Essay zum Völkermord in Ruanda – von Bej-Ali Simbargov

Beitrag zum Essaywettbewerb “20 Jahre danach –

Was sind die Lehren aus dem Völkermord in Ruanda”

Ein Wahnsinn der sich vermutlich schon lange aufbaute um 1400 und im Jahre 1994 mit einem unfassbaren Gewaltausbruch den Höhepunkt erreichte, – der Völkermord in Ruanda.

Immer noch stellt sich mir die Frage nach dem „Warum?“, noch vor der Frage nach den daraus zuziehenden Lehren. Es sind vor allem die Bilder, die mich dazu Bewogen haben, mich einmal schriftlich damit zu befassen. Die Kenntnis der Probleme und Ursachen scheint mir dabei ein Weg zur Vermeidung solcher Auswüchse zu sein. Weiterlesen

Haben wir daraus gelernt? – von Anna Röhl

Beitrag zum Essaywettbewerb „20 Jahre danach –

Was sind die Lehren aus dem Völkermord in Ruanda“

„Nie wieder“, so lautete die Forderung die nach dem Genozid in Ruanda im Jahr 1994 in allen Medien zu hören und zu lesen war, „Nie wieder sollten die Vereinten Nationen bei einem grausamen Völkermord wie in Ruanda einfach wegsehen und nicht eingreifen.“ Der Völkermord von Ruanda, bei dem in knapp 100 Tagen 800 000 Menschen ermordet wurden, jährt sich zum zwanzigsten Mal. Doch was hat die Welt und vor allem Deutschland aus ihrem Versagen gelernt?

Noch heute ist das damalige Verhalten der Vereinten Nationen für viele unverständlich. Lange vor Ausbruch der Gewalt hätte gehandelt werden müssen, denn die Gefahr eines Völkermords war bekannt, viele hatten davor gewarnt. Spätestens nach dem Oktoberkrieg 1993 hätten politische Schritte unternommen werden müssen. Wie kann es zum Beispiel sein, dass Deutschland bis ins Jahr 1994 das ruandische Militär unterstützte, obwohl dieses übermäßig aufrüstete und der Import von Macheten nach Ruanda verdoppelt worden war? Weiterlesen

Erinnern als Politikum – Die 20. Gedenkfeierlichkeiten des Genozids von 1994 in Ruanda

Jan Casper, Gewinner des Essaywettbewerbs von Genocide Alert und dem Land Rheinland-Pfalz, begleitete die rheinland-pfälzische Delegation um Innenminister Roger Lewentz zu den 20. Gedenkfeierlichkeiten des Genozids von 1994 in die ruandische Hauptstadt Kigali.

Als der Mann zu reden begann, fingen sie an zu schreien. Sie, das sind die Frauen im Amahoro-Stadion in Kigali, die die Rede des Mannes nicht ertragen konnten und deren Männer entweder tot oder schuldig sind. Denn er redete davon, wie 1994 Ruander Ruander systematisch ermordeten. Er legte Zeugnis darüber ab, wie einst hunderte Menschen Schutz in einer Moschee gesucht haben. Und wie annähernd alle dieser Menschen dort einen furchtbaren Tod starben. Dieser Mann überlebte als einer von wenigen.

Am Montag, den siebten April jährte sich der Ausbruch des ruandischen Genozids zum zwanzigsten Mal. Im Amahoro-Stadion, was von Kinyarwanda übersetzt „Friedens-Stadion“ bedeutet, wurde an diesem Montag eine Zeit der Trauer und des Erinnerns eingeläutet. Die afrikanische Politelite wohnte der Zeremonie ebenso bei wie die Weltgemeinschaft, repräsentiert von Ban Ki-moon. Dem Stadion wohnt, wie so viele Dinge in Ruandas boomender Hauptstadt Kigali, Symbolcharakter inne: Es wurde zur Trutzburg tausender Tutsi während des Genozids, eine Zeit lang zumindest.

