Die Notlage der Rohingya und die Verantwortung, ethnische Säuberungen zu verhindern
Die Gewalt gegen die Rohingya in Myanmar und deren erzwungene Vertreibung hält weiter an. Obwohl die dortigen Geschehnisse als ethnische Säuberungen bezeichnen werden können, zeigt sich der UN-Sicherheitsrat unfähig, die Gewalt entsprechend zu verurteilen. Das wirft die Frage auf, was die ‚Responsibility to Protect’ in der Praxis bedeutet. Die anhaltende humanitäre Krise ist Resultat und Höhepunkt bereits lange Zeit andauernder Diskriminierung der Rohingyas. Diese muslimischen Minderheit aus dem Staat Rakhine wird weiter leiden und noch mehr Gräueltaten ausgesetzt sein, wenn die internationale Gemeinschaft weiterhin nichts unternimmt.
Die Lage der Rohingya im Rakhine Staat
Die anhaltenden gewalttätigen Angriffe seitens der Regierungseinheiten sowie der ethnischen Terrororganisation ARSA haben die langfristig prekäre Lage der Rohingya in eine humanitäre Krise verwandelt. Der Schatten eines Völkermordes liegt über dem Land. Wie die internationale Gemeinschaft sowie zivilgesellschaftliche Gruppen und Organisationen versuchen könnten, weitere Gräueltaten abzuwenden und eine Eskalation zu verhindern, bleibt umstritten. Jede mögliche politische Lösung der Rohingya-Krise in Myanmar erfordert ein Verständnis der ethnischen und kulturellen Trennungslinien im Land, der Entstehung der bewaffneten Terrorgruppen, der rechtlichen Staatenlosigkeit der Rohingya-Minderheit, ihrer Zwangsumsiedlung sowie der dominanten Position des Militärs in Myanmar. Entsprechend der komplexen Lage im gesamten Land ist sehr kontrovers, wie die Verpflichtung, ethnische Säuberungen im Rahmen der sogenannten Schutzverantwortung (Responsibility to Protect – R2P zu verhindern, umzusetzen ist, da einige Staaten eine internationale Einmischung in innere Angelegenheiten grundsätzlich ablehnen.
Die Kampagne der Armee Myanmars gegen die Terrororganisation ARSA führte zur Tötung von Zivilisten, Vergewaltigungen und großflächiger Brandstiftung in Rakhine. Seit Ende August wurden durch die Übergriffe der Sicherheitskräfte mehr als 600.000 Rohingya ins benachbarte Bangladesch vertrieben. Dies stellt nach Angaben der Vereinten Nationen die rasanteste Vertreibung eines Volkes seit dem Völkermord in Ruanda dar. Aber in Myanmar, und sogar in Rakhine selbst, wird die Tatsache, dass ethnische Säuberungen stattfinden, geleugnet. Die Regierung verweigert den uneingeschränkten Zugang von humanitärer Hilfe und Menschenrechtsbeobachtern nach Rakhine, wodurch das Leid der Rohingya weiter verschärft wird. Die Abschottungspolitik der Regierung schürt Befürchtungen, dass auch humanitäre Helfer wie bereits in der Vergangenheit erneut Ziel von Gewalttaten werden könnten. Die geographische Isolation, fehlende Infrastruktur sowie staatliche Restriktionen erschwerten den Zugang zum Staat Rakhine bereits in der Vergangenheit enorm und müssen aufgehoben werden.
Die tiefen Wurzeln der ethnischen Spannung in Myanmar
Die Regierung leugnet eine gezielte Kampagne gegen die Rohingya – auch wenn das Militär inzwischen vereinzelte Beteiligungen von Sicherheitskräften an Lynchmorden eingestanden hat. Ethnische Spannungen zwischen der buddhistischen Mehrheit und der Minderheit der Rohingya sind tief verwurzelt in Myanmar. Vor dem Hintergrund der heiklen Machtverhältnisses zwischen der jungen demokratisch gewählten Regierung und dem Militär in Myanmar und anhaltender Versuche, andere seit langem bestehende ethnischen Konflikte im Land zu lösen, erscheint es der Regierung daher nicht opportun, das Vorgehen der Armee gegen die Rohingya zu kritisieren. International riskiert die de-facto Regierungschefin Aung San Suu Kyi, zwischen den Stühlen zu stehen. Das Militär stellt sie als zu schwach in Fragen der „nationalen Sicherheit“ dar, während sie in den Augen der internationalen Gemeinschaft als zu schwach für die Verteidigung einer ethnischen Minderheit angesehen wird.
