Petra Becker, Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika an der Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin

Wie weiter in Syrien, Frau Becker?

Flugverbotszone in Betracht ziehen, grenzüberschreitende humanitäre Hilfe, Unterstützung für Polizei- und Sicherheitskräfte in den Rebellengebieten – Im Interview mit Genocide Alert geht Petra Becker, Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, auf Möglichkeiten ein wie die prekäre Lage in Syrien entschärft und den Menschen geholfen werden kann. Weiterlesen

Simon Adams, Executive Director des Global Centre for the Responsibility to Protect in New York

Wie weiter in Syrien, Mr. Adams?

Diplomatischen Druck über Sanktionen und ein Waffenembargo aufbauen, alle Seiten an einen Tisch zwingen, Überweisung des Falls an den Internationalen Strafgerichtshof und Ausbau der dringend benötigten grenzüberschreitenden humanitären Hilfe – Simon Adams, Executive Director des Global Centre for the Responsibility to Protect in New York schildert im Interview mit Genocide Alert notwendige Maßnahmen die in und für Syrien ergriffen werden sollten. Weiterlesen

Dr. Bente Scheller, der Direktorin des Middle East Office Beirut der Heinrich-Böll-Stiftung

Wie weiter in Syrien, Frau Scheller?

Den Einsatz von Fassbomben beenden und die syrische Luftwaffe am Boden halten, humanitäre Hilfe aufstocken und langfristige Unterstützung für die aufnehmenden Länder sicherstellen, politischen Aktivisten sowie Flüchtlingen ohne Papiere bei der Ausreise helfen – Im Interview von Genocide Alert schildert Dr. Bente Scheller, der Direktorin des Middle East Office der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut, wie Zivilisten in Syrien geschützt werden können.

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Wie weiter in Syrien, Frau Böhm?

Förderung lokaler Waffenstillstandsabkommen und Dialogforen, Bereitstellung grenzüberschreitender humanitärer Hilfe, zur Not gegen den Willen der Regierungen in Damaskus und Moskau, Stabilisierungsmaßnahmen für die Nachbarländer und Aufnahme von Flüchtlingen durch westliche Länder – Andrea Böhm, die Büroleiterin Naher und Mittlerer Osten der Wochenzeitung DIE ZEIT, schildert im Interview gegenüber Genocide Alert Handlungsmöglichkeiten angesichts der humanitären Katastrophe in Syrien.

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Erfolgsbedingungen des Einsatzes in der Zentralafrikanischen Republik

Nach der Autorisierung eines Einsatzes von 6.000 afrikanischen und 1.600 französischen Soldaten in der Zentralafrikanischen Republik durch die UN im Dezember, erwägt nun auch die EU, eigene Truppen zu entsenden. Sie könnte somit doch noch einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung schwerer Menschenrechtsverbrechen in der Zentralafrikanischen Republik leisten. Erforderlich sind dringend benötigte humanitäre Hilfsmaßnahmen wie auch weitere finanzielle und logistische Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union. Wie ein Blick auf die Hintergründe des Konfliktes zeigt, handelt es sich bei dessen jüngster Eskalation um eine Folge langjähriger Regierungsprobleme und chronischer Instabilität. Ungeachtet des Rücktritts von Präsident Djotodia aufgrund des Drucks seitens der Nachbarstaaten, wird ein längeres Engagement der internationalen Gemeinschaft erforderlich sein, um zukünftige Gräueltaten zu verhindern.

Seit der ehemalige Präsident François Bozizé am 15. März 2013 durch die mehrheitlich muslimischen Séléka-Rebellen unter Michel Djotodia gestürzt wurde, befindet sich die Zentralafrikanische Republik in einer dramatischen Gewaltspirale. Angesichts des Zusammenbruchs staatlicher Institutionen, teils anarchischer Zustände und zahlreicher Menschenrechtsverbrechen diverser Milizen steht das knapp 4,6 Millionen Einwohner zählende Land vor einer humanitären Katastrophe. Die Gewalt forderte bereits mehrere hunderte Tote. Fast zwanzig Jahre nach dem Völkermord in Ruanda bestand in Folge zunehmend interreligiöser Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik die unmittelbare Gefahr, dass eine Krise anhaltender Gewalt zu einem Völkermord eskaliert. Allein im Dezember starben trotz internationaler Truppenpräsenz über 1.000 Zentralafrikaner.

Sicherheitsratsresolution 2127

Die UN-Sicherheitsratsresolution 2127 am 5. Dezember 2013 sowie vorherige Debatten innerhalb der UN zu Zentralafrika zeigen die Sensibilität der internationalen Gemeinschaft seit dem Genozid in Ruanda. Die Resolution autorisiert ein Eingreifen französischer und afrikanischer Truppen und demonstriert die Bereitschaft, in Reaktion auf schwere Menschenrechtsverbrechen und der Gefahr eines Völkermordes in Zentralafrika, der Schutzverantwortung nachzukommen. Ziel ist es, eine weitere Eskalation zu verhindern und Menschenleben zu retten. Die Resolution ist aber auch Ausdruck des Versagens der regionalen „Economic Community of Central African States“ (ECCAS) und der langen, chronischen Instabilität in der Mitte Afrikas. Sowohl die zentralafrikanische Regierung unter dem neuen Präsidenten und ehemaligen Séléka-Führer Michel Djotodia, als auch ECCAS und die Afrikanische Union haben am 25. November 2013 vor dem UN-Sicherheitsrat um Unterstützung gebeten. Zuvor hatte der französische Präsident Hollande trotz der Präsenz von 250 französischen Soldaten am Flughafen der Hauptstadt Bangui ein Eingreifen ohne UN-Mandat abgelehnt.

