Die SPD auf Platz 4
Die SPD erreicht mit ihrem Wahlprogramm sechs von 19 Punkten und damit einen mageren vierten Platz im Genocide Alert-Ranking der Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2025. Die Ausführungen zu internationalem Menschenrechtsschutz und Krisenprävention im Programm der SPD wirken oft unspezifisch und auf Kontinuität ausgerichtet. Es wird deutlich, dass auf dem internationalen Parkett vor allem die Wahrung europäischer Sicherheitsinteressen und damit verknüpfte Partnerschaften für die SPD im Vordergrund stehen.
Wie auch in den Wahlprogrammen der anderen Parteien finden die Schutzverantwortung und die Verhinderung von Massenverbrechen bei der SPD keine direkte Erwähnung (Frage 1). Selbst der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) (Frage 14) und der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) werden als Garanten für die internationalen Solidarität und die universelle Geltung der Menschenrechte benannt. Allerdings soll der EGMR gestärkt und die konsequente Umsetzung seiner Urteile eingefordert werden. Zudem soll die Europäische Union (EU) der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten (Frage 13). Die SPD benennt die russische Aggression gegen die Ukraine und den israelischen Siedlungsbau in den palästinensischen Gebieten klar als völkerrechtswidrig, ohne sich jedoch für eine konsequente Verfolgung von Massenverbrechen auszusprechen. Die SPD weist auch auf die Verpflichtung Israels zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hin und fordert die Beendigung der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen (Frage 15). Interventionen gegen stattfindende Massenverbrechen benennt die SPD mit Ausnahme von Sanktionen gegen das iranische Regime (Frage 17) allerdings nicht als besonderes Ziel (Frage 16). Auch eine Unterstützung internationaler Friedensmissionen bleibt aus. Zumindest soll aber die dauerhafte und vollumfängliche Erfüllung der Aufgaben der Bundeswehr in Auslandseinsätzen gewährleistet werden (Frage 18). Schutz und Aufnahme in Deutschland für vor schwersten Menschenrechtsverletzungen fliehende Menschen sind nur implizit im Bekenntnis zum “individuellen Menschenrecht auf Asyl” und dem internationalen Flüchtlingsschutz enthalten (Frage 19).
Ein zusammenhängendes Verständnis von Menschenrechtsschutz, Entwicklungszusammenarbeit und Sicherheit sind im Wahlprogramm der SPD erkennbar, was eine potenzielle Wahrnehmung der Schutzverantwortung durchaus begünstigen würde. Grundlegend setzt die SPD auf einen „Dreiklang aus Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungspolitik“. Mit diplomatischer Zusammenarbeit will sie zur Lösung internationaler Konflikte und Krisen sowie der Förderung von Frieden, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit als Zielen internationaler sozialdemokratischer Politik beitragen (Frage 2). Gerade die Entwicklungszusammenarbeit soll neben der Stärkung und Integration der europäischen Streitkräfte durch strategische Partnerschaften zur Sicherung der regelbasierten internationalen Ordnung und europäischer Interessen dienen, nicht zuletzt auch der Bekämpfung von Fluchtursachen. Entgegen der grundsätzlichen Bekräftigung des Stellenwerts von Menschenrechten im Programm wird das Thema auf entwicklungspolitischer Ebene nur oberflächlich behandelt. So soll die deutsche Außen- und Entwicklungspolitik feministisch fortgeführt werden (Frage 9). Während die SPD ihren Feminismus zunächst als Kampf gegen strukturelle Benachteiligungen jeglicher Art definiert, bezieht sich ihre feministische Außen- und Entwicklungspolitik lediglich auf die Gleichberechtigung von Menschen jeglichen Geschlechts und sexueller Orientierung. Im Kontext des syrischen Wiederaufbaus betont die SPD darüberhinausgehend den Schutz und die Teilhabe religiöser und ethnischer Gruppen (Frage 3).
Die SPD fordert weder einen Ausbau institutioneller Kapazitäten zu Schutzverantwortung und internationalem Menschenrechtsschutz (Frage 5) noch eine entsprechende Zusammenarbeit mit regionalen Organisationen (Frage 12). Zwar soll ein eigenständiges Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit unter anderem für sozioökonomische Krisenprävention und -bearbeitung geschaffen werden. Das bedeutet allerdings nicht zwingend eine gezielte Aufstockung von Mitteln (Frage 6) und schließt eine Finanzierung sicherheitspolitischer Maßnahmen durch Mittel der Entwicklungszusammenarbeit nicht aus (Frage 4). Überdies will die SPD sich für glaubwürdige Rüstungskontrolle einsetzen, was allerdings mit der für die gemeineuropäische Rüstungsexportpolitik vorgeschlagenen Orientierung an gemeinsamen Werten und strategischen Prioritäten eher begrenzt gelingen dürfte (Frage 7).
