Warum ich keine Ostermärsche besuche

Wie jedes Jahr zum Ende der Fastenzeit ziehen auch heute wieder Ostermärsche durch deutsche Städte und protestieren für Frieden und gegen Kriege. Kann es etwas Sympathischeres geben als Menschen, die an einem freien Tag nicht shoppen gehen sondern für Frieden demonstrieren? Schwerlich, denn wenn man den Friedensbewegten in unserer Gesellschaft eines sicherlich nicht absprechen kann, dann ist es, dass sie es gut gemeint haben. Und doch habe ich mich bewusst und aus Gewissensgründen dafür entschlossen, den pazifistischen Protestzügen fern zu bleiben. Ungewöhnlich für einen Menschenrechtler? Dem möchte ich mit reinem Gewissen widersprechen.

Man kann nicht nur, man muss für Frieden sein. Ich kenne in der Tat niemanden, der Krieg gut findet. So sehr ich aber für Frieden bin, so sehr bin ich auch für den Schutz von Menschenrechten. Wer ist denn heutzutage ernsthaft nicht mehr für den Schutz von Menschenrechten? Problematisch wird dies erst, wenn „Frieden“ und „Menschenrechtsschutz“ nicht mehr in Einklang zu bringen sind; wenn aus „Frieden“ „Friedhofsruhe“ wird. Spätestens seit den Völkermorden in Ruanda, Srebrenica und Darfur weiß ich, dass die Welt systematischen Massenverbrechen nicht tatenlos zusehen darf. Wenn ein Massenmord an unschuldigen Zivilisten nur noch durch den Einsatz von Militär zu verhindern ist, dann hat die Welt eine Verantwortung zur Rettung dieser Menschen, notfalls auch mit Gewalt. Das macht einen Krieg nicht zu etwas Gutem. Aber manchmal ist der Einsatz von Gewalt leider die am wenigsten schlechte verbleibende Option. In solchen Situationen kann man nicht zur gleichen Zeit Pazifist und Menschenrechtler sein. In solchen Situationen muss man eine Entscheidung treffen im Wissen, dass es keine guten, sondern nur mehr oder weniger schlechte Optionen gibt. Manchmal kann man leider nicht zugleich für Frieden und Menschenrechte sein. Die Frage ist eher, ob man diese bedrückende Tatsache anerkennt oder vor ihr die Augen verschließt.

Um im Bilde zu bleiben muss man leider feststellen, dass auf den Ostermärschen offenbar viele Augen verschlossen bleiben. So wird gegen die NATO, Israel und natürlich die Bundeswehr protestiert. Das ist legitim, vielfach ist dies auch angebracht. Auffällig ist nur, dass dort anscheinend niemand auf die Idee kommt gegen Gaddafi, die Taliban oder auch die Hamas zu demonstrieren. Wieso eigentlich nicht? Ist Gaddafi, der gegen seine eigene Bevölkerung zu Kriege zieht und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt wird, denn kein Wort wert? Sind nicht auch die Taliban zu kritisieren, die laut Vereinten Nationen durch ihre Anschläge auf belebte Märkte und Straßen für mehr als 75% aller toten Zivilisten in Afghanistan verantwortlich sind? Ist nicht auch die Hamas dafür zu verurteilen, dass sie israelische Kinder in ihren Betten ermordet und ihre Raketen in Gaza aus Kindergärten und Krankenhäusern abschießt? Bei aller notwendigen Kritik am Westen frage ich mich, wie die Friedensbewegung mit ihren noblen Intentionen einen solchen moralischen Blackout haben kann.