Die UN-Resolution beschließt die Aufstockung der schon länger im Land stationierten „Mission for the consolidation of peace in Central African Republic“ (MICOPAX) der ECCAS. Dafür wurde ein bereits beschlossener Übergang von MICOPAX in eine „International Support Mission in the Central African Republic“ (MISCA) der Afrikanischen Union sowie die Stationierung von 1.600, schnell in Kampfhandlungen verwickelte, französischen Soldaten autorisiert. Zusätzlich verhängte der UN-Sicherheitsrat ein Waffenembargo. Schon MICOPAX fehlte es zur akuten Verhinderung von Gräueltaten an Truppenstärke sowie an logistischer und finanzieller Unterstützung. Das gilt auch für MISCA, die über 2.500 Soldaten verfügte und deren Zahl soll auf bis zu 6.000 steigen soll. Ein Blick auf die Hintergründe des Konflikts zeigt, dass MISCA wie zuvor MICOPAX an einer langfristigen Befriedung der zentralafrikanischen Republik scheitern wird, wenn die Ursachen der chronischen Instabilität des Landes nicht angegangen werden.

Hintergrund des Konfliktes: Chronische Instabilität

Die Zentralafrikanische Republik ist nicht erst seit März 2013 oder Dezember 2012 ein Ort von Instabilität. Seit dem Ende der französischen Kolonialherrschaft 1960 sind dafür vor allem die zahlreichen Putsche kennzeichnend – teils unrühmlich mitgetragen durch die ehemalige Kolonialmacht Frankreich. Auch der im März 2013 durch die Séléka gestürzte François Bozizé erlangte das Präsidentenamt im März 2003 durch einen Staatsstreich.

Bozizé wurde seitdem zweimal durch Wahlen bestätigt. Effektive staatliche Kontrolle über das gesamte Staatsgebiet erlangte er jedoch nie. Die Zentralafrikanische Republik wurde schon zuvor weitgehend von lokalen Rivalitäten um Diamanten und Gold sowie regionalen Konflikten dominiert. Wie die International Crisis Group bereits 2010 berichtete, sicherte sich Bozizé die Kontrolle über den Diamantensektor, um die eigene ethnische Gruppe zu bereichern, während die Bevölkerungsmehrheit unter großer Armut litt. Ein parasitärer Staat, Armut, Korruption und größtenteils nichtverfolgte Kriminalität erleichterten bewaffneten, kriminellen Gruppen und Rebellen das Anwerben neuer Rekruten zur Eroberung von Diamantengebieten erheblich. Derartige Einkommensquellen boten und bieten einen großen Anreiz für Rebellen und Kriminelle, sich nicht entwaffnen zu lassen.

Zur Destabilisierung trugen zudem Konflikte in den Nachbarstaaten bei. Der vom Tschad, Sudan, Südsudan, der Demokratischen Republik Kongo, der Republik Kongo und Kamerun umschlossene Binnenstaat wurde vor allem im Norden und im Osten immer wieder als Rückzugsgebiet für Kämpfer in den innerstaatlichen Konflikten der Nachbarstaaten genutzt. Dazu zählt etwa der Darfurkonflikt, aber auch die Zeit vor der Staatengründung des Südsudans. Ethnische Spannungen verursacht zudem der Rückzug der Lord’s Resistance Army (LRA) um Joseph Kony in den Nord-Osten der Zentralafrikanischen Republik. Dass die Zentralafrikanische Republik selbst in drei Flüchtlingslagern etwa 12.000 Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten beherbergt, während nun 64.000 Zentralafrikaner wiederum als Flüchtlinge in den Nachbarstaaten registriert sind, verdeutlicht die wechselseitige Instabilität der gesamten Region.

Der Bürgerkrieg

Notorische Governance-Probleme, eine traurige Bilanz an Menschenrechtsverletzungen und eine Marginalisierung der muslimischen Minderheit in der Zentralafrikanischen Republik resultierten bereits in mehrere Rebellionen unter François Bozizé. Die Séléka, ein Zusammenschluss zweier Rebellengruppen aus dem Nordosten der Republik, warfen Präsident Bozizé im Dezember 2012 die Verletzung eines Friedensabkommens von 2007 vor. Die hauptsächlich muslimischen Rebellen, die sich auch aus Kämpfern aus dem Tschad und dem Sudan und zu etwa 10% aus Anhängern anderer Religionen zusammensetzen, eroberten große Teile des Landes, bevor sie im Januar 2013 unter Vermittlung der Regionalorganisation ECCAS einem Waffenstillstandsabkommen zustimmten.

Eine nationale Einheitsregierung aus Bozizé, Opposition und Rebellenführern sollte unter Aufsicht von Friedenstruppen der MICOPAX die Region stabilisieren und über eine Road-Map im Februar 2016 zu Neuwahlen führen. Laut einer Analyse der International Crisis Group scheiterte dieser Transitionsprozess letztlich am Widerstand Bozizés, die Macht tatsächlich zu teilen.

Die Einnahme des Präsidentenpalastes durch Séléka-Rebellen am 24. März 2013 markierte somit nicht nur die Niederlage Bozizés sondern auch der MICOPAX vor Ort. Die Mission scheiterte aufgrund mangelnder Truppenstärke, logistischer Unterstützung, politischem Willen sowie Meinungsverschiedenheiten mit Südafrika, das auf Einladung Bozizés ebenfalls mit Truppen im Land präsent war. Im Gegensatz zu MICOPAX wurden diese in ein Gefecht mit den Séléka verwickelt, in dessen Folge sie sich aus Zentralafrika zurückzogen. Aufgrund der logistischen Probleme sah sich MICOPAX auch nach dem Putsch nicht in der Lage, Gräueltaten effektiv Einhalt zu gebieten und eine staatliche Ordnung wiederherzustellen – obgleich manche Truppen lokal maßgeblich zur Sicherung von Zivilisten beitrugen. Der im Ausland befindliche Ex-Präsident droht seitdem mit der Rückeroberung des Landes.