Völkermord-Gedenkzeremonie im  im Amahoro-Stadion in der ruandischen Hauptstadt Kigali, April 2014

Völkermord-Gedenkzeremonie im im Amahoro-Stadion in der ruandischen Hauptstadt Kigali, April 2014

Was treibt die Frauen an diesen Ort, wo die Gräuel des Völkermordes erneut so lebendig werden, dass sie sich kreischend an den Gliedmaßen hinaustragen lassen müssen?

Seit der ehemalige Tutsi-Rebellenführer Paul Kagame das Land führt, ist Erinnern Staatsräson. Verschorfte Wunden werden in der jährlichen Gedenkwoche wieder aufgerissen; Ruanda ist, zwanzig Jahre nach dem Genozid, von „Kwibuka“ – dem Erinnern – gezeichnet. Bei Fahrten in das Landesinnere fallen um den Nachmittag herum Menschengruppen auf, die im Kreis um eine Sprecherin oder einen Sprecher sitzen. In diesen freiwilligen „conversations“ werden auch Zeugnisse abgelegt; von Opfern und Tätern. Sie finden in jedem Dorf statt, je nach Größe auch mit Mikrophon und Lautsprechern. Hier werden im Dialog Erlebnisse aufgearbeitet, die auch zwanzig Jahre später noch für Zusammenbrüche und große Trauer sorgen.

Eine Flamme der Erinnerung reiste mit einer Jugenddelegation durch das ganze Land, um schließlich das zentrale Feuer im Gedenkzentrum Gisozi in Kigali zu entzünden. Sie machte unter anderem in Camp Kigali in Nyarugenge halt, wo sich zu Zeiten des Genozids das Hauptquartier der Forces Armees Rwandaises befand. Hier wurde das Massaker an Tutsi, Twa und gemäßigten Hutu vorbereitet. Paulin Rugero, ein Überlebender aus dem Camp, berichte auch von Folter, die dort stattfand, von Folter, die weit „über die menschliche Vorstellungskraft“ hinausgehe. Die staatsnahe New Times erschien montags mit gewaltigem Dossier zum Genozid von 1994. Der staatseigene Fernseh-Sender zeigt historische Aufnahmen von belgischen Kolonialisten, die versuchen, durch Messen von Nasenlängen Unterschiede in der Physiognomie der konstruierten Ethnien zu finden. Es laufen Archivbilder vom Gemetzel und vor allem Präsident Kagame und seine Armee beim Wiederaufbau von Infrastruktur und – so legen es die Bilder nahe – nahezu des gesamten Landes.

Solch radikale Erinnerungskultur stößt nicht nur auf Sympathie. Eine junge Frau, die nach Ende des Genozids geboren und Besitzerin einer kleinen Boutique im Hôtel des Mille Collines ist, weltweit bekannt als eine der wenigen sicheren Häfen für Tutsi in 1994, stört die Omnipräsenz des Themas und die mediale Aufmerksamkeit: „Alle Journalisten wollen nur von mir wissen, wie ich mich fühle, wen ich im Genozid verloren habe, was diese Zeit des Erinnerns mir bedeutet – lasst mich doch einfach in Frieden!“

