Podiumsdiskussion der Landesarbeitsgemeinschaft Frieden von Bündnis 90/Die Grünen Hessen am 14.06.2013 in Darmstadt. Auf dem Podium saßen (von links nach rechts): Tom Koenigs, (MdB B90/Die Grünen), Catherine Devaux (Amnesty International), Gregor Hofmann (Genocide Alert), Omid Nouripour (MdB B90/Die Grünen) Peter Strutinsky (emeritierter Friedensforscher Uni Kassel und Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag)

Podiumsdiskussion der Landesarbeitsgemeinschaft Frieden Entwicklung und Internationales von Bündnis 90/Die Grünen Hessen

Welche Rolle spielt die Internationale Schutzverantwortung für die internationalen Reaktionen auf die Krisen in Mali und Syrien? Zu dieser Frage moderierte Gregor Hofmann, ehrenamtlicher wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Genocide Alert, am 14. Juni 2013 eine Podiumsdiskussion der Landesarbeitsgemeinschaft Frieden Entwicklung und Internationales von Bündnis 90/ Die Grünen Hessen und des Grünen Kreisverbandes Darmstadt im Heiner Lehr Zentrum in Darmstadt.
Tom Königs und Omid Nouripour, beides Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90 / Die Grünen, Catherine Devaux, Leiterin der Task Force zivile Friedensprävention der deutschen Sektion von Amnesty International und Peter Strutinsky, emeritierte Friedensforscher Uni Kassel und Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, diskutierten mit rund 30 Gästen kontrovers über Möglichkeiten und Erfolgsaussichten ziviler wie militärischer Reaktionsmöglichkeiten auf die beiden Konflikte. Trotz der allgemeinen Ratlosigkeit in Bezug auf die Situation in Syrien wurde klar: Prävention schwerster Menschenrechtsverletzungen muss frühzeitig beginnen und sich auch in der deutschen Außenpolitik niederschlagen, bevor die Situation vor Ort eskaliert.

Europas moralische Verantwortung

Europas moralische Verantwortung: Der Bericht der Task Force on the EU Prevention of Mass Atrocities und seine Implikationen für die deutsche Politik

von Gregor Hofmann

Europa hat eine moralische Verantwortung Menschenrechtsverbrechen vorzubeugen und zu stoppen. Diese ergibt sich nicht nur aus der eigenen Geschichte, sondern auch aus direkten oder indirekten Beiträgen europäischer Staaten an solchen Verbrechen. Mit ihrer Unterstützung für die internationalen Schutzverantwortung – die Responsibility to Protect (RtoP) – hat sich die Europäische Union zu dieser Verantwortung bekannt. Die Schutzverantwortung proklamiert, dass jeder Staat die Verantwortung hat seine Bürgerinnen und Bürger vor Menschenrechtsverbrechen wie Völkermord, ethnischen Säuberungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen. Versagt der Einzelstaat in seiner Verantwortung steht die internationale Gemeinschaft in der Pflicht durch Unterstützung des Einzelstaates oder Zwang in Form von Sanktionen bis hin zum Einsatz militärischer Gewalt, mandatiert durch den UN Sicherheitsrat, die bedrohte Bevölkerung zu schützen. Aus diesem Bekenntnis ergibt sich eine Verpflichtung nicht nur die eigene Bevölkerung vor diesen Verbrechen zu schützen, sondern auch auf solche Verbrechen in Drittstaaten zu reagieren bzw. diese zu verhindern. Doch was tut die Europäische Union in diesem Bereich? Weiterlesen

Wahlen im Südsudan: Jetzt braucht es einen langen Atem

Die Wahlkommission hat es am 8. Februar 2011 endgültig verkündet: bei dem am 9. Januar stattgefundenem Referendum über die Unabhängigkeit des Südsudan haben sich 98,83 % für die Abspaltung entschieden. Damit wurden die am 30. Januar bekannt gewordenen Zwischenergebnisse bestätigt. Somit ist ein wichtiger Bestandteil des Comprehensive Peace Agreement (CPA), dem Friedensabkommen von 2005 umgesetzt worden, das einen Jahrzehnte andauernden Konflikt zwischen dem Nordsudan und dem Süden beendete.

Der sudanesische Präsident Omar al-Bashir verkündete wiederholt, dass er das Ergebnis respektiere und sich für eine friedliche Lösung bei der Klärung der noch offenen Fragen einsetze. Auch der zukünftige Präsident des Südsudan und noch Vize-Präsident des Sudans, Salva Kiir Mayardit, ist an einem friedlichem Dialog mit dem Norden interessiert. Angesichts der gigantischen nun anstehenden Aufgaben ist dies nicht weiter verwunderlich.

Die Situation der Menschen ist nach wie vor dramatisch. Über die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, 4,3 Millionen Menschen waren im Jahr 2010 auf Nahrungsmittellieferungen angewiesen. Nur jeder zweite hat Zugang zu Trinkwasser, Malaria nimmt epidemische Formen an und ist der Grund für 40% aller Krankenhausbesuche. In ganz Südsudan gibt es nur 100 ausgebildete Hebammen, jedes zehnte Kind stirbt bei der Geburt. Hinzu kommt, dass rund 92% der Frauen weder lesen noch schreiben könne, was die gesundheitliche Aufklärung erschwert. Hinzu kommt, dass die andauernden Kämpfe, insbesondere in den letzten 20 Jahren, die Infrastruktur völlig zerstört haben. Es gibt nicht genügend Straßen, auf denen Waren oder Menschen transportiert werden können, nicht genügend Häuser für die Bewohner, kaum funktionierende Wasserleitungen und keinen Strom. Die zukünftigen Staatsstrukturen müssen von Grund auf neu gebaut werden, angefangen bei Büroräumen über die Festlegung von Verwaltungsstrukturen bis hin zur Ausbildung der zukünftigen Verwaltungsbeamten.

Und die Erwartungen sind hoch. „Angesichts unseres Kampfes um Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit, Gleichheit und Menschenwürde wird der Südsudan nicht nur der neueste Staat der Welt sein, sondern ihre neueste Demokratie“, versprach Kiir.

Doch nicht nur innerhalb des Südsudans müssen in kürzester Zeit Unmöglichkeiten möglich werden. Zentrale Aspekte der Unabhängigkeit müssen noch immer zwischen dem Norden und dem Süden ausgehandelt werden. Im Juli 2011 läuft das CPA aus und die Unabhängigkeit soll endgültig vollzogen werden. Die Zeit ist knapp und so laufen bereits intensive Verhandlungen über die Aufteilung der Öleinnahmen, die genaue Grenzziehung sowie die Situation in der heiß umkämpften Region Abyei, für die das Referendum ausgesetzt wurde, weil es keine Einigung über die Wahlberechtigten gab. Zusätzlich sind die Fragen der Staatsangehörigkeit, der Währung, der Gerichtsbarkeit und die Neuaushandlung internationaler Verträge zu klären.

