„Wer von Frieden redet darf von Menschenrechten nicht schweigen“ – Kommentar von Robert Schütte zum Antikriegstag
Wie jedes Jahr am 1. September gedenken die Deutschen am Antikriegstag dem Überfall Deutschlands auf Polen, der den 2. Weltkrieg einläutete. Die Pressemitteilungen und Zeitungsartikel haben den einhelligen Tenor: Für Frieden, gegen Kriege. Ganz ehrlich: Kann es angesichts weltweiter Gewalt etwas Sympathischeres geben als für Frieden zu demonstrieren? Schwerlich, denn wenn man den Friedensbewegten in unserer Gesellschaft eines sicherlich nicht absprechen kann, dann ist es, dass sie es gut meinen. Und doch habe ich mich bewusst und aus Gewissensgründen dazu entschlossen, dem pazifistischen Treiben Wasser in den Wein zu schütten. Ungewöhnlich für einen Menschenrechtler? Dem möchte ich mit reinem Gewissen widersprechen.
Man kann nicht nur, man muss für Frieden sein. Ich kenne in der Tat niemanden, der Krieg gut findet. So sehr ich aber für Frieden bin, so sehr bin ich auch für den Schutz von Menschenrechten. Wer ist denn heutzutage ernsthaft nicht mehr für den Schutz von Menschenrechten? Problematisch wird dies erst, wenn „Frieden“ und „Menschenrechtsschutz“ nicht mehr in Einklang zu bringen sind; wenn aus „Frieden“ „Friedhofsruhe“ wird. Spätestens seit den Völkermorden in Ruanda, Srebrenica und Darfur wissen wir doch, dass die Welt systematischen Massenverbrechen nicht tatenlos zusehen darf. Wenn ein Massenmord an unschuldigen Zivilisten nur noch durch den Einsatz von Militär zu verhindern ist, dann hat die Welt eine Verantwortung zur Rettung dieser Menschen, notfalls auch mit Gewalt. Das macht einen Krieg nicht zu etwas Gutem. Aber manchmal ist der Einsatz von Gewalt leider die am wenigsten schlechte verbleibende Option. In solchen Situationen kann man nicht zur gleichen Zeit Pazifist und Menschenrechtler sein. In solchen Situationen muss man eine Entscheidung treffen im Wissen, dass es manchmal leider keine guten, sondern nur mehr oder weniger schlechte Optionen gibt. Manchmal kann man leider nicht zugleich für Frieden und Menschenrechte sein. Die Frage ist eher, ob man diese bedrückende Tatsache anerkennt oder vor ihr die Augen verschließt.
Um im Bilde zu bleiben muss man leider feststellen, dass in der Friedensbewegung offenbar viele Augen verschlossen bleiben. So wird gegen die NATO, Israel und natürlich die Bundeswehr protestiert. Das ist legitim, vielfach ist dies auch angebracht. Auffällig ist aber, dass dort anscheinend niemand auf die Idee kommt gegen Gaddafi, die Taliban, Assad oder die Hamas zu demonstrieren. Wieso eigentlich nicht? Ist Gaddafi, der gegen seine eigene Bevölkerung zu Kriege zog und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt wird, denn kein Wort wert? Sind nicht auch die Taliban zu kritisieren, die laut Vereinten Nationen durch ihre Anschläge auf belebte Märkte und Straßen für mehr als 75% aller toten Zivilisten in Afghanistan verantwortlich sind? Ist nicht auch die Hamas dafür zu verurteilen, dass sie israelische Kinder in ihren Betten ermordet und ihre Raketen in Gaza aus Kindergärten und Krankenhäusern abschießt? Wo ist die Solidarität mit den syrischen Protestierenden, die von ihrer eigenen Regierung zusammengeschossen und gefoltert wird? Bei aller notwendigen Kritik am Westen frage ich mich, wie manche Teile der Friedensbewegung mit ihren noblen Intentionen einen solchen moralischen Blackout haben können.
Die Einseitigkeit mancher Antikriegsproteste konnte in diesem Jahr wieder einmal auf deutschen Ostermärschen beobachtet werden. So war auf einem Plakat zu lesen: „Zivilsten vor der NATO schützen!“ Gerade im Hinblick auf die humanitäre Intervention in Libyen kann man als Menschenrechtler bei solchen Aussagen nur mit den Augen rollen. Es waren die USA, Großbritannien und Frankreich, die im Auftrag der UN mit ihrer Intervention gerade noch rechtzeitig ein Massaker in Bengasi verhindert und das Ende des Gaddafi Regimes ermöglicht haben. Ich bin mir sicher: Wäre es nicht zu einem Eingreifen gekommen, würde sich heute alle Welt fragen, wie wir ein „zweites Srebrenica“ trotz eindeutiger Warnungen zulassen konnten. Mit deutschen Sanktionen hatte weder der Schutz der libyschen Zivilbevölkerung noch der Sturz Gaddafis zu tun. Danke NATO, nein danke Westerwelle möchte man da sagen.
Die humanitäre Intervention war und ist ein leuchtendes Beispiel dafür, dass westliche Soldaten im Notfall auch für die Menschenrechte arabischer und muslimischer Zivilisten kämpfen. Selbst wenn es zu keinem weiteren Einschreiten in Syrien oder am arabischen Golf kommt: Es ist besser, inkonsequent einigen Menschen das Leben zu retten, als konsequent keinen. Weltweit schützen mehr als 100.000 bewaffnete UN-Blauhelmsoldaten unzählige Frauen, Männer und Kinder vor Kriegsgewalt. In vielen Fällen wäre ein solcher Schutz ohne Waffen und Soldaten nicht zu schaffen. Ohne diese Friedenstruppen würden noch mehr Frauen im Kongo vergewaltigt, noch mehr Männer in Darfur ermordet und noch mehr Kinder zu Soldaten oder Sexsklaven gemacht. Selbst in Afghanistan sorgt der Einsatz der afghanischen Armee und ihrer internationalen Verbündeten (inklusive Deutschland) dafür, dass Menschenrechte inzwischen nicht wie unter den Taliban die letzte Geige spielen.
Natürlich kann man trotzdem begründet gegen Einsätze der Bundeswehr sein. Dennoch müssen auch knallharte Pazifisten vom ihrem hohen Ross der moralischen Überlegenheit absitzen, weil ihr grundsätzliches „Nein“ zu Militäreinsätzen seine eigenen Opfer fordert: Seien es Männer in Libyen, Frauen im Kongo oder Kinder in Darfur. Wer also am 1. September „nie wieder Krieg“ ruft, der sollte über ein „nie wieder Auschwitz“ nicht schweigen.
Robert Schütte (follow me on twitter: robert_schuette)