Die Einseitigkeit des Protests der Ostermärsche wurde dieses Jahr leider zusätzlich durch die Geschichtsvergessenheit und Ignoranz mancher Demonstranten unterstrichen. So war auf einem Plakat zu lesen: „Zivilsten vor der NATO schützen!“ Gerade im Hinblick auf die humanitäre Intervention in Libyen kann man als Menschenrechtler bei solchen Aussagen nur mit den Augen rollen. Es waren die USA, Großbritannien und Frankreich, die im Auftrag der UN mit ihrer Intervention gerade noch rechtzeitig ein Massaker in Bengasi verhindert haben. Ich bin mir sicher: Wäre es nicht zu einem Eingreifen gekommen, würde sich heute alle Welt fragen, wie wir ein „zweites Srebrenica“ trotz eindeutiger Warnungen zulassen konnten. Die Rettung hunderter oder tausender Zivilisten vor dem sicheren Tod würde alleine schon ausreichen, um die aktuelle Intervention als Erfolg zu bezeichnen. Es gibt bis zum heutigen Tag keinen einzigen bestätigten Bericht von einem durch die NATO getöteten libyschen Zivilisten, was der Presse bisher leider keine Meldung wert war. Es gibt nichts Verwerfliches daran, dass die NATO Gaddafi daran hindert, Wohngebiete aus der Luft, zu Lande und von der See her zu bombardieren. Für hunderttausende libysche Zivilisten ist die NATO inzwischen zu einer Lebensversicherung avanciert. Die humanitäre Intervention war und ist ein leuchtendes Beispiel dafür, dass westliche Soldaten im Notfall auch für die Menschenrechte arabischer und muslimischer Zivilisten kämpfen. Selbst wenn es zu keinem weiteren Einschreiten in Syrien oder am arabischen Golf kommt: Es ist besser, inkonsequent einigen Menschen das Leben zu retten, als konsequent keinen.

Weltweit schützen mehr als 120.000 bewaffnete UN-Blauhelmsoldaten unzählige Frauen, Männer und Kinder vor Kriegsgewalt. In vielen Fällen wäre ein solcher Schutz ohne Waffen und Soldaten nicht zu schaffen. Ohne diese Friedenstruppen würden noch mehr Frauen im Kongo vergewaltigt, noch mehr Männer in Darfur ermordet und noch mehr Kinder zu Soldaten oder Sexsklaven gemacht. Selbst in Afghanistan sorgt der Einsatz der afghanischen Armee und ihrer internationalen Verbündeten (inklusive Deutschland) dafür, dass Frauen und Mädchen endlich eine gewisse Chance auf ein menschenwürdiges Leben haben. Natürlich kann man trotzdem begründet gegen Einsätze der Bundeswehr und Militär überhaupt sein. Dennoch müssen auch knallharte Pazifisten vom ihrem hohen Ross der moralischen Überlegenheit absitzen, weil ihr grundsätzliches „Nein“ zu Militäreinsätzen seine eigenen Opfer fordert: Seien es Männer in Libyen, Frauen im Kongo oder Kinder in Darfur.

Robert Schütte ist Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation „Genocide Alert“ (www.genocide-alert.de). Er ist erreichbar unter robert.schuette@genocide-alert.de sowie auf Twitter unter robert_schuette.

UN-Einsatz an der Elfenbeinküste: Die Rückkehr zum Verantwortungsbewusstsein

Was sich dieser Tage in Côte d’Ivoire ereignet, ist mit Blick auf internationale Schutzverantwortung ein Meilenstein. Gemeinsam mit den Geschehnissen in Libyen und der dort umfänglich wahrgenommenen Responsibility To Protect, steht die mutmaßliche Wende im andauernden Konflikt in dem westafrikanischen Land für eine neue Art und Weise seitens der internationalen Staatengemeinschaft, mit derartigen Situationen umzugehen. Neuer Mut sowie Ent- und Geschlossenheit, die theoretisch längst als wichtig und unabdingbar eingestuften Veränderungen auch mit praktischen Mitteln zu erreichen, scheint endlich Einzug zu halten.