Hinzu kommt, dass weitherhin zahlreiche Gewaltkonflikte fortbestehen. Auch nach dem Referendum kam es in der Region Abyei erneut zu Kämpfen zwischen Nomadenvölkern und der dort ansässigen Landbevölkerung der Ngok Dinka. Auch in der Region Upper Nile kam es am 6. Februar zu erneuten Kämpfen, die 66 Menschen das Leben kosteten.

Die umstrittenen Grenzgebiete werden von speziellen Militäreinheiten bewacht, die sich aus den Armeen des Nordens und des Südens zusammensetzen. Es bleibt zu hoffen, dass die positiven Erfahrungen der letzten Monate genügend Zuversicht auf allen Seiten geschaffen haben, um das nächste Kapitel in der Geschichte des Sudans gemeinsam zu schreiben. Berichten zufolge hat sich die Anzahl von Konflikten aufgrund zahlreicher direkter Mediationsverhandlungen bereits spürbar gesenkt. Allerdings ist es bereits zu Abspaltungen und Kämpfen innerhalb der nordsudanesischen Armee gekommen, nachdem sich ehemalige Rebellengruppierungen in der Upper Nile Region dem Abzug aus dem Gebiet widersetzten.

Von Seiten der internationalen Gemeinschaft gab es vor allem Glückwünsche. Präsident Obama verkündete, dass die USA den Südsudan im Juli 2011 als Staat anerkennen werden. Auch die EU ließ verkünden, dass sie einer stabilen und langen Partnerschaft mit dem Südsudan entgegensieht. AU-Kommissionschef Jean Ping nannte die Volksabstimmung im Südsudan einen „Triumph des sudanesischen Volkes“. Diese internationale Unterstützung ist positiv, doch damit allein ist dem sudanesischen Volk noch nicht geholfen.

In Anbetracht der noch immer stattfindenden Kämpfe und der großen Anzahl noch zu klärender Themen hat die Vereinbarung eines Post-CPA Abkommens höchste Priorität. Insbesondere die Äußerungen von Bashir, denen zufolge die United Mission in Sudan (UNMIS) Truppen mit dem Auslaufen der CPA Vereinbarungen im Juli 2011 den Nordsudan verlassen sollen, lassen neue Konflikte befürchten. Vorstellbar wäre es entsprechend, dass das Mandat der UNMIS auf den Südsudan beschränkt bleibt, und die UN Soldaten gewaltsame Auseinandersetzungen in den noch umstrittenen Grenzregionen, welche zunächst weiter Teil des Nordens bleiben, nicht verhindern könnten.

Die Beteuerungen beider Seiten über eine friedliche Einigung bezüglich der noch anstehenden Themen sind zu begrüßen. Die Anfrage nach Land für eine Botschaft von Seiten des Nordsudan ist ein klares diplomatisches Signal. Trotzdem brauchen die Konfliktparteien Druck von seiten der internationalen Staatengemeinschaft.

Hierbei kommt Deutschland eine entscheidende Rolle zu. Die Bundesrepublik hat im Juli 2011, wenn der Südsudan in die Unabhängigkeit entlassen wird, den Vorsitz des UN-Sicherheitsrates inne. Deutschland muss seinen international gegebenen Verpflichtungen nachkommen und dem Sudan einen wichtigen Platz auf der Agenda geben, auf dass der Staat keine bloße Hülle, sondern ein Vorbild für den afrikanischen Kontinent werden kann.

 von Hannes Krüger

Deutsche Welle berichtet über Genocide Alert Podiumsdiskussion

Im Anschluss an die Podiumsdiskussion vom 30.1.2013 fasst dw.de die Meinungen zu Syrien und der Schutzverantwortungen zusammen und  beantwortet die Frage, wie sich Deutschland angesichts des eingeschränkten Handlungsspielraumes dennoch engagieren kann:

„Um Situationen wie in Syrien gar nicht erst entstehen zu lassen, plädiert Robert Schütte von „Genocide Alert“ außerdem für ein stärkeres Engagement im Bereich der Sicherheitssektorreform. Ziel dieses Konzepts ist, staatliche Sicherheitssektoren so zu reformieren, dass sie die Bedürfnisse der Bevölkerung und des Staates erfüllen und dabei demokratischen Prinzipien unterstehen.“,

schreibt Anne Allemling in ihrem Artikel und zitiert dabei aus der Diskussion vom 30.1.2013 im Rautenstrauch-Joest Museum zwischen Schütte, MdB Dr. Rolf Mützenich (Außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion)und Prof. Claus Kreß (Institute for International Peace and Security Law, Universität zu Köln).  Zum Artikel

Das Jein zur Intervention – Podiumsdiskussion zur Schutzverantwortung

Bereits im Vorfeld der Podiumsdiskussion zum Thema Schutzverantwortung (RtoP) im Rautenstrauch-Joest Museum in Köln hatte der Kölner Stadtanzeiger mit dem Artikel „Das Jein zur Intervention“ die aktuelle Diskussion beleuchtet.
Robert Schütte, Vorsitzenden von Genocide Alert, betonte im Interview mit dem KStA die Wichtigkeit einer Stellungnahme Deutschlands und forderte erneut eine hochrangigen RtoP-Koordinierungsstelle.

Podiusmdiskussion Köln / Foto Herbert Mück

Am Mittwochabend diskutierten Robert Schütte (Genocide Alert), MdB Dr. Rolf Mützenich (Außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion)und Prof. Claus Kreß (Institute for International Peace and Security Law, Universität zu Köln) unter Moderation von Babs Mück (Netzwerk „Eine-Welt Stadt Köln“) das Thema: „Afghanistan, Libyen, Syrien, Mali: Wann soll die internationale Gemeinschaft zum Schutz der Bevölkerung eingreifen – Wenn überhaupt?“ vor einer interessierten Zuhörerschaft.

 

Die Videodokumentation der spannenden Diskussion zum Thema Schutzverantwortung wird in Kürze hier online gestellt.

 

Den Artikel „Das Jein zur Intervention“ finden sie in der Printversion des Kölner Stadtanzeiger vom 30.1.2013.