Und natürlich gibt es auch die andere, die dunkle Seite von Kwibuka. Wer Ruanda dieser Tage besucht, bekommt ein Bild davon, wie Paul Kagame, der big boss, die historischen Ereignisse zu Instrumentarien des Machtausbaus und Legitimation seiner Politik macht. An vielen prominenten Stellen sind Zitate Kagames zu lesen, in einem heißt es: „Der Körper Ruandas wurde gebrochen, doch sein Geist ist niemals gestorben.“ Der „Geist Ruandas“; ihn beschwört Kagame derzeit häufig. Ihm ist es wichtig, von einem vereinten Volk zu reden, einem Volk, das nur durch den Einfluss Außenstehender zerrissen werden konnte. Kagame stilisiert den Genozid zu einem Gründungsmythos eines neuen, erfolgreichen Ruandas, eines Phönix aus der Asche. Paul Kagame wird in der öffentlichen Wahrnehmung zur Personifikation dieses Mythos – sein Gesicht ist das Gesicht eines vereinten und friedlichen Landes. Und die Bürgerinnen und Bürger stehen hinter ihm. Er ist der starke Mann Ruandas. Die Erfolge Kagames sind nicht vom Tisch zu weisen: Er befreite das Land 1994 aus den Irren des Genozids, Wohlstand und Wachstum keimen, und unter ihm scheint endlich die Auflösung des Konstrukts Hutu/Tutsi zu gelingen. Doch Opposition, Pluralismus und Freidenkertum sind Institutionen, die nicht in Paul Kagames Konzept der Staatsführung passen und in der Entstehung dieses Mythos keinen Platz haben. Den Urfeind, den ein solcher Mythos braucht, liefert die Historie bedauernswerter Weise mit dazu: Die ehemaligen deutschen und belgischen Kolonialherren, die die starre Einteilung in Hutu und Tutsi schufen sowie eine globale Gemeinschaft, die 1994 aktiv weggeschaut hat. Kagame findet in beiden Verantwortliche für das Massaker, das vor zwanzig Jahren das Land verwüstete. Wie lange die Konzentration auf Paul Kagame dem Land noch guttun kann, bleibt fraglich. Die Herausforderung für die kommenden Generationen in Ruanda wird wohl nicht darin bestehen, einen weiteren Genozid zu verhindern. Sie besteht vielmehr darin, einen Staat wahrhaftiger Demokratie und aufgeklärter Bildung aufzubauen, dessen Stabilität und Einheit nicht mehr von Präsident Kagame und seiner „Erinnern – vereinigen – erneuern“-Rhetorik abhängt.

Doch so sehr die offizielle Erinnerungskultur in Ruanda einem außenstehenden politischen Beobachter auch Bauchschmerzen bereiten mag, ist sie doch immens wichtig für Opfer wie Täter zur Verarbeitung der Geschehnisse. Die Frauen, die nach zwanzig Jahren noch unter Schreikrämpfen zusammenbrechen, belegen das. Dialog ist das beste Mittel zur Verarbeitung von Gewalt, und Kommunikation das Beste zur Verhinderung derselben. Deswegen arbeitet die Organisation Aegis Trust, die sich den Kampf gegen Genozid weltweit zur Aufgabe gemacht und das eindrucksvolle Gedenkzentrum Gisozi in Kigali gestaltet hat, aktuell am Aufbau eines globalen Parlamentarier-Netzwerks. Ein solches soll als Brücke zwischen den nationalen und zuweilen regionalen Parlamenten und den internationalen Institutionen wie den Vereinten Nationen dienen und helfen, Verbrechen gegen die Menschheit zu verhindern. Stephen Twigg, britischer Labour-Abgeordneter, warb zusammen mit Aegis Trust-Mitarbeitern bei einem Treffen in Ruanda mit Abgeordneten des Bundestags sowie einer Delegation des rheinland-pfälzischen Landtags um Innenminister Roger Lewentz um deutsche Partizipation in diesem Netzwerk.

Twigg stimmte zu, dass ein solches Netzwerk Verantwortung um den ganzen Erdball verteilen und ein Versagen ähnlich dem der Weltgemeinschaft im Genozid von 1994 unwahrscheinlicher machen würde.

Jan Casper

 

Syrien: NGOs fordern Ermittlungen durch den Internationalen Strafgerichtshof

flagen

Gemeinsam mit mehr als 100 Menschenrechtsorganisationen ruft Genocide Alert den UN Sicherheitsrat dazu auf, die Menschenrechtsvebrechen in Syrien durch den Internationalen Strafgerichtshof untersuchen zu lassen. Trotz mehr als 100.000 Opfern systematischer Gewalt gegen die Zivilbevölkerung herrscht in Syrien nach wie vor Straflosigkeit. Die internationale Gemeinschaft darf diese Situation nicht länger hinnehmen. Der UN Sicherheitsrat sollte den Internationalen Strafgerichtshof deswegen umgehend beauftragen, die Verbrechen in Syrien zu untersuchen und die Verantwortlichen anzuklagen.

