Genocide Alert Policy Brief 11/2013: Eine Agenda zur Umsetzung der Schutzverantwortung bis 2017
In der letzten Legislaturperiode hat die Umsetzung der Responsibility to Protect durch Deutschland erste Konturen angenommen. Der Fokus lag hierbei vor allem auf der Prävention von Gräueltaten im Rahmen der zivilen Krisenprävention. Dieses Engagement ist zu begrüßen und muss in der kommenden Legislaturperiode weiter ausgebaut werden. Der neue Bundestag sollte die Bundesregierung aktiv und impulsgebend durch eigene Initiativen und die Bereitstellung entsprechender Haushaltsmittel unterstützen. Das vorliegende Genocide Alert Policy Brief beschreibt die notwendigen Schritte zu einer Stärkung der Schutzverantwortung durch Deutschland.
Deutschland und die Schutzverantwortung
Deutschland ist ein starker Förderer des Prinzips Schutzverantwortung (engl. Responsibility to Protect, RtoP) und Mitglied der sogenannten „friends of RtoP“ Staatengruppe bei den Vereinten Nationen. Dennoch wird das Konzept in der deutschen Debatte oft fälschlicherweise auf ein militärisches Eingreifen zum Schutz bedrohter Bevölkerungen verkürzt. Die nicht-militärischen Instrumente sind jedoch viel bedeutender für die Verhinderung massiver Gräueltaten. Exemplarisch zu nennen sind hier präventive Maßnahmen der Krisenprävention und Entwicklungszusammenarbeit, die Ausbildung von Sicherheitskräften und zivilen Fachkräften sowie diplomatische Einflussnahme, Vermittlung in Konflikten oder die Verhängung von Sanktionen durch EU oder UN.
Die RtoP auf nationaler Ebene umsetzen
Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung der Schutzverantwortung besteht in einer unzweideutigen, öffentlichen politischen Unterstützung der Norm. Deswegen sollte die deutsche Politik die Verhinderung schwerster Menschenrechtsverbrechen als wichtigen Bestandteil der Außenpolitik anerkennen. Die Umsetzung der Schutzverantwortung sollte sich daher im Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung befinden. Zudem sollte sie in außen-, sicherheits-, und entwicklungspolitischen Strategiedokumenten verankert werden. Hierzu zählen insbesondere der Aktionsplan zivile Krisenprävention der Bundesregierung, das verteidigungspolitische Weißbuch sowie die verteidigungspolitischen Richtlinien.
Darüber hinaus sollten konkrete organisatorische und politische Schritte unternommen werden, damit die RtoP nicht nur als völkerrechtliche Norm im Entstehen betrachtet wird, sondern konkrete Konsequenzen für die Außenpolitik mit sich bringt. So ist die Durchführung eines Bestandsberichts über die zur Verfügung stehenden Kapazitäten der Bundesregierung zur Verhinderung von schwersten Gräueltaten notwendig: Dieser Überblick sollte eine Analyse bestehender Kapazitäten im Bereich des Auswärtigen Amtes, der des BMVG, BMZ, BMI, BMF, BMWi sowie der Nachrichtendienste mit einbeziehen.
Der Posten des nationalen Ansprechpartners für die RtoP sollte aufgewertet werden. Die zeitlichen Ressourcen dieses Postens um sich mit der Implementierung der Schutzverantwortung zu beschäftigen, ist zu gering. Deutschland sollte hierzu einen eigenständigen RtoP-Koordinator auf Abteilungsleiterebene in Personalunion mit dem existierenden Beauftragten für zivile Krisenprävention des Auswärtigen Amtes schaffen. Dies würde den gestiegenen Anforderung des Themenfeldes Rechnung tragen und durch Bündelung der Funktionen für Krisen- und Gräueltatenprävention zu merklichen Synergieeffekten führen.