Podiumsdiskussion zum Thema Schutzverantwortung (Responsbility to Protect) in Köln

 „Afghanistan, Libyen, Syrien, Mali: Wann soll die internationale Gemeinschaft zum Schutz der Bevölkerung eingreifen – Wenn überhaupt?“

Unter diesem provokanten Titel findet am Mittwoch, 30. Januar 2013 um 19.30 Uhr im Forum Volkshochschule im Rautenstrauch-Joest Museum, Cäcilienstr. 29-33, eine weitere Veranstaltung der Gesprächsreihe „Köln und die Welt“ statt.

Außenpolitik-Experten und Menschenrechtler diskutieren über die deutsche Verantwortung für den Schutz bedrohter Zivilbevölkerungen wie zum Beispiel derzeit in Syrien.

Nachrichten über 60.000 Tote, anhaltende Flüchtlingsströme und Menschenrechtsverletzungen wie Massenhinrichtungen erreichen uns täglich aus Syrien. Und Syrien ist nur eines der Länder, in den Menschen durch ihre Regierung keinen Schutz finden: Nachdem die Bundesregierung im Jahr 2011 eine Beteiligung Deutschlands an der NATO-geführten Intervention in Libyen abgelehnt hatte, stellt sich mit dem bestehenden Einsatz in Afghanistan und der eskalierenden Situation in Syrien, Mali und auch wieder im Kongo erneut die Frage: Wann und wo hat die Bundesrepublik eine Schutzverantwortung gegenüber bedrohten Zivilbevölkerungen, und wann sollte sie sich überhaupt an militärischen Auslandseinsätzen beteiligen – wenn überhaupt?

Über die Verantwortung der deutschen und internationalen Politik für die von systematischen Menschenrechtsverbrechen betroffenen Zivilbevölkerungen diskutieren MdB Dr. Rolf Mützenich (Außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion), Prof. Claus Kreß (Institute for International Peace and Security Law, Universität zu Köln) und Robert Schütte (Vorsitzender von Genocide Alert e.V.).

Moderatorin ist Babs Mück vom Netzwerk „Eine-Welt Stadt Köln“.

Der Eintritt ist frei.

Veranstalter sind das Netzwerk „Eine-Welt Stadt Köln“, die Menschenrechtsorganisation Genocide Alert, die Volkshochschule, sowie das Rautenstrauch-Joest-Museum.

Möglichkeiten von RtoP-Einsätzen durch Deutschland unterhalb der Schwelle militärischen Eingreifens

Die derzeitige Situation in Syrien zeigt erneut, wie schnell Zivilisten Opfer von breit angelegter, extremer Gewaltanwendung werden können. Doch ist es weder möglich noch wünschenswert, der Gewalt immer durch ein direktes militärisches Eingreifen Einhalt zu gebieten. Deshalb ist eine stärkere Auseinandersetzung mit jenen Instrumenten erforderlich, mit welchen Zivilisten auch unterhalb der Schwelle eines direkten militärischen Eingreifens effektiv vor Gewalt geschützt werden können. Andernfalls drohen schwerwiegende Konsequenzen; nicht nur für die betroffene Bevölkerung sondern auch für die Glaubwürdigkeit der internationalen  Gemeinschaft.

Deutschland steht mit seinen wiederholten Bekenntnissen zur Schutzverantwortung („Responsibility to Protect“), seinen Kapazitäten und seinen ausgezeichneten diplomatischen Beziehungen in einer besonderen Verantwortung.

Genocide Alert e.V. gibt in diesem Papier einen Überblick über Maßnahmen, welche zu einem besseren Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten ergriffen werden können.

Diplomatische Maßnahmen

Diplomatische Instrumente wirken zumeist indirekt und versuchen den beteiligten Parteien gewaltfreie Optionen der Konfliktaustragung zu eröffnen. Die Wirksamkeit der diplomatischen Instrumente hängt maßgeblich davon ab, ob die Gewaltakteure staatlich sind, sowie von ihrer Relevanz innerhalb der Staatengemeinschaft. Je höher die Eskalationsstufe eines Konfliktes, desto geringer die Erfolgschancen diplomatischer Maßnahmen.

–    Mediation: Internationale Vermittlungsgruppen können Konfliktparteien zusammenbringen und Möglichkeiten eines Waffenstillstandes oder Interessenausgleichs verhandeln.

–    Direkte Gespräche: Fernab der Öffentlichkeit können Konsequenzen angedroht und Sicherheiten in Aussicht gestellt werden (bilateral oder im Rahmen einer internationalen oder regionalen Organisation).

–    Internationale Isolation: Durch die Aussetzung von Mitgliedschaften des betroffenen Landes in regionalen und internationalen Organisationen oder die Ausweisung von Botschaftern kann deutlich gemacht werden, dass die Verletzung der Schutzverantwortung von der Staatengemeinschaft nicht hingenommen wird.

–    Sanktionen: Erfahrungen zeigen, dass Sanktionen keineswegs unproblematisch sind. Gezielte, sogenannte „smart sanctions“, können jedoch Wirkung entfalten, ohne die Situation der Zivilbevölkerung unmittelbar zu verschlechtern. Hierzu zählen bspw. Reiseverbote und das Einfrieren von Vermögenswerten von Regierungsmitgliedern. Umfassende Waffenembargos müssen ebenfalls frühzeitig durchgesetzt werden. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass kein militärisches Kräfteverhältnis festgesetzt wird, in dem die Verwundbarkeit einer Gruppe fortbesteht. Handelsembargos können dazu dienen, dass eine Regierung, die Gewalt gegen Teile ihrer Bevölkerung ausübt, an Unterstützung verliert. Eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation kann den Konflikt jedoch zusätzlich verschärfen und die Mehrheitsbevölkerung stärker an die Staatsführung binden.

–    Internationale Strafverfolgung: Durch die Einschaltung des Internationalen Strafgerichtshofes kann klar gemacht werden, dass Gewaltakteure bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht mit einer späteren Verurteilungen rechnen müssen.

Nachrichtendienstliche und technische Möglichkeiten:

Instrumente aus dem Bereich der Telekommunikation können eingesetzt oder den gefährdeten Zivilisten zur Verfügung gestellt werden. Durch geheimdienstliche Erkenntnisse können Informationen weitergegeben und Verbrechen zur strafrechtlichen Verfolgung dokumentiert werden.

–    Überwachung und Weitergabe von Informationen: Durch nachrichtendienstliche Methoden gewonnene Informationen können Aufschluss über Ziele und Pläne der Gewaltakteure geben. Erkenntnisse, z.B. über Truppenbewegungen oder geplante Massaker können an gefährdete Gruppen weitergegeben werden.