 

Statement by Civil Society Organizations on Need for Justice

(New York, May 15, 2014) – Over one hundred civil society groups from around the world issued the following statement today to urge the United Nations Security Council to approve a resolution to refer the situation in Syria to the prosecutor of the International Criminal Court:

We, the undersigned civil society groups, urge United Nations Security Council members to approve a draft resolution supported by a broad coalition of countries that would refer the situation in Syria to the prosecutor of the International Criminal Court (ICC). More than three years into a conflict that has claimed well over 100, 000 lives, according to the United Nations, atrocity crimes are being committed with complete impunity by all sides in the conflict, with no end in sight.

Neither Syrian authorities nor the leaders of non-state armed groups have taken any meaningful steps to ensure accountability for past and ongoing grave human rights crimes. The failure to hold those responsible for these violations to account has only fueled further atrocities by all sides. Against this background, we believe the ICC is the forum most capable of effectively investigating and prosecuting the people who bear the greatest responsibility for serious crimes and of offering a measure of justice for victims in Syria.

The latest report from the UN’s Syria Commission of Inquiry, published on March 5, also found that all sides to the Syria conflict continued to commit serious crimes under international law and held that the Security Council was failing to take action to end the state of impunity. The commission, which has published seven in-depth reports since its establishment in August 2011, recommended that the Security Council give the ICC a mandate to investigate abuses in Syria. The need for accountability in Syria through the ICC has likewise been supported by more than
60 UN member countries, representing all regions of world, including 10 of the current members of the Security Council. We urge all Security Council members to heed this call for justice. Other countries should publicly support the draft resolution and warn Russia and China against using their veto power to obstruct accountability for violations by all sides. As a permanent international court with a mandate to prosecute war crimes and crimes against humanity when national authorities are unable or unwilling to do so, the ICC was created to address exactly the type of situation that exists in Syria today. Though the court’s work can be only one piece of the larger accountability effort needed in Syria, it is a crucial first step.

We therefore strongly urge Security Council members to urgently act to fill the accountability gap in Syria. The people of Syria cannot afford further disappointment or delay.

 

Co-signing organizations in alphabetical order:

