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Syrien – von der arabischen zur internationalen Lösung

Auf Grund der erneuten Zunahme der Gewalt in Syrien zieht die Arabische Liga ihre Beobachter mit sofortiger Wirkung ab. Der gesamte Friedensplan unter Aufsicht des Staatenbundes droht zu scheitern, da Syrien die Lösungsvorschläge der Arabischen Liga entscheidend zurückweist. Vor allem die Golf Staaten um Saudi-Arabien scheinen die Geduld mit dem Assad-Regime zu verlieren. Aber auch innerhalb der Arabischen Liga gibt es große Differenzen. Russland steht zwar weiterhin zu seinem Verbündeten in Damaskus, deutet jedoch leise Töne des Zweifelns an. 

Die angedachten Ziele der Beobachtermission scheinen in weite Ferne gerückt. Die Aufgabe der Mission bestand in der Überwachung des ausgehandelten Friedensplans und einer unabhängigen Bewertung der Lage in Syrien. Die Forderungen an das Assad-Regime lauteten:

1.    Der Abzug aller Truppen aus den umkämpften Städten
2.    Die Freilassung von Gefangenen
3.    Die Einleitung von Gesprächen mit der Opposition

Keine dieser Forderungen wurde erfüllt. Vor allem die syrische Opposition erhebt schwere Vorwürfe gegen die Liga und ihre Beobachter. Ihnen wird vorgeworfen sich von der syrischen Regierung einnehmen zu lassen. Zwei Beobachter quittierten ihren Dienst in Syrien bereits vorzeitig. Der algerische Autor Anwar Malek nannte den Einsatz eine „Farce“. Assads Sicherheitsleute hätten mit gezielter Täuschung versucht ihn und seine Kollegen „zum Narren zu halten“. Es wird immer deutlicher, dass die Beobachtermission nur eine schwache politische Kompromisslösung zwischen der Liga und Syrien war. Offenbar diktierte Assad der Liga vorwiegend die Bedingungen, unter denen die Beobachter ihre Arbeit zu verrichten hatten.

Arabische Liga erhöht den Druck auf Syrien

arab leagueErst auf Druck der Golfstaaten verschärfte die Arabische Liga den Ton gegenüber Damaskus, indem sie zur Gründung einer Regierung der nationalen Einheit in Syrien aufrief. Sie solle sich aus Mitgliedern des Regimes sowie der Opposition zusammenstellen und die Bildung einer neuen Regierung vorbereiten. Außerdem forderten sie den teilweisen Machtverzicht Assads.

Syrien lehnte prompt alle Vorschläge der Arabischen Liga ab und verwies auf die Verletzung der staatlichen Souveränität. Die Vorschläge seien eine Einmischung in die nationalen Angelegenheiten Syriens. Das Assad-Regime ging noch weiter und kündigte eine Aussetzung aller arabischen Friedenspläne an. Der syrische Außenminister Walid Muallim witterte einen „Komplott“ der Arabischen Liga gegen Präsident Baschar al-Assad. Auf Grund dieser jüngsten Entwicklungen scheint eine arabische Lösung des Konflikts kaum mehr denkbar.

Der Anstoß für eine härtere Gangart gegenüber dem Assad-Regime ging von den Golfstaaten aus. Saudi-Arabien und der Golfkooperationsrat (GCC) kündigten an ihre Beobachter zurückzuziehen, nachdem die Arabische Liga vorerst eine Verlängerung der Mission um einen Monat beschloss. Wohl wissend, dass dieser Schritt die Beobachtermission endgültig scheitern lassen würde – die sechs Staaten des GCC (Kuweit, Bahrain, Saudi-Arabien, Katar, Vereinigte Arabische Emirate und Oman) stellen den Großteil der Liga-Beobachter.

Die Golfstaaten um Saudi-Arabien scheinen offenbar die Geduld mit dem Assad-Regime als auch mit der Arabischen Liga verloren zu haben. Während die Liga stets um eine arabische Lösung des Konflikts bemüht war, rief Saudi-Arabien die internationale Gemeinschaft auf, „ihrer Verantwortung gerecht zu werden“. Dies kann man als Affront der Golfstaaten gegenüber der Liga werten, obwohl sie selbst dem Staatenbund angehören.

Die politischen Verhältnisse innerhalb der Arabischen Liga

Um diese Brüskierung politisch bewerten zu können, lohnt sich ein Blick auf die machtpolitischen Verhältnisse in der arabischen Welt. Das Staatenbündnis der Arabischen Liga ist zum Konsens verpflichtet, stellt allerdings keinen homogenen Zusammenschluss dar. Jeder Mitgliedsstaat verfolgt seine eigenen vitalen und machtpolitischen Interessen, was – wie im Falle Syriens – oft zu Streitigkeiten führt. Trotz der großen Interessengegensätze sind die reichen Golfstaaten die Wortführer und Antreiber in der Arabischen Liga.

Die machtpolitischen Verhältnisse und Konflikte in der arabischen Welt sind kompliziert und nicht selten von religiöser und ethnischer Herkunft geprägt. Die Golfstaaten betrachten das Bündnis der Syrer mit dem Iran mit zunehmendem Argwohn. Allen voran stehen die Saudis dem Regime in Teheran äußerst skeptisch gegenüber, wobei der Atomstreit die Lage zusätzlich verschärft. Der Druck auf Damaskus ist also auch an Teheran adressiert. Der Sturz des alawitischen Regimes in Damaskus wäre ein erster Erfolg für Riad und seine Verbündeten.

Da die arabische Lösung des Konflikts zu scheitern droht, könnte sich eine Einschaltung des UN-Sicherheitsrates abzeichnen. Die Golfstaaten um Saudi-Arabien riefen den UN-Sicherheitsrat bereits auf, den Druck auf Damaskus zu erhöhen und dafür „alle nötigen Maßnahmen“ zu ergreifen.

Russland weiterhin in Blockadestellung

Bereits im Oktober legten Russland und China ihr Veto gegen eine von europäischen Rats-Mitgliedern ausgearbeitete Resolution im UN-Sicherheitsrat ein und verhinderten damit ein konsequentes Vorgehen gegenüber der Regierung in Damaskus. Moskau warf dem Westen eine einseitige Verurteilung des syrischen Konflikts vor, welche eine friedliche Lösung erschwere. Natürlich müssen in diesem Zusammenhang die russischen und chinesischen macht- und geopolitischen Interessen gesehen werde: Beide Staaten haben Probleme mit Rebellengruppen und wollen durch robustes internationales Eingreifen in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten keine Präzedenzfälle schaffen, die sie selbst in Erklärungsnot bringen könnten.

Im Dezember legte Russland überraschenderweise einen eigenen Resolutionsentwurf vor. Der Entwurf verwies zwar auf die Notwendigkeit dem Blutvergießen ein Ende zu setzen, doch wurde an keiner Stelle Sanktionen gegen Damaskus in Erwägung gezogen. Außerdem wurden Regierung und Protestbewegung gleichermaßen für die Gewalt verurteilt, was von vielen europäischen Vertretern kritisiert wurde.

Auch der im Januar eingebrachte Resolutionsentwurf enthielt kaum Änderungen. Wieder fehlte eine Verurteilung des gewaltsamen Vorgehens des Assad-Regimes. Vielmehr spielt die Regierung in Moskau auf Zeit und will damit Sanktionen gegen Syrien um jeden Preis verhindern.

Der Afrika- und Nahost- Beauftragte Russlands, Michail Margelow signalisierte zuletzt jedoch, dass die Geduld mit dem Partner in Damaskus nicht grenzenlos sei. Die Möglichkeiten seien durch das Veto gegen die westliche Syrien-Resolution „weitgehend erschöpft“.

Russland pflegt schon seit Jahrzenten enge Beziehungen mit Syrien und ist, laut dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI, mit Waffenlieferungen im Wert von rund 162 Millionen Dollar jährlich, der mit Abstand größte Waffenlieferant für Syrien. Es erscheint fraglich, ob Russland in Zukunft auf die hohen Einnahmen aus Rüstungsexporten zugunsten einer strengen Sanktionspolitik verzichten wird.

Die Probleme des UN-Sicherheitsrats

wake up united nationsDer Fall Syrien zeigt daher leider auch, dass es ohne einen Minimalkonsens im Sicherheitsrat nicht möglich ist, alle verfügbaren diplomatischen und wirtschaftlichen Druckmittel  auszuschöpfen und damit eine wirkliche Verbesserung der Situation der Zivilisten zu bewirken.

Nimmt man die Perspektive der Opfer ein, was der Kerngedanke der Schutzverantwortung ist, muss das oberste Ziel nun die Verhinderung eines Bürgerkriegs in Syrien sein – zumal jüngste Berichte darauf deuten, dass eine Mehrheit der syrischen Bevölkerung einen geordneten Machtwechsel wünscht.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen muss seiner Verantwortung gerecht werden und entschiedene Schritte gegen das Assad-Regime einleiten. Beispielsweise durch Sanktionen gegen das Regime oder durch die Überweisung des Falles an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag. Denn der IStGH kann von sich aus keine Ermittlungen aufnehmen, da Syrien dem so genannten Rom Statut nicht beigetreten ist. Der Wandel in Syrien muss angesichts der Blockade im Sicherheitsrat und der wahrscheinlich hohen Opferzahlen im Falle eines militärischen Eingreifens von außen entschieden mit nicht-militärischen Mitteln vorangetrieben werden.

von Gerrit Noppel

 

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Die Schutzverantwortung, die Libyen-Intervention und die Folgen für Syrien

Die Massenverbrechen in Libyen im Frühjahr 2011 schockierten die Weltöffentlichkeit. In der Folge autorisierte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erstmals ein militärisches Eingreifen in einen inneren Konflikt unter dem Banner der Responsibility to Protect (im Deutschen auch Schutzverantwortung). Durch Resolution 1973 wurden die Mitgliedstaaten am 17. März autorisiert „alle notwendigen Maßnahmen“ zum Schutz der Zivilbevölkerung in Libyen zu ergreifen und eine Flugverbotszone einzurichten. Dies wird von vielen als erste erfolgreiche Anwendung der dritten Säule der Responsibility to Protect gesehen.

Diese dritte Säule beinhaltet den Übergangs der Verantwortung zum Schutz der Zivilbevölkerung an die Internationale Gemeinschaft, sollte ein Staat unwillig oder unfähig sein diese vor Massenverbrechen zu schützen. Dabei ist ein militärisches Eingreifen nur eine Option in einem Kontinuum an Reaktionsmöglichkeiten: Diese können von Mediation zwischen den Konfliktparteien über politischen und diplomatischen Druck bis hin zu Sanktionen oder eben, sollten alle anderen Mittel ausgeschöpft sein, dem Einsatz militärischer Gewalt reichen.

Doch die maßgeblich durch die NATO-Staaten Großbritannien und Frankreich durchgeführte Libyen-Intervention sei, so Kritiker, nicht auf das erteilte Mandat beschränkt gewesen: Erklärtes Ziel des Einsatzes war schließlich die Absetzung des libyschen Diktators Gaddafi. Am Beispiel Syrien wird im Folgenden erörtert, welche Auswirkungen der Eingriff in Libyen auf die internationale Reaktion in anderen Situationen, in denen Massenverbrechen begangen werden, hat.

Die Libyen-Intervention

russian in scNachdem zunäc hst Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten ab dem 19 März Angriffe auf militärische Ziele in Libyen geflogen und bereits nach wenigen Tagen die Lufthoheit über Libyen übernommen hatten, ging der Einsatz Ende März in die Verantwortung der NATO über. Unterstützt wurde sie dabei von Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Nachdem die Kontrolle über den Luftraum erreicht war, setzten Großbritannien und Frankreich ihre Angriffe auf militärische Ziele in Libyen fort, um die oppositionellen libyschen Rebellen im Kampf gegen die Truppen des Herrschers  Muammar al-Gaddafi zu unterstützen. Die Intervenierenden zielten dabei auf einen Regimewechsel ab, was mit dem Sturz Gaddafis und der Eroberung der libyschen Hauptstadt Tripolis im August 2011 schließlich erreicht wurde.

 Im Falle Libyens war entscheidend, das die nicht-westliche ständigen Sicherheitsratsmitglieder Russland und China, aber auch die nicht-ständigen Mitglieder Brasilien und Indien die Resolution 1973 nicht blockierten und so ein Eingreifen ermöglichten. Der Sicherheitsrat legitimierte mit dieser Resolution, die unter Bezug auf Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen erteilt worden war, die Anwendung von Zwangsmaßnahmen bis hin zum Einsatz von Gewalt, um den Schutz von Zivilisten sicherzustellen. Das mit der darauf folgenden Intervention verbundene Ziel eines Regimewechsels traf bei vielen Staaten aber auf Ablehnung.

Internationale Reaktionen auf den NATO-Einsatz in Libyen

Die expansive Auslegung des Mandats durch die NATO-Staaten und ihre Verbündeten wurde nicht nur von China und Russland kritisiert sondern auch von anderen Staaten Sicherheitsrat, wie Brasilien, Indien und Südafrika. Auch die Afrikanische Union kritisierte Ende Mai 2011 die einseitige Interpretation der Resolution 1973. Der südafrikanische Präsident Jacob Zuma beklagte, dass die Resolution für einen Regimewechsel missbraucht worden sei. Dies hatte auch direkte Auswirkungen auf den andauernden Entscheidungsprozess des Sicherheitsrates in Bezug auf Syrien. Einige Kommentatoren verweisen daher darauf, dass die Konzentration der NATO auf einen Regimewechsel in Libyen das eigentliche Ziel der Schutzverantwortung, den Schutz von Zivilisten, untergrub und damit zum Sargnagel der Schutzverantwortung werden könnte. Alte Vorurteile, dass die Responsibility to Protect ein Vorwand des Westens zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten sei, wurden wieder aufgewärmt.