–    Einsatz von Satellitentechnik: Satellitenbilder können ausgewertet und die Erkenntnisse veröffentlicht werden, um Beweise für Massenverbrechen und Truppenbewegungen zu liefern und eine vorwarnende und dokumentarische Funktion einnehmen. Dieses Instrument findet seit Ende 2010 als „Satellite Sentinel Projekt“ im Sudan erfolgreiche Anwendung.

–    Dokumentation der Verbrechen: Je nach den jeweiligen Gegebenheiten der Krisensituation können der Bevölkerung Foto-, Video- oder Handykameras bereitgestellt werden. Dies ermöglicht eine frühzeitige und umfassende Dokumentation der Verbrechen und ermöglicht es, der staatlichen Propaganda entgegenzuwirken.

–    Bereitstellung von Internetverbindungen: Während des Arabischen Frühlings wurde die Bedeutung der Internetkommunikation deutlich. In Fällen, in denen das Internet gezielt abgeschaltet wird, sollte eine Verbindung – per Satellit oder externe Funksignale, wieder hergestellt werden.

Gewaltfreie militärische Maßnahmen:

Unterhalb der Schwelle eines breiten Engagements können militärische Maßnahmen ergriffen werden. Manche stellen völkerrechtlich Eingriffe in der Souveränität des Zielstaates ein und müssten vom VN-Sicherheitsrat mandatiert werden.

–    Vorbereitung einer internationalen Mission: Vorbeugende Aufstellung von militärischem, polizeilichem und zivilem Personal durch die VN, regionale Organisationen oder einer Koalition von Staaten, um eine Drohkulisse aufzubauen und schnell eingreifen zu können.

–    Unterbindung von Propaganda- und Kommunikationskanälen: Gewaltanheizende Radiosender oder Fernsehstationen sowie Kommunikationsnetzte können, beispielsweise per Störsender, ausgeschaltet werden. Gewaltakteure können hierdurch in ihrer Schlagkraft eingeschränkt werden.

–    Cyberkriegsführung: Vorhandene Fähigkeiten können zu Sabotage- und Spionagezwecken gegenüber den Gewaltakteuren eingesetzt werden.

–    Immaterielle und materielle Unterstützung: Demokratiebewegungen oder Minderheiten können durch finanzielle und materielle Mittel (z.B. durch die Bereitstellung von nichttötlichen Materialien), sowie Trainings und Informationsweitergaben unterstützt werden. Die Bereitstellung von Waffen ist äußerst kritisch zu bewerten, da deren Verbleib nach Ende des Konfliktes nicht weiter verfolgt werden kann.

Auch vor der Anwendung von nicht-militärischen oder gewaltfreien militärischen Maßnahmen muss geprüft werden, ob diese den Konflikt eskalieren lassen oder einer eventuellen Konfliktbearbeitung entgegenlaufen. Hinsichtlich des Einsatzes der diplomatischen, technischen, nachrichtendienstlichen und nichtmilitärischen Maßnahmen muss jedoch immer der Schutz der Zivilbevölkerung im Zentrum der Überlegungen gestellt werden. Ziel dieser Maßnahmen sollte neben dem Schutz der Zivilbevölkerung auch immer die diplomatische Lösung des Konfliktes sein, ein permanenter Kontakt zu allen Konfliktparteien ist daher unerlässlich.

Christoph Schlimpert
stellvertretender Vorsitzender Genocide Alert e.V.

Zum Dokument als PDF: Möglichkeiten von RtoP-Einsätzen durch Deutschland unterhalb der Schwelle militärischen Eingreifens

Interview der Tagesschau mit Genocide Alert Experten zur Krise im Ostkongo

Der Ostkongo wird seit Jahren mit Gewalt überzogen. Die Ursache dafür liege vor allem in ethnischen Konflikten, sagt der Politologe Christoph Vogel. Im Interview mit tagesschau.de erklärt er zudem, warum die UNO in der Region gescheitert ist – und welche undurchsichtige Rolle Ruanda in dem Konflikt spielt.

tagesschau.de: Die Bilder scheinen sich alle Jahre zu wiederholen: Zehntausende Menschen auf der Flucht, Rebellen und Regierungstruppen, die einander bekämpfen. Warum kommt der Osten Kongos seit Jahrzehnten nicht zur Ruhe?

Christoph Vogel: Das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist die Demokratische Republik Kongo als Staat nicht in der Lage, ihr Territorium zu sichern, die Zivilbevölkerung zu schützen – geschweige denn, ihre militärischen Gegner in die Schranken zu weisen. Hinzu kommt: Es gab bei den zahlreichen Konflikten in den vergangenen 20 Jahren immer wieder Einflussnahme von Nachbarstaaten, mal mehr, mal weniger.

Mit dem jetzigen Vorstoß der M23-Rebellen ist die Debatte um Ruandas Einfluss wieder entbrannt. Ruanda spielt auf jeden Fall eine zentrale Rolle, aber wie direkt die Unterstützung Ruandas ist und ob die Befehlskette innerhalb der Rebellengruppe M23 bis zum ruandischen Verteidigungsminister reicht – das lässt sich schwer beweisen. Da wird viel spekuliert.

Verbindungen zum Völkermord von Ruanda

tagesschau.de: Welche Interessen hat Ruanda denn im Kongo?

Vogel: Das reicht zurück bis zum Völkermord von 1994, als Hunderttausende Tutsi in Ruanda ermordet wurden. Viele der damaligen Mörder waren über die Grenze in den Kongo geflüchtet – und die ruandische Regierung will diese dingfest machen. Dabei handelt es sich um Hutu-Milizen. Die M23 hingegen wird von kongolesischen Tutsi befehligt und kontrolliert, als deren Schutzmacht sich Ruanda wiederum versteht.

Der ruandische Präsident Paul Kagame ist selbst Tutsi und hatte in den 1990er-Jahren den Kampf gegen die Hutu unterstützt. Und diese „Jagd“ setzt sich im Nachbarland Kongo fort. Da wird dann behauptet, die „nationale Sicherheit Ruandas“ sei bedroht, oder es gehe um den Schutz der „Brüder und Schwestern“ auf der anderen Seiten der Grenze.

Angesichts der Unfähigkeit der kongolesischen Armee sind die M23-Rebellen aus Sicht Ruandas gewissermaßen Verbündete, um die alten Feinde zu bekämpfen. Hinzu kommen natürlich wirtschaftliche Interessen. In der Region lagern viele Bodenschätze,  unter anderem werden dort Coltan oder Wolfram abgebaut. Trotz verschiedener internationaler Versuche, den Schmuggel einzudämmen, spielt der illegale Handel mit Rohstoffen zwischen Ruanda und Ostkongo nach wie vor eine große Rolle. Denn Ruanda ist für diese Rohstoffe auch ein wichtiges Transitland.