1. Action des Chrétiens pour l’Abolition de la Torture, France
2. Amnesty International, Benin
3. Advocates for Public International Law, Uganda
4. Arabic Network for Human Rights Information, Egypt
5. Asia Pacific Centre for the Responsibility to Protect, Australia
6. Act for Peace, Australia
7. Arab Coalition for Sudan, Sudan
8. Arab Program for Human Rights Activists, Egypt
9. Arab-European Center Of Human Rights And International Law, Norway
10. Arab Foundation for Development and Citizenship, United Kingdom
11. Andalus Institute for Tolerance and anti-Violence Studies, Egypt
12. Benin Coalition for the International Criminal Court, Benin
13. Cairo Institute for Human Rights Studies, Egypt
14. Campaña Colombiana Contra Minas, Colombia
15. Center for Media Studies and Peacebuilding, Liberia
16. Child Soldiers International, United Kingdom
17. Christian Solidarity Worldwide, Belgium
18. Club des Amis du Droit du Congo, Democratic Republic of Congo
19. Coalition Ivoirienne pour la Cour Penale Internationale, Cote d’Ivoire
20. Colombian Commission of Jurists, Colombia
21. Community Empowerment for Progress Organization, South Sudan
22. Conflict Monitoring Center, Pakistan
23. Congress of National Minorities of Ukraine, Ukraine
24. Comité Catholique Contre la Faim et Pour le Développement – Terre Solidaire, France
25. Comision Mexicana de Defensa y Promocion de los Derechos Humanos, Mexico
26. CSO Network, Western Kenya
27. Dawlaty Foundation, Lebanon
28. Democracia Global, Argentina
29. East Africa Law Society, Tanzania
30. Egyptian Initiative for Personal Rights, Egypt
31. Elman Peace and Human Rights Center, Somalia
32. Euro-Mediterranean Human Rights Network
33. FN-forbundet / Danish United Nations Association, Denmark
34. Franciscans International
35. Fundación de Antropología Forense, Guatemala
36. Georgian Young Lawyers Association, Georgia
37. Genocide Alert, Germany
38. Global Solutions.org, United States
39. Global Justice Center, United States
40. Global Centre for the Responsibility to Protect, United States
41. Gulf Centre for Human Rights, Denmark
42. Horiyat for Development and Human Rights, Libya
43. Humanist Institute for Development Cooperation, The Netherlands
44. Humanitarian Law Center Kosovo, Kosovo
45. Human Rights First, United States
46. Human Rights Watch 47. International Justice Project, United States
48. International Commission of Jurists, Kenya
49. International Society for Civil Liberties & the Rule of Law, Nigeria
50. International Society for Traumatic Stress Studies, United States
51. International Federation of Action by Christians for the Abolition of Torture, France
52. International Center for Policy and Conflict, Kenya
53. Insan, Lebanon
54. Jacob Blaustein Institute for the Advancement of Human Rights, United States
55. Justice Without Frontiers, Lebanon
56. Kenya Human Rights Commission, Kenya
57. La Coalition Burundaise pour la Cour Penale Internationale, Burundi
58. Lira NGO Forum, Uganda
59. Ligue pour la Paix, les Droits de l’Homme et la Justice, Democratic Republic of Congo
60. Media Foundation for West Africa, Ghana
61. Minority Rights Group International, United Kingdom
62. National Youth Action, Inc., Liberia
63. No Peace Without Justice, Italy
64. Norwegian People’s Aid, Norway
65. Optimum Travail du Burkina, Burkina Faso
66. Open Society Justice Initiative
67. Pakistan Body Count, Pakistan
68. PAX, The Netherlands
69. Pax Christi International
70. Parliamentarians for Global Action
71. El Equipo Peruano de Antropología Forense, Peru
72. Physicians for Human Rights, United States
73. Pak Institute for Peace Studies, Pakistan
74. REDRESS, United Kingdom
75. Reporters without Borders, France
76. Rencontre africaine pour la défense des droits de l’homme (Raddho-Guinée), Guinea
77. Reseau Equitas, Cote D’Ivoire
78. Samir Kassir Foundation, Lebanon
79. Southern Africa Litigation Centre, South Africa
80. South African Institute for Advanced Constitutional, Public, Human Rights and
International Law, South Africa
81. Syrian Network for Human Rights, United Kingdom
82. Syria Justice & Accountability Center, The Netherlands
83. Syrian Nonviolence Movement, France
84. Syrian Observatory for Human Rights, United Kingdom
85. Synergie des ONGs Congolaises pour la lutte contre les Violences Sexuelles, Democratic
Republic of Congo
86. Synergie des ONGs Congolaises pour les Victimes, Democratic Republic of Congo
87. The International Federation for Human Rights, France
88. The Centre for Accountability and Rule of Law, Sierra Leone
89. The Association of Political Scientists, Greece
90. The Sentinel Project for Genocide Prevention, Canada 91. The Igarape Institute, Brazil
92. The Arab World Center for Democratic Development, Jordan
93. The United Nations Association of Sweden, Sweden
94. United to End Genocide, United States
95. Vision GRAM-International, Canada
96. Violations Documentation Center, Syria
97. Wake Up Genève for Syria, Switzerland
98. West Africa Civil Society Institute, Ghana
99. West African Bar Association, Nigeria
100. World Federalist Movement, Canada
101. World Federation of United Nations Associations
102. Zarga Organization for Rural Development, Sudan

Ein drohender Völkermord im Südsudan: Zivilisten im Südsudan brauchen jetzt mehr deutsches Engagement

Wenige Wochen nach dem Gedenken an den Völkermord in Ruanda im Bundestag warnt der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung vor einem Völkermord im Südsudan. Nach Ausbruch eines Bürgerkrieges und ethnisch motivierten Tötungen schweben dort Hunderttausende Zivilisten in Lebensgefahr. Deutschland verfügt über die Mittel, den Schutz der Menschen im Südsudan merkbar zu verbessern. Hierfür sollte die Bundesregierung ihre Unterstützung der UN-Mission im Südsudan sowie ihre humanitäre Hilfe massiv ausweiten.

