Das BSW auf Platz 7
Die Bundestagswahl am 23. Februar stellt die Premiere für das im Vorjahr gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) dar. Doch die Euphorie hierzu darf sich in Grenzen halten: Die Bilanz im Hinblick auf Menschenrechte und Schutzverantwortung gibt mit einem stark protektionistischen Wahlprogramm, das Menschenrechte in vielen Bereichen untergräbt, Anlass zur Sorge. Mit nur einem von 19 zu erreichenden Punkten rangiert das BSW im Genocide Alert–Ranking damit auf Platz vier, nur knapp vor dem Schlusslicht AfD.
Konzepte zur Unterstützung und Aufstockung von institutionellen Kapazitäten des internationalen Menschenrechtsschutzes (Frage 5) und Krisenprävention (Frage 6) fehlen im Wahlprogramm des BSW. Weder spricht sich das BSW für die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof (Frage 14) aus, noch werden Organisationen und Institutionen des regionalen (Frage 12) oder internationalen und europäischen Menschenrechtsschutzes (Frage 13) als Partner:innen genannt.
Obwohl das Thema Frieden im Wahlprogramm oberflächlich eine zentrale Rolle für die selbst ernannte „Friedenspartei“ einnimmt, tauchen darin weder das Konzept der Schutzverantwortung die Verhinderung von Massenverbrechen auf (Frage 1). Laufende Kriegsverbrechen werden, im Kontext des Ukrainekrieges, Gazas, des Westjordanlandes und des Libanons zwar als solche benannt, jegliche (militärischen) Interventionen (Fragen 16 und 18) sollen jedoch vermieden und Sanktionen (Frage 17) aufgehoben werden. Eine strafrechtliche Verfolgung von Massenverbrechen zieht das BSW offenbar nicht in Betracht (Frage 15). Vor diesem Hintergrund wirkt selbst die einzig positiv hervorzuhebende Forderung strengerer Rüstungskontrollen (Frage 7) schal.
Eine darüberhinausgehende Verschmelzung von Menschenrechtsschutz, Entwicklung und Sicherheit (Frage 2) sucht man im Wahlprogramm des BSW vergeblich: Menschenrechte werden nur einmal, nämlich im Kontext wirtschaftspolitischer Maßnahmen zur Abschottung der heimischen Industrie von internationaler Konkurrenz, genannt. Grundsätzlich bewegt sich die programmatische Ausrichtung des BSW damit vor allem auf nationaler Ebene und verfolgt einen stark protektionistischen Kurs, der Menschenrechte nur in den Blick nimmt, wenn dies nationalen deutschen Interessen zuträglich ist.
Dies zeigt sich auch im Hinblick darauf, welche Gruppen als besonders schützenswert erachtet werden (Frage 3): Während einerseits die Stärkung von Frauenrechten, Gleichstellung sowie Gewaltschutz von Frauen gefordert werden, werden Frauen systematisch gegen andere marginalisierte Gruppen wie Transpersonen oder Geflüchtete ausgespielt. Um Frauen zu schützen, soll Migration stark eingeschränkt bzw. kriminalisiert und das Selbstbestimmungsgesetz (unter Verweis auf eine angebliche „Gender-Ideologie“) abgeschafft werden.
Dem Trend der anderen Parteien folgend ist das Wahlprogramm von einer starken Fokussierung auf migrationspolitische Forderungen geprägt. Das BSW bekennt sich zwar zum „Grundrecht auf Asyl“, schränkt den in der Praxis ohnehin schon zu kurz greifenden Ansatz aber noch weiter ein. Migrant:innen, die aus den sogenannten „sicheren Drittstaaten” einreisen, sollen – ungeachtet der dortigen Menschenrechtslage – mit sofortiger Wirkung abgeschoben werden. Die Aufnahme von Menschen, u.a. auch jener, die vor Massenverbrechen fliehen (Frage 19), ist nicht vorgesehen. Stattdessen sollen Abschiebungen (wenn nötig auch durch Grundgesetzänderungen) vereinfacht und Asylverfahren auf Drittstaaten ausgelagert werden, wobei die Kooperation mit Regierungen mit bedenklicher Menschenrechtsbilanz zur Unterbrechung von Migrationsbewegungen nicht explizit abgelehnt wird (Frage 10).
Bezug auf Entwicklungszusammenarbeit (EZ) wird ebenso nur im Kontext von Migration genommen. Dem BSW ist an der Beschränkung von Migration gelegen; Deutschland soll daher die internationale Gemeinschaft in den Bereichen EZ und Klimaschutz sowie auch den UNHCR weiter unterstützen – Stichwort „Fluchtursachen bekämpfen“. Die Ausgestaltung der EZ sowie der bilateralen Beziehungen unter den Aspekten der Menschenrechtssituation (Frage 8), deren Verbesserung (Frage 9) sowie institutionellen Sicherheitssektorreformen in Drittstaaten (Frage 11) werden im Wahlprogramm nicht benannt. Die Forderung, finanzielle Mittel für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit anderen Staaten von EZ-Mitteln abzugrenzen (Frage 4), sucht man ebenso vergeblich.