„Auswirkungen der kolonialen Grenzziehung“

tagesschau.de: Sie haben die ethnischen Spannungen und den Kampf um die Ressourcen erwähnt. Was wiegt Ihrer Ansicht nach schwerer – und entfacht den Konflikt immer wieder?

Vogel: Die Rohstoffe sind nicht die eigentliche Ursache des Kriegs, sondern sie begünstigen, dass er immer weitergehen und sich weiter finanzieren kann. Hauptursache sind die koloniale Grenzziehung und die sogenannte Ethnisierung von außen. Denn Huti und Tutsi sind streng genommen keine verschiedenen Ethnien, wurden aber in der Kolonialzeit als solche klassifiziert. Das hat Auswirkungen bis heute.

Hinzu kommt, dass es nicht nur ein Problem zwischen Hutu und Tutsi gibt, sondern auch zwischen den vielen anderen Ethnien, die in der Grenzregion Ostkongo/Ruanda vertreten sind. Und diese Spannungen entzünden sich vor allem an einer Landfrage. Der Ostkongo beispielsweise ist eine der am dichtesten besiedelten Gegenden in der gesamten Region – und auch Ruanda leidet an Platzmangel. Schon seit jeher gab es in dieser Region Landkonflikte, was politisch missbraucht wird und den Konflikt zusätzlich anfeuert.

„Kabila weitgehend abgetaucht“

tagesschau.de: Jenseits dieser Ursachen – wie verhalten sich die kongolesische Regierung und Präsident Joseph Kabila in dem Konflikt? Will er überhaupt Frieden in der Region?

Vogel: Das ist wahrscheinlich eine der kniffligsten Fragen, auf die es derzeit fast keine passende Antwort gibt. Kabila ist weitgehend untergetaucht, abgesehen von einem Fernsehinterview. Es gibt zahlreiche Gerüchte, dass der schwelende Bürgerkrieg ihm und seinen Familienmitgliedern in die Hände spielt. Denn es gibt immer wieder Indizien – auch in den Berichten der UNO -, dass seine Entourage in den Rohstoffhandel involviert ist.

Aber welches Interesse der Präsident tatsächlich verfolgt, ist schwer zu sagen, da er nahezu unsichtbar ist und wenige Informationen aus seinem Umfeld nach außen dringen. Er verfügt zwar über eine Armee; die ist aber in einem derart desolaten Zustand, was die Kommandostrukturen betrifft, dass sie auch gegen kleine, straff organisierte Rebellengruppen wie die M23 wenig ausrichten kann.

tagesschau.de: Und auch die UNO, die im Ostkongo mit bis zu 19.000 Soldaten vertreten ist, scheint nichts bewirken zu können. Wieso?

Vogel: Obwohl es sich bei der Kongo-Mission um den größten UN-Einsatz handelt, ist es für die Blauhelmsoldaten extrem schwierig, in einem Staat mit der Fläche von 2,3 Millionen Quadratkilometern für Ordnung zu sorgen – allein schon was die finanziellen und personellen Mittel angeht. Und die Konfliktlage ist derart verworren, dass es nicht reicht, die widerstreitenden Parteien voneinander zu trennen. Es geht darum, eine Staatlichkeit wiederherzustellen.

Die UNO hat dafür ein sehr komplexes Mandat für den Kongo, das bei genauerem Hinsehen aber kaum durchführbar ist. Der erste Kernpunkt ist der Schutz der Zivilbevölkerung, der zweite die Unterstützung der staatlichen Autoritäten. Der letzte Punkt hatte beim Marsch der Rebellen auf Goma aber zur Folge, dass sich die UNO nicht eingemischt hat, weil die kongolesischen Soldaten sehr schnell geflohen sind und sich ergeben haben.

Somit gab es im Prinzip niemanden mehr, den die Blauhelmsoldaten unterstützen konnten. Denn die UNO ist nicht dazu befugt, alleine einen Verteidigungskrieg zu führen, sondern nur unterstützend für die kongolesische Armee.

tagesschau.de: Sehen Sie irgendeine Chance auf Frieden in der Region?

Vogel: Im Moment erscheint mir das sehr schwierig, weil die kongolesische Regierung und M23 nicht zu Verhandlungen bereit  sind. Vor allem die kongolesische Regierung scheint das zu blockieren. Nur wenn es Zugeständnisse aller Seiten gäbe und einen Dialog aller Beteiligten – und nicht nur derjenigen, die zurzeit an der Macht sind – hätte ein Frieden vielleicht eine Chance. Dann könnte sich mit  vorsichtiger internationaler Unterstützung vielleicht etwas bewegen. Aber danach sieht es leider an allen Fronten nicht aus.

Christoph Vogel hat Politikwissenschaft und Afrikanistik an der Universität Köln sowie Peace and Conflict Studies an der Makerere University in Kampala studiert. Er forschte über bewaffnete Konflikte und humanitäre Hilfe im Kongo, in Uganda, Burundi und Haiti sowie bei der UNO. Vogel ist Stipendiat der Stiftung Mercator und seit 2011 Mitarbeiter von Genocide Alert.

Das Interview führte Jörn Unsöld, tagesschau.de.

Das Interview auf tagesschau.de hier.
Das Kurz-Video mit Interview hier.

Syrien: Ein militärisches Eingreifen zum Schutz der Bevölkerung nicht ausschließen

Die Sy­ri­en-Kri­se hat sich zu ei­nem bru­ta­len Bür­ger­krieg aus­ge­wei­tet, der täg­lich Hun­der­te Zi­vi­lis­ten das Le­ben kos­tet und den ge­sam­ten Na­hen Os­ten in ei­nen Kon­flikt zu stür­zen droht. Zwei mit­ein­an­der ver­bun­de­ne Tra­gö­di­en spie­len sich ab: Die ers­te ist die Po­li­tik des As­sad-Re­gimes, die ih­re ei­ge­ne Be­völ­ke­rung zu­sam­men­schie­ßen und mas­sa­krie­ren lässt. Oh­ne die ge­rings­te Rück­sicht auf men­schen- und völ­ker­recht­li­che Ver­pflich­tun­gen schürt Da­mas­kus ei­nen eth­no-re­li­giö­sen Flä­chen­brand, der in­zwi­schen auch auf die Nach­bar­staa­ten über­greift. Die zwei­te Tra­gö­die ist die Un­fä­hig­keit der in­ter­na­tio­na­len Ge­mein­schaft, die­sem Trei­ben Ein­halt zu ge­bie­ten. Im Ge­gen­satz zu Li­by­en ist der UN-Si­cher­heits­rat sei­ner Schutz­ver­ant­wor­tung (engl. „Re­s­pon­si­bi­li­ty to Pro­tect“) zum Schutz der sy­ri­schen Be­völ­ke­rung bis­her nicht ge­recht ge­wor­den.

