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Policy Brief 6/2013: Der Internationale Waffenhandelsvertrag als Präventionsinstrument der Schutzverantwortung

Der am 2. April 2013 von der VN-Generalsversammlung beschlossene Waffenhandelsvertrag ist ein wesentlicher Beitrag zur Prävention, dem wichtigsten Aspekt der Schutzverantwortung. Laut Vertrag dürfen Waffenexporte nur noch dann autorisiert werden, wenn ausgeschlossen werden kann, dass sie im Zielland zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwendet werden würden. Eine effektive und transparente Umsetzung des Waffenhandelsvertrags wird dazu beitragen, sich anbahnende menschliche Katastrophen bereits vor dem Übergang in eine militärische Dimension mit nichtmilitärischen Mitteln verhindern zu können.

Seit Langem fordern Vertreter der Zivilgesellschaft wie Amnesty International oder Oxfam einen internationalen Waffenhandelsvertrag (Arms Trade Treaty, ATT). Am 2. April 2013 ist der ATT in der Generalversammlung der Vereinten Nationen nun mit der Zustimmung von 154 Staaten beschlossen worden.

Schutzverantwortung und ATT

Der ATT verspricht ein wertvolles Instrument zur Umsetzung der Schutzverantwortung darzustellen und insbesondere zur Verhinderung massiver Gräueltaten beizutragen. Verbrechen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und ethnische Säuberungen werden oft nicht mit Massenvernichtungswaffen, sondern mit Klein- und Leichtwaffen begangen.

Eine strengere internationale Regulierung bietet darum die Möglichkeit, solchen Verbrechen zumindest in begrenztem Rahmen Einhalt zu gebieten, da die Instrumente solcher Menschenrechtsverletzungen schwerer zu beschaffen sein werden. Dies ist besonders relevant in Fällen, in denen es bereits vorab Hinweise für die Verwendung solcher Waffen zu den genannten Gräueltaten gibt.

In diesem Sinne können die exportierenden Staaten ihrer Schutzverantwortung durch die Nichterteilung von Rüstungsausfuhrgenehmi-gungen präventiv nachkommen. Die Bundesregierung sollte dies als Chance verstehen, die Schutzverantwortung ohne den Einsatz von militärischen Mitteln umzusetzen.

Eckpunkte des Arms Trade Treaty

Die Ziele des im April beschlossenen Waffenhandelsvertrags sind zum einen die Schaffung eines internationalen Standards zur Regulierung des Handels mit konventionellen Waffen, zum anderen die Vorbeugung und Bekämpfung des illegalen Handels mit Waffen.

Zentral sind dafür die Artikel 6, 7 und 10. Artikel 6 legt fest, dass Waffenexporte nicht gegen Embargos verstoßen und keine anderen internationalen Abkommen verletzen dürfen. Insbesondere schreibt er vor, dass keine Exporte autorisiert werden dürfen, wenn sie wahrscheinlich für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, schwere Verstöße gegen die Genfer Konventionen oder für Angriffe gegen die Zivilbevölkerung verwendet werden. Diese Kriterien tragen damit zur Prävention schwerster Menschenrechtsverbrechen bei.

Zudem muss laut Artikel 7 des Vertrags abgeschätzt werden, ob ein „maßgebliches Risiko“ besteht, dass Waffenexporte die Sicherheitslage gefährden, zur Verletzung von Menschenrechten oder des humanitären Völkerrechts genutzt werden oder terroristische Handlungen sowie organisierte Kriminalität begünstigen.

Artikel 10 legt darüber hinaus fest, dass die Vertragsparteien darauf achten müssen, dass Exporte nicht unterwegs abhandenkommen. Die Vertragspartner verpflichten sich zu jährlicher Berichterstattung an ein hierfür noch einzurichtendes Sekretariat, das die Informationen an die anderen Vertragspartner weitergibt.

Schwächen des Vertrages

Nicht alle der ursprünglichen Forderungen der Befürworter sind aufgrund diametraler ökonomischer und politischer Interessen in dieses Vertragswerk aufgenommen worden. So sind beispielsweise nicht alle Typen von Waffen enthalten und Munition sowie Baukomponenten sind von einigen Bestimmungen ausgeschlossen.