Insgesamt zeichnet sich im BSW-Wahlprogramm damit eine zunehmende Isolierung und Abkehr von einer wertebasierten Außenpolitik ab. Jegliche Art internationaler Kooperation, gerade im Bereich des Menschenrechtsschutzes, soll stark beschnitten werden. Das BSW skizziert damit eine Politik, die Menschenrechte nicht nur hintenan-, sondern zur Disposition stellt. Im Wahlprogramm sind keinerlei Bestrebungen erkennbar, sich für deren Schutz sowie für die Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen und Massenverbrechen einzusetzen.
Bewertung im Detail
Auswertung des Wahlprogramms vom BSW
Menschenrechte und Schutzverantwortung im Allgemeinen
1) | Werden die „Responsibility to Protect“ oder die Verhinderung massiver Gräueltaten, wie Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Aggression und ethnische Säuberungen, im Wahlprogramm affirmativ benannt? | Nein |
2) | Werden der Schutz von Menschenrechten, ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung und Sicherheit als zusammenhängend behandelt? | Nein |
3) | Wird die spezielle Schutzbedürftigkeit marginalisierter Gruppen (z.B. ethnischer Minderheiten) anerkannt? | Nein |
Kapazitätsaufbau in Deutschland
4) | Wird eine Abgrenzung der finanziellen Mittel für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit anderen Staaten (z.B. Ausbildung oder „Ertüchtigung“ der Streitkräfte) von den finanziellen Mitteln für die Entwicklungszusammenarbeit gefordert? | Nein |
5) | Wird der Ausbau institutioneller Kapazitäten im Bereich internationaler Menschenrechtsschutz/R2P angekündigt, wie zum Beispiel der Ausbau eines Frühwarnsystems, Aufstockung der Mittel für Menschenrechtsarbeit etc.? | Nein |
6) | Wird eine Aufstockung der Ressourcen für Maßnahmen der Krisenprävention gefordert? | Nein |
7) | Wird eine strengere Rüstungsexportkontrolle gefordert? | Ja |
Schutzverantwortung und Menschenrechtsschutz in der internationalen Zusammenarbeit
8) | Soll die Menschenrechtssituation in einem Land ein wichtiges Kriterium zur Ausgestaltung der bilateralen Beziehungen sein? | Nein |
9) | Ist die Verbesserung der Menschenrechtssituation in Drittstaaten ein erklärtes Ziel der Entwicklungszusammenarbeit? | Nein |
10) | Wird eine Zusammenarbeit mit Regierungen mit bedenklicher Menschenrechtsbilanz zur Unterbrechung von Migrationsbewegungen abgelehnt? | Nein |
11) | Werden institutionelle Sicherheitssektorreformen in Drittstaaten positiv benannt (z.B. Förderung der Rechtsstaatlichkeit, Ausbildung der Sicherheitskräfte auf Basis demokratischer und menschenrechtlicher Prinzipien, etc.)? | Nein |
12) | Wird eine Zusammenarbeit mit regionalen Organisationen zum Schutz vor Menschenrechtsverletzungen gefordert? | Nein |
Reaktion auf Massenverbrechen
13) | Wird die Zusammenarbeit mit den Institutionen des internationalen und europäischen Menschenrechtsschutzes (z.B. dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte) und deren Unterstützung bekräftigt? | Nein |
14) | Wird die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und dessen aktive Unterstützung bekräftigt? | Nein |
15) | Wird die konsequente strafrechtliche Verfolgung von Massenverbrechen gefordert (z.B. vor nationalen Gerichten oder durch internationale Tribunale und Gerichte)? | Nein |
16) | Werden Interventionen zur Beendigung stattfindender Massenverbrechen als Ziel benannt? | Nein |
17) | Werden konkrete Instrumente zur Reaktion auf schwerste Menschenrechtsverletzungen im Wahlprogramm ausbuchstabiert (z.B. Verhängung von Sanktionen oder Waffenembargos, strafrechtliche Ermittlungen, etc.)? | Nein |
18) | Wird eine Unterstützung von Friedensmissionen durch die UN oder Regionalorganisationen angestrebt? | Nein |
19) | Werden der Schutz und die Aufnahme vor Massenverbrechen fliehender Menschen in Deutschland als Ziel benannt? | Nein |
Gesamtergebnis (19 Punkte erreichbar) | 1 |