Die FDP auf Platz 6
Mit drei Punkten erreichen die Freien Demokraten im diesjährigen Genocide Alert-Ranking den fünften Platz. Diese Platzierung rührt vor allem von der Abwesenheit konkreter Vorschläge und Maßnahmen im Bereich der Menschenrechtspolitik her. Zwar bekennt sich die Partei explizit und klar zur Universalität der Menschenrechte sowie zu einer multilateralen, regelbasierten Weltordnung. In der primär geopolitisch ausgerichteten Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik folgen auf dieses Bekenntnis jedoch kaum konkrete Handlungsvorschläge für den Menschenrechtsschutz.
In vielen Kategorien konnten keine Punkte vergeben werden, weil die jeweiligen Konzepte, Policies oder Akteur:innen weder implizit noch explizit im Wahlprogramm enthalten sind. So finden sich keine Hinweise auf institutionelle Kapazitäten des internationalen Menschenrechtsschutzes (Frage 5), Krisenprävention (Frage 6), Rüstungsexportkontrollen (Frage 7), Sicherheitssektorreformen in Drittstaaten (Frage 11), die Zusammenarbeit mit regionalen Organisationen im Bereich des Menschenrechtsschutzes (Frage 12), Institutionen des internationalen Menschenrechtsschutzes (Frage 13), den Internationalen Strafgerichtshof (Frage 14) oder Friedensmissionen (Frage 18). Auch den Begriff der Schutzverantwortung oder eine angestrebte Verhinderung von Massenverbrechen sucht man vergeblich (Frage 1).
Dass Menschenrechtsschutz, Entwicklung und Sicherheit gemeinsam gedacht werden, lässt sich in Ansätzen erahnen – so plant die FDP (wenn auch aus Gründen der Kosteneffizienz), das Entwicklungsministerium mit dem Auswärtigen Amt zu fusionieren. Ob dies auch eine inhaltliche Verzahnung bedeutet, bleibt allerdings offen. Zudem behandeln die Freien Demokraten Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik gemeinsam in einem Kapitel, das für die Vereinbarkeit von „Realpolitik und dem Einsatz für Freiheit und Menschenrechte weltweit“ wirbt. Dies wird in den anschließenden Unterkapiteln jedoch kaum explizit konkretisiert (Frage 2).
Die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) wird ganz im Zeichen des geopolitischen Systemwettbewerbs gesehen und soll entlang der deutschen und europäischen „wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen“ neu ausgerichtet werden. Dabei wird weder auf eine Differenzierung zwischen sicherheitspolitischer und Entwicklungszusammenarbeit hingewirkt noch auf die Verbesserung der Menschenrechtssituation im betreffenden Staat (Fragen 4 und 9). Falls sich die menschenrechtliche Situation im Partnerland verschlechtert, schlägt die FDP zunächst eine Anpassung der EZ vor, im äußersten Fall soll die Zusammenarbeit mit staatlichen Einrichtungen beendigt werden. Diese Anpassungsmaßnahmen gelten jedoch nicht für bilaterale Beziehungen im Allgemeinen (Frage 8). Die Fortführung und Ausweitung von Migrationsabkommen und „Migrationspartnerschaften“ wird auf nationaler wie europäischer Ebene gefordert, ohne sie an menschenrechtsbasierte Voraussetzungen zu knüpfen (Frage 10).
Im Bereich der Reaktion auf Massenverbrechen spricht sich die FDP für eine konsequentere Ahndung von „Menschenrechtsverletzungen, Unterdrückung und Diskriminierungen“ aus, jedoch ohne dies zu konkretisieren (Frage 15). Konkrete Instrumente in Reaktion auf russische und chinesische Menschenrechtsverletzungen werden ausformuliert (Frage 16).
Insgesamt lässt sich festhalten, dass geopolitische Bedenken und wirtschaftliche Interessen (China, Russland, USA und Nahost) das Zentrum der auswärts gedachten Politik der Liberalen bilden. Die Relevanz von Menschenrechten wird nicht in Frage gestellt, aber sie werden weniger prominent nach außen getragen und bilden für die Liberalen in diesem Wahlprogramm keine Priorität. Dies ist aus menschenrechtlicher Perspektive auf negative Weise bemerkenswert, da die FDP in früheren Wahlprogrammen bedeutend affirmativer, normativer und konkreter aufgetreten ist. Eine mögliche Erklärung liegt in der insgesamten Fokussierung des Wahlprogrammes auf der Stärkung deutscher Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft.
