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Das Menschenrechtszeugnis zur Bundestagswahl

Auf dem Weltgipfel der Vereinten Nationen im Jahr 2005 verpflichteten sich ausnahmslos alle Staaten zur Wahrnehmung ihrer Schutzverantwortung, damit Zivilbevölkerungen in Zukunft besser vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit geschützt werden können. Die internationale Gemeinschaft hat sich hiermit die Aufgabe gegeben, Staaten bei der Wahrnehmung ihrer Schutzverantwortung zu unterstützen und im Notfall den Schutz bedrohter Bevölkerung zu erzwingen.

Mit diesem Zeugnis bewertet Genocide Alert, inwiefern die im Bundestag vertretenen Parteien sich dieser Verantwortung in der kommenden Legislaturperiode stellen wollen und für eine deutsche Außenpolitik eintreten, die dem Schutz der Menschenrechte, der Verhinderung schwerster Menschenrechtsverletzungen und einer Bestrafung solcher Verbrechen gewidmet ist.

Wie bereits beim letzten Menschenrechtszeugnis zur Bundestagswahl 2009 stehen auch 2013 erneut Bündnis 90/Die Grünen an der Spitze. Das klare Bekenntnis der Grünen zum Menschenrechtsschutz und der Bekämpfung schwerster Menschenrechtsverbrechen bringt ihnen die Note 1 (sehr gut) ein. Auf Platz zwei liegt die FDP mit einer 2- (noch gut). Die Liberalen sprechen sich in ihrem Wahlprogramm ausführlich für eine menschenrechtsorientierte Außenpolitik aus, hätten jedoch mit der Nennung konkreterer Maßnahmen in den Themen Menschenrechtsschutz und Krisenpräventionnoch besser abschneiden können. Im Mittelfeld finden sich die SPD sowie die CDU/CSU. Die Sozialdemokraten erreichen die Note 3- (noch befriedigend). Die SPD betrachtet Menschenrechte und Demokratie stets im Zusammenhang mit Frieden und Sicherheit, äußert sich allerdings nur vergleichsweise kurz zu den Themen Krisenprävention, Schutzverantwortung und dem Internationale Strafgerichtshof. Die weltweite Anerkennung der Menschenrechte setzten sich die Unionsparteien in ihrem Wahlprogramm explizit zum Ziel. Da konkrete Aussagen dazu im Wahlprogramm und auch in den Antworten auf unsere Wahlprüfsteine aber eher vage bleiben, erhalten die Christdemokraten mit der Note 4+ (voll ausreichend) ein für eine Regierungspartei ausbaufähiges Ergebnis. Abgeschlagen auf dem letzten Platz findet sich wie, bereits im Jahr 2009, Die Linke. Trotz häufiger Bekenntnisse zu Menschenrechten im Wahlprogramm, benennt die Linke keine Ideen, wie Deutschland aktiv zu einer besseren Einhaltung der Menschenrechte beitragen kann. Ihre Ablehnung UN-mandatierter Friedensmissionen und Skepsis gegenüber der Verwirklichung der internationalen Schutzverantwortung und Bestrafung schwerster Menschenrechtsverletzungen durch den Internationalen Strafgerichtshof zeichnen leider nicht das Bild einer verantwortungsbewussten Außenpolitik. Daher fällt die Linke mit der Note 5 (mangelhaft) als einzige Partei durch.

Das von Genocide Alert erarbeitete und herausgegebene Zeugnis umfasst eine Bewertung der Wahlprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien sowie ergänzende Antworten der Bundestagsfraktionen auf die von Genocide Alert an sie gerichteten Wahlprüfsteine. Die Bewertung der Wahlprogramme erfolgte auf Basis eines Fragebogens mit 15 Fragen zu unterschiedlichen Bereichen des Menschenrechtsschutzes (siehe Kapitel „Methodik“). Die Bewertung erfolgte durch die Mitglieder von Genocide Alert. Streitfälle wurden in der Gruppe im Konsens entschieden. Ergänzt wurde die Bewertung der Wahlprogramme durch die Vergabe von bis zu drei Zusatzpunkten, entsprechend der Qualität der Antworten auf die von Genocide Alert an die Bundestagsfraktionen gestellten Wahlprüfsteine.

