Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2013: Antworten von Bündnis 90/Die Grünen
Hier finden Sie die Antworten des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf die Anfragen von Genocide Alert zum Thema der Verhinderung und Bestrafung schwerster Menschenrechtsverbrechen:
- Welchen Stellenwert hatte das Konzept der Schutzverantwortung für die Außen- und Sicherheitspolitik Ihrer Bundestagsfraktion in der derzeitigen Legislaturperiode?
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begreift das Konzept der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect – RtoP) als wichtige Säule einer menschenrechtsgeleiteten globalen Friedenpolitik. Wir unterstützen die RtoP als einen wichtigen Schritt, um künftig Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und ethnische Säuberung besser eindämmen und verhindern zu können. Ziel bündnisgrüner Friedens- und Sicherheitspolitik war und ist es, das Konzept der Schutzverantwortung im Rahmen der Vereinten Nationen weiter zu entwickeln und als internationale Norm zu etablieren sowie eine Kultur der Schutzverantwortung zu schaffen. Wir wollen, dass Deutschland die internationale RtoP-Agenda entsprechend der deutschen historischen Verantwortung für die Verhütung von Völkermord aktiv und mit eigenen Initiativen voranbringt.
Trotz dieser historischen Verantwortung für die Verhütung von Völkermord spielt RtoP in der Außenpolitik der gegenwärtigen Bundesregierung kaum eine Rolle. Das deutsche Engagement für die Schutzverantwortung ist profil- und konzeptlos. Das wollen wir ändern. Unter grüner Regierungsverantwortung wäre der Schutz von Menschen vor Massenverbrechen eine außen- und menschenrechtspolitische Priorität.
Aus Sicht von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist die RtoP nicht mit militärischen Interventionen gleichzusetzen, sondern zielt darauf ab, schwerste Menschenrechtsverbrechen bereits im Vorfeld zu verhindern. Die überwiegende Mehrheit der RtoP-Maßnahmen sind zivile und diplomatische Präventionsmaßnahmen, die nicht im Zentrum der medialen Öffentlichkeit stehen. Genau darin müssen wir besser werden, damit militärische Eingriffe erst gar nicht nötig werden.
- Welche Initiativen hat Ihre Fraktion ergriffen, um die Umsetzung der Schutzverantwortung auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene voranzutreiben?
Die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat in der laufenden Legislaturperiode einen Antrag mit dem Titel „Schutzverantwortung weiterentwickeln und wirksam umsetzen“ (Bundestagsdrucksache 17/9584) vorgelegt.
Darin setzt sich die Fraktion dafür ein, dass Frühwarnmechanismen der Vereinten Nationen gestärkt und besser miteinander verzahnt werden, um vorhandene Informationen im Hinblick auf drohende oder bereits stattfindende Massenverbrechen schnell auswerten zu können. Im Falle einer Blockade des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in RtoP-relevanten Fällen soll sich Deutschland für eine Befassung der Generalversammlung im Sinne der „Uniting for Peace“-Resolution von 1950 einsetzen, um dem Prinzip der Schutzverantwortung mehr Geltung zu verleihen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will Missionen der Vereinten Nationen im Rahmen von RtoP-Mandaten auf den Schutz von Zivilisten konzentrieren und beschränken („narrow but deep“-Ansatz) und sie stärker unterstützen – nicht nur finanziell sondern auch personell.
Wir wollen, dass Deutschland aus der von Brasilien entwickelten Initiative „Responsibility While Protecting“ die Vorschläge für verbesserte Verfahren zur Überwachung, Umsetzung und Bewertung von laufenden Sicherheitsratsmandaten aufgreift und sich für eine Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht der Intervenierenden einsetzt.
Deutschland soll eine nationale Strategie zur Verankerung der Schutzverantwortung auf nationaler Ebene ausarbeiten und die institutionellen – in anderen Ländern schon existierenden – Voraussetzungen schaffen, um schwerste Menschenrechtsverletzungen besser vorbeugen und schneller auf sie reagieren zu können. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert, ein mit dem in den USA eingerichteten Mass Atrocities Prevention Board vergleichbares Gremium zu schaffen. Zugleich gilt es in der diesbezüglichen Debatte die präventiven Elemente und die Elemente der zivilen Konfliktbearbeitung der RtoP weiter festzuschreiben und zudem zu unterstreichen, dass die Schutzverantwortung kein Recht zur humanitären Intervention und keinen Freibrief zum Krieg führen gibt, mit deren Hilfe einzelne Staaten allein ihre eigenen Interessen verfolgen können wie zum Beispiel im Fall des letzten Irak-Krieges.
Auf Initiative der Bundestagsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN war im November 2011 Professor Edward Luck, damaliger UN-Sonderbeauftragter für die Responsibility to Protect, im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu Gast. Anschließend hat die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein öffentliches Fachgespräch mit Prof. Edward Luck zum Thema veranstaltet.