Zusammenbruch staatlicher Institutionen

Der selbsternannte und mittlerweile, am 10. Januar 2014  zurückgetretene Präsident und ehemalige Séléka-Führer Michel Djotodia war unterdessen nicht in der Lage, der Gewalt Einhalt zu bieten. Seitdem Djotodia angesichts der anarchischen Zustände die Séléka im September 2013 formell für aufgelöst erklärte, kommt es davon unbeeindruckt weiterhin zu intensiven Auseinandersetzungen zwischen Ex-Séléka, Unterstützern des ins Ausland geflüchteten ehemaligen Präsidenten Bozizé, diversen „Selbstverteidigungsgruppen“ wie der christlichen Anti-Balaka („Anti-Machete“ in Sango) und der ethnischen Gruppe der Gbaya. Staatliche Institutionen sind unterdessen zusammengebrochen, zivile Mitarbeiter geflohen und grundlegende staatliche Aufgaben zum Stillstand gekommen. Vor diesem Hintergrund bezeichnete Thierry Vircoulon, Projekt-Direktor der International Crisis Group für Zentralafrika, die Entwicklung als „coup de trop – the final push“ für die seit langem von Konflikten und humanitären Notstand gezeichnete Zentralafrikanische Republik.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Wie Human Rights Watch in einem ausführlichen Bericht über „die vergessene Krise“ festhielt, wurden allein zwischen März und Juni über 1.000 Hütten verbrannt. Vor allem die Séléka, aber auch Anti-Balaka, andere Milizen und Regierungstruppen, verübten zahlreiche Menschenrechtsverbrechen. Im Laufe des Konflikts dokumentierten UN-Mitarbeiter und Menschenrechtsorganisationen landesweit zahlreiche Massaker, gezielte Tötungen, willkürliche Festnahmen, den Einsatz von Folter, Vergewaltigungen und Banditentum. Etwa ein Jahr nach Beginn der Rebellion im Dezember 2012 befinden sich nach Daten der UN-Stelle für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten OCHA derzeit über 935.00 Zentralafrikaner auf der Flucht. Allein 512.000 von ihnen befinden sich in der Hauptstadt Bangui, 100.000 auf dem von französischen Truppen gesicherten Flughafen. Vor Ort tätige UNICEF-Mitarbeiter schätzen die Zahl der Kindersoldaten innerhalb der Milizen auf etwa 6.000, deren Rekrutierung nach dem Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) ein Kriegsverbrechen darstellt.

Zusätzlich zu den Kampfhandlungen und Plünderungen steht das Land vor einer humanitären Katastrophe. Eine gemeinsame Studie der UN, diversen NGOs und der zentralafrikanischen Regierung zeigte bereits im März 2013, dass über eine Million der 4,6 Millionen Bürger Zentralafrikas vor der Gefahr einer Hungersnot stehen. Großen Teilen der verängstigten Bevölkerung bleibt nur die Wahl, entweder im Busch zu leben und dort zu hungern oder in urbane Gebiete zu fliehen, in denen sie oft weiteren Menschenrechtsverstößen ausgesetzt sind. Eine Situation, die sich angesichts der Plünderungen, schwacher Ernte und des Zusammenbruchs der Wirtschaft verschlimmern wird. Housainou Taal, Beauftragter des Welternährungsprogramms der UN für die Zentralafrikanische Republik, forderte im August 2013 unmittelbares humanitäres Engagement sowie die Respektierung von Zivilisten und sicheren Zugang für humanitäre Hilfe. Zuvor waren u.a. Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen und Caritas angegriffen worden. Die Verteilung dringend benötigter Nahrungsmittel sowie medizinische Hilfe gestaltet sich aufgrund der anhaltenden Gewalt und trotz der stationierten Soldaten selbst in der Hauptstadt und am Flughafen weiterhin als schwierig. Viele Teile des Landes sind unerreichbar. Gezielte Angriffe auf die internationalen Truppen haben zuletzt zugenommen und auch Gräueltaten gegenüber der Zivilbevölkerung sind nicht abgebrochen.

Handlungsoptionen

Angesichts der anarchischen Zustände ist es zunächst die Hauptaufgabe im Sinne der Schutzverantwortung die öffentliche Ordnung wieder herzustellen und den unmittelbaren Schutz von besonders gefährdeten Zivilisten in Bangui, Bossangoa und im Nordwesten des Landes zu gewährleisten. Dringend ist die vollständige Aufstockung der MISCA auf die geplanten 6.000. Hierfür stellen die USA Transportflugzeuge in Burundi und bisher 40 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Die EU beteiligt sich mit 50 Millionen US-Dollar. Zum Vergleich: Die UN-Mission im Südsudan mit etwa 7.600 Soldaten und 2.200 zivilen Mitarbeitern verfügt über ein Budget von 924 Millionen US-Dollar für 2013/14. Weitere logistische und finanzielle Unterstützung ist für einen Erfolg der schlecht ausgerüsteten MISCA in oft schwer zugänglichen Gebieten für einen unmittelbaren Erfolg essenziell.