Die Ta­bui­sie­rung ei­ner mi­li­tä­ri­schen In­ter­ven­ti­on ist ein Feh­ler

Das Ver­sa­gen der in­ter­na­tio­na­len Ge­mein­schaft ist haupt­säch­lich die Schuld Russ­lands und Chi­nas, die im Si­cher­heits­rat wie­der­holt ihr Ve­to ge­gen ei­ne schär­fe­re Gang­art ge­gen­über Da­mas­kus ein­ge­legt ha­ben. Al­le Ver­su­che zur Ver­hän­gung von Sank­tio­nen ge­gen As­sads Re­gie­rung sind an Mos­kau und Pe­king ge­schei­tert. Der Wes­ten wird nicht mü­de, auf die­se skan­da­lö­se Po­li­tik hin­zu­wei­sen; und doch bleibt die­ser Fin­ger­zeig wohl­feil, so­lan­ge er bloß von der ei­ge­nen Plan­lo­sig­keit ab­lenkt. Ei­ne Stra­te­gie zum Schutz der sy­ri­schen Zi­vil­be­völ­ke­rung ha­ben näm­lich we­der Wa­shing­ton noch Pa­ris, we­der Lon­don noch Ber­lin zu bie­ten. Ei­ne di­plo­ma­ti­sche Lö­sung des Kon­flikts müs­se ge­fun­den wer­den, so die Lo­sung. Gleich­zei­tig be­schwö­ren die Au­ßen­po­li­ti­ker dies- und jen­seits des At­lan­tiks, dass ein mi­li­tä­ri­sches Ein­grei­fen voll­kom­men un­denk­bar sei. Dies war und ist ein Feh­ler.

Die Ta­bui­sie­rung ei­ner mi­li­tä­ri­schen In­ter­ven­ti­on hat die di­plo­ma­ti­schen Be­mü­hun­gen zur Lö­sung der Kri­se un­ter­gra­ben, in­dem As­sad si­gna­li­siert wur­de, dass sei­ne Ver­bre­chen an der ei­ge­nen Be­völ­ke­rung kei­ne Kon­se­quen­zen ha­ben wer­den. Der Wes­ten hat sich auf die­se Wei­se ei­nes wich­ti­gen Druck­mit­tels be­raubt. Da­mas­kus wur­de es so un­nö­tig leicht ge­macht, die Ver­mitt­lungs­be­mü­hun­gen der Ver­ein­ten Na­tio­nen zu igno­rie­ren. Oh­ne ein glaub­haf­tes Es­ka­la­ti­ons­sze­na­rio wa­ren die Frie­dens­in­itia­ti­ven der in­ter­na­tio­na­len Ge­mein­schaft ein hoff­nungs­lo­ses Un­ter­fan­gen. Der Bür­ger­krieg in Sy­ri­en ist in­zwi­schen wei­ter denn je von ei­ner Lö­sung ent­fernt und hat sich so­gar mas­siv ra­di­ka­li­siert. Die bis­he­ri­ge Po­li­tik des Wes­tens ist ge­schei­tert. Es be­darf ei­nes neu­en An­sat­zes.

Al­le Op­tio­nen müs­sen auf den Tisch

Das Ziel ei­nes er­neu­ten An­laufs zur Lö­sung des Sy­ri­en-Kon­flikts muss ei­ne di­plo­ma­ti­sche Lö­sung sein, die das Mor­den mög­lichst schnell be­en­det und in ei­ne Re­gie­rung der na­tio­na­len Ein­heit oh­ne As­sad mün­det. Die Feh­ler die Ver­gan­gen­heit soll­ten hier­bei tun­lichst ver­mie­den und die Rol­le re­gio­na­ler Ak­teu­re an­er­kannt wer­den. Dem­entspre­chend wird man nicht um­hin kön­nen, den be­reits auf­sei­ten von Da­mas­kus in­vol­vier­ten Iran mit im Boot zu be­rück­sich­ti­gen.

Ein Zer­fall Sy­ri­ens in eth­no-re­li­giö­se Par­zel­len birgt das Ri­si­ko gro­ßan­ge­leg­ter eth­ni­scher Säu­be­run­gen und wei­te­rer Mas­sa­ker. Zu­dem könn­te ei­ne neue Se­zes­si­ons­dy­na­mik in den über­wie­gend kur­disch be­wohn­ten Ge­bie­ten aus­lö­sen und ei­nen Krieg mit der Tür­kei vom Zaun bre­chen. Al­len Volks­grup­pen muss des­we­gen ga­ran­tiert wer­den, dass sie in ei­nem neu­en Sy­ri­en ih­ren Platz ha­ben wer­den. Ins­be­son­de­re der bis­lang herr­schen­den ala­wi­ti­schen Min­der­heit soll­te klar­ge­macht wer­den, dass es für sie auch in ei­nem Sy­ri­en oh­ne As­sad ei­ne Zu­kunft gibt. In die­ser Fra­ge ist vor al­lem die sy­ri­sche Op­po­si­ti­on ge­fragt, ei­ne glaub­wür­di­ge Ver­tre­tung und Ein­be­zie­hung der Ala­wi­ten zu schaf­fen. Ei­ne von den Ver­ein­ten Na­tio­nen mit Ex­per­ti­se und Blau­hel­men un­ter­stütz­te Re­gie­rung na­tio­na­ler Ein­heit bie­tet die bes­te Grund­la­ge, al­le Par­tei­en in ei­nen fried­li­chen po­li­ti­schen Pro­zess zu in­te­grie­ren.