Die Bundesregierung sollte ihre Aktivitäten im Bereich der Krisenprävention ausbauen. Der Aktionsplan zivile Krisenprävention sollte überarbeitet und um die besondere Perspektive der Verhinderung schwerster Gräueltaten erweitert werden. Der Ressortkreis zivile Krisenprävention wird von der Bundesregierung als Beispiel benannt, wenn es um die nationale Umsetzung der RtoP geht. Zwar überschneiden sich die Agenden der Gräueltaten- und Krisenprävention, sie sind aber nicht identisch: Die Prävention von Gräueltaten hat eine Identifikation und Verhütung von Gefahrensituationen zum Ziel, in denen schwerste Menschenrechtsverletzungen zu befürchten sind. Weder treten Gräueltaten immer in bewaffneten Konflikten auf, noch sind die verfügbaren Präventionsinstrumente ausschließlich ziviler Natur. In Risikosituationen kann, z.B. wie in Mazedonien im Jahr 1995, eine präventive Stationierung von Polizei- oder Militäreinheiten für den Schutz einer Zivilbevölkerung nötig sein. Gräueltaten treten zudem auch außerhalb bewaffneter Konflikte auf.
Die RtoP auf internationaler Ebene stärken
Das internationale Engagement Deutschland für die Schutzverantwortung muss gestärkt werden, sowohl im Rahmen der EU als auch in den Vereinten Nationen. Deutschland sollte seine Expertise im Bereich der Sicherheitssektorreform stärker einbringen und sich aktiver an multilateralen Polizei-, Justiz- und Militärausbildungsmissionen beteiligen. Dies ist eine wichtige Ergänzung zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit im Justizsektor. Die Schulung von Sicherheitskräften in den Themenbereichen Menschenrechtsschutz, Rechtsstaatlichkeit und humanitärem Völkerrecht ist eine essentielle Voraussetzung für den effektiven Schutz bedrohter Zivilbevölkerungen.
Die Bundesregierung sollte zudem ihre finanzielle Unterstützung für das Büro der Sonderberater des UN-Generalsekretärs für die Schutzverantwortung und die Prävention von Völkermord ausbauen. Des Weiteren sollte sich Deutschland der Initiative des Europäischen Parlaments für einen Europäischen Konsens zur Schutzverantwortung anschließen. Auf EU-Ebene sollte stärker als bisher Expertise zur Prävention und Frühwarnung vor Menschenrechtsverbrechen kultiviert werden. Der Europäische Auswärtige Dienst sollte gemeinsam mit den Mitgliedstaaten einen Expertenpool zur Gräueltatenprävention aufbauen. Auch sollten Synergien bei den existierenden Warnsystemen auf EU-Ebene und in den Mitgliedstaaten identifiziert und genutzt werden. Auch der neue Bundestag kann eine aktive Rolle für eine effektive Verankerung der Prävention schwerster Menschenrechtsverbrechen in der deutschen Außenpolitik spielen. So sollte sich der Menschenrechtsausschuss im Bundestag, ebenso wie der Auswärtige Ausschuss und der Unterausschuss zivile Krisenprävention und vernetze Sicherheit regelmäßig mit der Prävention von schwersten Menschenrechtsverbrechen beschäftigen. Das Auswärtige Amt sollte diese Ausschüsse regelmäßig über entsprechende Krisen mit Eskalationspotential informieren.
Die für RtoP zuständigen Referate im Auswärtigen Amt in der Abteilung Vereinte Nationen und Globale Fragen haben kein ausreichendes Budget, um Präventionsprojekte über punktuell hinausgehende Vorhaben zu unterstützen. Der Haushaltsposten für zivile Krisenprävention und -reaktion sollte daher in zwei Teile getrennt und mit weiteren Mitteln ausgestattet werden. So würden finanzielle Mittel für Prävention nicht länger aufgrund kurzfristig notwendiger Ausgaben der Krisenreaktion aufgebraucht. Auch sollte die Genehmigung von Rüstungsexporten restriktiver gestaltet und durch größere parlamentarische Kontrollrechte flankiert werden. Menschenrechtsschutz und Rechtsstaatlichkeit im Zielland müssen aus Perspektive der Prävention von Menschenrechtsverbrechen primäres Kriterium der Rüstungsexportpolitik sein.
Gregor Hofmann ist stellvertretender Vorsitzende von Genocide Alert und wissen- schaftlicher Mitarbeiter der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung
Dr. Robert Schütte ist Vorsitzender von Genocide Alert