Hier können Sie das gesamte Genocide Alert Menschenrechtszeugnis herunterladen (pdf)

 

Hier kommen Sie direkt zu den Ergebnissen der einzelnen Parteien:

 

Wie antworteten die Fraktionen auf unsere Wahlprüfsteine? Hier finden Sie die Antworten im Detail:

 

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Der Klassenprimus in Sachen Menschenrechte

Bündnis 90/Die Grünen streben einen umfassenden Wandel der deutschen Außenpolitik an. Allen Politikfeldern ist gemeinsam, dass die Partei die Einhaltung und Förderung universeller Menschenrechte als zentralen Pfeiler ihrer Politik begreift. Folglich setzt sich die Partei für eine Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofes ein, um schwerste Menschenrechtsverletzungen effektiver bestrafen zu können. Das Konzept der Schutzverantwortung gilt dabei als zentrale Säule ihrer Außenpolitik.

Die Grünen betonen den Vorrang ziviler Krisenprävention und die Erkenntnis, dass Frieden niemals erzwungen werden kann. Jedoch machen sie auch deutlich, dass zum Schutz bedrohter Zivilbevölkerungen auch ein militärisches Eingreifen als letztes Mittel notwendig sein kann. Explizit fordern die Grünen eine größere Übernahme von Verantwortung Deutschlands in UN-Friedensmissionen sowie eine restriktivere Rüstungsexportpolitik.

Die Antworten auf unsere Wahlprüfsteine zeigen: Die Partei hat sich in den letzten Jahren intensiv mit der Schutzverantwortung auseinandergesetzt und den Menschenrechtsschutz als ein außenpolitisches Leitbild definiert. Es wurden mehrere Anträge in den Bundestag eingebracht und inhaltliche Diskussionsveranstaltungen organisiert. Strengere Regelungen für Waffenexporte gehören zu den neun zentralen Themenschwerpunkten dieses Wahlkampfes. Ihre Forderungen nach der Einrichtung einer nationalen Stelle für die Schutzverantwortung, der Etablierung eines europäischen Friedensforschungsinstituts sowie einer stärkeren Demokratisierung der Vereinten Nationen unterstreichen, dass die Grünen sich aktiv für eine menschenrechtsbasierte Außenpolitik einsetzen wollen. Sie sind auch nicht der kontroversen Frage nach dem Einsatz von Gewalt ausgewichen, welches sie als letztes Mittel zur Verhinderung schwerster Menschenrechtsverbrechen ansehen. Hieran lässt sich ablesen, dass die Verfolgung idealistischer Ziele mit einer differenzierten und realistischen Sicht auf außenpolitische Gegebenheiten ins Gleichgewicht gebracht werden soll. Angesichts dessen fällt es nicht weiter ins Gewicht, dass Maßnahmen für eine zeitnahe und wirkungsvolle Reaktion auf Menschenrechtsverletzungen konkreter hätte ausfallen können.

Bündnis 90/Die Grünen haben sich die Note 1 (sehr gut) redlich verdient und gehen als Klassenbeste in die Bundestagswahl 2013.

 

Zitate aus dem Wahlprogramm

 

“Wir verstehen das internationale Konzept der Schutzverantwortung, der responsibility to protect, als wichtige Säule der Krisenprävention und wollen sie wirksamer umsetzen.”

„Deutsche Politik muss im Hinblick auf den Schutz und die Förderung von Menschenrechten und Entwicklung kohärenter werden. Es darf nicht mehr passieren, dass ein Ressort im Dienste von Menschenrechten und Entwicklung arbeitet und ein anderes die Erreichung dieser Ziele mit eigenen, nicht abgestimmten Maßnahmen konterkariert oder gar zerstört. Wir wollen Kohärenz sicherstellen, z.B. durch ressortübergreifende Länderstrategien für Partnerländer der Entwicklungszusammenarbeit.”

„Die unter Rot-Grün geschaffenen zivilen Ansätze müssen weiterentwickelt und ihr Rückstand gegenüber den militärischen Kapazitäten aufgeholt werden.“

 “Rüstungsexporte in Staaten, die Menschenrechte mit Füßen treten, darf es nicht mehr geben. Eine grüne Regierungsbeteiligung gibt es daher nur mit einer anderen Rüstungsexportpolitik, die endlich mehr Transparenz und Kontrolle ermöglicht und restriktiv ist.”

„Für ein Ende der Straflosigkeit bei schwersten Menschenrechtsverletzungen durch Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofs und des Völkerstrafrechts.”

„Es gibt Situationen, in denen gewaltsames militärisches Eingreifen notwendig ist, um schwerste Menschenrechtsverletzungen oder gar Völkermord zu verhindern oder zu stoppen.”

