Wie steht es um „Nie wieder“ nach 70 Jahren Völkermordkonvention und Menschenrechtserklärung?
Siebzig Jahre nach der Verabschiedung der Völkermordkonvention und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte dürfen wir die Hoffnung auf eine Welt, in der alle Menschen in Würde und ohne Angst leben können, nicht aufgeben.
von Gregor Hofmann
Am 9. Dezember 1948 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen in Resolution 260 A (III) die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes – die UN Völkermordkonvention. Einen Tag darauf, am 10. Dezember, beschloss sie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Die beiden Dokumente bilden bis heute die Kernstücke der internationalen Menschenrechtsnormen. Beide Dokumente wurden unter den Eindrücken des zweiten Weltkrieges entstanden. Sie brachten nach der systematischen Vernichtung von mehr als sechs Millionen Juden und anderen Minderheiten im Holocaust und der damit einhergehenden Ermordung politischer Gegner und körperlich Benachteiligter durch die Nationalsozialisten und den Gräueln des Krieges die tiefsitzende Überzeugung zum Ausdruck: „Nie wieder“ dürfe sich dies wiederholen.
Völkermorde und andere Massenverbrechen seit Verabschiedung der Völkermordkonvention
Die Völkermordkonvention trat am 12. Januar 1951 in Kraft und wurde seitdem von 147 Staaten ratifiziert. Seitdem kam es aber immer wieder zu Völkermorden, wie etwa durch die Roten Khmer in Kambodscha in den 1970er Jahren oder auch die völkermörderische Gewalt gegen die Kurden im Irak in den 1980er Jahren, den Völkermord an den Tutsi in Ruanda 1994 und den Völkermord in Srebrenica im ehemaligen Jugoslawien 1995. Zuletzt versuchte der sogenannte Islamische Staat ab 2014 in Irak und Syrien einen Völkermord an den Jesiden zu begehen. Myanmars Armee wurden bei den Vertreibungen der Rohingya seit dem letzten Jahr genozidäre Absichten vorgeworfen.
Völkermord ist ein juristisch eng definiertes Massenverbrechen: Völkermord setzt eine Absicht des Handelnden voraus, eine ethnische, nationale, rassische oder religiöse Gruppe teilweise oder vollständig zu zerstören. Da die politische Haltung als Abgrenzungmerkmal einer Gruppe nicht Teil dieser Definition ist, fallen relativ wenige Ereignisse unter die Definition in der Völkermordkonvention.
Zählt man die politische Haltung jedoch als Abgrenzungsmerkmal einer verfolgten Gruppe hinzu wird deutlich, dass es neben den oben genannten Episoden genozidärer Gewalt auch zahlreiche andere völkermordähnliche Politizide seit Ende des 2. Weltkrieges gab. Die folgende Grafik fasst Daten zu Genoziden und sogenannten Politiziden zusammen. In Völkermorden werden die Opfer vor allem über ihre Gruppenzugehörigkeit (Ethnie, Religion, …) definiert. In Politiziden hingegen werden Gruppen vor allem durch ihre politische Opposition zum Regime bzw. der dominanten Gruppe definiert.
Würde man in diese Grafik auch andere Massenverbrechen einbeziehen, wie schwere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wären die Zahlen noch viel höher.
Nicht innehalten im Kampf gegen Völkermorde und andere Massenverbrechen
Die internationale Gemeinschaft hat seit Ende des Kalten Krieges, trotz enormer Rückschläge wie in Ruanda und häufig fehlendem politischen Willen, Fortschritte darin gemacht, Straflosigkeit für Völkermorde und andere Massenverbrechen zu beenden und Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Ein wichtiger Teil dieses Bemühens ist die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs, der ersten ständigen internationalen Institution zur Verfolgung von Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Im Jahr 2005 hat sich die Staatengemeinschaft außerdem auf ein politisches Bekenntnis geeinigt, zukünftig nicht mehr tatenlos zusehen zu wollen. Die damals von der UN Generalversammlung beschlossene Schutzverantwortung (engl.: Responsibility to Protect) besagt, dass jeder Staat die Verantwortung hat seine Bevölkerung vor Völkermorden und Massenverbrechen zu schützen und Maßnahmen zur Prävention entwickeln. Die internationale Gemeinschaft soll Staaten in der Ausübung dieser Verantwortung unterstützten. Versagt ein Staat in seiner Verantwortung soll die internationale Gemeinschaft durch den UN Sicherheitsrat tätig werden und Massenverbrechen verhindern.
Dieses Prinzip wurde seitdem nicht immer aufrechterhalten. Blicken wir auf das Konfliktgeschehen und anhaltende Vertreibungen in der Welt, von Nigeria über Jemen und Syrien bis nach Myanmar, sehen wir, dass Menschenrechte und die Prinzipien des humanitären Völkerrechts stark unter Druck stehen.
Wir dürfen dabei die Vision, die der Völkermordkonvention, der Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte und auch der Schutzverantwortung innewohnt, nicht aus dem Auge verlieren: Eine Welt ohne Massenverbrechen, eine Welt in der Menschen in Würde leben können ist möglich und muss angestrebt werden. Und auch wenn man manchmal verzweifeln mag, ist es notwendig sich weiter für diese Vision einzusetzen.
Autor: Gregor Hofmann, Vorsitzender Genocide Alert e.V.