Dies spiegelt sich auch in den Reaktionen im Sicherheitsrat auf Bemühungen der westlichen Mitglieder das syrische Assad-Regime für seine Menschenrechtsverletzungen zu verurteilen wider: Am 4. Oktober 2011 scheiterte ein westlicher Resolutionsentwurf zu Syrien im Sicherheitsrat am Veto Russlands und China. Beide Staaten verweisen darauf, dass eine friedliche Lösung gesucht werden müsse. Russland bezog sich dabei auch direkt auf die NATO-Intervention in Libyen und beklagte, dass die Forderung nach einem zügigen Waffenstillstand durch das Eingreifen der NATO zu einem ausgewachsenen Bürgerkrieg geführt habe und dass das westliche Vorgehen auf keinen Fall wiederholt werden dürfe.

Natürlich muss dies auch vor dem Hintergrund der russischen und chinesischen Interessen und geopolitischen Überlegungen gesehen werden. Hinzu kommt, dass Syrien gesellschaftlich ein komplexeres Land ist als Libyen, da hier nicht nur unterschiedliche ethnische Gruppen sondern auch verschiedene, größere religiöse Gruppierungen zusammen leben, von denen eine Minderheit – die Alawiten – seit langer Zeit das politische Leben dominiert. Viele Beobachter befürchten bei einer Destabilisierung der gesellschaftlichen Ordnung die Gefahr eines Ausbruchs ethnischer und religiöser Konflikte. Da Syrien regional eine bedeutendere Rolle einnimmt als Libyen, könnte ein chaotischer Regimewechsel oder ein Bürgerkrieg nach Meinung vieler Kommentatoren und Diplomaten im nahöstlichen Pulverfass katastrophale Konsequenzen haben – ein weiterer Grund dafür, dass bislang die hohe Zahl der Toten immer noch nicht zu einer robusteren Reaktion oder einem Eingreifen geführt hat.

Das Ende der Schutzverantwortung? Nein!

Die Kritik am Handeln der NATO in Libyen und die langsame Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf die Geschehnisse in Syrien bedeutet aber kein Ende für die Responsibility to Protect als internationale Norm. Vielmehr zeigt dies, dass die Norm der Schutzverantwortung sich in einem schwierigen Umfeld entgegengesetzter geopolitischer Interessen bewähren muss. Trotz der Kritik am Handeln der NATO, hat der Einsatz die libysche Bevölkerung vor der mörderischen Gewalt des Diktators Gaddafi geschützt. Man darf nicht vergessen, dass dieser die Rebellen als „Ratten“ bezeichnet und angekündigt hatte, seine Truppen würden von Haus zu Haus gehen, um die Aufständischen ohne Gnade zu jagen – eine Terminologie, die auch in Ruanda vor dem Völkermord 1994 zum Einsatz gekommen war. Zudem muss berücksichtigt werden, dass die NATO in Einklang mit den Werten der Vereinten Nationen in einer multilateralen Operation gehandelt habe, so Ramesh Thakur, einer der geistigen Väter der Schutzverantwortung und Mitglied der International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS), die das Responsibility to Protect-Konzept 2001 entwickelt hatte.
Thakur hat Recht damit, dass der Fall Libyen keineswegs das Ende für die Schutzverantwortung sein wird. Dem Eingreifen sind sorgsame Verhandlungen im Sicherheitsrat vorausgegangen. Es handelte sich nicht um eine unilaterale Interessendurchsetzung der USA wie 2003 im Fall Irak, als humanitäre Motive einen alternative Rechtfertigung für den Krieg lieferten, nachdem die Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen als Legitimierungsgrundlage weggefallen waren. Wichtig sei nun aber auch, so Thakur, dass die ebenfalls mit der Schutzverantwortung verknüpfte Verantwortung der Internationalen Gemeinschaft zur Unterstützung des Wideraufbaus des kriegsversehrten Landes eingelöst werde. Eine Forderung die jedem Beobachter einleuchtend erscheinen dürfte und die angesichts der aktuellen Entwicklungen in Libyen, den in einigen Gebieten aufflammenden Kämpfen und den Vorwürfen Milizen würden Menschenrechtsverletzungen begehen umso wichtiger ist.

Die Schutzverantwortung bietet mehr Möglichkeiten als nur militärische Gewalt

Mit Blick auf den Fall Syrien und dessen strategische Bedeutung im Nahen Osten wird aber ebenso deutlich, dass die Schutzverantwortung eben nicht nur auf rein militärische Mittel reduziert werden kann. Die notwendigen Kriterien für ein militärisches Eingreifen – vernünftige Erfolgsaussichten und eine legitime Autorität zur Entscheidung über den Einsatz von Gewalt – scheinen in Syrien bislang nicht erfüllt zu sein. Obwohl die Zahl der Toten und die kontinuierliche Gewalt gegen die Zivilbevölkerung als legitimer Grund für ein Eingreifen hinreichend sind und der Emir von Katar in einem Interview eine arabische Intervention in Syrien zum Schutz der Zivilbevölkerung gefordert hatte.

In einer solchen Situation – in der ein Staat beim Schutz der Zivilbevölkerung versagt bzw. selbst Massenverbrechen begeht – müssen darum regionale Organisationen, wie die Arabische Liga eine zentrale Rolle spielen. Dadurch kann auch eine höhere Glaubwürdigkeit der handelnden Akteure sichergestellt werden und die Schutzverantwortung vom Generalverdacht, lediglich ein Deckmantel zur Durchsetzung westlicher Interessen zu sein, befreit werden. Zu diesem Schluss kommt auch Gareth Evans, ehemaliger australischer Außenpolitiker und damaliger Vorsitzender der ICISS. Diese Haltung wurde zudem auch von vielen Staaten im diesjährigen informellen Dialog zur Responsibility to Protect der Generalversammlung der Vereinten Nationen vertreten: Viele Staaten sahen die militärische Intervention in Libyen kritisch, begrüßten aber die konstruktive Rolle regionaler Organisationen bei der Lösung des Konflikts und betonten, dass friedliche ökonomische, politische oder humanitäre Mittel bei der Verhinderung von Massenverbrechen eine zentralere Rolle zukommen müssten. Wenn aber die Initiativen regionaler Organisationen scheitern, wie derzeit die Bemühungen der Arabischen Liga in Syrien, dann muss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen seiner Verantwortung gerecht werden und mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln den Schutz der Zivilisten sicherstellen.

von Gregor Hofmann

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Syrien – Ein Fall für die internationale Staatengemeinschaft?

Mit der Ankunft der Beobachtermission der Arabischen Liga wurden die gewaltsamen Reaktionen auf die Proteste in Syrien, die sich inzwischen zu einem blutigen Bürgerkrieg ausgewachsen sind, nicht beendet. Im März 2011 erreichte der Arabische Frühling auch das Regime in Damaskus. Seit dem Beginn der Proteste wurden nach UN-Angaben mehr als 5.000 Zivilisten getötet. Genocide Alert e.V. fasst die Hintergründe und Struktur des komplexen Konfliktes zusammen. 

Im Zuge des „Arabischen Frühlings“ wurden auch in Syrien Forderungen nach Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit laut. Das Baath-Regime regiert seit 1963 in einer Einparteienherrschaft. Tragende Pfeiler des Polizei- und Überwachungsstaates sind der Panarabismus und der syrische Nationalismus – reale Oppositionsparteien sind nicht zugelassen.

Hintergründe des Konfliktes

Mit der Verhaftung und Folterung von Jugendlichen im März 2011, die in Dara’a gegen das Regime gerichtete Graffiti an die Wand sprühten, fanden die Aufstände in Syrien ihren Anfang. Durch das brutale Vorgehen gegen Zivilisten, die hohe Korruption und die fehlende Freiheit wandten sich auch dem Regime wohl gesinnte Syrier gegen Assad.

Die Heterogenität der syrischen Gesellschaft ist ein zusätzlich verschärfender Faktor: Im Land leben zahlreiche (religiöse) Minderheiten, darunter 71% sunnitische Muslime, 12% alawitische Muslime (welche den Präsidenten stellen) sowie Christen, Drusen, schiitische Muslime, Ismaeliten und Juden.

Die Proteste

Syrien Inzwischen haben sich die Proteste in einen das ganze Land überziehenden Bürgerkrieg ausgeweitet. Besonders in den Regionen Homs, Hama und Dara’a sowie der Provinz Idlib spielen sich immer wieder besonders gewalttätige Szenen ab. Aber auch die Hauptstadt Damaskus ist vor der Gewalt nicht sicher. Zuletzt wurde von Angriffen auf zehntausende Demonstranten in einem Vorort der Stadt berichtet.

Mitte September hat sich die Opposition im In- und Ausland auf einen gemeinsamen Nationalrat nach libyschem Vorbild geeinigt. In ihrer Gründungserklärung hatte sich die Opposition gegen einen militärischen Eingriff von Außen ausgesprochen. Doch gibt es inzwischen vermehrt Forderungen nach einer Schutz- oder Flugverbotszone, ähnlich der in Libyen.

Soldaten, die sich weigerten auf Zivilisten zu schießen desertierten aus der syrischen Armee und wurden so selbst zu Gejagten des Regimes. Inzwischen haben sich einige dieser desertierten Soldaten zu der „Freien Syrischen Armee“ zusammengeschlossen, welche sich als bewaffneten Arm der Opposition sieht. Sie verfolgen den Sturz des Baath-Regimes und den Schutz der Zivilbevölkerung.

Syrien als RtoP-Situation

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind bis Mitte Dezember 2011 mindestens 5.000 Zivilisten getötet worden, mehr als 70.000 wurden festgenommen und ca. 15.000 sind ins Ausland geflohen.

Trotz der Zustimmung Assads zu der Entsendung einer internationalen Beobachtermission ging das systematische und brutale Morden in Syrien ungehindert weiter. Und selbst nach Ankunft der Beobachter am 27.12.2011 berichten Aktivisten weiter vom gewaltsamen Vorgehen gegen Zivilisten und friedliche Demonstranten.

Die syrische Führung hatte bereits im November 2011 einem Krisenplan der Arabischen Liga zugestimmt, verstieß jedoch seitdem immer wieder gegen seine Satzung. Die Reaktionen der Arabischen Liga bestanden in der Aussetzung der Mitgliedschaft Syriens, der Verhängung von Sanktionen und der Entsendung einer Beobachtermission.

Für die Ernennung des sudanesischen Generals Mohammed al-Dabi zum Chef der Beobachtermission in Syrien erntete die Arabische Liga weltweit viel Kritik. Al-Dabi gilt als enger Vertrauter des wegen Völkermords gesuchten sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir und leitete den sudanesischen Geheimdienst. Der Nationalrat sieht al-Dabis Stellung mit großer Sorge und wird bei der Arabischen Liga einen Antrag auf Ablösung stellen. Diese überprüft gegenwärtig noch die Beobachtermission. Anhänger der Opposition forderten währenddessen erneut das Eingreifen der Vereinten Nationen.

Das Konzept der RtoP, welches im Falle Libyens wesentlich zu der Entscheidung zu intervenieren beigetragen hat, sieht bestimmte Voraussetzungen vor. So liegt die Schutzverantwortung primär beim Einzelstaat und umfasst die Pflicht, für den Schutz und das Wohlergehen seiner Bürger Sorge zu tragen. Konkret soll die RtoP bei Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit Anwendung finden. Dieses Postulat wurde auf dem UN-Weltgipfel 2005 von fast allen Staaten der Erde unterzeichnet. Zwar existiert keine Opfergrenze, ab wann die Schutzverantwortung greifen soll, jedoch sind die Hinweise auf schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen in Syrien weitaus umfangreicher als sie es beispielsweise in Libyen waren. Neben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat auch die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay die Gewalt gegen Zivilisten als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet. Navi Pillay riet dem UN-Weltsicherheitsrat in einem Bericht, den internationalen Strafgerichtshof einzuschalten. Betrachtet man den bisherigen Konfliktverlauf und die Art der Austragung, dann ist Syrien eine typische RtoP-Situation: Der Staat zeigt sich nicht nur unwillens seine Bürger zu schützen, er begeht die Verbrechen gegen Zivilisten sogar selbst. Dies ist genau einer jener Fälle, für welche die Schutzverantwortung entwickelt wurde. Vielfach wird deswegen eine entsprechende Reaktion des UN-Sicherheitsrats gefordert. Doch sind die Handlungsmöglichkeiten im Fall Syrien deutlich begrenzter als in Libyen.

Gemeinsame Antwort der internationalen Gemeinschaft

Aktuell gibt es drei Richtungen in welche sich der Konflikt in Syrien entwickeln kann. Zum einen ist ein Überleben des Regimes denkbar. Doch wäre Präsident Assad, insofern er nicht durch einen internen Staatsstreich abgesetzt worden wäre, extrem geschwächt. Außerdem besteht in dieser Variante die Gefahr eines schwelenden Konfliktes, der jederzeit zum erneuten Ausbruch neigt. Zum anderen wäre ein Regimesturz denkbar, welcher jedoch aufgrund der Gefahr des Abrutschens in einen lange andauernden Bürgerkrieg und der Destabilisierung des Nahen Ostens für viele Staaten nicht wünschenswert erscheint. Drittens, wenn auch unwahrscheinlich, könnte es zu einem nationalen Dialog zwischen Regime und Opposition kommen.

Da die Schreckensmeldungen aus Syrien nicht abreißen, würde ein weiterhin geschlossenes Vorgehen der USA und EU die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates China und Russland in Bedrängnis bringen. Ein gemeinsamer Resolutionsentwurf, der sich auf die Schutzverantwortung stützt, würde den Druck auf Syrien noch einmal erhöhen. Nur mit kollektiven und strengen Sanktionen lässt sich das Assad-Regime international wirkungsvoll isolieren. Weiterhin wäre eine Ermächtigung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) wünschenswert, da die Vorgänge auf eine zusätzliche institutionelle Ebene gehoben würden.
Zudem haben Vertreter des syrischen Nationalrates in der vergangenen Woche bei einer Bundespressekonferenz in Berlin weitere Maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft und auch speziell von der deutschen Bundesregierung gefordert. Diese reichen von finanzieller Unterstützung lokaler Widerstandsgruppen über das Einfrieren der politischen Beziehungen zum Assad-Regime bis hin zum Abziehen des deutschen Botschafters in Damaskus.

