung ganz besonders über das Schicksal des Landes und über die Möglichkeit eines dauerhaften Friedens entscheiden würde: die Festsetzung eines Referendums über die Unabhängigkeit des Südsudans, das für den 9. Januar 2011 angesetzt ist. Die genaue Festlegung der Grenze zwischen Nord und Süd durch eine Kommission ist zwar noch nicht abgeschlossen und steht vor großen Problemen, was vor allem daran liegt, dass die zwischen Norden und Süden umstrittenen Regionen zu den ölreichsten des Landes gehören. Doch sollte sich der Südsudan in wenigen Monaten für seine Unabhängigkeit entscheiden, und sich dabei möglicherweise ein Hauptteil der ölreichen Regionen vom Sudan abspalten, bräche Khartum nicht nur ein Teil seines Herrschaftsgebietes weg, sondern gleichzeitig auch eine Hauptvoraussetzung für Wohlstand und Macht in der Zukunft. Führt man sich vor Augen, wie Präsident Bashir und seine Regierung seit 2003 auf die Krise in Darfur reagiert haben, dann kann man ermessen, wie sie in einer möglicherweise existenziellen Frage wie der Unabhängigkeitserklärung eines ölreichen Südsudans reagieren könnte. In wenigen Monaten könnte dem Sudan ein neuer Konflikt von katastrophalen Ausmaßen und Konsequenzen für die Zivilbevölkerung bevorstehen.

Von Adrian Oroz