Die Linke auf Platz 3

Das Spitzenduo der Linkspartei zur Bundestagswahl: Heidi Reichinnek und Jan van Aken © Die Linke/Martin Heinlein
Durch das insgesamt eher durchwachsene Teilnehmer:innenfeld erreicht Die Linke den 3. Platz unter den großen Parteien – und damit ihre beste Platzierung unter den bisherigen Genocide Alert-Rankings. Die Stärken des Wahlprogramms liegen eindeutig im Bereich Migration sowie in der völkerstrafrechtlichen Aufarbeitung des Nahostkonflikts. In vielen anderen Bereichen gehen die Forderungen der Linken jedoch nicht weit genug oder sparen essenzielle Themen für den internationalen Menschenrechtsschutz aus.
Die Linke spricht sich klar gegen die Zusammenarbeit mit Akteur:innen mit fragwürdiger Menschenrechtsbilanz aus, die zur Unterbrechung von Migrationsbewegungen dienen sollen (Frage 10). „Flüchtlingsdeals mit der Türkei, mit Milizen und Diktatoren“ will Die Linke aufkündigen, und auch eine Verlagerung der Verantwortung mithilfe von Drittstaaten- oder Herkunftsländerregelungen lehnt sie ab. Ebenfalls strebt Die Linke eine Ausweitung anerkannter Fluchtgründe an, die auch die Verfolgung von queeren Personen sowie Klima- und Umweltfolgeschäden und Armut umfassen sollen. Massenverbrechen hingegen werden nicht als eigene Fluchtursache thematisiert (Frage 19); die damit einhergehende Verfolgung und/oder willkürliche Gewalt können jedoch auch so im Rahmen der Flüchtlingseigenschaft abgebildet werden.
Einige Aspekte, die in der internationalen Zusammenarbeit insgesamt von Bedeutung wären, diskutiert die Linke in ihrem Wahlprogramm ausschließlich im Migrationskontext. So werden etwa nur queere Personen als besonders schutzbedürftige Gruppe erwähnt, und erneut nur im Kontext von Migration; andere Formen der Marginalisierung, die Gruppen potenziell Massenverbrechen aussetzen können (Frage 3), fallen so unter den Tisch. Ebenso benennt Die Linke nur im Zusammenhang mit Migration die Unterstützung einer Institution des internationalen oder regionalen Menschenrechtsschutzes (Frage 13), nämlich des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. In diesen Punkten werden im Kern vorbildliche Forderungen der Linken dadurch konterkariert, dass sie sich zu spezifisch auf den Themenkreis Migration beschränken.
Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit spricht für Die Linke, dass sie Frieden, Sicherheit, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit als zusammenhängend versteht (Frage 2). Als einzige der großen Parteien fordert Die Linke zudem eine Trennung entwicklungspolitischer Mittel von denen für zivil-militärische Zusammenarbeit (Frage 4). Darüber hinaus will sie die Einhaltung von Menschenrechten, den Schutz von Frauen, Kindern und Jugendlichen und queeren Personen zu zentralen entwicklungspolitischen Leitlinien erheben (Frage 9). Gleichzeitig bleiben Leser:innen des Wahlprogrammes darüber im Dunkeln, ob Menschenrechte für die Ausgestaltung der bilateralen Beziehungen mit Drittstaaten außerhalb von Flüchtlingspolitik und Entwicklungszusammenarbeit erheblich sein sollen (Frage 8).
Forderungen nach institutionellen Sicherheitssektorreformen in Drittstaaten (Frage 11) sowie einem Ausbau von Kapazitäten im Bereich Menschenrechtsschutz oder Krisenfrüherkennung (Frage 5) sucht man gleichermaßen vergeblich. Zu multilateralen Friedensmissionen als Reaktion auf laufende Massenverbrechen (Frage 18) äußert sich Die Linke ebenso wenig wie zur Schutzverantwortung oder der Verhinderung von Massenverbrechen im Allgemeinen (Frage 1). Waffenexporte will sie dagegen vollständig verbieten (Frage 7) – auch in Situationen wie in der Ukraine, wo sie zur legitimen Selbstverteidigung eingesetzt würden.
Im Bereich der Verfolgung von Massenverbrechen fällt Die Linke positiv durch ihr Bekenntnis zur Unterstützung des Internationalen Strafgerichtshofs im Kontext des Nahostkonfliktes auf (Frage 14). In ausdrücklicher Ablehnung von Doppelstandards spricht sich Die Linke dafür aus, Verantwortliche beider Konfliktparteien zur Rechenschaft zu ziehen und die entsprechenden Haftbefehle auszuführen (Frage 15). Dass das Wahlprogramm dies nur im Kontext des Nahostkonflikts fordert und etwa die Strafverfolgung des russischen Präsidenten Wladimir Putin ausspart, lässt jedoch Zweifel am Engagement der Linken gegen völkerstrafrechtliche Doppelstandards.