Es gibt Parallelen zwischen der aktuellen Rohingya-Krise und früheren Fällen von Völkermord und ethnischen Säuberungen in Myanmar. In Rakhine haben die Sicherheitskräfte Myanmars die Rohingya durch Schüsse, Drohungen, Tötungen und sexuelle Gewalt terrorisiert und vertrieben und dann ihre Dörfer niedergebrannt. Dies wurde unter anderem durch Sattelitenbilder dokumentiert und bestätigt. Die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft, der Kontext einer jungen, noch schwachen Demokratie und die Tatsache, dass die Armee die Situation einseitig als Resultat von Angriffen einer extremistischen Terrorgruppe auf Militärstützpunkte rechtfertigt, begünstigen das Auftreten weiterer Massenverbrechen, wie fallübergreifende Studien zu Massenverbrechen und zu ethnischen Säuberungen zeigen.
Der Begriff „ethnische Säuberungen“ ist kein eigenständig völkerrechtlich definierter Begriff, wie etwa Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie stellen vielmehr ein spezifisches Spektrum von Massenverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. Der während des Zerfalls von Jugoslawien geprägte Begriff bezeichnet vor allem organisierte Operationen zur Vertreibung von Menschen aus einem bestimmten Gebiet. Gewalttätige und terroristische Mittel sollen die konkrete Gruppe zwingen, ihre Heimat zu verlassen und etwa durch die Zerstörung ihrer Wohnorte sicherstellen, dass sie nicht zurückkehren.
Bislang hat die UNO bezüglich der Gewalttaten ihre tiefe Besorgnis zum Ausdruck gebracht und sofortige Schritte zur Beendigung der Gewalt, zum Schutz der Zivilbevölkerung und zur Lösung des Flüchtlingsproblems gefordert. Der Bericht der Rakhine-Kommission, in dem versucht wurde, diese Überlegungen zu berücksichtigen, könnte einen Fahrplan für weitere Maßnahmen in dieser Krise liefern. Die Arbeit der Kommission wurde jedoch durch mangelnden Zugang und mangelnde Zusammenarbeit seitens der Regierung Myanmars behindert.
Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Völkerrechtlich können die seit dem 25. August 2017 in Myanmar begangenen Taten der Sicherheitskräfte als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt werden, da es sich um gewaltsame Übersiedlung und Deportation der Bevölkerung handelt. Was die Verpflichtungen der internationalen Gemeinschaft in einer solchen Situation sind, ist umstritten, da die Angelegenheit von einigen Staaten als interne Angelegenheit wahrgenommen wird. Beispielsweise hat China, unterstützt von Russland, eine Erklärung des UN-Sicherheitsrates blockiert, die „mit Besorgnis die erneuten Kämpfe in einigen Teilen des Landes zur Kenntnis genommen“ und die Bedeutung des humanitären Zugangs zu allen betroffenen Gebieten unterstrichen hätte. Bestehende Vorschläge für Waffenembargos oder Resolutionen können im UN Sicherheitsrat ohne die Zustimmung Chinas und Russlands nicht verabschiedet werden. Selbst die pragmatischen Kurzzeitvorschläge des Berichts der Rakhine-Kommission werden wahrscheinlich nicht umgesetzt werden, und wenn doch, werden die strukturellen Ursachen von Spannungen und Gewalt nicht angegangen. ASEAN, als größte regionale Organisation, folgt weiterhin ihrer Nichteinmischungsdoktrin und wird daher keinen Druck auf Myanmar ausüben, wie aus der Erklärung des Vorsitzenden des diesjährigen ASEAN-Gipfels hervorging.
