Völkermordkonvention (Quelle: Corinna Krauß http://genozidblogger.de)

Der Begriff „Völkermord“ in der aktuellen Debatte

In den letzten Wochen und Monaten konnte man beobachten, wie der Begriff „Völkermord“ wieder eine stärkere Verwendung im politischen Diskurs erfuhr. Rechtspopulisten und –extremisten warnen davor, dass die Flüchtlingskrise ein „Völkermord an der weißen Rasse“ sei (sog. „White Genocide“).  Daher haben sich Genocide Alert und #GeŸnoŸzidŸblogger dazu entschieden ein gemeinsames Statement gegen Diskriminierung und Rassismus zu veröffentlichen und gleichzeitig über das Thema Völkermord aufzuklären.

von Corinna Krauß und Matthias Winkler

 1. Was ist Völkermord und wo liegt das Problem der Definition?

Der Kerntatbestand des Artikels 2 der UN-Konvention bezeichnet als Völkermord eine Handlung, „die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“. Solche Handlungen umfassen nicht nur Mord, sondern z.B. auch die Verursachung von schwerem körperlichen oder seelischen Schaden, eine Auferlegung von Lebensbedingungen die unhaltbar für das überleben der Gruppe, Geburtenverhinderung oder gewaltsame Überführung von Kindern in eine andere Gruppe.

Bei dieser Definition gibt es einige Probleme: So gelten laut dem Wortlaut der Konvention nationale, ethnische und religiöse Gruppen sowie Rassen als schützenswert. Eine Ethnie oder Rasse ist aber kein klar festlegbares Merkmal, sondern wird in vielen Fällen geschaffen: Die von den Nationalsozialisten getöteten Juden waren keine „Rasse“, sondern wurden u.a. über die Religionszugehörigkeit der Großeltern zugeteilt, die Tutsi in Ruanda waren ursprünglich eine soziale Gruppe und keine „Ethnie“, um nur zwei prominente Beispiele zu nennen. Allerdings erscheinen kulturelle, soziale und politische Gruppen, die durchaus auch schützenswert sind, nicht in der Aufzählung der Konvention.

Zu den bekanntesten und unbestrittensten Völkermorden zählt die Ermordung der Armenier im Osmanischen Reich 1915, die Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg und die Tötung der Tutsi durch die Hutu in Ruanda 1994.

2. Was ist kultureller Völkermord?

Ein kultureller Völkermord oder auch Ethnozid beschreibt die Zerstörung einer Gruppe ohne die Mitglieder dieser Gruppe tatsächlich umzubringen. Die kulturellen, sprachlichen und existenziellen Aspekte sowie die Religion, Lebensweise, Wirtschafts- und Herrschaftsformen der Opfergruppe sollen unterwandert und zerstört werden. Dieser Begriff wird hauptsächlich mit indigenen Völkern in Zusammenhang gebracht.

Die kulturelle Identität wird als Kern einer jeden Person angesehen. Diese gewaltsam entrissen zu bekommen ist eine fundamentale Verletzung der Person und gleichzeitig ein Angriff auf die menschliche Vielfältigkeit.

Eine mögliche Definition stand im Entwurf der UN-Resolution zu indigenen Völkern, schaffte es aber nicht in die angenommene Resolution. Vorkommnisse, die sich eventuell als kulturellen Völkermord bezeichnen lassen, beziehen sich vor allem auf solche Fälle, in denen eine Mehrheitsbevölkerung gemeinsam mit einem mächtigen Staat gegen eine Minderheit agierte (v.a. verschiedene Urvölker z.B. die Ureinwohner Kanadas oder Amerikas oder die Aborigines in Australien).

3. Was kann erwidert werden, wenn jemand die Flüchtlingskrise als kulturellen Völkermord bezeichnet?

Die Vertreter des „White Genocide“ Ansatzes sehen die westlichen Staaten als „Mittäter“, die gemeinsam mit den „Flüchtlingsmassen“ die Auslöschung der „weißen Rasse“ in Europa betreiben. Die massive Einwanderung „nicht-weißer“ Flüchtlinge in Kombination mit rechtlich erzwungener „Diversity“ und forcierter Assimilierung entsprechen laut diesen Leuten einem Genozid, definiert nach Punkt c) „vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen.“

Damit verbunden ist das Argument, dass eine muslimische Volksgruppe in naher Zukunft die Mehrheit in Europa stellt. Der Anteil der muslimischen Bevölkerung in Europa wird in den nächsten 35 Jahren anwachsen – aber Muslime werden nicht die Mehrheit stellen. Laut einer US-Studie des „Pew Research Center on Religious and Public Life“ wächst die muslimische Bevölkerung nicht apokalyptisch an. Gründe dafür sind immer niedrigere Geburtenraten, eine älter werdende Bevölkerung, der Zuzug in die Städte und vor allem immer mehr Bildung für Frauen und Mädchen. 2010 gehörten ca. 6% aller Europäer dem Islam an. 2050 werden es gerade einmal 8 bis 10 % sein.

Doch das nur am Rande. Viel wichtiger ist ein anderes Argument: Betrachtet man die Geschichte und den Hintergrund kultureller Völkermorde, so war es meist eine (nicht weiße) Bevölkerungsgruppe, die durch Umerziehung und Umsiedlungspolitik in eine (meist weiße) Gesellschaft zwangsassimiliert werden sollte. Beispiele dafür sind das Vorgehen Kanadas gegen die Ureinwohner des Landes oder Australiens gegen die Aborigines. Eine andere Methode ist die Vernichtung einer kulturellen Elite bzw. bedeutender kultureller Güter eines Volkes, wie es der sog. Islamische Staat heute in weiten Teilen von Syrien und Irak betreibt, indem die Terroristen die Heiligenstätten anderer Religionen und historische Kunstschätze zerstören, wie die Tempel von Palmyra oder das Museum in Mossul.

Inwieweit die Flüchtlingskrise solchen Verbrechen nahe kommen soll erschließt sich nur, wenn man sich kurz auf die perfide Logik der weißen Hassprediger einlässt: Nach ihnen betreiben die europäischen Staaten eine „Zwangsassimilierung“ mit dem Zweck, die europäische Kultur verschwinden zu lassen. Mit diesem Vorwurf soll nichts anderes erreicht werden, als die kleinen Zugeständnisse, die gemacht werden, um den Flüchtlingen die Ankunft etwas einfacher zu gestalten[1], in Verruf zu bringen und als einen „Verrat am eigenen Volk“ zu deklarieren. Es ist aber gerade andersherum: Von den Flüchtlingen wird auch so bereits vielfach verlangt, ihre eigene kulturelle Identität aufzugeben, damit sie hier mit uns „in Sicherheit“ leben „dürfen“– das erfüllt schon eher den Tatbestand kultureller Unterdrückung.

Die Warnung vor einem „White Genocide“ ist nichts anderes als ein populistisches Argument einer Gruppe Rassisten, die den Hass auf Menschen schüren will, die vor tatsächlichem Terror und Unterdrückung fliehen. Eine solche perfide Verwendung des Begriffs „Völkermord“ darf nicht unwidersprochen bleiben!

 

[1] Anm.: Wie z.B. arabisch-sprachige Broschüren eben mit „Verhaltensregeln“ in der deutschen Gesellschaft.

 

Die Autoren:

Matthias Winkler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Genocide Alert

Corinna Krauß ist Bloggerin bei #Genozidblogger