Zur Stabilisierung ist die Errichtung sicherer Korridore für dringend benötigte humanitäre Hilfsmaßnahmen ein weiterer wichtiger Schritt. Wie Ärzte ohne Grenzen in einem offenen Brief am 12. Dezember 2013 deutlich machten, kommt es seitens der UN und ihrer Mitarbeiter vor Ort zu gravierenden Mängeln. Die humanitäre Hilfe seitens der UN vor Ort muss daher erheblich intensiviert werden. Der ausgearbeitete „Strategic Response Plan 2014“ ist unterdessen mit nur 11 der veranschlagten 247 Millionen US-Dollar massiv unterfinanziert. In Reaktion auf die jüngsten massiven Verschlechterungen der Situation und angesichts über 1,2 Millionen Hilfsbedürftiger, werden laut OCHA zudem 152,2 Millionen US-Dollar zur Soforthilfe benötigt.

Zur Verhinderung weiterer Gräueltaten zwischen Christen und Muslimen, die als Produkt und nicht als Grund der Rebellion anzusehen sind, sollte die UN Stabilisationsmaßnahmen, wie interreligiösen Dialog und dringend benötigte Wiederaufbauhilfe in betroffenen Gebieten einleiten. Zur Befriedung gehört auch ein Entwaffnungs-, Demobilisierungs- und Reintegrationsprogramm für Ex-Séléka, Anti-Balaka-Milizen und Anhängern Bozizés.

Bei aller Dringlichkeit zur sofortigen Hilfe muss klar sein, dass die Wiederherstellung der Ordnung im Staatsgebiet in jedem Fall eine langfristige Aufgabe darstellen wird. Hierfür ist angesichts der Landmasse bei Nicht-Kooperation der Milizen ein Ausbau der Truppenkontingente erforderlich. Die geplanten Soldaten werden bei anhaltender Gewalt landesweit nicht ausreichen. Die Afrikanische Union bei dieser Aufgabe zu unterstützen kommt dem Anspruch der AU nach, etwa wie in Somalia selbst zu einer Stabilisierung beizutragen. Wie in der Sicherheitsratsresolution 2127 festgehalten, sollte die Entwicklung im Land weiterhin genau beobachtet werden und eine mögliche Umwandlung der MISCA in eine UN-Mission im Auge behalten werden. Hierfür könnte laut Resolution Personal aus den UN-Missionen in den Nachbarstaaten bereit gehalten werden. Dieses scheint aktuell aber mit der Krise im Südsudan überlastet.

Truppen der Europäischen Union könnten bei diesen Aufgaben die französischen und Afrikanischen Soldaten entlasten. Die diskutierten 800 bis 1.200 Soldaten würden neben dem Schutz von Zivilisten auch durch Aufklärung, medizinische Unterstützung und Transporthubschrauber einen Beitrag zur Stabilisierung der Hauptstadt und zur Erleichterung der Arbeit von Hilfsorganisationen leisten können.

Das in der Resolution beschlossene Waffenembargo sollte aufrechterhalten werden, bis eine stabile politische Ordnung wieder hergestellt und eine politische Lösung gefunden ist. Zusätzlich zum Waffenembargo können gezielte Sanktionen gegen Personen verhängt werden, die sich an Gräueltaten beteiligen und Verhandlungen boykottieren. Wie jüngst in einem Policy Paper von Genocide Alert ausgearbeitet, können mit gezielten Sanktionen effektiv Gräueltaten verhindert werden, wenn sie als Teil einer Gesamtstrategie von anderen politischen Maßnahmen begleitet werden.

Die Zentralafrikanische Republik ist Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs. Verantwortliche für Menschenrechtsverbrechen und Gruppierungen, die Kindersoldaten einsetzen, sollten angeklagt werden. Die UN und die Übergangsregierung könnten hierfür ein Team zur Untersuchung begangener Straftaten ins Land entsenden und unterstützen. Ein Fokus der Truppen vor Ort sollte außerdem die Unterstützung und Absicherung des „UN Integrated Peacebuilding Office in the Central African Republic“ (BINUCA) sein, der vor dem Putsch bereits das Mandat hatte, die Einhaltung von Menschenrechten zu überwachen und bei der politischen Transition zu assistieren.

Letztlich zeigt der Blick auf den Hintergrund der Gewalthandlungen, dass es sich im Kern weder um einen religiösen, noch um einen aus dem Tschad und Sudan in die Zentralafrikanische Republik hereingetragenen Konflikt handelt. Um der Gefahr weiterer zukünftiger Gräueltaten zu begegnen, ist es essenziell, einen umfassenden und alle Akteure einschließenden politischen Diskurs zu erreichen und langfristig die Regierungsprobleme und die chronische Instabilität der Republik zu adressieren. Hierfür kann an der Arbeit des BINUCA angeknüpft werden. Der Plünderung der natürlichen Ressourcen und der weit verbreiteten Korruption muss entgegen gewirkt werden. Dies und eine Implementierung der Regulierungen des Kimberly Prozesses würde den Diamantensektor als potenzielle Einnahmequelle für Milizen und Kriminelle unattraktiver gestalten. Es müsste auch ein Modell gefunden werden, das Minderheiten aus den Randgebieten des Landes am politischen Prozess beteiligt. Stabilität in der Zentralafrikanischen Republik herzustellen und dauerhaft Gräueltaten zu verhindern, wird die geduldige und langwierige Unterstützung der internationalen Gemeinschaft erfordern.

Deutsche Soldaten für Südsudan: Außenansicht aus der Süddeutschen Zeitung

Dieser Artikel von der stellvertretenden Vorsitzenden von Genocide Alert, Sarah Brockmeier, erschien am 9. Januar 2014 in der Süddeutschen Zeitung. 

Neues Jahr, neue Bundesregierung. Alte Gleichgültigkeit. Im Südsudan sind Tausende Menschen in akuter Lebensgefahr. Die Deutschen schicken Lebensmittel und Medikamente und empfehlen eine friedliche Lösung. Damit, so finden sie, haben sie ihren Beitrag geleistet.