„An der Vision, den VN eigene ständige Truppen zu unterstellen anstatt nationaler Militärkontingente, halten wir fest. Wir setzen uns dafür ein, dass Deutschland VN-Missionen – zivile wie militärische – nicht nur finanziell, sondern auch personell stärker unterstützt.”

 

 Hier können Sie das gesamte Genocide Alert Menschenrechtszeugnis herunterladen (pdf)

 

Fotoquelle: Pressestelle Bündnis 90/Die Grünen

Deutsche Welle berichtet über Genocide Alert Podiumsdiskussion

Im Anschluss an die Podiumsdiskussion vom 30.1.2013 fasst dw.de die Meinungen zu Syrien und der Schutzverantwortungen zusammen und  beantwortet die Frage, wie sich Deutschland angesichts des eingeschränkten Handlungsspielraumes dennoch engagieren kann:

„Um Situationen wie in Syrien gar nicht erst entstehen zu lassen, plädiert Robert Schütte von „Genocide Alert“ außerdem für ein stärkeres Engagement im Bereich der Sicherheitssektorreform. Ziel dieses Konzepts ist, staatliche Sicherheitssektoren so zu reformieren, dass sie die Bedürfnisse der Bevölkerung und des Staates erfüllen und dabei demokratischen Prinzipien unterstehen.“,

schreibt Anne Allemling in ihrem Artikel und zitiert dabei aus der Diskussion vom 30.1.2013 im Rautenstrauch-Joest Museum zwischen Schütte, MdB Dr. Rolf Mützenich (Außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion)und Prof. Claus Kreß (Institute for International Peace and Security Law, Universität zu Köln).  Zum Artikel

Das Jein zur Intervention – Podiumsdiskussion zur Schutzverantwortung

Bereits im Vorfeld der Podiumsdiskussion zum Thema Schutzverantwortung (RtoP) im Rautenstrauch-Joest Museum in Köln hatte der Kölner Stadtanzeiger mit dem Artikel „Das Jein zur Intervention“ die aktuelle Diskussion beleuchtet.
Robert Schütte, Vorsitzenden von Genocide Alert, betonte im Interview mit dem KStA die Wichtigkeit einer Stellungnahme Deutschlands und forderte erneut eine hochrangigen RtoP-Koordinierungsstelle.

Podiusmdiskussion Köln / Foto Herbert Mück

Am Mittwochabend diskutierten Robert Schütte (Genocide Alert), MdB Dr. Rolf Mützenich (Außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion)und Prof. Claus Kreß (Institute for International Peace and Security Law, Universität zu Köln) unter Moderation von Babs Mück (Netzwerk „Eine-Welt Stadt Köln“) das Thema: „Afghanistan, Libyen, Syrien, Mali: Wann soll die internationale Gemeinschaft zum Schutz der Bevölkerung eingreifen – Wenn überhaupt?“ vor einer interessierten Zuhörerschaft.

 

Die Videodokumentation der spannenden Diskussion zum Thema Schutzverantwortung wird in Kürze hier online gestellt.

 

Den Artikel „Das Jein zur Intervention“ finden sie in der Printversion des Kölner Stadtanzeiger vom 30.1.2013.

Podiumsdiskussion zum Thema Schutzverantwortung (Responsbility to Protect) in Köln

 „Afghanistan, Libyen, Syrien, Mali: Wann soll die internationale Gemeinschaft zum Schutz der Bevölkerung eingreifen – Wenn überhaupt?“

Unter diesem provokanten Titel findet am Mittwoch, 30. Januar 2013 um 19.30 Uhr im Forum Volkshochschule im Rautenstrauch-Joest Museum, Cäcilienstr. 29-33, eine weitere Veranstaltung der Gesprächsreihe „Köln und die Welt“ statt.

Außenpolitik-Experten und Menschenrechtler diskutieren über die deutsche Verantwortung für den Schutz bedrohter Zivilbevölkerungen wie zum Beispiel derzeit in Syrien.

Nachrichten über 60.000 Tote, anhaltende Flüchtlingsströme und Menschenrechtsverletzungen wie Massenhinrichtungen erreichen uns täglich aus Syrien. Und Syrien ist nur eines der Länder, in den Menschen durch ihre Regierung keinen Schutz finden: Nachdem die Bundesregierung im Jahr 2011 eine Beteiligung Deutschlands an der NATO-geführten Intervention in Libyen abgelehnt hatte, stellt sich mit dem bestehenden Einsatz in Afghanistan und der eskalierenden Situation in Syrien, Mali und auch wieder im Kongo erneut die Frage: Wann und wo hat die Bundesrepublik eine Schutzverantwortung gegenüber bedrohten Zivilbevölkerungen, und wann sollte sie sich überhaupt an militärischen Auslandseinsätzen beteiligen – wenn überhaupt?