Ein weiteres Problem ist, dass der exportierende Staat selbst entscheidet, ob ein Fall nach Artikel 6 oder 7 vorliegt. So können unter Umständen Interessenskonflikte entstehen, die dem Geist des ATT wider-sprechen. Am schwersten wiegt jedoch die Frage der Durchsetzung des Vertrages. Es gibt lediglich eine Empfehlung, die jährlichen Berichte an das Sekretariat zu veröffentlichen. Des Weiteren gibt es bislang keine Mechanismen, die im Fall einer Missachtung des Vertrages greifen würden.

Ein Beitrag zur Schutzverantwortung

Wenngleich der ATT nicht in jeder Hinsicht perfekt ist, so ist er doch ein begrüßenswerter Schritt zur erfolgreichen Umsetzung der präventiven Dimension der Schutz-verantwortung, der die Erforderlichkeit militärischer Einsätze zur Verhinderung schwerster Menschenrechtsverbrechen verringern kann. Aufgrund der moderaten Durchsetzungskraft des Vertrages bleibt jedoch abzuwarten, ob und welche der großen Waffenexporteure ihre Handlungen diesem Vertragswerk unterordnen werden.

Die Verabschiedung des ATT deutet auf einen Paradigmenwechsel hin. Viele Staaten haben ihren prinzipiellen Willen zur Begrenzung des Waffenhandels gezeigt und somit eine internationale Norm geschaffen, auf die man sich im Falle der Verletzung des Vertrages berufen kann. Dieses sich wandelnde Bewusstsein und der direkte Verweis auf die von der Responsibility to Protect bezeichneten Verbrechen zeigen die zunehmende Wirkungsmacht menschen-rechtlicher Standards im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik.

Empfehlungen

Dem Beschluss der Generalversammlung müssen nun zunächst fünfzig Ratifizierungen auf nationaler Ebene folgen, damit der Vertrag in Kraft tritt. Dies wird vermutlich zwei bis drei Jahre dauern. Für viele Menschen, die schon jetzt von schwersten Menschenrechts-verbrechen bedroht sind, kommt das zu spät. Bereits vor Inkrafttreten des Vertrages sollte die Bundesregierung darum:

– die Bestimmungen des Vertrages unverzüglich umsetzen,

– Waffenlieferungen an Staaten wie Saudi Arabien im Lichte der Bestimmung des ATT erneut kritisch prüfen,

– sich gegenüber Partnerstaaten aktiv für den ATT als nichtmilitärisches Mittel der präventiven Schutzverantwortung und innerhalb der EU für die Überarbeitung des Gemeinsamen Standpunktes des Rates für Rüstungsexporte einsetzen.
Als einer der Hauptwaffenexporteure weltweit wird Deutschlands Handeln Signalwirkung haben. Um die Glaubwürdig-keit der Bundesregierung angesichts der aktuell kritisierten deutschen Waffenexport-praxis zu stärken, sollten auf Bundesebene transparentere Strukturen zur Genehmigung von Waffenexporten geschaffen werden:

– durch eine vollständige Einbindung des Parlaments in die Entscheidungsfindung bei Lieferung an Staaten außerhalb der NATO,

– durch einen strikteren Kriterienkatalog für Rüstungsexporte,

– durch die Aufnahme eines Abschnittes über die Berücksichtigung und Umsetzung der Schutzverantwortung in den jährlichen Rüstungsexportbericht.

Lena Kiesewetter ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet ehrenamtlich als wissenschaftliche Mitarbeiterin für Genocide Alert.

Zum

Ein striktes und effektives Waffenhandelsabkommen ergänzt die Responsibility to Protect

von Jamil Balga

Hintergrund

Massenverbrechen werden oftmals erst durch den ungehinderten Zugang der Täter zu Waffen ermöglicht. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass der internationale Waffenhandel nicht reglementiert ist. Das heißt, es gibt auf internationaler Ebene kein Abkommen, was dem Handel mit Waffen konkreten Regeln unterwirft. Und das obwohl jede Minute ein Mensch durch Waffengewalt sein Leben verliert.  Aus diesem Grund fordern Menschenrechtsorganisationen seit Jahrzehnten ein striktes und effektives Waffenhandelsabkommen auf internationaler Ebene. Auch der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen Kofi Annan bemängelte in seinem Millennium Report „We the Peoples“ im Jahr 2000, dass es keinen internationalen Vertrag gibt, der den Handel mit Kleinwaffen reguliert und deren Verbreitung eindämmt. Aufgrund der hohen Opferzahlen jährlich, werden Kleinwaffen zu Massenvernichtungswaffen.

