Die Schutzverantwortung und die humanitäre Lage in Darfur

Die Schutzverantwortung („responsibility to protect“) wurde im Jahr 2005 einstimmig von der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNO) zur Prävention von Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschlossen. Wie ist sie in Bezug auf die derzeitige humanitäre Lage in Darfur zu interpretieren?

Die Schutzverantwortung soll in erster Linie dazu beitragen, dass Verbrechen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und ethnische Säuberungen rechtzeitig von UNO-Mitgliedsstaaten, der UNO selbst, regionalen und subregionalen Organisationen sowie zivilgesellschaftlichen Akteuren erkannt und verhindert werden. Die Schutzverantwortung basiert auf drei Säulen, in denen festgelegt ist, dass der jeweilige Staat primär die Verantwortung zu tragen hat. Versagt eine Regierung dabei, ihre eigene Bevölkerung zu schützen, wird die Schutzverantwortung auf die internationale Gemeinschaft (2. Säule) und auf die UNO (3. Säule) übertragen, wobei Zwangsmittel wie Sanktionen oder sogar militärische Intervention nicht ausgeschlossen sind.

Nachdem der Internationale Strafgerichtshof am 4. März 2009 Haftbefehl gegen Sudans Präsident Omar al-Baschir wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in der sudanesischen Region Darfur erließ, hat die sudanesische Regierung mehrere humanitäre Organisationen des Landes verwiesen. Die im Sudan verbliebenen Organisationen sind mit der Situation überfordert, eine humanitäre Katastrophe bahnt sich an. Es fehlt an Wasser, Nahrungsmitteln, sanitären Anlagen und ausreichender medizinischer Versorgung. Die UNO sprach kurz nach der Ausweisung der Organisationen von ca. 1.1 Millionen Darfuris, die ohne Nahrung und Gesundheitsfürsorge auskommen müssen, und von einer weiteren Million ohne Zugang zu Wasser.

Die UNO hat gemeinsam mit der sudanesischen Regierung die gegenwärtige Situation in Darfur geprüft (Government of Sudan & United Nationes: Joint Assessment Mission to Darfur), wobei besonders auf die Bereitstellung von Nahrungsmitteln, Wasser, medizinischer Versorgung, Unterkünften und sanitären Anlagen geachtet wurde. Bei einer Pressekonferenz Ende März 2009 zur Bekanntgabe der Ermittlungen hat der Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten der UNO, John Holmes, für eine schnelle Aufhebung der Ausweisung zahlreicher internationaler Hilfsorganisationen plädiert: Obwohl die sudanesische Regierung, die UNO und Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) versuchen, die klaffenden Versorgungslücken zu überbrücken, wird es ihnen nicht dauerhaft gelingen, die Situation unter Kontrolle zu bringen.

Um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, ist die Instandhaltung von Wasserpumpen und sanitären Einrichtungen von besonders großer Bedeutung, kann aber in der momentanen Situation nicht gewährleistet werden. Die bevorstehende Regenzeit wird die Lage noch verschlimmern: Ganze Regionen können durch den anhaltenden starken Regen von der Außenwelt abgeschnitten werden, Notunterkünfte können überschwemmt werden, Krankheiten sich leichter ausbreiten. Ein anderes Problem stellt der Zugang von Regierungsmitarbeitern zu Flüchtlingslagern dar, da deren Bewohner oftmals regierungsfeindlich gestimmt sind.

Leider ist die internationale Antwort auf die sich anbahnende Notsituation zögernd, und die sudanesische Regierung bis jetzt nicht kooperativ. John Holmes betont, dass die Schutzverantwortung in erster Linie eine präventive Maßnahme ist: Wenn ein betroffener Staat keine humanitäre Hilfe in Anspruch nehmen möchte, kann er nicht dazu gezwungen werden. Die sudanesische Regierung hat sich zwar im oben genannten „Joint Assessment to Darfur“ dazu verpflichtet, die Arbeit der sich noch vor Ort befindlichen Hilfsorganisationen in vollem Umfang zu erleichtern. Das alleine wird aber nicht ausreichen, um eine Verschlechterung der humanitären Lage in Darfur zu verhindern. Nationale NGOs sollen nach Wunsch der sudanesischen Regierung die Aufgaben der ausgewiesenen Organisationen übernehmen, aber sie sind nicht in der Lage, sofort sämtliche Tätigkeiten auszuführen. Im Bericht der UNO heißt es, dass zumindest die meisten Engpässe (Versorgung mit Wasser und sanitären Anlagen) durch die internationalen und sudanesischen NGOs, die sudanesische Regierung und UNO-Behörden vor Ort behoben werden können, wenn die dazu erforderliche Finanzierung bereitgestellt wird.

Wird die UNO nun mit ihrem Vorgehen der Schutzverantwortung gerecht? Laut der dritten Säule der „Responsibility to Protect“ sind die internationale Gemeinschaft und die UNO zu einem rechtzeitigen und direkten Eingreifen aufgerufen, um unter anderem Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern bzw. zu beenden. Das Unterlassen oder Verhindern von humanitärer Hilfe, welche sich zu einer menschlichen Katastrophe für eine ganze Region entwickeln könnte, könnte jedoch durchaus als Tatbestand von Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet werden. Sollte es zu einer humanitären Katastrophe in Darfur kommen, ist jedoch fraglich, ob die fehlende Hilfeleistung der sudanesischen Regierung zur Last gelegt werden wird: Nachdem der tropische Wirbelsturm „Nargis“ Myanmar im Frühjahr 2008 schwer verwüstete, wurden die Behinderungen internationaler Hilfsmaßnahmen durch die Regierung Myanmars zwar weltweit stark kritisiert, Konsequenzen seitens der UNO hatte dies jedoch nicht zur Folge.

Um die Schutzverantwortung in Darfur zu verwirklichen, muss die UNO zu einem Konsens kommen, wobei auch die Afrikanische Union und die Arabische Liga miteinbezogen werden müssen. Solange sich jedoch die UNO nicht mit allen Beteiligten auf ein gemeinsames Vorgehen einigen kann, werden die Verstöße gegen die Schutzverantwortung – so wie im Falle Myanmars auch – ohne Konsequenzen für die sudanesische Regierung bleiben. 

Katharina Zechne