Über die Verantwortung der deutschen und internationalen Politik für die von systematischen Menschenrechtsverbrechen betroffenen Zivilbevölkerungen diskutieren MdB Dr. Rolf Mützenich (Außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion), Prof. Claus Kreß (Institute for International Peace and Security Law, Universität zu Köln) und Robert Schütte (Vorsitzender von Genocide Alert e.V.).

Moderatorin ist Babs Mück vom Netzwerk „Eine-Welt Stadt Köln“.

Der Eintritt ist frei.

Veranstalter sind das Netzwerk „Eine-Welt Stadt Köln“, die Menschenrechtsorganisation Genocide Alert, die Volkshochschule, sowie das Rautenstrauch-Joest-Museum.

Möglichkeiten von RtoP-Einsätzen durch Deutschland unterhalb der Schwelle militärischen Eingreifens

Die derzeitige Situation in Syrien zeigt erneut, wie schnell Zivilisten Opfer von breit angelegter, extremer Gewaltanwendung werden können. Doch ist es weder möglich noch wünschenswert, der Gewalt immer durch ein direktes militärisches Eingreifen Einhalt zu gebieten. Deshalb ist eine stärkere Auseinandersetzung mit jenen Instrumenten erforderlich, mit welchen Zivilisten auch unterhalb der Schwelle eines direkten militärischen Eingreifens effektiv vor Gewalt geschützt werden können. Andernfalls drohen schwerwiegende Konsequenzen; nicht nur für die betroffene Bevölkerung sondern auch für die Glaubwürdigkeit der internationalen  Gemeinschaft.

Deutschland steht mit seinen wiederholten Bekenntnissen zur Schutzverantwortung („Responsibility to Protect“), seinen Kapazitäten und seinen ausgezeichneten diplomatischen Beziehungen in einer besonderen Verantwortung.

Genocide Alert e.V. gibt in diesem Papier einen Überblick über Maßnahmen, welche zu einem besseren Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten ergriffen werden können.

Diplomatische Maßnahmen

Diplomatische Instrumente wirken zumeist indirekt und versuchen den beteiligten Parteien gewaltfreie Optionen der Konfliktaustragung zu eröffnen. Die Wirksamkeit der diplomatischen Instrumente hängt maßgeblich davon ab, ob die Gewaltakteure staatlich sind, sowie von ihrer Relevanz innerhalb der Staatengemeinschaft. Je höher die Eskalationsstufe eines Konfliktes, desto geringer die Erfolgschancen diplomatischer Maßnahmen.

–    Mediation: Internationale Vermittlungsgruppen können Konfliktparteien zusammenbringen und Möglichkeiten eines Waffenstillstandes oder Interessenausgleichs verhandeln.

–    Direkte Gespräche: Fernab der Öffentlichkeit können Konsequenzen angedroht und Sicherheiten in Aussicht gestellt werden (bilateral oder im Rahmen einer internationalen oder regionalen Organisation).

–    Internationale Isolation: Durch die Aussetzung von Mitgliedschaften des betroffenen Landes in regionalen und internationalen Organisationen oder die Ausweisung von Botschaftern kann deutlich gemacht werden, dass die Verletzung der Schutzverantwortung von der Staatengemeinschaft nicht hingenommen wird.

–    Sanktionen: Erfahrungen zeigen, dass Sanktionen keineswegs unproblematisch sind. Gezielte, sogenannte „smart sanctions“, können jedoch Wirkung entfalten, ohne die Situation der Zivilbevölkerung unmittelbar zu verschlechtern. Hierzu zählen bspw. Reiseverbote und das Einfrieren von Vermögenswerten von Regierungsmitgliedern. Umfassende Waffenembargos müssen ebenfalls frühzeitig durchgesetzt werden. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass kein militärisches Kräfteverhältnis festgesetzt wird, in dem die Verwundbarkeit einer Gruppe fortbesteht. Handelsembargos können dazu dienen, dass eine Regierung, die Gewalt gegen Teile ihrer Bevölkerung ausübt, an Unterstützung verliert. Eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation kann den Konflikt jedoch zusätzlich verschärfen und die Mehrheitsbevölkerung stärker an die Staatsführung binden.

–    Internationale Strafverfolgung: Durch die Einschaltung des Internationalen Strafgerichtshofes kann klar gemacht werden, dass Gewaltakteure bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht mit einer späteren Verurteilungen rechnen müssen.