An sich scheint die SPD die Menschenrechtssituation in einem Land nicht als ausschlaggebendes Kriterium zur Ausgestaltung der bilateralen Beziehungen zu betrachten (Frage 8). Außereuropäisch besteht die SPD vor allem dort auf menschenrechtliche Standards, wo es um Außenhandels- und Investitionspolitik und demokratisch-rechtsstaatliche Reformen im Zuge von EU-Beitrittsverfahren geht (Frage 11). Den Formulierungen zu Kooperation durch Migrationsabkommen und Bekämpfung von Schleuserkriminalität sind menschenrechtliche Erwägungen nicht als prioritär zu entnehmen. Begrüßenswert ist dagegen, dass die SPD die Bearbeitung von Asylverfahren im Ausland ablehnt (Frage 10).
Das Wahlprogramm der SPD zur Bundestagswahl 2025 punktet im Genocide Alert-Ranking überwiegend mit einem ansatzweise integrierten Konzept für Menschenrechtsschutz, Entwicklungszusammenarbeit und Krisenprävention sowie der Unterstützung von IStGH und EGMR. Die Realisierung der Schutzverantwortung bleibt dagegen in vielen Bereichen ausbaufähig, etwa durch ihre grundsätzliche Berücksichtigung, eine klar und konsequent menschenrechtsbasierte internationale Zusammenarbeit, institutionellen Kapazitätsaufbau und einen weniger staatszentrierten Sicherheitsdiskurs. Insgesamt demonstriert das Programm damit zwar ein Bewusstsein für menschenrechtliche Angelegenheiten, bietet allerdings keinen grundlegenden oder gar überzeugenden Ansatz für die deutsche Wahrnehmung der internationalen Schutzverantwortung.
Bewertung im Detail
Auswertung des Wahlprogramms der SPD
Menschenrechte und Schutzverantwortung im Allgemeinen
1) | Werden die „Responsibility to Protect“ oder die Verhinderung massiver Gräueltaten, wie Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Aggression und ethnische Säuberungen, im Wahlprogramm affirmativ benannt? | Nein |
2) | Werden der Schutz von Menschenrechten, ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung und Sicherheit als zusammenhängend behandelt? | Teils |
3) | Wird die spezielle Schutzbedürftigkeit marginalisierter Gruppen (z.B. ethnischer Minderheiten) anerkannt? | Teils |
Kapazitätsaufbau in Deutschland
4) | Wird eine Abgrenzung der finanziellen Mittel für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit anderen Staaten (z.B. Ausbildung oder „Ertüchtigung“ der Streitkräfte) von den finanziellen Mitteln für die Entwicklungszusammenarbeit gefordert? | Nein |
5) | Wird der Ausbau institutioneller Kapazitäten im Bereich internationaler Menschenrechtsschutz/R2P angekündigt, wie zum Beispiel der Ausbau eines Frühwarnsystems, Aufstockung der Mittel für Menschenrechtsarbeit etc.? | Nein |
6) | Wird eine Aufstockung der Ressourcen für Maßnahmen der Krisenprävention gefordert? | Teils |
7) | Wird eine strengere Rüstungsexportkontrolle gefordert? | Nein |
Schutzverantwortung und Menschenrechtsschutz in der internationalen Zusammenarbeit
8) | Soll die Menschenrechtssituation in einem Land ein wichtiges Kriterium zur Ausgestaltung der bilateralen Beziehungen sein? | Nein |
9) | Ist die Verbesserung der Menschenrechtssituation in Drittstaaten ein erklärtes Ziel der Entwicklungszusammenarbeit? | Teils |
10) | Wird eine Zusammenarbeit mit Regierungen mit bedenklicher Menschenrechtsbilanz zur Unterbrechung von Migrationsbewegungen abgelehnt? | Nein |
11) | Werden institutionelle Sicherheitssektorreformen in Drittstaaten positiv benannt (z.B. Förderung der Rechtsstaatlichkeit, Ausbildung der Sicherheitskräfte auf Basis demokratischer und menschenrechtlicher Prinzipien, etc.)? | Teils |
12) | Wird eine Zusammenarbeit mit regionalen Organisationen zum Schutz vor Menschenrechtsverletzungen gefordert? | Nein |
Reaktion auf Massenverbrechen
13) | Wird die Zusammenarbeit mit den Institutionen des internationalen und europäischen Menschenrechtsschutzes (z.B. dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte) und deren Unterstützung bekräftigt? | Ja |
14) | Wird die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und dessen aktive Unterstützung bekräftigt? | Ja |
15) | Wird die konsequente strafrechtliche Verfolgung von Massenverbrechen gefordert (z.B. vor nationalen Gerichten oder durch internationale Tribunale und Gerichte)? | Nein |
16) | Werden Interventionen zur Beendigung stattfindender Massenverbrechen als Ziel benannt? | Nein |
17) | Werden konkrete Instrumente zur Reaktion auf schwerste Menschenrechtsverletzungen im Wahlprogramm ausbuchstabiert (z.B. Verhängung von Sanktionen oder Waffenembargos, strafrechtliche Ermittlungen, etc.)? | Ja |
18) | Wird eine Unterstützung von Friedensmissionen durch die UN oder Regionalorganisationen angestrebt? | Nein |
19) | Werden der Schutz und die Aufnahme vor Massenverbrechen fliehender Menschen in Deutschland als Ziel benannt? | Teils |
Gesamtergebnis (19 Punkte erreichbar) | 6 |