Seit Mitte Dezember herrscht im Südsudan, der sich 2011 vom Sudan abgespalten hat, Bürgerkrieg: Die Lager des Präsidenten Salva Kiir und des Rebellenführers und früheren Vize-Regierungschefs Riek Machar kämpfen um die politische Macht. Es ist ein Kampf entlang ethnischer Grenzen. Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, werden angegriffen und ermordet, allein weil sie der einen oder anderen Gruppe angehören. Die Vereinten Nationen zählen schon weit über tausend Todesopfer; ihren Schätzungen zufolge sind etwa 200 000 Menschen auf der Flucht. Mehr als 60 000 davon suchen seit Ende Dezember auf den Stützpunkten der 7000 Blauhelme und etwa tausend UN-Polizisten Zuflucht, die den Aufbau des neuen Staates absichern sollen.

Am 24. Dezember beschloss der UN-Sicherheitsrat einstimmig, 5500 zusätzliche Soldaten und Polizisten in den Südsudan zu schicken, um so viele Zivilisten wie möglich zu schützen. Doch woher sollen diese zusätzlichen Truppen kommen? Kurzfristig zog das UN-Sekretariat Einheiten aus dem Kongo ab, obwohl die Situation dort alles andere als stabil ist, und bittet Regierungen weltweit um Personal, Lufttransport- und Luftaufklärungsfähigkeiten.

Bangladesch schickt 1000 Soldaten in den Südsudan. Australien bot an, Truppen anderer Länder einzufliegen. Und Deutschland? Der Außenminister begrüßte den Beschluss des Sicherheitsrates mit den Worten: „Die internationale Gemeinschaft handelt.“ Deutschland, so Frank-Walter Steinmeier, engagiere sich mit humanitärer Hilfe und „entwicklungspolitisch“. Im Übrigen sei er froh, dass die Bundeswehr inzwischen die deutschen Staatsbürger ausgeflogen habe. Damit scheint die Debatte in Deutschland beendet.

Die Bundeswehr konnte innerhalb weniger Tage die deutschen Staatsbürger evakuieren. Sie hat die logistischen Fähigkeiten, UN-Truppen schnell dorthin zu verlegen, wo sie Menschenleben retten können. Deutschland ist bereits seit Jahren im Südsudan aktiv, an der UN-Friedenstruppe dort ist die Bundeswehr derzeit mit zwölf Stabsoffizieren beteiligt. Das Mandat für bis zu 50 Soldaten wurde im Bundestag erst Ende November, kurz vor Ausbruch der Kämpfe, mit 541 Ja-Stimmen verlängert. Die Offiziere halfen bislang bei der Koordinierung von Kranken- und Verletztentransporten oder der Lieferung von Trinkwasser. Diese Leistungen werden dringender gebraucht als je zuvor: Jeder zusätzliche Bundeswehrsoldat vor Ort wäre ein Gewinn. Die Bundesregierung müsste noch nicht einmal ein neues Mandat beschließen, sie könnte ihren Beitrag vervierfachen, indem sie das bestehende Mandat ausschöpft. Doch noch nicht einmal das scheint erwogen zu werden. Politik, Zivilgesellschaft und Medien schweigen dazu.

Dass die UN den Südsudan unterstützen, liegt sowohl im deutschen wie im europäischen Interesse. Der deutsche Staat hat seit 2009 mehr als 800 Millionen Euro im Sudan und Südsudan in Staatsaufbau und Stabilisierung investiert.

Deutschland hat ein starkes Eigeninteresse an Stabilität vor seiner Haustür: Der Südsudan ist näher als Afghanistan. Und es hat ein Interesse an sicherheitspolitischer Glaubwürdigkeit über Afghanistan hinaus. Ein umfangreicherer und wirksamerer Beitrag zu UN-Friedensmissionen würde Deutschland nicht nur bei den Vereinten Nationen, sondern auch in Fragen der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik mehr Gestaltungsmöglichkeiten verleihen. Partner wie Frankreich und Großbritannien wirksam zu kritisieren setzt voraus, dass man gleichzeitig auf eigene Beiträge und effektives Engagement verweisen kann.

Warum wird ein stärkeres Engagement in einer so akuten Krise nicht zumindest diskutiert? Drei Argumente, die nicht ausreichend hinterfragt werden, sind die Ursache, dass diese Debatte erst gar nicht beginnt.

Erstens: Deutschland tut doch schon so viel. Es schickt humanitäre Hilfe und engagiert sich politisch. Richtig ist: Der Konflikt zwischen Salva Kiir und Riek Machar muss politisch gelöst werden. Die internationale Gemeinschaft drängt die Parteien an den Verhandlungstisch. Doch üben sich beide in Verzögerungstaktik, das lässt nicht auf eine schnelle Lösung hoffen. Selbstverständlich brauchen die Südsudanesen humanitäre Hilfe, etwa Medikamente. Doch das hilft nicht gegen Mord und Vergewaltigung. Für viele, die heute um ihr Leben fürchten, bleibt nur der Schutz der Blauhelme.

Zweitens: Es ist nicht Deutschlands Aufgabe, das müssen die UN machen, oder die Europäische Union. Das stimmt, doch weder UN noch EU haben eigene Friedenstruppen – sie können nur das leisten, was die Mitgliedsstaaten beitragen. Der neuen Bundesregierung ist das bewusst, wie im Koalitionsvertrag zu lesen ist: „Zur Erfüllung ihrer friedenswahrenden Aufgaben benötigen die Vereinten Nationen eine angemessene Ausstattung für ihre Friedensmissionen, damit effektive multilaterale Friedenspolitik betrieben werden kann.“ Deutschland kann dabei relevante Beiträge leisten, es ist beispielsweise eines von sehr wenigen Ländern, die nennenswerte Lufttransportfähigkeiten anbieten könnten.