Ein durch den UN-Sicherheitsrat legitimiertes militärisches Eingreifen gilt als nahezu ausgeschlossen. Abgesehen von einer notwendigen Zustimmung Moskaus und Pekings sieht das Konzept der RtoP die Ausschöpfung aller nicht-militärischen Mittel vor. Zudem wäre der Grundsatz der „vernünftigen Erfolgsaussichten“ nicht erfüllt: Da im Falle Syriens die Ausdehnung des Konfliktes auf die Nachbarstaaten denkbar ist, könnte dies zu einer Destabilisierung des gesamten Nahen Ostens führen.

Trotz der scheinbar festgefahrenen Ausgangslage im UN-Sicherheitsrat, scheint ein Handeln des Rates angesichts der zunehmenden Todesopfer als unerlässlich. Bloße Appelle an die syrische Regierung werden der Gewalt nicht Einhalt gebieten. Daher sollten im weiteren Diskurs keine Optionen zur Beendigung des Bürgerkrieges ausgeschlossen werden.

 

von Alena Beutler und Gerrit Noppel

Minding the Gap: Approaches and Challenges to Robust Civilian Protection

The below paper by Robert Schütte – president of Genocide Alert – was published by the Friedrich-Ebert Stiftung New York in December 2011.

 

Summary:

  • Protection of civilians from mass atrocity crimes has emerged as a prominent field of international action. United Nations peacekeeping missions as well as armed forces of regional actors such AU, EU, ECOWAS and NATO have in the past conducted military operations with the objective to secure civilians threatened by violence.
  • In the past decade, UN peacekeeping missions have played a pivotal role in protecting untold vulnerable communities from systematic human rights violations. Moreover, the resolute implementation of the so called responsibility to protect in Libya and Côte d’Ivoire in 2011 has underlined the principal feasibility of successful Mass Atrocity Response Operations.
  • Despite these developments, little conceptual work has so far been accomplished on how to operationalize protection of civilians on the ground. Neither the UN nor NATO possess a comprehensive doctrine that guides the preparation, implementation and benchmarking of civilian protection missions. Bridging this conceptual gap will be essential to curbing systematic abuses of human rights and providing vulnerable populations with a modicum of human security.

 

peacekeepers

 

Protection of civilians from mass atrocity crimes has emerged as a prominent field of international action. Humanitarian actors and development workers have been and remain at the forefront of protecting civilians by non-coercive means. More recently, given the international community’s failure to act and intervene in situation such as the genocides in Rwanda and Bosnia, the military dimension of protecting non-combatants has gained in importance. Two different operational types of robust civilian protection can be identified: On the one hand, Peacekeeping missions under a chapter VII mandate such as those in the DRC, Sudan or Côte d’Ivoire. On the other hand, Mass Atrocity Response Operations (MARO) conducted by the armed forces of a state or regional organization such as NATO or ECOWAS, e.g. in Sierra Leone, Kosovo or Libya. Despite a surge in such coercive protection activities, there is still a notable gap in terms of conceptualizing protecting of civilians.

The present paper examines the state and challenges of military civilian protection. In a first section, the work examines the normative and practical development of civilian protection since the end of Cold War. The second section reviews how the protection of civilians has been implemented in peacekeeping operations and MAROs. The third section analyzes present challenges and shortcoming in coercively protecting civilians. Finally, section four looks into how existing gaps could be bridged by investing more effort into a through conceptualization civilian protection from the standpoint of both Peacekeeping Missions and MAROs.

 

1.      Protection of Civilians Since the End of the Cold War

The end of the Cold War led to the intensification of a range of global governance activities.  Compared to the previous superpower deadlock, the most consequential transition occurred in the field of international security. Freed from the obstructive shackles of the US-Soviet competition, the UN Security Council agreed on far-reaching military operations under Chapter VII to enforce the will of the international community. What is more, the Security Council’s role of safeguarding international peace and security became increasingly understood to cover not only inter-state disputes, but also matters of a non-international character such as civil wars or grave breaches of International Humanitarian Law (IHL). The extension of the council’s scope paved the road to UN-mandated military interventions in Iraq and Somalia, as well as UN-enforced peacekeeping operations in Bosnia and Rwanda, just to name a few. Never has the UN been more active than during the decades after the breakdown of the Soviet Union; never was the promotion of democracy and human rights higher on the international agenda.

Yet the enthusiasm of the early 1990s quickly dwindled after a series of failures. The U.S.-led humanitarian intervention in Somalia collapsed after American casualties prompted a hasty withdrawal of U.S. forces. In Rwanda, the United Nations stood idly by while approximately 800.000 Tutsis and moderate Hutus were slaughtered by Hutu militias in the world’s swiftest genocide to date. The UN’s incapacity to avert mass atrocity crimes against unarmed civilians was further highlighted by its peacekeeping mission to Bosnia which was unable to provide even a modicum of security for the population, and whose hesitation, eventually, cleared the way for the Srebrenica genocide in one of the UN’s unsafe ‘safe havens’.

The shock that came with the genocides in Rwanda and Srebrenica caused the UN to rethink its approach to sending blue helmets in the midst of conflict zones. In two landmark reports published in 1999, the UN found two lessons to be learned in the future: First, it stated that “whether or not an obligation to protect civilians is explicit in the mandate of a peacekeeping operation, (…) the United Nations must be prepared to respond to the perception and expectation of protection created by its very presence.” Second, it argued that “when the international community makes a solemn promise to safeguard and protect civilians from massacre, then it must be willing to back its promise with the necessary means.” Rwanda and Srebrenica made clear that protection of civilians (POC) will not come as a sideline to lightly-armed and under-resourced peacekeeping. A new approach was needed.

 

2.      A Big Leap Forward: Normative And Practical Developments Since 1999

From 1999 onwards, major normative and practical innovations found their way into the global governance architecture and set the stage for an improved protection of civilians in armed conflicts. The Brahimi report of August 2000 took up many of these concerns and outlined a way forward towards a more robust peacekeeping but did not give any definitive answers on how to improve civilian protection. This question would be up to succeeding international commissions and the UN secretariat. The unauthorized but eventually successful military operation of NATO to rescue the civilian population of Kosovo from a campaign of ethnic cleansing galvanized opinions as to the sense and righteousness of humanitarian interventions. This involvement of NATO – laconically coined “illegal but legitimate” – highlighted the urgent need for a recalibration of the relationship between state sovereignty and human rights. When UN Secretary-General Kofi Annan called for the finding of a new normative common ground, Canada followed suit and hosted an influential International Commission on Intervention and State Soverreignty (ICISS) which eventually introduced the notion of the responsibility to protect (RtoP) in 2001.

Despite the calamities surrounding NATO’s intervention in Kosovo and the disunity in the Security Council, there were also occasions when the Council did take unanimous action to better protect civilians in armed conflicts. 1999 marked the birth of the first UN peacekeeping operation with an explicit mandate to protect civilians. In its resolution 1270, the UN Security Council decided to establish the United Nations Mission in Sierra Leone (UNAMSIL) and authorized the operation to “afford protection to civilians and imminent threat of physical violence (…) within its capabilities and areas of deployment”. It is important to bear in mind the caveats which the Security Council purposefully included into the mandate. They limit the mission’s scope and area of operations, and were meant to avoid exaggerated expectations regarding the blue helmets capacity to provide more than residual and situational protection.[1] Nonetheless, UNAMSIL heralded the beginning of a new era in which the protection of civilians would soon become an integral part of most UN peacekeeping operations.

Besides the foundation of the International Criminal Court (ICC) in 2002 constituted another major achievement for the ending of impunity for mass atrocity crimes, the development of the responsibility to protect and its unanimous adoption by the UN General Assembly in 2005 were important steps towards a new global common ground on mass atrocity prevention. Although the norm itself did not add anything new to existing Human Rights or International Humanitarian Law, it did have the effect of reaffirming unquestionable minimum standards of civilian protection, and codifying the responsibilities of the international community and its member states towards threatened populations. Once proclaimed, the RtoP underwent a process of cautious elaboration and consensus-building through high-level debates and references in UN resolutions that finally lead to the UN Secretary-General’s 2009 report on implementing the Responsibility to Protect. Confronted with egregious human rights violations in Libya, the Security Council decided in Resolution 1973 for the first time to mandate a military intervention under the banner of the RtoP “to take all necessary measures (…) to protect civilians and civilian populated areas under threat of attack”. The Libya intervention marks a turning point in the international community’s efforts to curb mass atrocities by assuming a responsibility to protect civilians.

Already before this breakthrough of RtoP, UN peacekeeping operations were making practical contributions benefiting the protection of civilians. Sierra Leone was only the first of a number of missions mandated to „protect civilians under imminent threat“. By the end of 2011, eight UN peace missions around the world conduct a broad array of activities aiming at providing security for non-combatants. In fact, the protection of civilians has been adding another layer of complexity to the contemporary, multidimensional peacekeeping operations that furthermore also entail tasks as varied as security sector reform, repatriation of refugees and the support of elections. The United Nations Organization Stabilization Mission in the Democratic Republic of the Congo (MONUSCO) as well as the United Nations Mission in Darfur (UNAMID) are cases in point for the grown complexity of today’s peace operations.

 

3.      On The Ground, In The Air: Implementation of Civilian Protection

Normally, civilian protection makes headlines when massacres have occurred or UN peacekeepers have failed to curb violence against innocents. It is unfortunate that the important role of blue helmets in protecting local populations is often overlooked. This bias is distorting a reality in which robust peace operations actually do make a big difference and provide security to innumerable vulnerable communities. In very general terms, civilian protection through robust peacekeeping can be divided into three broad approaches: Protection by deterrence, by prevention and by engagement.

Protection by deterrence means that the very presence of blue helmets is in most cases sufficient to deter attacks on civilians and boost physical security in a given area of operations. While militias – mostly in bad shape and ill-equipped – shun direct confrontations with well-armed professional blue helmets, national authorities shy the exposure and the reporting of assaults. A peacekeeping mission’s capacity to deter direct violence against civilians is to a large degree a function of two factors: First, its presence in endangered regions and second, its credibility to interfere, if needed by force, to curb violence against non-combatants. It is for this reason that the peacekeepers’ capability to gather and process intelligence is as important as their number, equipment and posture. Besides protection by deterrence, UN peacekeeping operations set a great value on protection by prevention such as supporting Security Sector Reform as well as monitoring and reporting of human rights breaches, which also have an important impact on civilian security. If preventive and deterring measures prove insufficient to protect civilians in some rare yet noteworthy cases UN missions have resorted to the offensive use of force. This approach of protection by engagement was most recently used by UNOCI in 2011 to end attacks of pro-Gbagbo forces on the civilian population in Côte d’Ivoire; equally MONUC has successfully protected the local population of Bukavu in 2006 by resolutely using attack helicopters against militias, forcing the latter to abort their assault and withdraw. However, despite many successful instances of protection by engagement, some fear that the UN might be crossing a line by becoming a party to a conflict.

A distinct type of international efforts in protecting civilians is military humanitarian intervention which, for the sake of terminological and political adequacy, might be called Mass Atrocity Response Operations (MARO). NATO’s interventions in Kosovo 1999 and Libya 2011 figure amongst the most prominent and complex MAROs. Two major differences between these two MAROs and UN peacekeeping operations can be determined: First, the Kosovo and Libya interventions were almost exclusively conducted through the use of air power, supported seaborne, and excluded the deployment of any major ground forces. While missions that are predominantly airborne have dramatically reduced the risks to NATO soldiers, this politically more convenient form of operation comes at the cost of diminishing the effectiveness of civilian protection. Second, MAROs step in with a much more robust, pro-active and offensive posture than UN peacekeeping operations do. While the establishment of protected safe havens and deterrence of atrocities is part and parcel of any civilian protection operation, the crushing of perpetrator forces with the aim to incapacitate any further assaults on civilians plays a much more decisive role than in peacekeeping.

MAROs need not necessarily be airborne, but can have substantial ground force components: ECOWAS’s 1997 intervention in Sierra Leone, the Australian-led INTERFET operation in Timor L’Este in 1999, Britain’s intervention in Sierra Leone in 2000, as well as the European Union’s operation Artemis in Bunia (DRC) in 2003 are examples of MAROs with a footprint on the ground. All these missions were successful in curbing mass atrocities occurring in their respective areas of operation by resolutely exploiting their superiority in weaponry, training, command, control, communication, computer and intelligence assets against ill-disciplined and outgunned enemies. If intervening forces enjoy a significant margin of superiority in terms of capabilities and resolve, MAROs have indeed proven to be effective in protecting civilians from mass atrocities.  

 

4.      Minding the Gap: Obstacles and Challenges in Protecting Civilians

Despite the surge in international efforts to protect civilians over the past two decades, no consensus has emerged on how exactly protection by coercive  means should be implemented. While the UN Security Council is increasingly willing to authorize robust peacekeeping operations to protect civilian populations, neither the UN nor Troop Contributing Countries have had any clear idea what exactly protection of civilians entails. POC is one of the most important objectives of peacekeeping since its inception in 1999, but the UN is still in the process of producing a coherent concept on how blue helmets should conduct and benchmark their protection activities on the ground. The conceptual ground work to date is a Lessons Learned document on civilian protection as well as a so-called Concept Note on POC produced by the Department of Peacekeeping Operations and the Department of Field Support that problematizes a number of issues but lacks substantial guidance and a definition on what protection means. Moreover, UN WOMEN has provided an equally useful guide to preventing gender-based and sexual violence. This works is essential and needs more support but still falls short of a coherent POC doctrine.

The conceptual gap comes at a cost: As long as there is no consensus about what POC actually means, any meaningful instruction of troops in civilian protection is difficult. As a consequence, pre-deployment training and preparation to protect civilians will remain sketchy and leave troops with a task they are not adequately prepared for. Without appropriate training and guidance, the implementation of civilian protection hinges on mission commanders‘ individual leadership and interpretation of their mandates. Should blue helmets only interfere in cases of pending or ongoing assault on an unarmed person, or may armed force also be used offensively to neutralize armed groups known to harass civilians? Does protection only encompass the provision of security to persons, or should blue helmets also step in to stop the looting of essential livestock? The doctrinal gap has practical ramifications for troops and civilians on the ground: For instance in May 2011, militias backed by the government of North-Sudan pillaged and ‘ethnically cleansed’ the town of Abyei while the local United Nations Mission to Sudan (UNMIS) contingent retreated to their compound.