Die Vereinten Nationen handeln derzeit ein Waffenhandelsabkommen aus (2.-27. Juli 2012). Ob dieses Abkommen jedoch am Ende auch ein effektives Werkzeug darstellt, um den Waffenhandel jeglicher Art besser kontrollieren und überwachen zu können und somit auch Waffenexporte in Krisenregionen untersagt, ist jedoch fraglich. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass sich die Vereinten Nationen bei den Vorverhandlungen im Februar 2012 auf das Konsensprinzip geeinigt haben. Dies bedeutet, dass jeder Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen ein Veto-Recht hat, da alle Mitgliedsstaaten dem Abkommen zustimmen müssten. Zum anderen lässt im Besonderen die Haltung einiger der größten Rüstungsexporteure darauf schließen, dass ein Waffenhandelsabkommen, falls es zustande kommen sollte, eine sehr verwässerte Form annehmen wird. Russland, der zweitgrößte und China, der sechstgrößte Waffenexporteur gehören zu den Staaten, die ein schwaches Waffenhandelsabkommen favorisieren. Staaten, wie Deutschland (drittgrößter Waffenexporteur), setzen sich zwar für ein striktes Abkommen ein, könnten jedoch von ihrer Position abweichen, wenn die Konferenz zu scheitern drohen sollte.

Ohne Waffenlieferungen keine Massenverbrechen

Ein striktes und effektives Waffenhandelsabkommen würde jedoch dazu beitragen, Massenverbrechen zu verhindern. Auf dem Weltgipfel 2005 haben sich alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen dazu bekannt, dass jeder Staat eine Verantwortung trägt, Massenverbrechen – Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnische Säuberung – auf seinem Territorium zu verhindern (Primärverantwortung des Einzelstaates). Die internationale Gemeinschaft unterstützt einen Staat hierbei. Kommt ein Staat dieser Verantwortung jedoch nicht nach, weil er dies entweder nicht kann oder nicht willens ist, geht diese Verantwortung auf die internationale Gemeinschaft über (Komplementärverantwortung der internationalen Gemeinschaft). Diese sollte zunächst mit friedlichen und nicht-militärischen Mitteln versuchen, auf die Situation einzuwirken und als letztes Mittel militärisch eingreifen, mit einem Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.

Obwohl die Responsibility to Protect die Möglichkeit einer militärischen Intervention zum Menschenrechtsschutz nicht ausschließt, ist es jedoch wichtig daran zu erinnern, dass das Hauptaugenmerk der Responsibility to Protect auf der Prävention von Massenverbrechen liegt. Und genau hier würde ein striktes und effektives Waffenhandelsabkommen ansetzen. Es würde besonders die präventive Komponente der Responsibility to Protect stärken, da es Waffenlieferungen an ein Regime verbietet, wenn ein konkreter Verdacht bestünde, dass diese Waffen für Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden könnten. Gleichzeitig würde die internationale Gemeinschaft so einen effektiven Beitrag leisten und dem Einzelstaat bei dem Nachkommen seiner Primärverantwortung unterstützen.

Zwar führt das Vorhandensein von Waffen nicht automatisch zu Massenverbrechen. Wenn jedoch die Absicht zu solchen besteht, wird durch unkontrollierte Waffenlieferungen deren Durchführung erleichtert. Auf der anderen Seite würde deren Durchführung ohne Waffenlieferungen erschwert.

Das Waffenhandelsabkommen wäre ein dauerhaftes Waffenembargo

Ein striktes Waffenhandelsabkommen führt zum einen dazu, dass keine Waffen mehr in Krisenregionen exportiert werden dürfen. Hierdurch würden potenzielle Konflikte entschärft und somit Massenverbrechen verhindert. Dies liegt vor allem daran, dass auf längere Sicht gesehen, keine neuen Waffen mehr geliefert würden. Zum anderen müsste die internationale Gemeinschaft nicht mehr warten, bis der UN-Sicherheitsrat ein striktes und bindendes Waffenembargo gemäß Artikel 41 i.V.m. Artikel 39 der UN-Charta erlassen hat, sondern ein Waffenembargo wäre de facto bereits in Kraft. Ein starkes Waffenhandelsabkommen würde nämlich Waffenlieferungen an Regime verbieten, wenn ein konkreter Verdacht besteht, dass die Waffen für Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden könnten. Dass ein solches Waffenhandelsabkommen dringend notwendig ist, beweist die derzeitige Situation in Syrien. Obwohl das Regime seit März 2011 brutal gegen die eigene Bevölkerung vorgeht, ist kein effektives Waffenembargo in Kraft. Der UN-Sicherheitsrat hat sich hierzu bis lang nicht durchdringen können. Russland, der wichtigste Waffenlieferant des Assad-Regimes hat zwar jüngst erklärt, keine neuen Verträge über Waffenlieferungen mit Syrien mehr zu schließen. Bereits beschlossene Waffenlieferungen sind hiervon jedoch nicht betroffen, so dass nach wie vor Waffen aus Russland an Syrien geliefert werden. Wäre ein striktes und effektives Waffenhandelsabkommen jedoch seit März 2011 in Kraft, hätten seit diesem Zeitpunkt auf legalem Wege keine Waffen mehr an Syrien geliefert werden dürfen.