Die am we­nigs­ten schlech­te Al­ter­na­ti­ve

Da­mit ei­ne neue di­plo­ma­ti­sche In­itia­ti­ve Er­folg ha­ben kann, soll­te von vorn­her­ein auch ein mi­li­tä­ri­sches Es­ka­la­ti­ons­sze­na­rio auf­ge­baut wer­den. Sy­ri­en, Russ­land, Chi­na und Iran müs­sen ver­ste­hen, dass ei­ne fried­li­che Lö­sung die bes­te und letz­te Chan­ce ist, den Sy­ri­en-Kon­flikt un­ter Wah­rung der ei­ge­nen In­ter­es­sen zu be­en­den. Das Re­gime und sei­ne Un­ter­stüt­zer müs­sen über­zeugt wer­den, dass ein Schei­tern der Di­plo­ma­tie erns­te Kon­se­quen­zen ha­ben wird. Nur dann wer­den sie den not­wen­di­gen Wil­len für ei­nen Kom­pro­miss fin­den. Ein Deal könn­te so­gar frei­es Ge­leit für As­sad mit­ein­schlie­ßen, nicht je­doch ei­ne in­ter­na­tio­nal ga­ran­tier­te Am­nes­tie. Wenn ei­ne fried­li­che Lö­sung mög­lich ist, dann wä­re dies trotz al­ler Schwach­stel­len die bes­te Op­ti­on für Sy­ri­en.

Soll­te es letzt­lich kei­ne Chan­ce für ei­ne fried­li­che Lö­sung ge­ben, soll­te über ein schnel­les und ent­schie­de­nes Ein­grei­fen nach­ge­dacht wer­den. Der Wes­ten soll­te nicht den glei­chen Feh­ler wie in Bos­ni­en be­ge­hen, erst jah­re­lang zu zau­dern, um Tau­sen­de to­te Zi­vi­lis­ten spä­ter doch zu in­ter­ve­nie­ren. Klar ist: Ei­ne hu­ma­ni­tä­re In­ter­ven­ti­on wä­re kei­ne gu­te Op­ti­on; von al­len ver­füg­ba­ren Al­ter­na­ti­ven wä­re sie je­doch auch die am we­nigs­ten schlech­te Lö­sung.

Wenn al­le di­plo­ma­ti­schen Be­mü­hun­gen fehl­schla­gen, wä­re ein Ein­grei­fen das klei­ne­re Übel als ei­ne jah­re­lan­ge Fort­set­zung der Mas­sa­ker. Mi­li­tä­ri­sche Op­tio­nen wei­ter­hin zu ta­bui­sie­ren, ist des­we­gen nicht nur un­klug, son­dern auch un­ver­ant­wort­lich.

 

Die­ser Ar­ti­kel von Ro­bert Schüt­te er­schien on­line am 17.11.2012 im The Eu­ropean.
Robert Schütte auf Twitter folgen unter @robert_schuette

Im Osten nichts Neues? M23-Rebellen erobern die kongolesische Grenzstadt Goma

Eine neue humanitäre Katastrophe und Gewalt gegen die Zivilbevölkerung muss jetzt verhindert werden!

(von Christoph Vogel, Mercator Fellow)

Die Sicherheitslage in den Ostprovinzen der Demokratischen Republik Kongo verschlechtert sich weiter. In Nord- und Südkivu, wo insgesamt zwischen 20 und 30 verschiedene Milizgruppen ihr Unwesen treiben verlagern sich die Kräfteverhältnisse zugunsten der Bewegung des 23. März (M23), einer nichtstaatlichen bewaffneten Gruppe, die sich aus Deserteuren der Regierungsarmee FARDC zusammensetzt. Jene waren seit April in verschiedenen Schüben aus der Armee geflohen und konnten in verschiedenen Gebieten nördlich von Goma schnelle Gebietsgewinne erzielen (Interview Christoph Vogel vom 19.7.2012 für Genocide Alert). Nach einer längeren Feuerpause zwischen M23 und FARDC, unter anderem aufgrund diverser diplomatischer Bemühungen regionaler und internationaler Vermittlungsakteure, wie UN, AU, und ICGLR, brachen um den 15. November neuerliche Gefechte aus.

Der Fall Gomas

Gegen die marode kongolesische Armee, selbst Verursacherin eines großen Teils der Kriegsverbrechen in der Region, konnten die besser trainierten und ausgerüsteten Kombattanten des M23 rapide Zugewinne verbuchen. Die Kampfhandlungen kulminierten am 20. November im direkten Angriff auf die Provinzhauptstadt Goma, die innerhalb weniger Stunden in die Hände der Aufständischen fiel. Weder FARDC noch die UN-Truppen der MONUSCO leisteten nennenswerten Widerstand – was eine unmittelbare humanitäre Tragödie vorerst verhinderte, da es nicht zum Häuserkampf auf Goma kam. Zahlreiche mediale und zivilgesellschaftliche Quellen aus der Stadt berichten dennoch von Plünderungen (durch fliehende FARDC-Soldaten) sowie willkürliche Exekutionen (durch M23-Soldaten). Im Anschluss an die Machtübernahme in Goma kündigte M23 an, alle verbliebenen Staatsangestellten (Polizei, Militär, Verwaltung) schnellstmöglich in seine eigene Verwaltungsstruktur einzugliedern und erneuerte die Forderung nach Verhandlungen mit der kongolesischen Regierung unter Präsident Kabila, dessen Legitimität nach den verkorksten Wahlen vor einem Jahr stark beschädigt ist. Bislang verweigert sich die Regierung Kabila jeglichen direkten Verhandlungen mit M23, unter Bezugnahme auf Indizien, die eine substantielle Unterstützung der Meuterer durch Ruanda und neuerdings auch Uganda unterstellen.

Die Kivuprovinzen bleiben Brandherd

Sources: Protection Cluster South Kivu; MONUSCO; Oxfam GB.Nach der Eroberung Gomas bleibt die Lage in Bezug auf Sicherheit und Versorgung in beiden Kivuprovinzen prekär. Sollte sich die kongolesische Regierung weiterhin sperren, Verhandlungen mit M23 einzugehen, so drohen diese, auch die Provinzhauptstadt des Südkivu, Bukavu, einzunehmen. Ein gesteigertes militärisches Potential (von anfangs ca. 400 auf nunmehr etwa 2000 straff organisierte und gut ausgerüstete Soldaten) lassen diese Ankündigung realistisch erscheinen. Ginge die Regierung auf das Verhandlungsangebot ein, wäre eine friedvolle Lösung möglich, doch diverse Hindernisse lassen diese Option unwahrscheinlich werden: Einerseits ist es nach der Eskalation der vergangenen Monate kaum mehr denkbar, dass sanktionierte Individuen wie Sultani Makenga, Baudouin Ngaruye oder Innocent Kaina (die militärischen Anführer von M23) in die Regierungsarmee zurückintegriert oder amnestiert werden. Andererseits würde ein Kuhhandel zwischen Regierung und M23, die beide in Großteilen der Kivuprovinzen als illegitime Kräfte betrachtet werden, eine Gewaltspirale auslösen, da Gruppierungen wie Nyatura, FDLR, APCLS, die verschiedenen Raia Mutomboki und diverse andere Mayi Mayi Milizen jenes kaum akzeptieren würden. Eine Graphik zeigt eine ungefähre Verteilung der wichtigsten bewaffneten Gruppen der Region und illustriert die zuvor geschilderte Gefahr.