Bewertung im Detail
Auswertung des Wahlprogramms der FDP
Menschenrechte und Schutzverantwortung im Allgemeinen
1) | Werden die „Responsibility to Protect“ oder die Verhinderung massiver Gräueltaten, wie Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Aggression und ethnische Säuberungen, im Wahlprogramm affirmativ benannt? | Nein |
2) | Werden der Schutz von Menschenrechten, ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung und Sicherheit als zusammenhängend behandelt? | Teils |
3) | Wird die spezielle Schutzbedürftigkeit marginalisierter Gruppen (z.B. ethnischer Minderheiten) anerkannt? | Teils |
Kapazitätsaufbau in Deutschland
4) | Wird eine Abgrenzung der finanziellen Mittel für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit anderen Staaten (z.B. Ausbildung oder „Ertüchtigung“ der Streitkräfte) von den finanziellen Mitteln für die Entwicklungszusammenarbeit gefordert? | Nein |
5) | Wird der Ausbau institutioneller Kapazitäten im Bereich internationaler Menschenrechtsschutz/R2P angekündigt, wie zum Beispiel der Ausbau eines Frühwarnsystems, Aufstockung der Mittel für Menschenrechtsarbeit etc.? | Nein |
6) | Wird eine Aufstockung der Ressourcen für Maßnahmen der Krisenprävention gefordert? | Nein |
7) | Wird eine strengere Rüstungsexportkontrolle gefordert? | Nein |
Schutzverantwortung und Menschenrechtsschutz in der internationalen Zusammenarbeit
8) | Soll die Menschenrechtssituation in einem Land ein wichtiges Kriterium zur Ausgestaltung der bilateralen Beziehungen sein? | Teils |
9) | Ist die Verbesserung der Menschenrechtssituation in Drittstaaten ein erklärtes Ziel der Entwicklungszusammenarbeit? | Nein |
10) | Wird eine Zusammenarbeit mit Regierungen mit bedenklicher Menschenrechtsbilanz zur Unterbrechung von Migrationsbewegungen abgelehnt? | Nein |
11) | Werden institutionelle Sicherheitssektorreformen in Drittstaaten positiv benannt (z.B. Förderung der Rechtsstaatlichkeit, Ausbildung der Sicherheitskräfte auf Basis demokratischer und menschenrechtlicher Prinzipien, etc.)? | Nein |
12) | Wird eine Zusammenarbeit mit regionalen Organisationen zum Schutz vor Menschenrechtsverletzungen gefordert? | Nein |
Reaktion auf Massenverbrechen
13) | Wird die Zusammenarbeit mit den Institutionen des internationalen und europäischen Menschenrechtsschutzes (z.B. dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte) und deren Unterstützung bekräftigt? | Nein |
14) | Wird die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und dessen aktive Unterstützung bekräftigt? | Nein |
15) | Wird die konsequente strafrechtliche Verfolgung von Massenverbrechen gefordert (z.B. vor nationalen Gerichten oder durch internationale Tribunale und Gerichte)? | Teils |
16) | Werden Interventionen zur Beendigung stattfindender Massenverbrechen als Ziel benannt? | Nein |
17) | Werden konkrete Instrumente zur Reaktion auf schwerste Menschenrechtsverletzungen im Wahlprogramm ausbuchstabiert (z.B. Verhängung von Sanktionen oder Waffenembargos, strafrechtliche Ermittlungen, etc.)? | Ja |
18) | Wird eine Unterstützung von Friedensmissionen durch die UN oder Regionalorganisationen angestrebt? | Nein |
19) | Werden der Schutz und die Aufnahme vor Massenverbrechen fliehender Menschen in Deutschland als Ziel benannt? | Nein |
Gesamtergebnis (19 Punkte erreichbar) | 3 |