Another difficulty is striking a reasonable balance between force protection and civilian protection. While some contingents are conducting regular unannounced day-and-night foot patrols in hazardous terrain with the aim to maximize their deterrence impact and keep militias off balance, other contingents have shrunk from taking any risks. Passive postures that prioritize force protection over POC, e.g. by conducting announced day patrols in Armored Personnel Carriers, have no positive protection impact on local populations. Passive postures can be due to reasons such as caveats of Troop Contributing Countries, individual commanders’ lack of resolve, inadequate training and motivation etc. A one-sided focus on force protection undermines any peacekeeping mission’s deterrence capacity, and hampers the gathering of intelligence because mission personnel cannot communicate with the population and learn about security issues. The bottom line is that many blue helmets have a hard time figuring out what is expected from them because it is not unequivocally clear how protection of civilians should be conducted.

A further obstacle to effective civilian protection can be contradictory mandates, missing equipment and lacking benchmarking. As for the former, the UN’s operation to the DRC called MONUSCO is a case in point. The mission is not only tasked to protect civilians but also to support the country’s national army that is itself responsible for most human rights violations against civilians. In this case, the blue helmets find themselves between a rock and a hard place because the UN Security Council has endowed them with a contradictory mandate. Moreover, insufficient equipment, ranging from missing satellite phones to lacking helicopters, can be a huge problem for two reasons: On the one hand, because it obstructs the mission’s capacity to carry out its job; on the other hand, because it leaves the impression that a mission does not enjoy sufficient political backing. Both factors understandingly undermine the morale and commitment of blue helmets to put their lives on the line for the protection of threatened civilians. However, even if missions can employ effective protection strategies, a lack of evidence-based benchmarking encumbers the elaboration and transmission of good practices across different missions. To date, no UN peacekeeping operation systematically benchmarks its own performance in protecting civilians. For example, polling amongst affected populations would be one amongst a couple of options to get a better picture of mission performance but is rarely being done. As a consequence, peace operations can to date neither assess nor verify their impact on civilian security.

If the UN’s conceptual understanding of civilian protection is deemed sketchy, NATO’s approach to civilian protection in Libya can only be described as ad hoc and opaque. With its resolution 1973, UN Security Council authorized NATO “to take all necessary measures (…) to protect civilians and civilian populated areas under threat of attack”. The resolution granted the coalition forces much flexibility insofar as all necessary means – explicitly comprising armed force, excluding only occupation forces – could be brought to bear for the purpose of protecting threatened civilians and civilian populated areas. According to this interpretation, a Libyan military unit may not have fired a single round but still be a threat to a civilian populated area and, therefore, be a legitimate target for allied airplanes. Moreover, Libyan air defenses and command and control installations have been qualified as legitimate targets given that they could either contribute to the threatening of civilians and civilian populated areas or endanger the implementation of the no-fly-zone over Libya. It is indeed difficult to conceive of any military asset under Gaddafi’s control which could not potentially have fallen under the above criteria.

Despite its broad leeway in interpreting and implementing the Security Council’s mandate, NATO’s intervention did face practical restraints: First, the alliance was keen to prevent any collateral damage. Under the laws of war, civilian casualties are permissible as long as an attack has been conducted in a discriminate and proportional manner. However, the humanitarian character of the Libya intervention implied that NATO had to be held to significantly higher standards than those prescribed by International Humanitarian Law. Prima facie evidence suggests that – despite some incidents to the contrary – NATO has abided by these self-imposed high standards, e.g. by calling off strike sorties which, although legal under the terms of IHL, were deemed too dangerous for civilians. Second, the alliance was only authorized to apply all necessary means to protect civilians and civilian populated areas. While any objective definition of military necessity is already problematic in the context of a conventional armed conflict, defining necessity in the context of a MARO is even more difficult. This suggests that in the context of a MARO, the standard of military necessity should be higher than in a regular armed conflict. The lack of an applicable POC doctrine defining who should protect whom when and by what means will make it difficult to find a consensus on how interventions should be conducted. The dispute among Security Council members about NATO’s interpretation of resolution 1973 and how it has conducted its military campaign was in part due to this unsettled issue. This disagreement also included the question if regime change was indeed necessary to protect civilians.

 

5. Bridging the Gap: Towards a Civilian Protection Doctrine

The United Nations and its many agencies look back at many years of experience and expertise in protecting civilians. Compendia on best practice and lessons learned in POC do exist and should be used as a starting point to develop a comprehensive UN-wide POC doctrine that explicitly spells out the role of civil and military components in safeguarding local populations. Despite hesitations to tackle the politically sensitive issue of defining protection of civilians, a POC doctrine would be a major step to streamline protection activities, pre-deployment training and evidence-based benchmarking at the UN. The doctrine would facilitate the development of adequate civilian protection training modules and allow for more specific instructions on how UN peacekeepers are expected to protect civilians prior to their deployment. Once on the ground, conduct and performance of blue helmets would be more consistent, reliable and adequate. Furthermore, a comprehensive concept of protection would make it possible to develop evidence-based and comparable benchmarking criteria to measure mission performance and facilitate the transfer of best practices across operations. Although indeed different in character and objective, robust UN peacekeeping operations could learn from experiences made in Counter Insurgency (COIN) operations in Iraq and Afghanistan. In contrast to the literature on peacekeeping operations and POC in particular, there is a wealth of theoretical and practical works written on the subject of fighting asymmetric warfare and securing civilian communities. Moreover, recent COIN campaigns have stressed the protection of local populations as a centerpiece of their efforts and developed a wealth of practices that could be useful for UN peacekeepers as well. For example, NATO forces in Afghanistan have devised useful metrics on measuring the security of civilians that could easily be adapted to UN peacekeeping needs and fill a painful void.

Rapid reaction Mass Atrocity Response Operations face specific challenges that are different from regular military conduct and peacekeeping. The development and incorporation of a veritable MARO doctrine would help anticipate such challenges by improving awareness, training, conduct and benchmarking of future interventions. The Carr Center for Human Rights Policy at Harvard’s Kennedy School of Government has published a path-breaking report on how successful MAROs – with light or heavy footprint – should be planned and launched. One of the principal lessons is that MAROs cannot rely on standard military doctrines and procedures but are subject to different logics. For example, humanitarian military operations need to deploy as fast as possible to break the momentum of ongoing mass atrocities. Moreover, it would be useful to study to what extent predominantly airborne MAROs such as the NATO-led interventions in Kosovo and Libya can most effectively contribute to the protection of civilians. Given NATO’s current aversion against risking any military casualties, it is reasonable to expect that future MAROs will most likely be mainly airborne rather than full-fledged interventions with ground force. If Western-led land invasions are no longer at the order of the day, it does make sense to examine alternative ways to launch MAROs. The increased use of unmanned aerial vehicles, hitherto used in the context of anti-terror operations, could become an option to monitor and control areas affected by mass atrocities, and if necessary take out marauding militias. In contrast to manned aircrafts, the capacity of drones to spy out and hit potential targets with both much greater accuracy and much less danger to civilians would be a boon in conducting a MARO under adequately tight rules of engagements. The Libya intervention – relying heavily on the use of unmanned aerial vehicles – has highlighted that coercive POC from above is possible thanks to modern weapons systems, although we have to bear in mind that this approach profited from the country’s favorable topography. If, by contrast, Libya would have been situated in a heavily vegetated terrain with jungles or dense forests, NATO’s strategy to use its air force to protect civilians would have been much more difficult.

The development and incorporation of a MARO doctrine should be understood as capacity building for civilian protection by coercive means. It would provide political decision-makers with more options in dealing with situations of mass atrocities. While the US armed forces have begun to ponder over the matter, NATO, EU and AU countries should follow suit. If the international community is serious about civilian protection and its responsibility to protect, a more systematic approach to the prevention and curbing of mass atrocities is inevitable.



[1] Holt, Victoria & Glyn, Taylor (2009): Protecting Civilians in the context of UN Peacekeeping Operations. Success, Setbacks and Remaining Challenges, p. 39f., available at http://www.peacekeepingbestpractices.unlb.org/PBPS/Pages/Public/viewdocument.aspx?id=2&docid=1014 (accessed on 13.9.2011)

 

By Robert Schütte

Die Zukunft der „Responsibility to Protect“ nach dem Fall Gaddafis

FES Perspektive – Oktober 2011

Der UN-mandatierte Militäreinsatz zum Schutz von Zivilisten in Libyen hat erneut die Debatte um die Norm der „Responsibility to Protect“ (RtoP, deutsch: Schutzverantwortung) angefacht. Trotz berechtigter Fragen bezüglich der Einhaltung des UN-Mandats fällt das Resultat für den Einsatz unter dem Strich positiv aus, sowohl im  Hinblick auf die Zivilbevölkerung in Bengasi die vor Massenverbrechen geschützt werden konnte, als auch für die Weiterentwicklung der Norm der Schutzverantwortung.

Deutschland sollte die von der UN schon vor Sturz des Gaddafi-Regimes begonnene Planung für ein befriedetes Libyen unterstützen. Neben technischer und wirtschaftlicher Hilfe gehören hierzu die UN-geleitete politische Unterstützung in Fragen von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Sollte Libyen einen Blauhelmeinsatz zur Stabilisierung des Landes anfragen wäre auch hier an eine deutsche Beteiligung zu denken.

Die jüngsten Entwicklungen in Syrien machen deutlich, daß die Schutzverantwortung auch unterhalb einer militärischen Intervention die internationale Gemeinschaft zum Handeln bewegen sollte. Deutschland ist als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat und auf Grund seines wirtschaftlichen Gewichts gefragt, konstruktiv Stellung zu beziehen und die Entwicklung innovativer Instrumente voran zu treiben.

 

Einleitung

International hat die ungewöhnlich entschlossene Reaktion der UN auf die militärische Unterdrückung der Protestbewegungen in Libyen durch das Gaddafi-Regime die staatliche Schutzverantwortung auf ein neues Niveau befördert. Das Prinzip der Schutzverantwortung wurde 2005 von allen Mitgliedsstaaten der UN angenommen und besagt, dass alle Staaten die Verantwortung haben, ihre Bevölkerungen vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit[1] zu schützen und hierbei von der internationalen Gemeinschaft unterstützt werden. Sollte ein Staat dieser Schutzverantwortung nicht nachkommen können oder wollen, dann geht die Responsibility to Protect auf die internationale Gemeinschaft über, die alle notwendigen präventiven, reaktiven und nachsorgenden Mittel zur Abwendung solcher Massenverbrechen zu ergreifen hat. Mit der Libyen-Resolution 1973 vom 17. März 2011 hat der Sicherheitsrat erstmalig eine militärische Intervention zum Schutz einer Zivilbevölkerung  mit Verweis auf diese Schutzverantwortung beschlossen. Nach dem Sturz Gaddafis im August 2011 lassen sich einige wichtige Schlussfolgerungen für die Zukunft der internationalen Schutzverantwortung zur Verhinderung von Massenverbrechen ziehen. Stärker als in der Vergangenheit muss nicht nur über die Frage des wann, sondern auch des wie nachgedacht werden. Nachdem in der vergangenen Dekade ein grundsätzlicher Konsens über Sinn und Rahmen der Schutzverantwortung gefunden wurde, muss nun ein breiter Meinungsbildungsprozess bezüglich der Umsetzung des Prinzips begonnen werden.

Deutschlands ist durch seine Enthaltung zur Resolution 1973 seiner Unterstützungsfunktion für die Norm der Schutzverantwortung nicht gerecht geworden. Die jüngsten Entwicklungen in Syrien machen gleichzeitig deutlich, dass die Schutzverantwortung künftig schneller unterhalb einer militärischen Einmischung der internationalen Gemeinschaft effektiv wahrgenommen werden muss.

 

Souveränität im Wandel der Zeit: Von der Nicht-Intervention zur Schutzverantwortung

Mit dem Ende des Kalten Krieges trat das Spannungsverhältnis zwischen staatlicher Souveränität und Menschenrechtsschutz auf die Tagesordnung der internationalen Politik. In den rasch aufeinander folgenden und mit massiver Gewalt einhergehenden Konflikten und humanitären Katastrophen in Irak, Somalia, Ruanda und Bosnien sah sich die internationale Gemeinschaft mit der Frage konfrontiert, wie und wann ein militärisches Eingreifen zur Beendigung von Massenverbrechen gegen Zivilbevölkerung notwendig sei. Die Völkermorde in Ruanda und Srebrenica, die in ihrer Tragweite nur durch das passive Zuschauen der internationalen Gemeinschaft ermöglicht wurden, schockierten die Weltöffentlichkeit und waren ein wesentlicher legitimatorischer Bezugspunkt als es im Jahr 1999 zu einer vom Sicherheitsrat der UN nicht mandatierten humanitären Intervention im Kosovo kam. Was für die einen ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat war, stellte für die anderen angesichts eines blockierten Sicherheitsrates eine militärische Nothilfe zum Schutz der Zivilbevölkerung dar. UN-Generalsekretär Kofi Annan kam abschließend zu dem Resümee, dass die Intervention nicht legal, dennoch aber legitim war. Um ein für allemal die Frage zu klären, durch wen eine humanitäre Intervention zu autorisieren sei und wann und mit welchen Mitteln sie zu erfolgen habe, richtete er im Jahr 2000 eine unabhängige Internationale Kommission zu Fragen von Intervention und Staatensouveränität (ICISS) ein. Die ICISS kam zu dem Ergebnis, dass souveräne Staaten die Verantwortung haben, ihre eigenen Bürger gegen Massenverbrechen zu schützen.  Sollte ein Staat dieser Schutzverantwortung nicht nachkommen können oder wollen, so geht diese Schutzverantwortung auf die internationale Gemeinschaft über. Neben dem Primat der Prävention entwickelte die Kommission auch konkrete Vorschläge in Bezug auf die Umstände einer militärischen Intervention. Diese solle eine realistische Erfolgschance haben, proportionale Mittel anwenden, nur nach dem Scheitern nicht-gewaltsamer Bemühungen beschlossen werden und in ihrer Konsequenz mehr nutzen als schaden. Für die Autorisierung solcher Einsätze sollte immer der UN-Sicherheitsrat als das höchste und meist legitime Organ ersucht werden.