Die Rolle regionaler und internationaler Akteure

Seit dem Zwischenbericht der UN-Expertengruppe zur Demokratischen Republik Kongo sieht sich das Nachbarland Ruanda wachsenden Vermutungen ausgesetzt, M23 materiell und personell zu unterstützen. Der aktuell dem UN-Sicherheitsrat vorliegende Endbericht (eine Kopie liegt dem Autor vor) untermauert diese Vorwürfe und betont zudem die Rolle Ugandas in diesem Konflikt. Beide Nachbarn des Kongo schauen auf eine bewegte Geschichte verschiedener direkter Interventionen sowie impliziter Unterstützung kongolesischer Rebellen in den vergangenen 20 Jahren zurück, leugnen allerdings jegliche Beteiligung an M23. Die bislang vorgetragenen Indizien lassen nur schwerlich Beweise führen, ein gewisser Einfluss Ugandas, vor allem aber Ruandas scheint jedoch außer Frage. Beide Staaten sind, wie der Kongo, Mitglieder der Internationalen Konferenz der Region der Großen Seen (ICGLR), die als vermittelndes Organ von UN und AU interveniert. Bis zum heutigen Tage, an dem ein weiteres Mal Staats- und Regierungschefs der ICGLR in Kampala tagen, hat die Regionalorganisation außer einem erweiterten gemeinsamen Verifikationsmechanismus zur Granzüberwachung (EJVM) wenig erreicht. Die Entsendung einer multinationalen, neutralen Friedenstruppe, die zusätzlich zur MONUSCO die Region stabilisieren und die Zivilbevölkerung schützen soll, liegt in weiter Ferne, da die Modalitäten in Bezug auf finanzielle und personelle Aspekte unklar bleiben. Darüber hinaus sehen Beobachter die Erfolgschancen einer solchen Intervention skeptisch, da dies zunächst eine weitere Militarisierung der kriegsgeplagten Kivuprovinzen in der Person von Soldaten, deren Verhalten nicht abzusehen ist, bedeutete. Derzeit tagt ebenfalls der UN-Sicherheitsrat zum Thema und es gibt Überlegungen, das Mandat der MONUSCO der seit dem 20. November veränderte Lage anzupassen. Ein Quantensprung ist aus New York jedoch angesichts multipler Interessen, der Präsenz Ruandas im Sicherheitsrat (bis 1. Januar 2013 zwar noch ohne Stimmrecht im Rahmen der Einführung der fünf neuen nichtständigen Mitglieder) sowie der nicht abzusehenden Bereitschaft der truppenstellenden Staaten kaum zu erwarten.

Was nun zu tun ist

Trotz dieser alles andere als vielversprechenden Gemengelage, müssen die nationalen, regionalen und internationalen Akteure weiter zu verstärktem konstruktiven Engagement aufgefordert werden. Die Lösung der humanitären Krise im Kongo hängt nach wie vor von der Beendigung der bewaffneten Konflikte und der damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen ab. Hierzu sind folgende Maßnahmen unerlässlich:

1. Die Demokratische Republik Kongo

– muss ihre staatliche Schutzverantwortung gegenüber all ihrer Zivilbevölkerung wahrnehmen und jegliche Menschenrechtsverletzungen ihrer Sicherheitskräfte umgehend unterbinden.

– muss alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

– soll sämtliche politischen und diplomatischen Bemühungen ausschöpfen, um mit M23, ihren Nachbarstaaten sowie allen bewaffneten Gruppen auf ihrem Territorium zielführende Verhandlungen einzugehen.

2. Die Bewegung des 23. März (M23)

– muss alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

– soll mit sofortiger Wirkung ihre militärischen Aktivitäten einstellen und eine friedliche Beilegung des Konflikts mit der Demokratischen Republik Kongo anstreben

– soll jegliche Aktivität, die politische und territoriale Souveränität der Demokratischen Republik Kongo verletzt, einstellen.

3. Die anderen nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen

– müssen alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

– sollen mit sofortiger Wirkung den Dialog mit der Demokratischen Republik Kongo zum Zwecke einer friedlichen Beilegung des Konflikts suchen

– sollen die Allianzbildung mit anderen Gruppen, inklusive M23, sowie kriminellen Elementen der FARDC einstellen, ebenso wie alle anderen Kampfhandlungen.

4. Die Republiken von Ruanda und Uganda

– müssen alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

– sollen mir sofortiger Wirkung jegliche Unterstützung von M23 sowie anderer nichtstaatlicher bewaffneter Akteure einstellen und dies glaubhaft machen.

– sollen sämtliche politischen und diplomatischen Bemühungen ausschöpfen, um den Dialog der Demokratischen Republik Kongo mit M23 und anderen bewaffneten Gruppen auf kongolesischem Territorium zu unterstützen.

5. Die ICGLR und die AU

– müssen alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

– soll im Rahmen der bestehenden Verhandlungsrunden zwischen ihren Mitgliedsstaaten, insbesondere der Demokratischen Republik Kongo, Ruanda und Uganda einen ehrlichen, offenen und zielführenden Dialog fördern.

– soll vor allen anderen Lösungsmöglichkeiten für eine friedvolle Beilegung des Konflikts in Einklang mit völker- und menschenrechtlicher Gesetzgebung eintreten.

6. Die Vereinten Nationen, insbesondere deren Sicherheitsrat

– müssen alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

– soll im Rahmen der bestehenden Friedensmission MONUSCO alle non-eskalativen Maßnahmen ausschöpfen, um die bereits jetzt horrenden humanitären Konsequenzen des Konflikts einzudämmen.

– soll vor allen anderen Lösungsmöglichkeiten für eine friedvolle Beilegung des Konflikts in Einklang mit völker- und menschenrechtlicher Gesetzgebung eintreten.

7. Die bilateralen und internationalen Partner, hier insbesondere Deutschland,

– müssen alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

–  sollen in ihrer Rolle als Mitglieder der Vereinten Nationen und deren Sicherheitsrat auf ein unmittelbares Ende aller Kampfhandlungen in der Demokratischen Republik Kongo drängen.

–  sollen ihren Einfluss im Rahmen internationaler Zusammenarbeit dazu nutzen, alle Konfliktparteien mit politischen Mitteln dazu aufzufordern, ihre Aktivitäten einzustellen.

Christoph Vogel , Mercator Fellow 

(Dieser Artikel spiegelt die persönliche Ansicht des Autors wider.)