„Wir schulden [den Opfern von Menschheitsverbrechen], dass wir uns nicht dem Gefühl der Ohnmacht und schon gar nicht der Gleichgültigkeit hingeben – dass wir nicht nur anprangern, sondern alles tun, was in unserer Macht steht, um Völkermord zu verhindern!”

(Frank-Walter Steinmeier, 4. April 2014)

Wenige Wochen nach den Gedenkfeierlichkeiten des Bundestag zum Völkermord in Ruanda warnt der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Christoph Strässer vor einem erneuten Völkermord im Südsudan. Deutschland und die internationale Gemein-schaft sind jetzt zum Handeln aufgerufen, solange sich dort eine weitere Eskalation verhindern lässt. In Kürze wird sich die Situation soweit verschlimmert haben, dass Hilfe deutlich schwerer und um ein Vielfaches teurer wird.

Die Situation im Südsudan: Mord, Vergewaltigung, Hunger und Krankheit

Im Südsudan eskaliert seit Dezember 2013 der Konflikt zwischen Präsident Salva Kiir, Angehöriger der Volksgruppe der Dinka, und seinem ehemaligen Stellvertreter Riek Machar, der zur Volksgruppe der Nuer gehört. Beide kämpfen um die Macht im 2011 unabhängig gewordenen Südsudan. Alle Bemühungen blieben bisher erfolglos, Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien voranzutreiben.

Mehr als 20.000 Menschen starben seit Dezember 2013 aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Die Vereinten Nationen dokumentierten zuletzt Massaker in der Stadt Bentiu, in denen hunderte Männer, Frauen und Kinder zunächst nach ihrer ethnischen Zugehörigkeit selektiert und anschließend brutal ermordet wurden. Wie 1994 in Ruanda wurde im Radio zur Vergewaltigung von Frauen der anderen Ethnie aufgerufen.

Mehr als 60.000 Menschen suchten seit Ende Dezember Schutz auf den UN-Stützpunkten der Blauhelme vor Ort. Diese Menschen zu versorgen ist eine riesige Herausforderung. Es fehlt an Unterkunft, Nahrung, sauberen Wasser, Latrinen und Gesundheitsversorgung. Mit dem Beginn der Regenzeit könnten mehrere UN-Stützpunkte teilweise überschwemmt werden – mit fatalen Folgen für die Flüchtlinge. Das Risiko einer Cholera-Epidemie steigt rapide. Über eine Million Menschen im Land sind inzwischen auf der Flucht. Zeitgleich bahnt sich eine Hungerkatastrophe an.Mindestens 3,7 Millionen Zivilisten sind von akuter Lebensmittelknappheit betroffen. UNICEF warnt vor einer Hungersnot mit bis zu einer Millionen Toten.

Der UN-Sicherheitsrat beschloss am 24. Dezember die Aufstockung der UN-Mission im Südsudan (UNMISS) von bisher 7.000 auf nun 12.500 Soldaten und Polizisten. Vier Monate später sind nur ca. 1.500 Soldaten von dieser Verstärkung im Südsudan eingetroffen. Laut Angaben der Vereinten Nationen werden insgesamt umgerechnet 917 Millionen Euro für humanitäre Hilfe gebraucht. Bisher wurde von Seiten der internationalen Gemeinschaft nur knapp ein Drittel dieser Summe zugesagt.

Deutschland kann und muss einen Beitrag leisten

Deutschland ist bereits seit Jahren im Südsudan aktiv und mit derzeit 14 Stabs- und Verbindungsoffizieren an der UN-Friedenstruppe beteiligt. Das Mandat der deutschen Soldaten wurde im November 2013 vom Bundestag verlängert: 541 Abgeordnete stimmten für eine Mandatsobergrenze von 50 Soldaten. Die Offiziere halfen bislang bei der Koordinierung von Kranken- und Verletztentransporten sowie der Lieferung von Trinkwasser.