Die Publikation des Reports im Oktober 2001 wurde vollständig überschattet von den Angriffen auf die USA am 11. September. Darüber hinaus fügte der danach von den USA geleitete Einmarsch einer „Koalition der Willigen“ im Irak dem Ruf nach militärischer Intervention zum Schutz von Zivilisten nachhaltigen Schaden zu. Eine der Konsequenzen hiervon war die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft in Bezug auf die Massenverbrechen in Darfur. Dennoch waren es nicht zuletzt die Vorfälle in Darfur, ebenso wie die sich verändernde Haltung der Afrikanischen Union, die ihre Indifferenz gegenüber Massenverbrechen aufzugeben begann, durch welche die Norm der Schutzverantwortung einen Wiederaufstieg erlebte. In ihrer sogenannten Millennium-Erklärung im September 2005 einigte sich die UN-Generalversammlung einstimmig auf die Verabschiedung der Schutzverantwortung. Es dauerte allerdings noch bis zum Jahr 2009, bis UN Generalsekretär Ban Ki-moon seinen Bericht zur Umsetzung dieser Norm vorlegen konnte, die seitdem auf drei Grundpfeilern basiert: Erstens, der Schutzverantwortung souveräner Staaten für ihre eigenen Bürger; zweitens, der Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft zur Unterstützung der Nationalstaaten bei der Umsetzung ihrer Schutzverantwortung; und drittens, der Schutzverantwortung der internationalen Gemeinschaft, rechtzeitig und entschlossen zu handeln wenn ein Staat dieser Verantwortung selbst nicht nachkommt.

Auf die Schutzverantwortung wurde seit ihrem Beschluss im Jahr 2005 an verschiedenen Stellen Bezug genommen, wodurch die Norm zunehmendes Gewicht und eine deutlichere Form erhalten hat. Die Feststellung, dass das Verhalten der Regierung Myanmars nach dem Taifun Nargis keine Verletzung der Schutzverantwortung darstellte gehört ebenso zu diesem Definitionsprozess wie der Entschluss der Vereinten Nationen, in Libyen und der Elfenbeinküste mit militärischen Mitteln den Schutz einer bedrohten Zivilbevölkerung zu gewährleisten. Der Fall Libyen ist dennoch ein besonderer Meilenstein für die RtoP, der Chancen, Risiken und offene konzeptionelle Fragen noch einmal besonders klar illustriert hat.

 

Der Fall Libyen und die RtoP

Libyen hat sich zum ersten Fall entwickelt, in dem die internationale Staatengemeinschaft ihrer Schutzverantwortung gegenüber einer bedrohten Zivilbevölkerung  – und in letzter Konsequenz auch unter Einsatz militärischer Mittel – in kürzester Zeit gerecht geworden ist. Dass es dazu kam, lag an den besonderen Dynamiken innerhalb Libyens und innerhalb der internationalen Gemeinschaft: Innerhalb Libyens, war ersten das Gaddafi-Regime frühzeitig mit unverhältnismäßiger Härte gegen eine demonstrierende Zivilbevölkerung vorgegangen und hatte so den begründeten Verdacht von bevorstehenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit genährt; zweitens stand mit dem libyschen Übergangsrat und seinen bewaffneten Milizen eine politisch und militärisch unterstützbare Alternative zur Regierung in Tripolis zur Verfügung, die öffentlichkeitswirksam um internationale Unterstützung bat; und drittens, zeichnete sich ab, dass es gerade im Zuge der drohenden Einnahme Bengasis durch Regierungstruppen höchstwahrscheinlich zu einem Massaker gekommen wäre, welches nur durch eine schnelle und entschlossene militärische Intervention verhindert werden konnte. Die Mitglieder des Sicherheitsrates wurden hierdurch unter massiven Zeitdruck gesetzt, innerhalb kürzester Zeit zu einer Entscheidung zu gelangen.

Auch international, und anders als beispielsweise in Darfur, entwickelte sich die Lage in kaum vorherzusehender Weise und Deutlichkeit zu Gunsten der Interventionsbefürworter. Schon am 25. Februar empfahl der UN-Menschenrechtsrat, Libyens Mitgliedschaft in diesem Gremium auszusetzen. Die UN Generalversammlung folgte dieser Empfehlung am 1. März einstimmig. Parallel dazu nahm der UN-Sicherheitsrat am 26. Februar Resolution 1970 an, die auf Grund der Befürchtung von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ eine Reihe nicht-militärischer Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII Artikel 41 der UN Charta anordnete. Hierzu gehörten ein Waffenembargo, ein Reiseverbot für Schlüsselfiguren des Gaddafi-Regimes, sowie das Einfrieren der Auslandsguthaben des libyschen Regimes. Die Verabschiedung von Resolution 1970 war aber vor allem deshalb ein wegweisender Eskalationsschritt der Vereinten Nationen, weil sie eine Überweisung der Vorgänge in Libyen an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) anordnete. Neben der Aufwertung des Gerichtshofs in Den Haag ist an diesem Schritt besonders bemerkenswert, dass die USA und China erstmalig einer solchen Überweisung zustimmten und dieser Schritt den Handlungsdruck auf den Sicherheitsrat in der Folge zusätzlich erhöhte. Am 16. Mai erließ der IStGH Haftbefehle gegen Gaddafi, seinen Sohn Saif-al-Islam, und den Geheimdienstchef Abdullah Al Sanousi wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Die Verhängung von Sanktionen und die Überweisung des Falls an den IStGH hatten nicht den Effekt einer Eindämmung der Gewalt, weswegen die Arabische Liga die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen forderte und damit die Tür zu einem militärischen Eingreifen unter UN-Mandat aufstieß. Damit war auch ein regionaler Konsens für eine Intervention mit Bezug auf die Schutzverantwortung gegeben, dessen zeitlicher Zusammenfall mit dem durch Gaddafi angedrohten Massaker in Bengasi den Ausschlag geben sollte: Am 17. März verabschiedete der UN-Sicherheitsrat Resolution 1973, bei der sich die Veto-Mächte China und Russland, sowie die nicht-ständigen Ratsmitglieder Indien, Brasilien und Deutschland der Stimme enthielten. Die Resolution autorisierte einen militärischen Einsatz zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung mit allen notwendigen Mitteln, jedoch unter Ausschluss der Entsendung von Besatzungstruppen. Dass die genaue Form der Anwendung militärischer Zwangsmittel in das Ermessen derjenigen Staaten gestellt wurde, die die Resolution implementieren würden, garantierte zwar die zügige Annahme der Resolution, führte aber auch absehbar zu dem politischen Konflikt der dann im Zuge der Implementierung zutage trat.

 

Kritik am Libyen-Einsatz

Schon kurz nach Beginn der NATO-geführten Luftangriffe auf militärische Ziele des Gaddafi-Regimes regte sich unter den abstimmungsneutralen Ländern Brasilien, Indien, China und Russland, aber auch beim ursprünglich zustimmenden Südafrika, Kritik an den intervenierenden Staaten. Sie warfen der NATO und den Westmächten im Sicherheitsrat vor, dass das Mandat für die Intervention zum Schutze von Zivilisten in der Praxis zu einer militärischen Unterstützung für einen Regimewandel genutzt wurde, der so nicht vom Mandat gedeckt gewesen sei. Zweifelsohne hatten die Luftangriffe der Alliierten wesentlichen Anteil daran, daß das Regime in Tripolis Mitte August zu Fall kam. Ob es sich hierbei jedoch tatsächlich um eine Mandatsüberschreitung handelt, hängt davon ab, wo und wie die völkerrechtliche von der politischen Interpretation getrennt wird. Eine politische Lösung des Konflikts auf dem Verhandlungsweg war ab dem Moment kaum mehr denkbar, ab dem Gaddafi einen Rückzug von sich und seiner Familie von der Macht prinzipiell ausgeschlossen hatte und somit Verhandlungen mit den Rebellen den Boden entzogen hatte. Die Resolution des Sicherheitsrats bot zwar keinerlei völkerrechtliche Handhabe, einen unmittelbaren Sturz des Regimes zu betreiben. Gleichzeitig ist die Resolution 1973 aber offen genug gehalten, dass zur Erfüllung des Mandats – Schutz der Zivilbevölkerung unter Einbeziehung militärischer Mittel – ein Regimesturz die mittelbare Konsequenz sein könnte.  Der Sturz Gaddafis unter Mithilfe der Alliierten ist also an und für sich kein ausreichender Grund von einer Mandatsüberschreitung zu sprechen. Es stellt sich weiterhin die Frage, wie und ob das UN-Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung überhaupt in einem Libyen erfüllbar gewesen wäre, welches weiterhin unter der Herrschaft Gaddafis verblieben wäre. Die Antwort auf die Frage also, bis zu welchem Punkt militärisch interveniert werden sollte und wie viel Regimewechsel bzw. Einfluss auf politische Strukturen im Rahmen von RtoP-Interventionen in Kauf genommen werden darf oder gar muß, wird die zukünftige Durchführbarkeit von RtoP-Interventionen maßgebend beeinflussen.

Eine ernst zu nehmende Kritik am Einsatz in Libyen ist die Befürchtung, dass es wie im Falle des Irak nach der militärischen Entmachtung von Saddam Hussein in sektiererischer Gewalt versinken könnte. Umso wichtiger ist es darum jetzt, dem libyschen Übergangsrat mit Rat, Tat und Ressourcen beim Aufbau eines neuen legitimen, demokratischen, und die Menschenrechte achtenden Rechtsstaat beizustehen. Nachdem die Vereinten Nationen ihrer Schutzverantwortung vor Massenverbrechen zunächst gerecht geworden sind, steht sie nun auch in einer Pflicht des Wiederaufbaus. Die Ausgangslage hierfür ist deutlich besser als im Fall des Irak: Da der UN-Sicherheitsrat der Intervention in Libyen und der Strafverfolgung Gaddafis zugestimmt haben, so stehen nach Artikel 25 der UN-Charter alle Mitgliedsstaaten der UN in der Verantwortung, die Folgen der Sicherheitsratsentscheidungen mitzutragen. Wegweisend wird die am 16. September vom Sicherheitsrat einstimmig angenommene Resolution 2009 sein, die neben der teilweisen Aufhebung der Flugverbotszone und die  Freigabe von eingefrorenen Auslandsguthaben auch die Einrichtung einer UN-Unterstützungsmission (UNSMIL) anordnet. Aus wohlverstandenem Eigeninteresse an regionaler Stabilität sollten die europäischen Staaten dazu beitragen, dass sich das post-revolutionäre Libyen stabilisiert und die erforderlichen Transformation erfolgreich bewältigt.

 

Nach der Intervention in Libyen, vor der Intervention in Syrien?

Während der Beschluss der UN sowie der militärische Einsatz in Libyen zweifellos als Erfolg für die Norm der RtoP gewertet werden können, stellt sich die Frage, warum angesichts des Vorgehens des Assad-Regimes mit militärischer Gewalt gegen friedliche Proteste in Syrien nicht ebenfalls unter Rückgriff auf die Norm der RtoP interveniert wird. Untergräbt die selektive Anwendung der Schutzverantwortung nicht die Legitimität der neuen Norm? Diese Kritik ist berechtigt, macht aber umso mehr deutlich, dass es sich bei RtoP nicht um ein abgehobenes Normengebilde handelt, sondern um das Ringen um eine Reaktion auf Massenverbrechen in einer Welt der Inkonsequenz und Interessengegensätze. In Libyen bestand die Chance, ein Massaker an der Bevölkerung Bengasis zu verhindern und eine Zivilbevölkerung vor massiven Menschenrechtsverletzungen zu schützen, ohne dass hierbei ein regionaler Flächenbrand drohte. Im Falle Syriens hingegen ist die Mandatierung einer Intervention durch den UN-Sicherheitsrat bis auf weiteres nicht zu erwarten. Selbst die Erwägung von Sanktionen, wie  sie in einem Resolutionsentwurf am 4. Oktober 2011 im Sicherheitsrat zur Abstimmung stand, fiel dem Veto Pekings und Moskaus zum Opfer. Da sich auch Brasilien, Indien und Südafrika enthielten, fällt der lange Schatten der Libyen-Intervention auf die syrischen Protestierenden. Erschwerend kommt hinzu, dass es bezüglich Syriens keinen regionalen Konsens über die richtige Vorgehensweise gegen das Assad-Regime gibt. Der von Syrien unterstützte Libanon ist momentan selbst Mitglied des Sicherheitsrats und auch Iran steht weiterhin an der Seite Assads. Zu tief ist Syrien in den Nahostkonflikt verstrickt, als dass die Auswirkungen eines militärischen Einsatzes gegen dessen Regierung lokal begrenzt werden könnten. Wenn sich die Opferzahlen nicht massiv vergrößern und der Handlungsdruck auf den UN Sicherheitsrat damit noch einmal sprunghaft zunimmt, ist ein militärisches Eingreifen auf Grund der unvergleichbar größeren Risiken äußerst unwahrscheinlich.

Diese Inkonsequenz kann man zwar zu Recht kritisieren, sollte aber nicht die Schlussfolgerung daraus ziehen, dass die Intervention in Libyen deswegen weniger legitim gewesen wäre. Der Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für die Schutzverantwortung, Edward Luck, hat hierzu richtigerweise festgestellt das es besser sei, inkonsequent einige Leben zu retten als konsequent keines. Luck weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass es sich bei RtoP nicht um ein legalistisches, sondern um ein politisches Instrument handelt. Der Bezug auf die Norm kann zu politischem Momentum beitragen, dieses aber nicht ersetzen. Aber selbst wenn eine militärische Intervention nicht möglich, nicht sinnvoll und von den Protestierenden in Syrien vielleicht auch nicht erwünscht ist, gibt es dennoch Möglichkeiten, den Druck auf Syrien unter Bezugnahme auf die Schutzverantwortung zu erhöhen. Es ist ein später, wenn auch richtiger Schritt, dass Europa und die USA die politische Isolierung des Regimes in Damaskus betreiben und ihre Sanktionen verschärfen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob der Westen nach wirtschaftlichen Sanktionen und diplomatischer Isolation sein Pulver verschossen hat. Der Fall Syrien zeigt, dass es zur Durchsetzung der Schutzverantwortung bisher unterhalb einer militärischen Intervention und oberhalb der Verhängung von Sanktionen an einem ausdifferenzierten  Instrumentarium fehlt, welches es in Zukunft zu entwickeln gilt.