Die Linke profiliert sich damit besonders im Bereich Migration und kann auch in der Entwicklungszusammenarbeit punkten, verliert durch diese Schwerpunktsetzung aber andere zentrale Aspekte wie z.B. eine allgemein menschenrechtsbasierte Außenpolitik aus den Augen. Über 7,5 Punkte kommt ihr Wahlprogramm daher nicht hinaus.
Bewertung im Detail
Auswertung des Wahlprogramms von Die Linke
Menschenrechte und Schutzverantwortung im Allgemeinen
1) | Werden die „Responsibility to Protect“ oder die Verhinderung massiver Gräueltaten, wie Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Aggression und ethnische Säuberungen, im Wahlprogramm affirmativ benannt? | Nein |
2) | Werden der Schutz von Menschenrechten, ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung und Sicherheit als zusammenhängend behandelt? | Teils |
3) | Wird die spezielle Schutzbedürftigkeit marginalisierter Gruppen (z.B. ethnischer Minderheiten) anerkannt? | Teils |
Kapazitätsaufbau in Deutschland
4) | Wird eine Abgrenzung der finanziellen Mittel für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit anderen Staaten (z.B. Ausbildung oder „Ertüchtigung“ der Streitkräfte) von den finanziellen Mitteln für die Entwicklungszusammenarbeit gefordert? | Teils |
5) | Wird der Ausbau institutioneller Kapazitäten im Bereich internationaler Menschenrechtsschutz/R2P angekündigt, wie zum Beispiel der Ausbau eines Frühwarnsystems, Aufstockung der Mittel für Menschenrechtsarbeit etc.? | Nein |
6) | Wird eine Aufstockung der Ressourcen für Maßnahmen der Krisenprävention gefordert? | Nein |
7) | Wird eine strengere Rüstungsexportkontrolle gefordert? | Ja |
Schutzverantwortung und Menschenrechtsschutz in der internationalen Zusammenarbeit
8) | Soll die Menschenrechtssituation in einem Land ein wichtiges Kriterium zur Ausgestaltung der bilateralen Beziehungen sein? | Nein |
9) | Ist die Verbesserung der Menschenrechtssituation in Drittstaaten ein erklärtes Ziel der Entwicklungszusammenarbeit? | Ja |
10) | Wird eine Zusammenarbeit mit Regierungen mit bedenklicher Menschenrechtsbilanz zur Unterbrechung von Migrationsbewegungen abgelehnt? | Ja |
11) | Werden institutionelle Sicherheitssektorreformen in Drittstaaten positiv benannt (z.B. Förderung der Rechtsstaatlichkeit, Ausbildung der Sicherheitskräfte auf Basis demokratischer und menschenrechtlicher Prinzipien, etc.)? | Nein |
12) | Wird eine Zusammenarbeit mit regionalen Organisationen zum Schutz vor Menschenrechtsverletzungen gefordert? | Nein |
Reaktion auf Massenverbrechen
13) | Wird die Zusammenarbeit mit den Institutionen des internationalen und europäischen Menschenrechtsschutzes (z.B. dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte) und deren Unterstützung bekräftigt? | Teils |
14) | Wird die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und dessen aktive Unterstützung bekräftigt? | Teils |
15) | Wird die konsequente strafrechtliche Verfolgung von Massenverbrechen gefordert (z.B. vor nationalen Gerichten oder durch internationale Tribunale und Gerichte)? | Teils |
16) | Werden Interventionen zur Beendigung stattfindender Massenverbrechen als Ziel benannt? | Nein |
17) | Werden konkrete Instrumente zur Reaktion auf schwerste Menschenrechtsverletzungen im Wahlprogramm ausbuchstabiert (z.B. Verhängung von Sanktionen oder Waffenembargos, strafrechtliche Ermittlungen, etc.)? | Ja |
18) | Wird eine Unterstützung von Friedensmissionen durch die UN oder Regionalorganisationen angestrebt? | Nein |
19) | Werden der Schutz und die Aufnahme vor Massenverbrechen fliehender Menschen in Deutschland als Ziel benannt? | Teils |
Gesamtergebnis (19 Punkte erreichbar) | 7,5 |