Nachrichtendienstliche und technische Möglichkeiten:

Instrumente aus dem Bereich der Telekommunikation können eingesetzt oder den gefährdeten Zivilisten zur Verfügung gestellt werden. Durch geheimdienstliche Erkenntnisse können Informationen weitergegeben und Verbrechen zur strafrechtlichen Verfolgung dokumentiert werden.

–    Überwachung und Weitergabe von Informationen: Durch nachrichtendienstliche Methoden gewonnene Informationen können Aufschluss über Ziele und Pläne der Gewaltakteure geben. Erkenntnisse, z.B. über Truppenbewegungen oder geplante Massaker können an gefährdete Gruppen weitergegeben werden.

–    Einsatz von Satellitentechnik: Satellitenbilder können ausgewertet und die Erkenntnisse veröffentlicht werden, um Beweise für Massenverbrechen und Truppenbewegungen zu liefern und eine vorwarnende und dokumentarische Funktion einnehmen. Dieses Instrument findet seit Ende 2010 als „Satellite Sentinel Projekt“ im Sudan erfolgreiche Anwendung.

–    Dokumentation der Verbrechen: Je nach den jeweiligen Gegebenheiten der Krisensituation können der Bevölkerung Foto-, Video- oder Handykameras bereitgestellt werden. Dies ermöglicht eine frühzeitige und umfassende Dokumentation der Verbrechen und ermöglicht es, der staatlichen Propaganda entgegenzuwirken.

–    Bereitstellung von Internetverbindungen: Während des Arabischen Frühlings wurde die Bedeutung der Internetkommunikation deutlich. In Fällen, in denen das Internet gezielt abgeschaltet wird, sollte eine Verbindung – per Satellit oder externe Funksignale, wieder hergestellt werden.

Gewaltfreie militärische Maßnahmen:

Unterhalb der Schwelle eines breiten Engagements können militärische Maßnahmen ergriffen werden. Manche stellen völkerrechtlich Eingriffe in der Souveränität des Zielstaates ein und müssten vom VN-Sicherheitsrat mandatiert werden.

–    Vorbereitung einer internationalen Mission: Vorbeugende Aufstellung von militärischem, polizeilichem und zivilem Personal durch die VN, regionale Organisationen oder einer Koalition von Staaten, um eine Drohkulisse aufzubauen und schnell eingreifen zu können.

–    Unterbindung von Propaganda- und Kommunikationskanälen: Gewaltanheizende Radiosender oder Fernsehstationen sowie Kommunikationsnetzte können, beispielsweise per Störsender, ausgeschaltet werden. Gewaltakteure können hierdurch in ihrer Schlagkraft eingeschränkt werden.

–    Cyberkriegsführung: Vorhandene Fähigkeiten können zu Sabotage- und Spionagezwecken gegenüber den Gewaltakteuren eingesetzt werden.

–    Immaterielle und materielle Unterstützung: Demokratiebewegungen oder Minderheiten können durch finanzielle und materielle Mittel (z.B. durch die Bereitstellung von nichttötlichen Materialien), sowie Trainings und Informationsweitergaben unterstützt werden. Die Bereitstellung von Waffen ist äußerst kritisch zu bewerten, da deren Verbleib nach Ende des Konfliktes nicht weiter verfolgt werden kann.

Auch vor der Anwendung von nicht-militärischen oder gewaltfreien militärischen Maßnahmen muss geprüft werden, ob diese den Konflikt eskalieren lassen oder einer eventuellen Konfliktbearbeitung entgegenlaufen. Hinsichtlich des Einsatzes der diplomatischen, technischen, nachrichtendienstlichen und nichtmilitärischen Maßnahmen muss jedoch immer der Schutz der Zivilbevölkerung im Zentrum der Überlegungen gestellt werden. Ziel dieser Maßnahmen sollte neben dem Schutz der Zivilbevölkerung auch immer die diplomatische Lösung des Konfliktes sein, ein permanenter Kontakt zu allen Konfliktparteien ist daher unerlässlich.

Christoph Schlimpert
stellvertretender Vorsitzender Genocide Alert e.V.

Zum Dokument als PDF: Möglichkeiten von RtoP-Einsätzen durch Deutschland unterhalb der Schwelle militärischen Eingreifens

Interview der Tagesschau mit Genocide Alert Experten zur Krise im Ostkongo

Der Ostkongo wird seit Jahren mit Gewalt überzogen. Die Ursache dafür liege vor allem in ethnischen Konflikten, sagt der Politologe Christoph Vogel. Im Interview mit tagesschau.de erklärt er zudem, warum die UNO in der Region gescheitert ist – und welche undurchsichtige Rolle Ruanda in dem Konflikt spielt.

tagesschau.de: Die Bilder scheinen sich alle Jahre zu wiederholen: Zehntausende Menschen auf der Flucht, Rebellen und Regierungstruppen, die einander bekämpfen. Warum kommt der Osten Kongos seit Jahrzehnten nicht zur Ruhe?