Der internationale Flüchtlingsschutz deckt jene Rohingya ab, die nach Bangladesch geflohen sind und durch den Grenzübertritt unter die Flüchtlingskonvention fallen. Myanmars Streitkräfte begehen eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen, wie sie im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte verboten sind. Diesen hatte Myanmar Anfang Oktober 2017 ratifiziert, obwohl dessen Soldaten zeitgleich Rohingya-Häuser verbrannten. Diese Konventionen sind jedoch nicht mit Zwangsmaßnahmen in Fällen ihrer Verletzung bewehrt. Myanmar ist auch dem Romstatut des Internationalen Strafgerichtshofes nicht beigetreten. Jedoch besteht womöglich ein Weg den Internationalen Strafgerichtshof mit dem Fall zu beschäftigen: Bangladesch könnte das Gericht anrufen und einen Fall vorbringen, da der Grenzübertritt der Rohingya von Myanmar nach Bangladesch Teil der Vertreibung der Rohingya ist.
Rückkehr der Rohingya?
Weder Myanmar noch Bangladesch fühlen sich als für die Rohingya zuständig. In Bangladesch leben die Rohingya als Flüchtlinge, in Myanmar aber werden sie nicht als Bürger Myanmars anerkannt. Es kann für die Rohingya angesichts ihrer prekären Lage in Bangladesch „keinen Frieden ohne Rückführung“ geben. Die Rohingya haben schließlich alles verloren. Innerhalb Myanmars erscheint aber eine Rückführung und würdevolle und friedliche Reintegration aber angesichts des Staatsbürgerschaftsgesetzes von 1982, das die Rohingya weltweit zur größten Bevölkerungsgruppe von Staatenlosen gemacht hat, sehr unwahrscheinlich. Es ist dieser grundlegende Mangel an rechtlicher Anerkennung und Schutz innerhalb Myanmars, der die Rohingya enorm anfällig für Menschenrechtsverletzungen und Hassreden radikaler Buddhisten macht. Zudem kompliziert der nhaltende Streit zwischen Bangladesch und Myanmar um die ethnische Herkunft und Zugehörigkeit der Rohingya ihr Recht auf Rückkehr noch weiter.
Das Ende November 2017 zwischen Bangladesch und Myanmar geschlossene Abkommen über die Rückkehr der Flüchtlinge bis Ende 2019 soll zwar seit Ende Januar 2018 umgesetzt werden. Auf Grund der anhaltenden Gewalt und Verzögerungen in der Vorbereitung wurde damit jedoch noch nicht begonnen. Es ist gleichzeitig sehr unklar, wie viele Rohingya ihr Schicksal freiwillig in die Hände der gleichen Armee begeben wollen, die sie noch vor Kurzem vertrieben hat. Auch gibt es Bedenken, dass die Armee Myanmars das Abkommen behindern könnte. UNICEF warnt davor, die Rohingya zu einer Rückkehr nach Myanmar zu zwingen, da sie dort noch immer bedroht werden. Die innergesellschaftliche Spaltung zwischen der muslimischen Rohingya- Minderheit und der buddhistisch-burmesischen Mehrheit entstammt einer Geschichte der Diskriminierung und langwierigen ethnischen Spannungen und besteht weiterhin. Die Gefahr daraus resultierender Gewalt wird nicht über Nacht verschwinden.
Keine einfachen Lösungen für Myanmar
Es gibt keine einfachen Lösungen für Myanmar, aber die anhaltende Unfähigkeit der internationalen Gemeinschaft, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, wird der schwierigen Lage nicht gerecht. Ein erster möglicher Schritt, der über die bloße verbale Verurteilung hinausgeht, wäre ein umfassendes Waffenembargo gegen Myanmar sowie die Verhängung gezielter Sanktionen gegen verantwortliche Entscheidungsträger. Es würde die Mittel des Militärs beschränken und ein Signal an die Verantwortlichen senden, ohne die Zivilbevölkerung zu beeinträchtigen.
Alle Lösungen werden leider letztlich von dem politischen Willen abhängig sein, dieses Problem zu lösen und die tieferen Ursachen dieser Krise zu bewältigen. Die internationale Gemeinschaft muss mehr tun, um die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die ethnischen Säuberungen gegen die Rohingya-Zivilbevölkerung in Myanmar zu bekämpfen und den Geflüchteten eine sichere Rückkehr zu ermöglichen. Dafür muss nicht nur die anhaltende Gewalt beendet werden: Die Rohingya müssen in Myanmar endlich offiziell als gleichberechtigte Bürger anerkannt werden. Außerdem muss ein Dialog- und Versöhnungsprozess zwischen den Bevölkerungsgruppen angestoßen werden, um Spannungen und Hass abzubauen. Nur so kann zukünftigen Gräueltaten vorgebeugt werden.