Drittens: Afrika ist weit weg, Deutschland muss die Afrikaner dazu befähigen, ihre Probleme endlich selbst zu lösen. Das ist richtig, doch „Ertüchtigung“ ist eine langfristige Strategie, sie wird für Tausende Zivilisten zu spät kommen. Tatsächlich spielen Kenia und Äthiopien bereits eine führende Rolle bei der Suche nach einer Verhandlungslösung, und afrikanische Länder stellen einen großen Teil der Truppen für die UN-Mission. Was fehlt, sind die Ressourcen, um die Menschen im Südsudan kurzfristig zu schützen.

Die Deutschen können sich entscheiden, es bei humanitärer Hilfe und ernsten Ermahnungen ihres Außenministers zu belassen. Dann müssen sie aber die Konsequenzen klar benennen, statt auf die UN, die EU oder die Afrikanische Union zu verweisen, als würden diese ihren Beitrag übernehmen. Viele Menschen, die auf schnellen Schutz angewiesen sind, werden diesen nicht bekommen. Die Bundesregierung, der Bundestag, die Zivilgesellschaft, jeder einzelne Wähler kann sich entscheiden, nicht mehr zu tun. Aber für die Menschenleben, die die Deutschen retten könnten, kann und wird kein anderer die Verantwortung übernehmen.

 

Resolution ohne Schutzwirkung: Warum die Zerstörung der syrischen Chemiewaffen nicht ausreicht

Als 190. Mitglied ist Syrien am 14. Oktober 2013 der Chemiewaffenkonvention beigetreten. Die Zerstörung der syrischen Chemiewaffen durch die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) wäre historisch. Von der UN-Resolution 2188 des 27. Septembers 2013 lässt sich das nicht behaupten. Die UN-Resolution und der Beitritt Syriens zur OPCW werden weder den Bürgerkrieg entscheidend beeinflussen, noch die Sterberate merkbar senken. Denn wie Kenneth Roth, Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, in seiner Reaktion auf die Verleihung des Friedensnobelpreises treffenderweise bei Twitter deutlich machte, sterben 98% der Syrer nicht durch chemische, sondern durch konventionelle Waffen.

Dessen ungeachtet wird mit der, durch die UN-Resolution 2188 beschlossenen, Vernichtung der Chemiewaffen eine gefährliche Komponente des Bürgerkrieges in Syrien entschärft. Das war vor Kurzem noch undenkbar. Angesichts der Interventionsvorbereitungen der USA kam es zur ersten bindenden Sicherheitsratsresolution seit zweieinhalb Jahren Bürgerkrieg. Es ist fraglich, ob dies ohne Androhung militärischer Gewalt geschehen wäre. In der UN-Resolution aber einen Durchbruch der UN-Diplomatie zu sehen, ist verfrüht. Zumindest hinsichtlich einer politischen Lösung des Konflikts und der Wahrnehmung der Schutzverantwortung, nach der Zivilisten vor schweren Menschenrechtsverletzungen zu schützen sind. Dazu zählen Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnische Säuberungen. Menschenrechtsverletzungen werden in Syrien vor allem mit konventionellen Waffen verübt. Wenn die UN-Resolution keine Ablenkung davon, sondern einen Schritt zur Lösung darstellen soll, gilt es, den Moment zu nutzen und Verhandlungen zu initiieren. Ansonsten hat dies mit einer Lösung des Konflikts und der gemeinsamen Wahrnehmung der Schutzverantwortung gegenüber dem syrischen Volk bisher wenig zu tun. Was genau bedeutet also die Arbeit der OPCW, als auch der Beitritt Syriens zur Chemiewaffenkonvention für den syrischen Bürgerkrieg?

Die UN-OPCW-Mission in Syrien

Bis zum 1. November 2013 sollen zunächst alle Produktions- und Anreicherungsstätten und bis Mitte 2014 das gesamte chemische Waffenarsenal abgerüstet werden. Die OPCW hat nach eigenen Angaben 5.000 Inspektionen in 86 Staaten abgeschlossen und etwa 58.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe vernichtet. Rund 100 ihrer Mitarbeiter sollen in Syrien die Abrüstung des Chemiewaffenarsenals überwachen. Ein viel zitierter französischer Geheimdienstbericht schätzte das Arsenal auf etwa 1.000 Tonnen VX und mehrere hundert Tonnen Sarin. Ihre Zerstörung wäre ein historisches Novum, sowohl bezüglich ihres Umfangs als auch ihrer Durchführung inmitten eines Bürgerkrieges. Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die OPCW ist konsequent, aber eher Versprechung als Belohnung für die Arbeit in Syrien. Der Generalsekretär der OPCW, Ahmet Üzümcü, erklärte auf einer Pressekonferenz zu Syrien, der Zeitplan sei eng, bei Kooperation aller Parteien aber erreichbar.

Ob tatsächlich alle Akteure im syrischen Bürgerkrieg an einer Vernichtung des gesamten Chemiewaffenarsenals interessiert sind, ist schon hinsichtlich Assad und mindestens dschihadistisch-salafistischer Terrororganisationen wie der ‚al-Nusra-Front‘ und der ‚Islamischer Staat im Irak und der Levante‘ (ISIS) fraglich. Dies bedeutet nicht, dass gezögert werden sollte. Im Gegenteil: Eine der Hauptsorgen der internationalen Gemeinschaft war das Szenario, dass derartige Terrororganisationen im syrischen Bürgerkrieg chemische Massenvernichtungswaffen erobern könnten. Es bedeutet aber, dass die gemeinsame Mission der OPCW und der UN logistisch abgesichert werden muss. Diese Aufgabe wird die UN übernehmen.