Christoph Vogel: Das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist die Demokratische Republik Kongo als Staat nicht in der Lage, ihr Territorium zu sichern, die Zivilbevölkerung zu schützen – geschweige denn, ihre militärischen Gegner in die Schranken zu weisen. Hinzu kommt: Es gab bei den zahlreichen Konflikten in den vergangenen 20 Jahren immer wieder Einflussnahme von Nachbarstaaten, mal mehr, mal weniger.

Mit dem jetzigen Vorstoß der M23-Rebellen ist die Debatte um Ruandas Einfluss wieder entbrannt. Ruanda spielt auf jeden Fall eine zentrale Rolle, aber wie direkt die Unterstützung Ruandas ist und ob die Befehlskette innerhalb der Rebellengruppe M23 bis zum ruandischen Verteidigungsminister reicht – das lässt sich schwer beweisen. Da wird viel spekuliert.

Verbindungen zum Völkermord von Ruanda

tagesschau.de: Welche Interessen hat Ruanda denn im Kongo?

Vogel: Das reicht zurück bis zum Völkermord von 1994, als Hunderttausende Tutsi in Ruanda ermordet wurden. Viele der damaligen Mörder waren über die Grenze in den Kongo geflüchtet – und die ruandische Regierung will diese dingfest machen. Dabei handelt es sich um Hutu-Milizen. Die M23 hingegen wird von kongolesischen Tutsi befehligt und kontrolliert, als deren Schutzmacht sich Ruanda wiederum versteht.

Der ruandische Präsident Paul Kagame ist selbst Tutsi und hatte in den 1990er-Jahren den Kampf gegen die Hutu unterstützt. Und diese „Jagd“ setzt sich im Nachbarland Kongo fort. Da wird dann behauptet, die „nationale Sicherheit Ruandas“ sei bedroht, oder es gehe um den Schutz der „Brüder und Schwestern“ auf der anderen Seiten der Grenze.

Angesichts der Unfähigkeit der kongolesischen Armee sind die M23-Rebellen aus Sicht Ruandas gewissermaßen Verbündete, um die alten Feinde zu bekämpfen. Hinzu kommen natürlich wirtschaftliche Interessen. In der Region lagern viele Bodenschätze,  unter anderem werden dort Coltan oder Wolfram abgebaut. Trotz verschiedener internationaler Versuche, den Schmuggel einzudämmen, spielt der illegale Handel mit Rohstoffen zwischen Ruanda und Ostkongo nach wie vor eine große Rolle. Denn Ruanda ist für diese Rohstoffe auch ein wichtiges Transitland.

„Auswirkungen der kolonialen Grenzziehung“

tagesschau.de: Sie haben die ethnischen Spannungen und den Kampf um die Ressourcen erwähnt. Was wiegt Ihrer Ansicht nach schwerer – und entfacht den Konflikt immer wieder?

Vogel: Die Rohstoffe sind nicht die eigentliche Ursache des Kriegs, sondern sie begünstigen, dass er immer weitergehen und sich weiter finanzieren kann. Hauptursache sind die koloniale Grenzziehung und die sogenannte Ethnisierung von außen. Denn Huti und Tutsi sind streng genommen keine verschiedenen Ethnien, wurden aber in der Kolonialzeit als solche klassifiziert. Das hat Auswirkungen bis heute.

Hinzu kommt, dass es nicht nur ein Problem zwischen Hutu und Tutsi gibt, sondern auch zwischen den vielen anderen Ethnien, die in der Grenzregion Ostkongo/Ruanda vertreten sind. Und diese Spannungen entzünden sich vor allem an einer Landfrage. Der Ostkongo beispielsweise ist eine der am dichtesten besiedelten Gegenden in der gesamten Region – und auch Ruanda leidet an Platzmangel. Schon seit jeher gab es in dieser Region Landkonflikte, was politisch missbraucht wird und den Konflikt zusätzlich anfeuert.

„Kabila weitgehend abgetaucht“

tagesschau.de: Jenseits dieser Ursachen – wie verhalten sich die kongolesische Regierung und Präsident Joseph Kabila in dem Konflikt? Will er überhaupt Frieden in der Region?