 

Deutschlands Haltung zur Schutzverantwortung

Mit ihrer Enthaltung im Sicherheitsrat zur Libyen Resolution 1973 hat die Bundesregierung politisches Vertrauen und Kapital verspielt. Die als Begründung angeführte Einschätzung, Deutschland müsse sich bei einer Zustimmung in den UN auch im nächsten Schritt an einem militärischen Einsatz beteiligen oder sogar Soldaten nach Libyen schicken, kann nicht wirklich überzeugen. Auch wurden Seitens der Bundesrepublik keine alternativen Vorschläge entwickelt, wie die libysche Zivilbevölkerung vor der massiven Gewaltanwendung der Gaddafi-treuen Sicherheitskräfte hätte geschützt werden können. Weder haben Sanktionsdrohungen eine spürbar deeskalierende Wirkung gezeigt, noch hätten sie einen Beitrag zur Verhinderung eines Massakers in Bengasi geleistet. Als Fazit bleibt, dass Sanktionen zwar ein wichtiges Instrumentarium der Schutzverantwortung sind, jedoch schnell an ihre Grenzen stoßen, wenn es um die Verhinderung unmittelbar drohender oder die Beendigung von bereits statt findenden Massenverbrechen geht.

Das Abstimmungsverhalten im UN Sicherheitsrat hat die Frage aufgeworfen, wie ernst Deutschland es mit der Schutzverantwortung meint. Auf nationaler Ebene gibt es, mit Ausnahme der Linkspartei, einen parteiübergreifenden Konsens in Fragen RtoP: Bereits 2004 stellte die damalige Bundesregierung den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ vor, um Konfliktstrukturen und die daraus resultierenden Herausforderungen für die Staatengemeinschaft zu analysieren. Besonders die Handlungsoptionen für zivile Krisenprävention und Schutz von Menschenrechten greifen dem 2005 von der UN-Generalversammlung angenommenen Bekenntnis zur Schutzverantwortung sogar vor. Aber auch das Weißbuch zur deutschen Verteidigungspolitik von 2006 nimmt positiven Bezug auf die Schutzverantwortung.

Innerhalb der UN galt Deutschland bisher als Befürworter der RtoP und zählte zur sogenannten Freundesgruppe der Schutzverantwortung. Dort, wie in der Gruppe der EU-Länder haben jedoch andere Länder die Federführung übernommen. Beispielsweise als bei den letzten Finanzverhandlungen um die personelle Unterstützung für den Sonderberater des UN-Generalsekretärs für die Schutzverantwortung gestritten wurde, oder auch bei der jährlichen Generalversammlungsdebatte zum Thema RtoP: Der Einsatz an politischem Kapital um der Norm auch reale Bedeutung zu geben, bleibt begrenzt. Das Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat im Falle Libyen wird international auch in diesem Kontext interpretiert.

Während Deutschlands Haltung im Libyenkonflikt bei den westlichen Partnern fast ausnahmslos auf Unverständnis stieß, so hat die Debatte innerhalb Deutschlands parteiübergreifende Differenzen über Rolle und Verantwortung der Bundesrepublik offen gelegt. Hier taten sich ideologische Risse auf, an die ein ernsthafter und verantwortungsvoller Diskussionsprozess um die Schutzverantwortung anknüpfen sollte. Die deutsche Politik muss sich darüber klar werden, welche Rolle die Bundesrepublik auf europäischem und internationalem Parkett spielen soll. Vor allem muss Berlin eine Antwort auf die Frage finden, wie dem allgemein geteilten Bekenntnis zu Multilateralismus und UN tatsächlich Taten zur Erfüllung weltöffentlicher Interessen folgen. Es gilt daher nicht nur über das ob, sondern auch über das wie nachzudenken.

In diesem Sinne bietet es sich für Deutschland unmittelbar an, zunächst die Schutzverantwortung dadurch wahrzunehmen, dass man das Post-Gaddafi-Libyen im Prozess des Wiederaufbaus und der politischen Transformation unterstützt. Neben technischer und wirtschaftlicher Hilfe gehört hierzu vor allem die UN-geleitete politische Unterstützung bei der Entwicklung eines demokratischen politischen Systems, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Sollte Libyen zusätzliche Unterstützung in Form eines Blauhelmeinsatz zur Stabilisierung des Landes erbeten wäre auch hier an eine deutsche Beteiligung zu denken.

 

Mittel und Wege zur Weiterentwicklung der Schutzverantwortung

Die unter dem Banner der Schutzverantwortung autorisierte Intervention der NATO ist als Erfolg für die RtoP zu werten. Europa und die USA haben mit ihrem Einschreiten gezeigt, dass sie selbst dann zum militärischen Schutz einer muslimischen, afrikanisch-arabischen Zivilbevölkerung bereit sind, wenn es sich wie im Falle Gaddafis um einen politisch und ökonomisch gefälligen Diktator handelt. Dies wird der Glaubwürdigkeit der Schutzverantwortung und möglicherweise auch dem Image des Westens in der arabischen Welt gut tun. Gleichzeitig hat der Einsatz auch innerhalb des Westens gezeigt, dass eine humanitäre Intervention entgegen vieler gegenteiliger Prognosen auch ohne Bodentruppen, ohne eigene Verluste und ohne „mission creep“ realisiert werden kann. Die Kritik der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) an der angeblichen Mandatsüberschreitung der Alliierten wird mittelfristig dadurch gelindert werden, dass der Einsatz selbst letztlich ein Erfolg war und auch die Skeptiker mit einer neuen libyschen Regierung konstruktiv zusammenarbeiten wollen. Ihre Zustimmung im Sicherheitsrat am 16. September zur Einsetzung von UNSMIL bestätigt dies.

Die Libyen-Intervention bedeutet allerdings keinen Anbruch eines neuen Zeitalters humanitärer Einsätze in weltöffentlichem Interesse. Die Umstände, unter denen sich der Sicherheitsrat auf die Resolutionen 1970 und 1973 geeinigt hat, werden sich zu anderen Gelegenheiten nicht ohne weiteres wiederholen. Das Gerangel im UN-Sicherheitsrat um eine Verurteilung Syriens hat dies unlängst belegt. Wenn sich der Sicherheitsrat in Zukunft wieder zu einem militärischen Einsatz unter Berufung auf die Schutzverantwortung entschließen sollte, dann werden die BRICS Staaten vermutlich dafür sorgen, dass ein RtoP-Einsatz transparenter und operativ vorhersehbarer ausgestaltet wird. Denkbar wären auch Innovationen in der Sicherheitsratsarbeit, wie etwa die Einrichtung eines Komitees, vergleichbar mit den Sanktionskommittees, oder der Einsetzung eines Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs, wie bei Blauhelmmissionen.

Letztendlich hat der Libyen-Einsatz verdeutlicht, daß ein verstärkter Fokus auf die Umsetzung der Norm gelegt werden muss. Die Weiterentwicklung der Schutzverantwortung als Norm ist kein Selbstzweck, sondern bemisst sich letztendlich daran, ob sie dem Schutze der Menschen vor Massenverbrechen dient. Unterhalb der Schwelle einer militärischen Intervention bedarf es weiterer Instrumente als der Verhängung wirtschaftlicher und politischer Sanktionen, die sich in der Vergangenheit zwar als wichtige, aber auch begrenzt wirksame Druckmittel gezeigt haben. Ein weiteres, innovatives Instrument wäre die Herstellung größerer Konflikt-Transparenz durch eine gezielte Beobachtung und Veröffentlichung von Satelliten- oder Drohnenaufnahmen. Das „Satellite Sentinel“ Projekt der Harvard Humanitarian Initiative beobachtet zum Beispiel die Konfliktregion Abyei und Süd-Kordofan im Sudan. Die Initiative konnte auf diese Weise der Regierung in Khartum nicht nur ethnische Säuberungen und Massaker nachweisen, sondern auch die Vorbereitungen einer militärischen Offensive belegen, die daraufhin prompt verschoben wurde. Ähnliche Initiativen wären auch in anderen Konflikten denkbar, um hierdurch  Öffentlichkeit und diplomatischen Druck zu erzeugen sowie gerichtsfeste Informationen, zum Beispiel für den Internationalen Strafgerichtshof, zu sammeln. Der präventive Effekt einer möglichen strafrechtlichen Verfolgung sowie der Herstellung von Transparenz und politischer Verantwortlichkeit sollte nicht unterschätzt werden.

Auch auf regionaler und nationaler Ebene sollte die präventive Komponente der Schutzverantwortung konsequenter verfolgt werden, anstatt derlei Fragen einzig und allein auf UN-Ebene zu verorten. Die Obama-Administration hat z.B. zu diesem Zweck das sog. „Atrocities Prevention Board“ eingesetzt, welches ein hochrangig-besetzter inter-ministerieller Ausschuss zur Verhinderung von Massenverbrechen ist. Auf diese Weise wird auf institutioneller und personeller Ebene Vorsorge dafür getragen, dass die Verhinderung von Massenverbrechen bei der Formulierung der amerikanischen Außenpolitik künftig ausreichend Berücksichtigung findet. Deutschland und andere EU-Länder sollten diesem Beispiel folgen und entsprechende Regierungs- und Parlamentskommissionen ins Leben rufen. Ohne eine deutliche institutionelle, finanzielle und personelle Aufwertung der Prävention von Massenverbrechen wird eine Umsetzung der Schutzverantwortung auf nationaler und regionaler Ebene nur schwer realisierbar sein.

Wenn eine humanitäre Intervention als letztes Mittel zur Beendigung von Massenverbrechen nicht ausgeschlossen werden kann, stellt sich außerdem die Frage einer besseren Umsetzung der Schutzverantwortung auch im militärischen Bereich. Da Projekte wie eine UN-eigene schnelle Eingreiftruppe zur Verhinderung von Massenverbrechen langfristig durch den politischen Widerstand vieler UN-Mitglieder blockiert sind, bleiben mittelfristig einzelstaatliche Initiativen notwendig. Pionierarbeit hat in dieser Hinsicht das amerikanische „Mass Atrocity Response Operations Projekt“ des Carr Center for Human Rights Policy geleistet, indem es Herausforderungen und Lösungswege effektiver humanitärer Interventionen herausgearbeitet hat. Bis zum heutigen Tag ist der Schutz von Zivilbevölkerungen vor schwersten Menschenrechtsverletzungen kein Gegenstand militärischer Planung, Ausbildung oder Doktrin. Innerhalb der Vereinten Nationen, die seit dem Jahr 1999 Blauhelmmissionen mit Zivilschutzmandat in Krisenregionen schicken, stecken Definition, Aufgabenbeschreibung oder Benchmarking bezüglich des Schutzes von Zivilisten weiterhin in den Anfängen. Wann immer UN Blauhelme dabei versagen, eine Bevölkerung vor Übergriffen zu schützen, ist dies unter anderem auf eben jenen konzeptionellen und operativen Mangel zurückzuführen. Auch die NATO musste sich in Libyen dem Problem stellen, was genau der Schutz von Zivilisten beinhaltet und wie dieser praktisch umgesetzt werden kann: Wann z.B. gilt ein Panzer als unmittelbare Bedrohung für die Zivilbevölkerung und ist somit ein legitimes Ziel eines Militäreinsatzes? Reicht hierfür die reine Anwesenheit in einem Konfliktgebiet, muss eine direkte Kampfbeteiligung vorliegen, oder ist die Bewachung eines militärisch wichtigen Knotenpunktes ein ausreichender Grund für eine Attacke? Das grundlegende Problem ist, dass sich eine von Außen erzwungene Verhinderung und Beendigung von Massenverbrechen gegen eine Zivilbevölkerung nicht unter Bezugnahme auf traditionelle militärische Standardprozeduren erreichen lässt. Anstatt eine möglichst große militärische Überlegenheit vor einer Intervention sicherzustellen kommt es bei humanitären Interventionen auf ein möglichst rasches Einschreiten an, um so viele Zivilisten wie möglich vor Gewalt zu schützen.

Es ist notwendig zu verstehen, dass Streitkräfte durch humanitäre Interventionen mit einem weitestgehend unbekannten Operationstypus konfrontiert sind, der einzigartige Herausforderungen birgt und daher einer eigenen zivil-militärischen Doktrin bedarf. Je rascher an dieser Stelle Fortschritte erzielt werden, desto umfangreicher sind die Handlungsoptionen der Politik, im Falle von Massenverbrechen schnell und angemessen reagieren zu können. Trotz des wichtigen Fokus der RtoP auf präventive Konfliktbearbeitung ist es für die Zukunft der Schutzverantwortung deshalb unumgänglich, dass auch das robuste Spektrum der Schutzverantwortung diskutiert und weiterentwickelt wird. Mit Spannung wurde deshalb in New York vernommen, dass der RtoP-Sonderberater des UN-Generalsekretärs, Edward Luck, als Thema für die nächste Generalversammlungsdebatte der Schutzverantwortung ausgerechnet die „interventionistische“, so genannte dritte, Säule des RtoP-Konzepts auf die Tagesordnung setzen will.

 

Über die Autoren:

Volker Lehmann, PhD, ist Senior Policy Analyst im FES Büro New York

Robert Schütte ist Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation Genocide Alert

 



[1] Im weiteren Verlauf des Textes werden diese Verbrechen als Massenverbrechen zusammengefasst.

Libyen: Stresstest für die Schutzverantwortung?

Als das Regime des Muammar Ghaddafi zu stürzen begann und die Truppen des Nationalen Übergangsrats Tripolis einnahmen, klopfte man sich in den außenpolitischen Schaltzentralen in London und Paris auf die Schultern: Man hatte richtig entschieden und in einem innerstaatlichen Konflikt Partei ergriffen, um die Bevölkerung von Bengasi vor der angekündigten Rache des Diktators zu schützen.

