Dr. Franziska Brantner ist Mitglied des Europäischen Parlaments aus Baden-Württemberg. Sie ist außenpolitische Sprecherin der Fraktion Grüne/EFA und gehört dem Auswärtigen Ausschuss an. Sie ist Berichterstatterin des Europäischen Parlaments für das Thema der Schutzverantwortung (‚Responsibility to Protect‘). Im Interview mit Genocide Alert kommentiert Frau Dr. Brantner den in diesem Frühjahr veröffentlichten Bericht der „European Task Force on the EU Prevention on Mass Atrocities.“ Der Bericht spricht konkrete Empfehlungen aus, wie die EU ihre Fähigkeiten stärken kann um besser zu einer Verhinderung schwerster Menschenrechtsverbrechen wie Völkermord beitragen zu können.
Genocide Alert: Warum sollte es in der Verantwortung der Europäischen Union liegen schwerste Menschenrechtsverbrechen weltweit zu verhindern?
Brantner: Natürlich liegt es nicht nur in der Verantwortung der Europäischen Union, aber Europa besitzt aufgrund seiner Geschichte eine besondere Verantwortung, um Menschenrechtsverbrechen zu verhindern. Vor allem aber hat sich die EU ganz eindeutig, auch in ihren Verträgen, zu Multilateralismus und den Vereinten Nationen bekannt hat. Und damit steht sie auch in der Pflicht, das Prinzip der Schutzverantwortung (‚R2P‘), das 2005 von allen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen deklariert wurde umzusetzen. Die EU muss einen an ihren Kapazitäten und Fähigkeiten gemessenen wichtigen Beitrag zu dessen Umsetzung beitragen, das Prinzip jedoch nicht neu erfinden. Letztlich wäre es auch der Glaubwürdigkeit der EU zuträglich, wenn es ihr stärker gelänge, ihren hehren Absichten entsprechende Taten folgen zu lassen.
Genocide Alert: Welche drei Empfehlungen der Task Force würden Sie als die wichtigsten hervorheben?
Brantner: Die Empfehlungen der Task Force zur Prävention durch die EU von schwersten Menschenrechtsverletzungen beinhalten zahlreiche wertvolle Ansatzpunkte. An erster Stelle gilt es, die Empfehlung zum expliziten und EU-weiten Bekenntnis zur Schutzverantwortung aufzunehmen. Das Europäische Parlament verabschiedete im April dieses Jahres eine Empfehlung an den Rat zum Prinzip der Schutzverantwortung in der es den Rat und die Mitgliedsstaaten auffordert, einen ‚Europäischen Konsens zur Schutzverantwortung‘ zu entwickeln. Dieser soll ähnlich wie vergangene Konsense zur Entwicklungspolitik (2006) und zur humanitären Hilfe (2008) die EU Institutionen und die Mitgliedsstaaten verpflichten, ihre Maßnahmen auf der Basis gemeinsamer Grundsätze zu koordinieren.
Zweitens möchte ich die Forderung nach einer unverzüglichen und zielgerichteteren Reaktion auf Frühwarnungen hervorheben. Da sich die EU-Strukturen, insbesondere der Europäische Auswärtige Dienst (EAD), horizontal mit den verschiedenen Aspekten von R2P befassen, ist ein optimaler und handlungsorientierter Informationsfluss unerlässlich. Eine EU-R2P Koordinierungsstelle könnte dabei behilflich sein.
Drittens ist die internationale Kooperation bei Vernetzung und Austausch mit lokalen zivilgesellschaftlichen Akteuren unabdingbar. Die Schutzverantwortung kann nur funktionieren, wenn es ein universell gestütztes und umzusetzendes Prinzip bleibt.
Genocide Alert: Wie sehen Sie die Rolle des Europäischen Parlaments bei der Umsetzung der Empfehlungen des Berichts?
Brantner: Das Europäische Parlament ist ein großer Befürworter des Prinzips der Schutzverantwortung und seiner Umsetzung. Dies zeigte sich auch bei der Verabschiedung der Empfehlung an den Rat und dessen überwältigender Zustimmung durch die verschiedenen Fraktionen. Einige der Empfehlungen des Europäischen Parlaments finden sich auch im Bericht der Task Force wieder. Wir haben dem Rat und den Mitgliedsstaaten eine Frist von einem halben Jahr gesetzt bis sie uns über Schritte zur Übernahme der Empfehlungen zu berichten haben. Das EP hat im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik keine zwingende Kompetenzen, muss jedoch konsultiert werden. Diese Erinnerungs- und Mahnungsfunktion wird das EP auch im Bereich der Schutzverantwortung weiter ausführen, und außerdem als Brücke zwischen Zivilgesellschaft und den beschließenden Organen des Rats und des EADs agieren.