Vogel: Das ist wahrscheinlich eine der kniffligsten Fragen, auf die es derzeit fast keine passende Antwort gibt. Kabila ist weitgehend untergetaucht, abgesehen von einem Fernsehinterview. Es gibt zahlreiche Gerüchte, dass der schwelende Bürgerkrieg ihm und seinen Familienmitgliedern in die Hände spielt. Denn es gibt immer wieder Indizien – auch in den Berichten der UNO -, dass seine Entourage in den Rohstoffhandel involviert ist.

Aber welches Interesse der Präsident tatsächlich verfolgt, ist schwer zu sagen, da er nahezu unsichtbar ist und wenige Informationen aus seinem Umfeld nach außen dringen. Er verfügt zwar über eine Armee; die ist aber in einem derart desolaten Zustand, was die Kommandostrukturen betrifft, dass sie auch gegen kleine, straff organisierte Rebellengruppen wie die M23 wenig ausrichten kann.

tagesschau.de: Und auch die UNO, die im Ostkongo mit bis zu 19.000 Soldaten vertreten ist, scheint nichts bewirken zu können. Wieso?

Vogel: Obwohl es sich bei der Kongo-Mission um den größten UN-Einsatz handelt, ist es für die Blauhelmsoldaten extrem schwierig, in einem Staat mit der Fläche von 2,3 Millionen Quadratkilometern für Ordnung zu sorgen – allein schon was die finanziellen und personellen Mittel angeht. Und die Konfliktlage ist derart verworren, dass es nicht reicht, die widerstreitenden Parteien voneinander zu trennen. Es geht darum, eine Staatlichkeit wiederherzustellen.

Die UNO hat dafür ein sehr komplexes Mandat für den Kongo, das bei genauerem Hinsehen aber kaum durchführbar ist. Der erste Kernpunkt ist der Schutz der Zivilbevölkerung, der zweite die Unterstützung der staatlichen Autoritäten. Der letzte Punkt hatte beim Marsch der Rebellen auf Goma aber zur Folge, dass sich die UNO nicht eingemischt hat, weil die kongolesischen Soldaten sehr schnell geflohen sind und sich ergeben haben.

Somit gab es im Prinzip niemanden mehr, den die Blauhelmsoldaten unterstützen konnten. Denn die UNO ist nicht dazu befugt, alleine einen Verteidigungskrieg zu führen, sondern nur unterstützend für die kongolesische Armee.

tagesschau.de: Sehen Sie irgendeine Chance auf Frieden in der Region?

Vogel: Im Moment erscheint mir das sehr schwierig, weil die kongolesische Regierung und M23 nicht zu Verhandlungen bereit  sind. Vor allem die kongolesische Regierung scheint das zu blockieren. Nur wenn es Zugeständnisse aller Seiten gäbe und einen Dialog aller Beteiligten – und nicht nur derjenigen, die zurzeit an der Macht sind – hätte ein Frieden vielleicht eine Chance. Dann könnte sich mit  vorsichtiger internationaler Unterstützung vielleicht etwas bewegen. Aber danach sieht es leider an allen Fronten nicht aus.

Christoph Vogel hat Politikwissenschaft und Afrikanistik an der Universität Köln sowie Peace and Conflict Studies an der Makerere University in Kampala studiert. Er forschte über bewaffnete Konflikte und humanitäre Hilfe im Kongo, in Uganda, Burundi und Haiti sowie bei der UNO. Vogel ist Stipendiat der Stiftung Mercator und seit 2011 Mitarbeiter von Genocide Alert.

Das Interview führte Jörn Unsöld, tagesschau.de.

Das Interview auf tagesschau.de hier.
Das Kurz-Video mit Interview hier.

Neue Publikation zur Schutzverantwortung: „Voices from Civil Society“

Die „International Coalition for the Responsibility to Protect“ (ICRtoP), dessen Mitglied Genocide Alert ist, hat die neue Publikation „Voices from Civil Society“ veröffentlicht. Auch Genocide Alert meldet sich darin mit einem RtoP-Artikel zu Wort. Anstrengungen von NGO’s, Politikern, regionalen und überregionalen Netzwerken sowie Personen der Zivilgesellschaft, welche in allen Teilen der Welt mit dem Ziel der Verhinderung von Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit unternommen werden, stellt die ICRtoP in dieser neuen Publikation vor:

Die PDF Version finden Sie unter diesem Link.