Syriens Beitritt zur Chemiewaffenkonvention

Die 1997 in Kraft getretene Chemiewaffenkonvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen ist mit dem Beitritt Syriens einen bedeutenden Schritt vorangekommen. Assad wird durch die Zusammenarbeit bei der Zerstörung seines Chemiewaffenarsenals zu einem Partner. Politisch schwächt dies die Opposition, deren Exilregierung der Nationalen Koalition von über 100 Staaten als die legitime Vertretung des syrischen Volkes anerkannt wurde. Diese Legitimitätsaufwertung Assads ist aber schlicht alternativlos, da Assad die Kontrolle über das Chemiewaffenarsenal besitzt.

Das Angebot zu ignorieren hätte dem Grundsatz der Schutzverantwortung widersprochen, demzufolge der Einsatz von Gewalt ein proportionales Mittel zum Erreichen des Zieles darstellen müssen. Auch hinsichtlich begrenzter Luftschläge zu Abschreckung weiterer Chemieangriffe war dies nicht unumstritten. Letztlich vernichtet worden wären die Bestände und deren Einsatzmöglichkeiten zudem nicht. Die Frage steht im Raum, ob die Androhung von Gewalt damit das erreicht hat, was zuvor nicht erreicht wurde: Eine friedliche Einigung und die Verabschiedung einer UN-Sicherheitsratsresolution. Der deutsche Außenminister Westerwelle kommentierte, der UN-Sicherheitsrat habe seine „jahrelange Lähmung überwunden und Handlungsfähigkeit im Umgang mit der Krise in Syrien gezeigt“, UN-Generalsekretär Ban Ki-moon sprach von einer „historischen“, der britische Außenminister Hague von einer „bahnbrechenden“ Resolution. Der amerikanische Außenminister Kerry sagte: „Wir haben zu unserer Verantwortung zurückgefunden, die Wehrlosen zu verteidigen“.

Die UN-Resolution kommt der Schutzverantwortung nicht nach

Doch die Verabschiedung der UN-Resolution täuscht. Der Stillstand der internationalen Gemeinschaft bezüglich des syrischen Bürgerkrieges wurde nicht durchbrochen. Denn zum einen kam sie nur zu Stande, da niemand ein ernsthaftes Interesse an einer erneuten Intervention im Nahen Osten hatte, selbst Obama nicht. Zum anderen zeigt eine Analyse der Resolution, dass für die Einigung nicht die Norm der Schutzverantwortung maßgeblich war, sondern vielmehr, dass kein UN-Sicherheitsratsmitglied ein Interesse an einer Schwächung der Chemiewaffenkonvention oder gar der Verbreitung von Chemiewaffen an Terroristen hat. Mit einer gemeinsamen Wahrnehmung der Schutzverantwortung gegenüber dem syrischen Volk hat dies nur indirekt zu tun. Mit einer Einigung auf eine gemeinsame Position bezüglich des syrischen Bürgerkrieges gar nichts.

Chemische Waffen haben in diesem Bürgerkrieg bisher keine entscheidende Rolle gespielt. Die Giftgaseinsätze waren zweifellos schrecklich. Dennoch wurden über 100.000 Menschen nicht durch chemische, sondern durch konventionelle Waffen getötet. Strategisch dürfte Assad der Verzicht also kaum treffen. Die überwältigende Mehrheit der Massaker wurde mit konventionellen Waffen verübt. Die Zerstörung der Chemiewaffen allein wird den jetzigen Stand des Bürgerkrieges insgesamt weder beeinflussen, noch zukünftige Massaker und Kriegsverbrechen verhindern. Sie wird jedoch einen drohenden künftigen Gebrauch solcher Waffen verhindern.

Die UN-Resolution bedeutet auch, dass eine Intervention zumindest so lange nicht wieder zur Debatte steht, wie sich die Mitarbeiter der OPCW in Syrien aufhalten. Wenn dies für Assad im Umkehrschluss aber nicht bedeuten soll, dass er bis zum Ende des Einsatzes Mitte 2014 den Krieg wie bisher mit konventionellen Mitteln und Kriegsverbrechen weiter fortführen kann, dann müssen die Sicherheitsratsmitglieder eine gemeinsame Position hinsichtlich des syrischen Bürgerkrieges und der Schutzverantwortung gegenüber dem syrischen Volk entwickeln. Dass dies bisher nicht geschehen und das Verhältnis der Sicherheitsratsmitglieder weiterhin von Misstrauen und Eigeninteressen geprägt ist, zeigt auch die Abschwächung der Resolution durch Russland, durch die Assad bei Nichtbefolgung keine automatischen Sanktionen drohen. Bezüglich einer politischen Lösung verweist zudem lediglich Artikel 16 auf das Genfer Kommuniqué, das bereits im Juni 2012 ausgearbeitet wurde und nie in Kraft getreten ist. Artikel 17 fordert daran anknüpfend eine neue Syrien-Konferenz in Genf einzuberufen. Zwar muss man sich hierfür noch auf die Teilnehmer geeinigt werden. Sollte dies aber gelingen, rückt zumindest die Chance auf eine politische Lösung näher. Für einen Erfolg von Genf II muss sich die internationale Gemeinschaft aber bis zum geplanten Termin Mitte November 2013 den veränderten Realitäten in Syrien und den Anforderungen der Schutzverantwortung stellen.