Konventionelle Waffenembargos haben darüber hinaus gewisse Nachteile. Zum einen werden sie erst verhängt, nachdem Waffen bereits geliefert wurden und Gräueltaten stattfinden. Sie erfolgen damit meist zu spät. Ein striktes und effektives Waffenhandelsabkommen würde viel früher greifen. Zum anderen können Waffenembargos auch kontraproduktiv wirken. Wenn, wie z.B. in Bosnien, ein Waffenembargo einen Ausgleich zwischen den Konfliktparteien verhindert, kann ein solches auch Massenverbrechen begünstigen, da den Opfern die Mittel zur Selbstverteidigung fehlen. Ein striktes und effektives Waffenhandelsabkommen würde jedoch Waffenlieferungen in Krisengebiete verhindern, bevor die ersten Überlegungen über ein Waffenembargo angestoßen werden würden. Hierdurch würden den potentiellen Tätern keine Waffen für Massenverbrechen zur Verfügung stehen.

Dass selbst bestehende Waffenembargos die Proliferation von Waffen und die Verübung von Massenverbrechen nicht effektiv verhindern können, beweist auf traurige Weise die Demokratische Republik Kongo. Seit über zwei Jahrzehnten wüten bewaffnete Konflikte im Osten des Landes, denen sechs Millionen Menschen zum Opfer fielen. Obwohl seit 2003 ein Waffenembargo des UN-Sicherheitsrats in Kraft ist, gelangen Milizen nach wie vor an Waffen. Dies liegt zum einen daran, dass seit 2008 der UN-Sicherheitsrat Waffenlieferungen an die Armee der Demokratischen Republik Kongo erlaubt, obwohl diese ebenfalls Verbrechen an der Zivilbevölkerung verübt. Zum anderen wird der Endverbleib der gelieferten Waffen nicht geregelt, wodurch diese Waffen durch korrupte Einheiten leicht an Milizen weitergegeben werden können, die mit diesen die Bevölkerung im Osten des Landes terrorisieren. Auch ignorieren die Waffenlieferanten der Demokratischen Republik Kongo – wozu China und die USA zählen – die reale Gefahr, dass ihre gelieferten Waffen in die Hände von Milizen geraten und somit einen Beitrag zu Massenverbrechen leisten. Hierdurch wird das Waffenembargo des UN-Sicherheitsrats wirkungslos.  Solche Waffenlieferungen wären durch ein striktes und effektives Waffenhandelsabkommen jedoch nicht möglich. Auch würde ein solches den Endverbleib der Waffen regeln.

Fazit

Da ein striktes und effektives Waffenhandelsabkommen einen Beitrag zur Verhinderung von Massenverbrechen leisten kann und gleichzeitig ein auf Dauer angelegtes effektives Waffenembargo darstellt, fordert Genocide Alert alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen auf, auf die Verabschiedung eines solchen hinzuarbeiten. Im Besonderen wird die Bundesregierung aufgefordert, ihren Einfluss bei den Vereinten Nationen zu nutzen, um darauf hinzuwirken, eine Verwässerung des Vertrages zu verhindern. Unkontrollierte Waffenlieferungen an Regime, die mit diesen Waffen Massenverbrechen verüben können, müssen auf Dauer gestoppt und untersagt werden. Hierdurch würde die Responsibility to Protect gestärkt werden und die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen würden einen wirkungsvollen Beitrag zur Erfüllung ihrer auf dem Weltgipfel 2005 ohne Gegenstimme eingegangen Verantwortung leisten, Massenverbrechen zu verhindern.

von Jamil Balga