Nach Angaben des Auswärtigen Amtes inves-tierte Deutschland zwischen 2009 und 2012 mehr als 800 Millionen Euro in den Staatsaufbau und die Stabilisierung des Sudan und Südsudan. Die Bundesrepublik und Europa haben ein Interesse daran, eine weitere Destabilisierung der Region Ostafrika zu verhindern. Deutschland hat als Teil der internationalen Gemeinschaft zudem eine Schutzverantwortung für die Menschen im Südsudan. Die Ende April 2014 versprochene humanitäre Soforthilfe der Bundesregierung belief sich auf 45,6 Millionen Euro. Diese Hilfe und der persönliche Besuch von Entwicklungsminister Müller im März 2014 waren wichtige Zeichen. In der aktuell eskalierenden Lage sollte Deutschland jedoch mehr tun:

  • Die UN-Mission hat eindringlich um mehr Soldaten und logistische Kapazitäten gebeten. Die Leiterin von UNMISS sagte in einem Treffen mit Entwicklungsminister Müller am 27. März 2014: „Im Hinblick auf deutsche Soldaten – Wenn es jemals einen Zeitpunkt für einen robusten und umfassenden Beitrag gegeben hat, dann ist dieser jetzt.“ Deutschland sollte in Absprache mit der UN deutlich mehr Soldaten und Polizisten entsenden, logistische Kapazitäten der Bundeswehr für den Transport von UN-Truppen in den Südsudan einsetzen sowie UNMISS Luftaufklärungsfähigkeiten und Hubschrauber zur Verfügung stellen. Seit Ausbruch des Konflikts wurden bereits zwei UN-Stützpunkte angegriffen. Deswegen werden Ingenieurs- und Pionierkapazitäten gebraucht, um den Ausbau der UN-Stützpunkte zu ermöglichen und um angemessene Einrichtungen für den Schutz von Flüchtlingen zu schaffen.
  • UNMISS muss bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zum Schutz von Zivilisten weniger von der Kooperation der südsudanesischen Regierung als eine der Konfliktparteien abhängig gemacht werden. Hierzu sollte Deutschland in New York eine dahingehende Überarbeitung des Mandates der UN-Mission unterstützen.
  • Um die politischen Bemühungen für eine Verhandlungslösung voranzubringen, sollte die Bundesregierung in enger Absprache mit den größten bilateralen Geldgebern des Südsudans den diplomatischen Druck auf Präsident Salva Kiir und Rieck Machar erhöhen. Hierzu sollten auch Reise- und Visasperren sowie Finanzsanktionen gegen solche Individuen unterstützt werden, die für die Organisation von Verbrechen verantwortlich sind. Auch sollte ein Waffen-embargo über den Südsudan verhängt werden, um den Bürgerkriegsparteien den Nachschub zu erschweren. Berlin sollte sich außerdem dafür einsetzen, dass Vertreter der südsudanesischen Zivilgesellschaft in die Verhandlungen mit eingebunden werden und diese Teilnahme finanziell unterstützen.
  • Für die zukünftige Entwicklung des Südsudans ist es wichtig, dass Menschen-rechtsverletzungen und systematische Brüche des humanitären Völkerrechts geahndet werden. Deutschland sollte daher auch in Absprache mit UNMISS Kapazitäten zur Ver-fügung stellen, um unabhängige Menschenrechtsbeobachter in den Südsudan zu senden, die gerichtsfestes Beweismaterial zu den Gewalttaten sichern können. Es sollten deutsche Staatsanwälte und Forensiker geschickt oder die Entsendung von Experten anderer Staaten finanziert werden. Dies ist ein wichtiger Beitrag gegen die Straflosigkeit.
  • Deutschland sollte die humanitäre Hilfe für den Südsudan signifikant erhöhen.

 

Ein drohender Völkermord im Südsudan: Zivilisten im Südsudan brauchen jetzt mehr deutsches Engagement.pdf