Unter britischer und französischer Federführung wurde die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats vom März, in welcher der unbedingte Schutz der libyschen Zivilbevölkerung mit allen dafür notwendigen Mitteln gefordert wurde, umgesetzt. Die bei der UN-Generalversammlung 2005 verabschiedete Schutzverantwortung („Responsibility to Protect“) wurde dadurch in Libyen zum ersten Mal angewendet.

Deutschland hatte sich nicht an dem Einsatz beteiligt und dadurch die sicherheitspolitischen Partner brüskiert und seine Glaubwürdigkeit als langjähriger Verfechter der Schutzverantwortung beschädigt. Gleichwohl fühlte sich kurioser Weise auch Außenminister Westerwelle nach dem Sturz Ghaddafis als Sieger. Die von Deutschland mitgetragenen Sanktionen hätten nämlich ebenfalls zum Sturz des Regimes beigetragen. Westerwelle war im März mit seiner Entscheidung innenpolitisch allerdings nicht allein, Amtsvorgänger Steinmeier und auch der Fraktionschef der Grünen, Jürgen Trittin, sprachen sich ebenfalls gegen den Einsatz militärischer Mittel aus und stellten damit wieder einmal unter Beweis, dass Deutschland nicht bereit ist, ein bestimmender Akteur auf dem internationalen Parkett zu werden, dessen Handeln sich nur auf dem Papier an der Durchsetzung internationaler Normen und der Verteidigung von Menschenrechten ausrichtet. Ruanda und Srebrenica, wesentliche Ausgangspunkte für die Entwicklung der Schutzverantwortung, waren den Herren wohl nicht mehr im Gedächtnis und von der historischen Verantwortung deutscher Außenpolitik (vgl. von Schorlemer) war nichts zu spüren.

Das Konzept der Schutzverantwortung (RtoP) : Entstehung & Hintergrund

Am 24.Oktober 2005 stimmte die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit überwältigender Mehrheit dem Konzept der Schutzverantwortung zu. Dieses wurde auf Betreiben der kanadischen Regierung durch die „International Commission on Intervention and State Sovereignity“ entwickelt.
Ziel der Schutzverantwortung ist es, die Gefahr von Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit frühzeitig zu erkennen und bestenfalls zu verhindern oder zumindest zu stoppen. Sollte diese Verantwortung von Nationalstaaten nicht erfüllt oder sogar verletzt werden, geht sie auf die internationale Gemeinschaft über, die dann mit Hilfe von Verhandlungen, Sanktionen und im äußersten Fall militärischen Interventionen die Pflicht hat, Zivilisten zu schützen.
Grundlegend für das Konzept ist die „Responsibility to prevent“, welche besagt, dass alle Mitglieder der internationalen Gemeinschaft dazu verpflichtet sind, Maßnahmen zu ergreifen, um Konflikte präventiv zu unterbinden. Hierzu gehören vor allem Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit wie Armutsbekämpfung, Förderung von guter Regierungsführung und Bildung sowie des Dialogs zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen. Flankiert werden müssen diese Maßnahmen natürlich von einer verantwortungsvollen Außen- und Außenhandelspolitik, die im Zweifel eigene Interessen zurückstellt, wenn dadurch erkennbar das Konfliktpotential in einem Land oder einer Region erhöht wird. In einem Waffenexportland wie Deutschland muss daher stets besonders sorgfältig geprüft werden, was in welche Länder geliefert werden darf. Dabei geht es nicht nur um Panzer, sondern auch um Kleinwaffen und militärisch nutzbare Radar- und Kommunikationstechnik.

In den politischen und feuilletonistischen Debatten wird dieser Teil des Konzepts von seinen Gegnern häufig vernachlässigt. Man beschränkt sich – insbesondere in linken und pazifistischen Kreisen – auf die Handlungsoption der militärischen Intervention (responsibility to react), die gerne als „humanitärer Interventionismus“ oder auch als „Rückkehr zum Faustrecht“ (Ruf) bezeichnet und mit der Vermutung versehen wird, neoimperialistische Motive seien nicht auszuschließen.

Während diese Polemiken eher ideologisch motiviert scheinen, muss das Konzept der Schutzverantwortung kritisch analysiert werden, da durch ihre Anwendung folgende komplexe völkerrechtliche und politische Fragen aufkommen:

  1. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die Verantwortung des Schutzes von Zivilisten auf die internationale Gemeinschaft übergeht und ggfs. eine Militärintervention gerechtfertigt und legitim ist?
  2. Wo ist die Grenze zwischen Schutzverantwortung und regime change?
  3. Wie kann verhindert werden, dass durch eine militärische Intervention Zivilisten zu Schaden kommen?

Gründe für eine militärische Intervention

Formelle Voraussetzung für die Anwendung der Schutzverantwortung ist eine Resolution des UN-Sicherheitsrats. Aufgrund der unterschiedlichen teils aber auch konkurrierenden geostrategischen und machtpolitischen Interessen der ständigen Mitglieder ist davon auszugehen, dass nur in seltenen und wirklich schwerwiegenden Fällen Resolutionen zu Stande kommen. Dadurch wird einerseits die Vermutung abgeschwächt, die Schutzverantwortung legitimiere militärische Interventionen, die in Wahrheit interessengeleitet sind. Gleichzeitig entsteht durch die Machtbalance im Sicherheitsrat andererseits die Problematik, dass Diktatoren wie Omar Al-Bashir im Sudan aufgrund ihrer guten Beziehungen zu einem ständigen Mitglied vor einer völkerrechtlich legitimen Intervention wie in Libyen geschützt sind, obwohl dort schwerste Menschenrechtsverbrechen begangen wurden und werden. In der derzeitigen Situation muss daher gefragt werden, warum Syrien unter Augen der Weltöffentlichkeit mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen Demonstranten vorgehen darf, während in Libyen eingegriffen wurde. Der Fall Libyen zeigt deutlich welche drei Voraussetzungen noch erfüllt sein müssen, um die Anwendung von militärischen Mitteln zu rechtfertigen:

Erstens muss eine objektiv erkennbare Gefährdungslage für Zivilisten bestehen. Im Falle Libyens hat Ghaddafi selbst den Beweis erbracht, indem er den Demonstranten in Bengasi mit einer Niederschlagung der Proteste mit allen Mitteln drohte. Die ersten Reaktionen der regimetreuen Sicherheitskräfte erstickten jeden Zweifel an dieser Ankündigung umgehend (vgl. HRW).

Zweitens sollten angrenzende Staaten bzw. Regionalorganisationen in die Entscheidung über eine militärische Intervention einbezogen werden (Ischinger). Im Falle Libyens ging die Forderung nach einer Flugverbotszone maßgeblich von der Arabischen Liga aus und der Einsatz wurde trotz mitunter abweichender Stellungsnahmen grundsätzlich mitgetragen. Ohne diese Zustimmung der Arabischen Liga wäre die Intervention sicherlich aus einem anderen Blickwinkel diskutiert worden. Der Schutz der Zivilisten wäre hinter einem abermaligen Aufleben der Huntington-Thesen vom Kampf der Kulturen getreten.

gaddafi Drittens muss es eine klare Roadmap zur Umsetzung der entsprechenden Sicherheitsratsresolution geben. Im Falle Libyen forderte die Resolution 1973 den Schutz von Zivilisten vor Angriffen der Ghaddafi-Truppen, die Durchsetzung der Flugverbotszone und des Waffenembargos sowie Reiseverbote und das Einfrieren des Auslandsvermögens von Personen und Institutionen. Dies hat die NATO erfüllt. Allerdings wurden durch die Waffenlieferung an den NTC seitens Frankreichs die Grenzen der Resolution überschritten. Es handelte sich damit nicht mehr um den reinen Schutz von Zivilisten, sondern bedeutete eine klare Parteinahme innerhalb eines innerstaatlichen Konflikts.
Dieser Vorgang wurde zu Recht kritisiert, man muss allerdings fragen, welche Alternativen es in dieser Situation gibt. Hätte sich die NATO auf ihren eigentlichen Auftrag beschränkt, hätten die Truppen des NTC sicherlich Tripolis noch nicht erreicht, da ihnen auch gegen geschwächte Regierungstruppen die notwendige Schlagkraft gefehlt hätte. Ein langwieriger Bürgerkrieg wäre wohl ausgebrochen, an dessen Ende mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr Opfer zu beklagen gewesen wären. Im Libyen-Konflikt mag dieses Vorgehen durch den Erfolg des NTC und den zweifellos nachgewiesenen Gräueltaten des Regimes (HRW) nachträglich legitimiert sein. Dies darf jedoch unter keinen Umständen zur Regel werden, da die Schutzverantwortung eine Notfall-Option bleiben muss und kein Mittel darstellen sollte, um sich – im Sinne der Bush-Doktrin – Diktatoren zu entledigen. Wann aber ist ein Einsatz zum Schutz von Menschenrechten zu Ende? Der Wortlaut der UN-Resolution deckt alle Maßnahmen die zum Schutz von Zivilisten in Bedrohungslagen („under the threat of attack“) notwendig sind. Es ist schwer festzustellen, wann genau der Punkt erreicht ist, an dem ein Aggressor keine Bedrohung mehr darstellt. Im konkreten Fall musste man zudem noch davon ausgehen, dass Ghaddafi seine Ankündigung von Rache irgendwann wahr machen würde, sei es früher oder später.

„Do no harm“

Auch wenn es sich im Nachhinein nicht mit Gewissheit sagen lässt, ob eine militärische Intervention mehr Menschenleben gerettet oder zivile Opfer verursacht hat, kann bei diesem Einsatz mit hoher Wahrscheinlichkeit von Ersterem ausgegangen werden. Dies entspricht der sog. „Do-no-harm“ Regel, die besagt, dass Interventionen nicht gerechtfertigt sind, wenn die dadurch entstehenden Konsequenzen die Situation in einem Konflikt absehbar verschlimmern.
Es muss daher zunächst Ziel einer jeden militärischen Operation sein, Angriffe auf die Zivilbevölkerung durch Luftschläge und Artillerie zu verhindern und möglichst viele Menschen aus den Kampfzonen zu evakuieren.

In Libyen ist der NATO bei ihren Luftschlägen bis auf wenige Zwischenfälle gelungen,  zivile Opfer zu vermeiden und die libysche Bevölkerung bei ihrem Kampf gegen den Gewaltherrscher Ghaddafi zu unterstützen. Nun geht es darum, der Verantwortung für den Wiederaufbau und damit einhergehend auch der Präventionsverantwortung in dieser Post-Konflikt-Situation mit entwicklungspolitischen Maßnahmen in den Bereichen Sicherheitssektorreform, Verwaltungsaufbau und Förderung der Zivilgesellschaft gerecht zu werden. Eine neue Chance für Deutschland zu zeigen, dass man nicht nur auf dem Papier und bei Sonntagsreden internationale Verantwortung übernehmen will, wenngleich dies das Versagen im Sicherheitsrat nicht wieder gut machen wird.

Langfristig wird diese erfolgreiche Anwendung der Schutzverantwortung ein wichtiges Signal senden, da der Sicherheitsrat bewiesen hat, dass er nicht gänzlich handlungsunfähig ist und die Weltöffentlichkeit schwersten Menschenrechtsverbrechen in innerstaatlichen Konflikten nicht mehr hilflos gegenüber steht. Man muss die angesprochenen Probleme, die mit der Anwendung der Schutzverantwortung einhergehen, sehr ernst nehmen und insbesondere die Zivilgesellschaft muss hier ihre Rolle als kritische Wächterin spielen. Doch Libyen kann als erfolgreichen Stresstest für die Norm der Schutzverantwortung gewertet werden.

Quellen:

Sven Scheid

„Wer von Frieden redet darf von Menschenrechten nicht schweigen“ – Kommentar von Robert Schütte zum Antikriegstag

Wie jedes Jahr am 1. September gedenken die Deutschen am Antikriegstag dem Überfall Deutschlands auf Polen, der den 2. Weltkrieg einläutete. Die Pressemitteilungen und Zeitungsartikel haben den einhelligen Tenor: Für Frieden, gegen Kriege. Ganz ehrlich: Kann es angesichts weltweiter Gewalt etwas Sympathischeres geben als für Frieden zu demonstrieren? Schwerlich, denn wenn man den Friedensbewegten in unserer Gesellschaft eines sicherlich nicht absprechen kann, dann ist es, dass sie es gut meinen. Und doch habe ich mich bewusst und aus Gewissensgründen dazu entschlossen, dem pazifistischen Treiben Wasser in den Wein zu schütten. Ungewöhnlich für einen Menschenrechtler? Dem möchte ich mit reinem Gewissen widersprechen.

Man kann nicht nur, man muss für Frieden sein. Ich kenne in der Tat niemanden, der Krieg gut findet. So sehr ich aber für Frieden bin, so sehr bin ich auch für den Schutz von Menschenrechten. Wer ist denn heutzutage ernsthaft nicht mehr für den Schutz von Menschenrechten? Problematisch wird dies erst, wenn „Frieden“ und „Menschenrechtsschutz“ nicht mehr in Einklang zu bringen sind; wenn aus „Frieden“ „Friedhofsruhe“ wird. Spätestens seit den Völkermorden in Ruanda, Srebrenica und Darfur wissen wir doch, dass die Welt systematischen Massenverbrechen nicht tatenlos zusehen darf. Wenn ein Massenmord an unschuldigen Zivilisten nur noch durch den Einsatz von Militär zu verhindern ist, dann hat die Welt eine Verantwortung zur Rettung dieser Menschen, notfalls auch mit Gewalt. Das macht einen Krieg nicht zu etwas Gutem. Aber manchmal ist der Einsatz von Gewalt leider die am wenigsten schlechte verbleibende Option. In solchen Situationen kann man nicht zur gleichen Zeit Pazifist und Menschenrechtler sein. In solchen Situationen muss man eine Entscheidung treffen im Wissen, dass es manchmal leider keine guten, sondern nur mehr oder weniger schlechte Optionen gibt. Manchmal kann man leider nicht zugleich für Frieden und Menschenrechte sein. Die Frage ist eher, ob man diese bedrückende Tatsache anerkennt oder vor ihr die Augen verschließt.