Genocide Alert: Die Europäische Union betreibt bereits eine Anzahl von Aktivitäten zur Konfliktprävention und -bearbeitung. Was ist der Unterschied zwischen diesen Aktivitäten und der Verhinderung schwerster Menschenrechtsverbrechen?
Brantner: Dies ist genau eine der Fragen, bei der das Europäische Parlament in seiner Empfehlung den Rat und die Mitgliedsstaaten um Aufklärung bittet. Können wir das Prinzip der Schutzverantwortung mit den der EU zur Verfügung stehenden Strukturen, Mechanismen und Instrumenten effektiv umsetzen? Wo sind Nachbesserungen notwendig?
Wir haben in der Empfehlung klargemacht: Besonderes Gewicht bei der Umsetzung von R2P hat für uns sein präventiver Ansatz. Die EU besitzt zahlreiche Möglichkeiten zur Konfliktvorbeugung, beispielsweise in ihren verschiedenen Außenfinanzierungs- instrumenten wie dem Stabilitätsinstrument und dem Europäischen Instrument für Demokratie und Menschenrechte, oder in den zivilen und militärischen Missionen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Hinzu kommen die bilateralen Abkommen der EU mit ihren Partnerländern.
Der Schritt zur tatsächlichen Verhinderung schwerster Menschenrechtsverbrechen liegt darin, die zweifellos bestehenden Fähigkeiten zur Konfliktvorbeugung- und Bearbeitung in angemessener Form und zum richtigen Zeitpunkt einzusetzen. Und hierfür benötigt es das vom Europäischen Parlament geforderte bessere Verständnis was die EU bei der Umsetzung von R2P erreichen möchte, sowie entsprechender Früherkennung potentiell kritischer Situationen, um frühzeitig agieren zu können. Daher setzen wir uns auch für R2P spezifische Trainings für EU Diplomaten ein.
Genocide Alert: Viele der Empfehlungen der Task Force erfordern Handlungen durch die Mitgliedsstaaten. Welche konkreten Maßnahmen sollte die Bundesregierung ergreifen, um schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verhindern?
Brantner: Die Bundesregierung könnte eine ganze Menge tun. Auf der Ebene der EU sollte sie eine treibende Kraft sein, um die Umsetzung der vielen sinnvollen Empfehlungen des Europäischen Parlaments voranzutreiben. Dafür müsste Berlin auch eine Vermittlerrolle einnehmen zwischen Positionen von Mitgliedsstaaten, die den brasilianischen Vorschlag zur ‚Responsibility while protecting‘ und der notwendigen Entwicklung von Kriterien bei der Umsetzung von R2P-Mandaten ablehnen, sowie jenen Mitgliedsstaaten, die diesem Beitrag aufgeschlossener gegenüberstehen. Ferner sollte die Bundesregierung ihren Standpunkt einer restriktiven Rüstungsexportpraxis nicht nur medienwirksam verkünden, sondern auch in der Ausfuhrpraxis einhalten. Internationale Positionen wie der Gemeinsamen Standpunkt der EU zu Waffenexporten aus 2008 und der diesjährige Waffenhandelsvertrag (ATT) muss die Bundesregierung einheitlich umsetzen und andere Unterzeichner zu konsequenter Anwendung drängen. Denn in diesen Dokumenten haben wir Verbote von Waffenausfuhren, wenn mit den zu exportierenden Gütern im Zielland ’schwere Menschenrechtsverletzungen‘ (EU Standpunkt) oder gar explizit die vier R2P-Verbrechen (ATT) begangen werden könnten.
Was für die EU gilt, gilt auch für Deutschland: Ein R2P-Bestandsbericht zu vorhandenen Kapazitäten und Instrumenten für die Umsetzung der Schutzverantwortung sollte erstellt werden. Auch könnten deutsche Diplomaten gezielt zu potentiellen R2P-Situationen und deren Früherkennung geschult werden. Des Weiteren muss Deutschland auch weiterhin das internationale Netzwerk von R2P-Koordinierungsstellen unterstützen – genauso wie die im Juli 2013 ins Amt berufene R2P-Sonderbeauftragte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Jennifer Welsh.
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