Am 8. Juni 2012 hat BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN eine internationale Konferenz mit fast 200 TeilnehmerInnen mit dem Titel „Menschenrechte schützen – Das Konzept der Responsibility to Protect weiterentwickeln“ veranstaltet. Gemeinsam mit internationalen Völkerrechtsexperten, VertreterInnen von Ministerien, Nichtregierungsorganisationen und der interessierten Öffentlichkeit haben wir diskutiert, wie die Schutzverantwortung sinnvoll gestärkt werden und welche Rolle Deutschland dabei übernehmen kann.
- Welche Initiativen hat Ihre Bundestagsfraktion zur Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) und zur Durchsetzung des Völkerstrafgesetzbuches auf nationaler Ebene ergriffen?
Trotz zahlreicher neuer Entwicklungen im internationalen wie im nationalen Völkerstrafrecht gilt auch heute noch: viel zu oft bleiben die Täterinnen und Täter schwerster Menschenrechtsverbrechen straffrei. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzt sich für ein Ende der Straflosigkeit schwerster Menschenrechtsverletzungen wie beispielsweise Folter oder Völkermord ein.
Im Mai 2010 hat der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe eine Anhörung zur Reform des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) durchgeführt. Auf dieser wurden uns erneut Mängel aufgezeigt, unter denen der IStGH zu leiden hat. Insbesondere die fehlende Ratifikation des Rom-Statuts durch die USA, Russland und China, aber auch eine zuweilen unzureichende Ausstattung etwa im Hinblick auf eigene Ermittlungsteams oder den Zeugenschutz. In allen Verhandlungen über den Bundeshaushalt in der 17. Legislaturperiode haben wir uns dafür stark gemacht, dass die Bundesrepublik ihre Mittel für den IStGH erhöht. Darüber hinaus haben wir die Bundesregierung mehrfach dazu aufgefordert, insbesondere die USA als Bündnispartner darum zu bitten, dem Rom-Statut beizutreten.
Vor der Überprüfungskonferenz des Rom-Statuts in Kampala hat die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen Antrag mit dem Titel „Einigkeit über die Definition des Tatbestandes des Aggressionsverbrechens im IStGH-Statut erzielen“ (Bundestagsdrucksache 17/1767) in den Bundestag eingebracht. Obwohl die Bundesregierung in Kampala eine positive Rolle gespielt und gut verhandelt hat, hat die schwarz-gelbe Koalition unseren Antrag dennoch abgelehnt. Es ist bedauerlich, dass selbst solche unstrittigen Themen zur parteipolitischen Auseinandersetzung missbraucht werden.
Wir hingegen haben dem Ratifikationsgesetz zur Implementierung des Kampala-Kompromisses ins deutsche Recht zugestimmt. Anders als die derzeitige Bundesregierung wollen wir jedoch nun nicht bis 2017 warten, um den Tatbestand des Aggressionsverbrechens ins deutsche Recht einzufügen. Deutschland sollte vorangehen und möglichst zeitnah eine international mustergültige Regelung schaffen. Vorzugswürdig wäre dabei eine Lösung im Völkerstrafgesetzbuch (VStGB), statt einer bloßen Änderung des § 80 Strafgesetzbuch. Flankiert werden muss dies von einer Reform des § 153f Strafprozessordnung.
Das Völkerstrafgesetzbuch ist eine rot-grüne Erfindung. Es trat am 30. Juni 2002 in Kraft. Danach können bei schwersten Menschenrechtsverletzungen (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen) mutmaßliche TäterInnen auch dann in Deutschland vor Gericht gestellt und ggf. verurteilt werden, wenn weder sie noch die Opfer deutsche Staatsburger sind. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzt sich nach wie vor für eine Stärkung des VStGB ein. In einer Kleinen Anfrage mit dem Titel „Zehn Jahre Völkerstrafgesetzbuch“ (Bundestagsdrucksache 17/11339) hat die grüne Bundestagsfraktion wesentliche Erweiterungsaspekte aufgezeigt. Nun gilt es, dieses Gesetz endlich auch in der Praxis anzuwenden. In 11 Jahren ist es bislang erst zu einem Hauptverfahren auf der Grundlage des Völkerstrafgesetzbuches gekommen, obwohl es bereits eine Vielzahl an Anzeigen gegeben hat. Dort bleibt für die Judikative einiges aufzuholen, ansonsten muss das Parlament hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere im Strafprozessrecht, nachsteuern.
Wir werden uns auch weiterhin intensiv für den Kampf gegen die Straflosigkeit schwerster Menschenrechtsverletzungen einsetzen. Auf internationaler Ebene gehört dazu aus unserer Sicht nicht nur die Stärkung und Weiterentwicklung des Internationalen Strafgerichtshofes, sondern auch von Ad-Hoc-Tribunalen wie dem Internationalen Strafgerichtstribunal der Vereinten Nationen für Ex-Jugoslawien oder den sogenannten Hybridgerichten. Zum anderen müssen auch – aber nicht nur – gegenüber befreundeten Nationen wie z.B. den USA Themen wie die völkerrechtswidrigen Drohnenangriffe und das Festhalten an Guantánamo klar und deutlich angesprochen werden.
» Hier gibt es mehr zum Genocide Alert Menschenrechtszeugnis zur Bundestagswahl 2013.