Die Schutzverantwortung ernst nehmen

Wenn weitere schwere Menschenrechtsverletzungen verhindert werden sollen, müssen Eigeninteressen der Sicherheitsratsmitglieder und auch ihr Misstrauen untereinander überwunden werden. Dazu gehört auch, sich mit der Zersplitterung und dem Extremismus weiter Teile der syrischen Opposition auseinander zu setzen, die sich zunehmend entlang von ethnisch-konfessionellen Konfliktlinien sowie Exil- und Lokalorganisationen aufspaltet. Die bisherige Praxis zwischen Parteilichkeit und Tatenlosigkeit führte dementgegen zu einer Radikalisierung, durch die in der Opposition gut vernetzte und finanziell sowie waffentechnisch hochgerüstete islamistische Verbände die Oberhand gewinnen. Terrorangriffe, Massaker und andere Menschenrechtsverbrechen derartiger Gruppen erfüllen inzwischen das Narrativ Assads, mit dem er die gesamte gemäßigte Opposition zu Beginn des Konfliktes diffamierte, als diese demokratische Reformen und ein Ende der Korruption forderte.

Zur Linderung der humanitären Tragödie sind zudem die sofortige Intensivierung humanitärer Hilfe sowie die Etablierung sicherer Hilfskorridore in Syrien dringend erforderlich. Zu den Hilfsbedürftigen innerhalb Syriens zählen inzwischen über 6,8 Millionen Syrer, darunter 4,25 Millionen Binnenflüchtlinge. Das Programm der UN zur Hilfe der Bevölkerung innerhalb Syriens (SHARP) ist mit veranschlagten 1,14 Milliarden US-Dollar bisher erst zu etwa 56% finanziert. Hinzu kommen über zwei Millionen Flüchtlinge, die vor allem von Syriens Nachbarstaaten Jordanien, dem Libanon, der Türkei, dem Irak und von Ägypten aufgenommen wurden. Dies zu ignorieren wäre nicht nur menschenrechtlich unverantwortlich, sondern würde auch die gesamte Region weiter destabilisieren. Hier gilt es, auch für Deutschland und die Europäische Union, der Verantwortung zur Aufnahme von Flüchtlingen intensiver nachzukommen und Aufnahmeprozesse zu erleichtern.

Letztlich gilt es zu verhindern, dass die zweite syrische Tragödie – neben dem Bürgerkrieg selbst – darin liegt, dass die internationale Gemeinschaft wieder dahin zurückfällt, bei schweren Menschenrechtsverletzungen tatenlos zuzusehen.

Jens Stappenbeck

Offener Brief an die UN Generalversammlung: Entwicklung und menschliche Sicherheit

Anlässlich des 68. Treffens der UN Generalversammlung wendet sich Genocide Alert zusammen mit weiteren NGOs in einem offenen Brief an die versammelten Staats- und Regierungschefs der Welt mit der Forderung, das Konzept der menschlichen Sicherheit als integralen Bestandteil der künftigen Entwicklungsagenda zu verankern.

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Politische Bekenntnisse ohne Folgen – Die deutsche Politik und die zögerliche Umsetzung der internationalen Schutzverantung.

Gregor Hofmann von der Hessischen Stiftung Friedens und Konfliktforschung geht in einem aktuellen HSFK-Standpunkt auf die deutsche Politik zur Schutzverantwortung ein. Er vertritt den Standpunkt, dass das Bekenntnis der Bundesregierung zur Schutzverantwortung bislang vor allem auf deklaratorischer Ebene bleibt, eine Strategie zu ihrer Umsetzung aber fehle. Und dies obwohl auf europäischer und internationaler Ebene immer mehr die Frage im Vordergrund stehe, wie die von der Schutzverantwortung adressierten Verbrechen effektiver verhindert werden können.

Deutschland habe aber eine historische Verantwortung in dieser Thematik international voranzuschreiten und verfüge zudem über genug Einfluss in der Welt, um die Agenda der Schutzverantwortung voranzubringen. Die in Deutschland bereits existierenden Instrumente der Konfliktprävention – der Aktionsplan zivile Krisenprävention, die Leitlinien der Bundesregierung zum Umgang mit fragilen Staaten sowie das Rahmenkonzept zur Unterstützung von Sicherheitssektorreformen – böten wertvolle Anknüpfpunkte. Diese Instrumente müssten, so Gregor Hofmann, weiter gestärkt und neu ausgerichtet werden. Denn auch wenn sich schwere Gräueltaten häufig in bewaffneten Konflikten ereigneten, so träten sie allzu oft auch außerhalb dieser auf.

Eine schnelle Reaktion erfordere dann spezifische Instrumente, welche nicht zwingend deckungsgleich mit Mitteln der Krisenprävention seien. Diese Instrumente müssten daraufhin analysiert werden, wie sie effektiv angewendet werden können, um auch tatsächlich Gräueltaten verhindern oder zügig darauf reagieren zu können. Gregor Hofmann ist neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit an der HSFK ehrenamtlich als Mitglied des Vorstandes bei Genocide Alert aktiv.

Hier der Link zu dem vollständigen Artikel.

The Responsibility to Protect and Germany’s 2013 Elections

Genocide Alert Policy Brief, September 2013

The Responsibility to Protect (RtoP) or ‚Schutzverantwortung‘ has made significant inroads in terms of cementing itself on the German domestic political scene. With the elections just ten days away, how do the major parties plan to deal with the principle? How does it figure, if at all, in their policy platforms? What can we expect from the major parties regarding their support for RtoP for 2013 and beyond? This policy brief provides answers to these questions for an English-speaking audience.

» Genocide Alert Policy Brief, September 2013