Foto von Kelly Sikkema auf Unsplash

Foto: Kelly Sikkema auf Unsplash

Worin überlappen und unterscheiden sich die verschiedenen Massenverbrechen?

von Emma Neuber und Paul Stewens

Die Kernverbrechen des Rom-Statuts – Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord, und das Verbrechen der Aggression – haben jeweils eigene Eigenschaften und Hürden. Sie unterscheiden sich einmal in Bezug auf den Kontext des Verbrechens. Kriegsverbrechen setzen einen bewaffneten Konflikt voraus, Verbrechen gegen die Menschlichkeit können nur als Teil eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung begangen werden. Für das Verbrechen der Aggression wird kein bestimmter Kontext vorausgesetzt, in Bezug auf Völkermord ist umstritten, ob er nur im Rahmen einer staatliche Vernichtungspolitik begangen werden kann.  

Zudem richten sich die verschiedenen Verbrechen gegen unterschiedliche Opfergruppen. Kriegsverbrechen betreffen Personen, die durch das humanitäre Völkerrecht geschützt werden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit können gegen jede:n begangen werden. Das Verbrechen des Völkermordes ist auf die in der Völkermord-Konvention gelisteten geschützten Gruppen beschränkt und setzt eine spezifische Zerstörungsabsicht voraus, während das Verbrechen der Aggression Staaten vor Verstößen gegen das Gewaltverbot schützt. 

Dabei kann ein und dieselbe Handlung verschiedene Straftatbestände erfüllen. Nehmen wir als Beispiel die Tötung einer Zivilistin. Findet sie im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes statt, stellt sie ein Kriegsverbrechen dar. Ist sie in einen ausgedehnten oder systematischen Angriff auf die Zivilbevölkerung eingebettet, kann sie als Verbrechen gegen die Menschlichkeit qualifiziert werden. Ist die Zivilistin zudem Mitglied einer geschützten Gruppe unter der Völkermord-Konvention, und wird sie mit der Absicht getötet, diese Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören, stellt dieses Handeln sogar einen Völkermord dar. Die Tatbestandsmerkmale der verschiedenen Verbrechen können auch zeitgleich erfüllt sein; das OLG Frankfurt etwa verurteilte den im Beitrag zum Tatbestand des Völkermords erwähnten IS-Kämpfer wegen Völkermordes “in Tateinheit” mit einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit, einem Kriegsverbrechen und Körperverletzung mit Todesfolge. 

Die Unterscheidung der verschiedenen Kernverbrechen ist dabei durchaus von erheblicher Bedeutung. Zunächst sind sie in unterschiedlichem Maße stigmatisiert; wenngleich nicht aus rechtlicher Sicht ist Völkermord zweifellos das politische “crime of crimes.” Für Opfergruppen kann es somit von entscheidender Bedeutung sein, dass Verbrechen gegen sie auch tatsächlich als Völkermord anerkannt werden. Das spiegelt sich auch in tendenziell höheren Strafen wider, die für Völkermord im Vergleich zu den anderen Kernverbrechen verhängt werden. Hinzukommt, dass Staaten Maßnahmen ergreifen müssen, um sowohl Völkermord (Art. I Völkermord-Konvention) als auch schwere Verletzungen der Genfer Konventionen (gemeinsamer Art. 2 der Genfer Konventioen) zu verhindern und zu verfolgen. Diese Verpflichtung besteht jeweils gegenüber allen anderen Vertragsparteien.  

Menschenrechtsverletzungen werden oft in einem Atemzug mit den Kernverbrechen genannt. Die Menschenrechte stellen jedoch ihren eigenen Rechtsbereich dar. Das Völkerstrafrecht enthält Pflichten für Individuen, die für Verstöße strafrechtlich verfolgt werden können. Die Menschenrechte dagegen berechtigen Individuen gegenüber dem Staat, der wiederum zur Achtung, zum Schutz, und zur Gewährleistung dieser Rechte verpflichtet ist. Aus den Menschenrechten ergibt sich unmittelbar jedoch keine individuelle Strafbarkeit. Die Beendigung von Menschenrechtsverletzungen ist vielmehr eine Frage der Staatenverantwortung.  

Für einzelne Menschenrechte, wie etwa das Recht auf Leben, trifft den Staat außerdem die Pflicht, Individuen vor Einschränkungen dieses Rechts durch nicht-staatliche Akteur:innen zu schützen. Das erfordert z.B. eine effektive Strafverfolgung von Tötungsdelikten. Hierbei handelt es sich jedoch um einen rein nationalen Vorgang, durch den der Staat seiner völkerrechtlichen Verpflichtung zum Schutz des Menschenrechts auf Leben nachkommt. Die einzelne Täterin würde hier nach nationalem Recht wegen Mordes verurteilt, nicht wegen einer Menschenrechtsverletzung. Eine solche entstünde erst, wenn der Staat systematisch dabei scheitert, das Recht auf Leben wirksam zu schützen.  

In der Praxis sind Menschenrechtsverletzungen typischerweise Teil der Kernverbrechen. Wo staatliche Akteur:innen im Zuge eines Völkermordes willkürlich töten oder Personen Schaden zufügen, verletzen sie auch das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit der Opfer. Wo der Staat das Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Verfolgung verübt, verletzt er oft auch etwa das Menschenrecht auf Religions- oder Meinungsäußerungsfreiheit der Verfolgten. Bestimmtes staatliches Handeln kann also zugleich ein Kernverbrechen und eine Menschenrechtsverletzung darstellen. Die Täter:innen können jedoch nur für die Begehung eines Kernverbrechens belangt werden; eine Menschenrechtsverletzung fällt in den Bereich der Staatenverantwortung. 

Weiterführende Literatur: 

>> eine Podcast-Episode, die Möglichkeiten zur völkerstrafrechtlichen Verfolgung Putins auslotet:  https://voelkerrechtsblog.org/25-putin-vor-gericht-mit-welchen-voelkerstrafrechtlichen-mitteln/ 

>> umfassende Sammlung wissenschaftlicher Literatur zu den Kernverbrechen: https://library.law.northwestern.edu/IntlCrimLaw/CoreCrimes  

>> Überblick zu den Rechtsgrundlagen für die Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen in Deutschland auf der Website des Bundeskriminalamts: https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/
Voelkerstrafrecht/voelkerstrafrecht_node.html
  

Über dieses Projekt

Mit diesem Projekt möchten wir in dieser undurchsichtigen Gemengelage verschiedener Völkerstraftaten ein wenig Übersichtlichkeit schaffen. Wir zeigen, wo die Trennlinien zwischen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und dem Verbrechen der Aggression verlaufen, wo sie sich überlappen und warum es von Bedeutung ist, wie sie eingeordnet werden. Maßgeblich dafür ist das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH), das Gerichtsbarkeit über und individuelle Strafverantwortung für die vier Kernverbrechen begründet: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression.  

Projektleitung: Emma Neuber, Paul Stewens