 

Laurent Gbagbo, faktisch regierender Präsident Côte d’Ivoires seit 2000, befindet sich in Gesprächen mit französischen Botschaftern, die seinen Rückzug vom politischen Parkett beschließen sollen. Dem vorausgegangen sind massive Unruhen seit der Präsidentschaftswahl im Oktober 2010, in deren Folge der bis 2005 offiziell amtierende Präsident Gbagbo wie auch sein Kontrahent Alassane Ouattara den Eid leisteten und damit die Präsidentschaft annahmen.
Bürgerkriegsartige Zustände forderten seitdem hunderte Menschenleben und veranlassten über eine Million Menschen zur Flucht, so die Zahlen der UN.

Bereits seit 2004 ist die UN im Rahmen der Operation UNOCI (United Nations Operation in Côte d’Ivoire) in den Konflikt involviert, um mit Blauhelmtruppen das Ende der Kampfhandlungen sowie Entwaffnung und die Wiedervereinigung des Landes zu beobachten und zu unterstützen. Das Land ist seit dem Putschversuch gegen Gbagbo vom 19.September 2002 praktisch in zwei Hälften geteilt. In den von Oppositionellen besetzten Norden und den von regierungstreuen Truppen kontrollierten Süden. Infolge dieses Putsches entsendete die UN Blauhelme, die gemeinsam mit französischen Soldaten weitere Zusammenstöße zwischen Norden und Süden verhindern sollten. Während in den Folgejahren der Staatsapparat um Machthaber Gbagbo immer wieder neu angesetzte Präsidentschaftswahlen zu verhindern wusste, wurden diese nun am 31.10. (erster Wahlgang) resp. 28.11.2010 (Stichwahl Gbagbo/Ouattara) durchgeführt, wobei Ouattara mit 54.1% als Sieger aus ihnen hervorging. Allerdings missachtete Gbagbo dieses Ergebnis und ließ durch den regierungsnahen Verfassungsrat das Wahlergebnis manipulieren, um selbst im Amt bleiben zu können. Dies wurde von der internationalen Staatengemeinschaft weitgehend abgelehnt, so wurde u.a. seitens der Europäischen Union, der Afrikanischen Union sowie der USA der zweite Kandidat der Stichwahl, Ouattara, als rechtmäßiger Präsident anerkannt. Des Weiteren nahm der Unmut im Volk wieder zu, das sich eine Lösung des Konflikts durch die Präsidentschaftswahlen erhofft hatte.

Die seither immer heftiger gewordenen Auseinandersetzungen im Land veranlassten die UN, am 30.03.2011 die Resolution 1975 zu verabschieden, die das UNOCI Mandat um „alle notwendigen Maßnahmen“ zum Schutze der Zivilbevölkerung erweiterte.

Das so legitimierte Eingreifen der UN-Truppen in Zusammenarbeit mit der französischen Armee vor Ort markiert eine Zäsur in der Selbstsicherheit westlicher Staaten, die sich lange im Schatten der andauernden Konflikte am Hindukusch und im Irak verloren hatte. Es fehlte schlicht die Entschlossenheit, sich systematischer Gewalt von Despoten militärisch zu widersetzen. Dieser Zustand kollektiver Lethargie scheint nun überwunden zu sein. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy erklärte während seiner Ansprache zum Einsatz der französischen Luftwaffe in Libyen, dass, „jeder Herrscher verstehen muss […], dass die Reaktion der internationalen Gemeinschaft und Europas von diesem Moment an jedes Mal die gleiche sein wird: Wir werden auf der Seite der friedlichen Demonstranten sein, welche nicht mit Gewalt unterdrückt werden dürfen.“

Die Resolution 1975 zum Einsatz in der Elfenbeinküste und auch die humanitäre Intervention in Libyen zeigt, dass die Mitglieder der Vereinten Nationen ihre Schutzverantwortung jetzt ernst nehmen und auch bei zukünftigen Problemen durchaus zu agieren bereit scheinen. Diese erfreuliche wie notwendige Wende gilt es mitzutragen, speziell auch von Seiten der Bundesregierung, die als wichtiger Bestandteil der EU ihrem Führungsanspruch gerecht werden und sich klar zu ihrer Schutzverantwortung und der Wahrung von Menschenrechten weltweit bekennen muss.


Jan Dannheisig / Michael Barrabas