Um im Bilde zu bleiben muss man leider feststellen, dass in der Friedensbewegung offenbar viele Augen verschlossen bleiben. So wird gegen die NATO, Israel und natürlich die Bundeswehr protestiert. Das ist legitim, vielfach ist dies auch angebracht. Auffällig ist aber, dass dort anscheinend niemand auf die Idee kommt gegen Gaddafi, die Taliban, Assad oder die Hamas zu demonstrieren. Wieso eigentlich nicht? Ist Gaddafi, der gegen seine eigene Bevölkerung zu Kriege zog und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt wird, denn kein Wort wert? Sind nicht auch die Taliban zu kritisieren, die laut Vereinten Nationen durch ihre Anschläge auf belebte Märkte und Straßen für mehr als 75% aller toten Zivilisten in Afghanistan verantwortlich sind? Ist nicht auch die Hamas dafür zu verurteilen, dass sie israelische Kinder in ihren Betten ermordet und ihre Raketen in Gaza aus Kindergärten und Krankenhäusern abschießt? Wo ist die Solidarität mit den syrischen Protestierenden, die von ihrer eigenen Regierung zusammengeschossen und gefoltert wird? Bei aller notwendigen Kritik am Westen frage ich mich, wie manche Teile der Friedensbewegung mit ihren noblen Intentionen einen solchen moralischen Blackout haben können.

Die Einseitigkeit mancher Antikriegsproteste konnte in diesem Jahr wieder einmal auf deutschen Ostermärschen beobachtet werden. So war auf einem Plakat zu lesen: „Zivilsten vor der NATO schützen!“ Gerade im Hinblick auf die humanitäre Intervention in Libyen kann man als Menschenrechtler bei solchen Aussagen nur mit den Augen rollen. Es waren die USA, Großbritannien und Frankreich, die im Auftrag der UN mit ihrer Intervention gerade noch rechtzeitig ein Massaker in Bengasi verhindert und das Ende des Gaddafi Regimes ermöglicht haben. Ich bin mir sicher: Wäre es nicht zu einem Eingreifen gekommen, würde sich heute alle Welt fragen, wie wir ein „zweites Srebrenica“ trotz eindeutiger Warnungen zulassen konnten. Mit deutschen Sanktionen hatte weder der Schutz der libyschen Zivilbevölkerung noch der Sturz Gaddafis zu tun. Danke NATO, nein danke Westerwelle möchte man da sagen.

Die humanitäre Intervention war und ist ein leuchtendes Beispiel dafür, dass westliche Soldaten im Notfall auch für die Menschenrechte arabischer und muslimischer Zivilisten kämpfen. Selbst wenn es zu keinem weiteren Einschreiten in Syrien oder am arabischen Golf kommt: Es ist besser, inkonsequent einigen Menschen das Leben zu retten, als konsequent keinen. Weltweit schützen mehr als 100.000 bewaffnete UN-Blauhelmsoldaten unzählige Frauen, Männer und Kinder vor Kriegsgewalt. In vielen Fällen wäre ein solcher Schutz ohne Waffen und Soldaten nicht zu schaffen. Ohne diese Friedenstruppen würden noch mehr Frauen im Kongo vergewaltigt, noch mehr Männer in Darfur ermordet und noch mehr Kinder zu Soldaten oder Sexsklaven gemacht. Selbst in Afghanistan sorgt der Einsatz der afghanischen Armee und ihrer internationalen Verbündeten (inklusive Deutschland) dafür, dass Menschenrechte inzwischen nicht wie unter den Taliban die letzte Geige spielen.

Natürlich kann man trotzdem begründet gegen Einsätze der Bundeswehr sein. Dennoch müssen auch knallharte Pazifisten vom ihrem hohen Ross der moralischen Überlegenheit absitzen, weil ihr grundsätzliches „Nein“ zu Militäreinsätzen seine eigenen Opfer fordert: Seien es Männer in Libyen, Frauen im Kongo oder Kinder in Darfur. Wer also am 1. September „nie wieder Krieg“ ruft, der sollte über ein „nie wieder Auschwitz“ nicht schweigen.

Robert Schütte (follow me on twitter: robert_schuette

Neue Publikation zur Schutzverantwortung: „Voices from Civil Society“

Akteure aus der Zivilgesellschaft waren für die Entwicklung der „Responsibility to Protect“ von Beginn an entscheidend. Um das Bewusstsein gegenüber der RtoP zu erhöhen und die Etablierung der Norm weiter voranzutreiben, ist ihre Überzeugungsarbeit gar unverzichtbar. Die Anstrengungen, welche in allen Teilen der Welt mit dem Ziel der Verhinderung von Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit unternommen werden, stellt die „International Coalition for the Responsibility to Protect„, dessen Mitglied Genocide Alert ist, in einer neuen Publikation vor.

Die PDF Version finden Sie unter diesem Link.

R2P – ein zivilisatorischer Fortschritt: Ein großer Schritt für die Menschheit

Das Eingreifen der NATO anhand eines UN-Mandats war das richtige Signal. Die Staatengemeinschaft hat gerade noch rechtzeitig ein libysches Srebrenica verhindern können. Die Schutzverantwortung ist der manifestierte Wille zum Schutz der Menschenrechte – eine Schande, dass Deutschland dabei nur zuguckt.

 

Mit der Autorisierung einer humanitären Intervention in Libyen hat die UN eine historische Entscheidung getroffen. Unter dem Banner der Schutzverantwortung (responsibility to protect, kurz: R2P) wurde eine internationale Koalition autorisiert, die Kriegsmaschinerie Gaddafis zu stoppen und weitere Menschenrechtsverbrechen zu verhindern. Zuvor hatte der libysche Machthaber Gaddafi eine brutale Säuberungsaktion angedroht und zivile Wohngebiete bombardieren lassen. Wegen des Verdachts auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermittelt inzwischen der Internationale Strafgerichtshof. Die Intervention kam gerade noch rechtzeitig, um ein Massaker in der Stadt Bengasi zu verhindern. Das Eingreifen der Alliierten hat somit letztlich Tausenden Menschen das Leben gerettet und ein libysches Srebrenica verhindert. Ohne die Intervention würde heute wohl diskutiert, wie die Welt trotz besseren Wissens ein solches Verbrechen zulassen konnte.
Ein libysches Srebrenica verhindert
Mit ihrem Eingreifen hat die UN die im Jahr 2005 einstimmig verabschiedete Norm der Schutzverantwortung umgesetzt: Wenn ein Staat seine eigene Bevölkerung nicht vor massiven Menschenrechtsbrüchen schützen kann oder will, dann muss die Weltgemeinschaft diese Schutzverantwortung übernehmen. Das Ziel ist hierbei kein Regime-Wechsel, sondern die Verhinderung von Massenverbrechen an wehrlosen Zivilisten. Als letztes Mittel ist dabei auch der Einsatz von Gewalt erlaubt, wenn alle zivilen Mittel wirkungslos geblieben sind.Trotz großer Unterstützung der Norm gibt es auch Gegenstimmen. Nassauer kritisiert beispielsweise, dass die R2P eine Aufweichung des internationalen Nichteinmischungsverbots sei und den entgrenzten Einsatz von Militär ermögliche. In der Tat ist die internationale Gemeinschaft nach den bitteren Erfahrungen der letzten 20 Jahre zu der Einsicht gekommen, dass kein Staat ein Recht auf Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen hat. Die Schutzverantwortung schreibt der Weltgemeinschaft deswegen eine klare Verantwortung für Leib und Leben bedrohter Bevölkerungen zu, wenn nationale Regierungen versagen oder sogar selbst für Massenverbrechen verantwortlich sind. Weltpolitisch ist das ein enormer Fortschritt. Auch das Völkerrecht wird mit der R2P vom Kopf auf die Füße gestellt. Es würde seinen ureigensten zivilisatorischen Zweck verfehlen, wenn es die Rettung unschuldiger Zivilisten vor schwersten Menschenrechtsverbrechen verhindern würde.

Deutschland auf der falschen Seite der Geschichte
In Libyen manifestiert sich der Wille der UN, Massenverbrechen zu beenden und zu bestrafen. Andernorts jedoch zögert der Sicherheitsrat, weshalb manche kritisieren: „Wenn wir nicht in Syrien, Darfur und Somalia eingreifen, dann bitte auch nicht in Libyen.“ Die Kritik an der selektiven Ausübung der R2P ist berechtigt, und dennoch muss man fragen: Ist es nicht besser, inkonsequent einigen Menschen das Leben zu retten als konsequent niemandem? Sollte nicht zumindest dort geholfen werden, wo eine Verhinderung von Massakern an Zivilisten international durchsetzbar ist? In Libyen wurde die Chance genutzt, zu beweisen, dass die R2P funktioniert und auch für muslimische, arabische und afrikanische Zivilisten gilt. Es ist tragisch, dass sich Deutschland bei dieser historischen Entscheidung auf die falsche Seite der Geschichte gestellt hat.
von Robert Schütte

Dieser Artikel erschien am 4. Mai 2011 auf der Websites von The European hier.

UN-Einsatz an der Elfenbeinküste: Die Rückkehr zum Verantwortungsbewusstsein

Was sich dieser Tage in Côte d’Ivoire ereignet, ist mit Blick auf internationale Schutzverantwortung ein Meilenstein. Gemeinsam mit den Geschehnissen in Libyen und der dort umfänglich wahrgenommenen Responsibility To Protect, steht die mutmaßliche Wende im andauernden Konflikt in dem westafrikanischen Land für eine neue Art und Weise seitens der internationalen Staatengemeinschaft, mit derartigen Situationen umzugehen. Neuer Mut sowie Ent- und Geschlossenheit, die theoretisch längst als wichtig und unabdingbar eingestuften Veränderungen auch mit praktischen Mitteln zu erreichen, scheint endlich Einzug zu halten.

 

Laurent Gbagbo, faktisch regierender Präsident Côte d’Ivoires seit 2000, befindet sich in Gesprächen mit französischen Botschaftern, die seinen Rückzug vom politischen Parkett beschließen sollen. Dem vorausgegangen sind massive Unruhen seit der Präsidentschaftswahl im Oktober 2010, in deren Folge der bis 2005 offiziell amtierende Präsident Gbagbo wie auch sein Kontrahent Alassane Ouattara den Eid leisteten und damit die Präsidentschaft annahmen.
Bürgerkriegsartige Zustände forderten seitdem hunderte Menschenleben und veranlassten über eine Million Menschen zur Flucht, so die Zahlen der UN.

Bereits seit 2004 ist die UN im Rahmen der Operation UNOCI (United Nations Operation in Côte d’Ivoire) in den Konflikt involviert, um mit Blauhelmtruppen das Ende der Kampfhandlungen sowie Entwaffnung und die Wiedervereinigung des Landes zu beobachten und zu unterstützen. Das Land ist seit dem Putschversuch gegen Gbagbo vom 19.September 2002 praktisch in zwei Hälften geteilt. In den von Oppositionellen besetzten Norden und den von regierungstreuen Truppen kontrollierten Süden. Infolge dieses Putsches entsendete die UN Blauhelme, die gemeinsam mit französischen Soldaten weitere Zusammenstöße zwischen Norden und Süden verhindern sollten. Während in den Folgejahren der Staatsapparat um Machthaber Gbagbo immer wieder neu angesetzte Präsidentschaftswahlen zu verhindern wusste, wurden diese nun am 31.10. (erster Wahlgang) resp. 28.11.2010 (Stichwahl Gbagbo/Ouattara) durchgeführt, wobei Ouattara mit 54.1% als Sieger aus ihnen hervorging. Allerdings missachtete Gbagbo dieses Ergebnis und ließ durch den regierungsnahen Verfassungsrat das Wahlergebnis manipulieren, um selbst im Amt bleiben zu können. Dies wurde von der internationalen Staatengemeinschaft weitgehend abgelehnt, so wurde u.a. seitens der Europäischen Union, der Afrikanischen Union sowie der USA der zweite Kandidat der Stichwahl, Ouattara, als rechtmäßiger Präsident anerkannt. Des Weiteren nahm der Unmut im Volk wieder zu, das sich eine Lösung des Konflikts durch die Präsidentschaftswahlen erhofft hatte.

Die seither immer heftiger gewordenen Auseinandersetzungen im Land veranlassten die UN, am 30.03.2011 die Resolution 1975 zu verabschieden, die das UNOCI Mandat um „alle notwendigen Maßnahmen“ zum Schutze der Zivilbevölkerung erweiterte.

Das so legitimierte Eingreifen der UN-Truppen in Zusammenarbeit mit der französischen Armee vor Ort markiert eine Zäsur in der Selbstsicherheit westlicher Staaten, die sich lange im Schatten der andauernden Konflikte am Hindukusch und im Irak verloren hatte. Es fehlte schlicht die Entschlossenheit, sich systematischer Gewalt von Despoten militärisch zu widersetzen. Dieser Zustand kollektiver Lethargie scheint nun überwunden zu sein. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy erklärte während seiner Ansprache zum Einsatz der französischen Luftwaffe in Libyen, dass, „jeder Herrscher verstehen muss […], dass die Reaktion der internationalen Gemeinschaft und Europas von diesem Moment an jedes Mal die gleiche sein wird: Wir werden auf der Seite der friedlichen Demonstranten sein, welche nicht mit Gewalt unterdrückt werden dürfen.“

Die Resolution 1975 zum Einsatz in der Elfenbeinküste und auch die humanitäre Intervention in Libyen zeigt, dass die Mitglieder der Vereinten Nationen ihre Schutzverantwortung jetzt ernst nehmen und auch bei zukünftigen Problemen durchaus zu agieren bereit scheinen. Diese erfreuliche wie notwendige Wende gilt es mitzutragen, speziell auch von Seiten der Bundesregierung, die als wichtiger Bestandteil der EU ihrem Führungsanspruch gerecht werden und sich klar zu ihrer Schutzverantwortung und der Wahrung von Menschenrechten weltweit bekennen muss.


Jan Dannheisig / Michael Barrabas