Protokollhof zwischen dem Neu- und Altbau des Auswärtigen Amtes in Berlin (2007), Quelle: Wikimedia

Offener Brief an Bundesaußenminister Westerwelle zur R2P

Heute forderten Genocide Alert, Human Rights Watch und der Gesellschaft für bedrohte Völker in einem offenen Brief offenen Brief an Bundesaußenminister Westerwelle eine bessere Umsetzung der Schutzverantwortung durch Deutschland. Dazu erläuterten die Organisationen ihre Forderungen nach einer RtoP-Koordinationsstelle sowie der Erstellung eins RtoP-Bestandsberichts.

Deutschland zählt innerhalb der Vereinten Nationen nominell zu den Ländern, die das Konzept der Schutzverantwortung am stärksten unterstützen. Eine Strategie zur Umsetzung auf nationaler Ebene ist bisher jedoch noch nicht erkennbar. Ohne eine Institutionalisierung der Schutzverantwortung können Massenverbrechen jedoch nicht systematisch verhindert werden. Deshalb wenden sich Genocide Alert, Human Rights Watch und der Gesellschaft für bedrohte Völker an Bundesaußenminister Westerwelle und bitten ihn sich für eine hochrangige Koordinierungsstelle zur Schutzverantwortung einzusetzen. Durch diese sollen die zahlreichen relevanten Informationen aus der deutschen Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungspolitik zusammengeführt und analysiert werden, um daraus eine kohärente deutsche Politik zu entwickeln. Zudem soll ein regelmäßiger Bestandsbericht klarstellen, welche Informationsquellen und Instrumente der Bundesregierung zur Umsetzung der Schutzverantwortung zur Verfügung stehen, wo Mängel sind und wie sich diese beheben lassen. Dadurch soll deutlich werden, welche Handlungsoptionen für die deutsche Politik existieren.

Hier finden Sie den offenen Brief sowie die Diskussionspapiere zu der Koordinierungsstelle und zu dem Bestandsbericht, die Genocide Alert, die Gesellschaft für bedrohte Völker und Human Rights Watch gemeinsam erstellt haben.

Hier zum offenen Brief an Bundesaußenminister Westerwelle von Genocide Alert, Human Rights Watch und der Gesellschaft für bedrohte Völker:

» Download pdf. Offenen Brief an Bundesaußenminister Westerwelle

Mehr Informationen Warum Deutschland eine RtoP-Koordinationsstelle braucht und welche Aufgaben diese erfüllen sollte, gibt es im aktuellen Policy Paper:

» Download pdf. Policy Brief RtoP Koordinator

Mehr darüber wie vorhandene RtoP Informationen und Instrumente besser genutzt werden sollten und welche Fragen ein nationaler RtoP-Bestandsbericht beantworten sollte finden Sie hier:

» Download pdf. Policy Brief RtoP Umsetzung

Deutschland und die R2P: Nie wieder Krieg oder nie wieder Auschwitz?

Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Tho­mas de Mai­zière hat jüngst wie­der ei­ne ver­stärk­te Si­cher­heits­po­li­ti­sche De­bat­te in Deutsch­land ge­for­dert. Im An­schluss an die jüngs­te in­for­mel­le De­bat­te der UN Ge­ne­rals­ver­samm­lung zur Re­s­pon­si­bi­li­ty to Pro­tect (RtoP) am 5. Sep­tem­ber bie­tet es sich an Deutsch­lands Bei­trag zur in­ter­na­tio­na­len Schutz­ver­ant­wor­tung zu dis­ku­tie­ren. Die Ver­hin­de­rung von und Re­ak­ti­on auf Mas­sen­ver­bre­chen ist an­ge­sichts zwei­er Ma­xi­me deut­scher Au­ßen­po­li­tik – nie wie­der Krieg und nie wie­der Ausch­witz – ein not­wen­di­ges The­ma, dass sich auch in der si­cher­heits­po­li­ti­schen De­bat­te wie­der­fin­den muss, in Deutsch­land aber bis­lang we­nig the­ma­ti­siert wird. Will die Bun­des­re­pu­blik ih­rer in­ter­na­tio­na­len Ver­ant­wor­tung ge­recht wer­den, muss hier­zu­lan­de ei­ne ernst­haf­te Aus­ein­an­der­set­zung mit der Schutz­ver­ant­wor­tung statt­fin­den.

Die Schutz­ver­ant­wor­tung…

Mit der ein­stim­mi­gen An­nah­me der Ab­schluss­do­ku­ments des Welt­gip­fels im Jahr 2005 ha­ben sich al­le Mit­glied­staa­ten der Ver­ein­ten Na­tio­nen mit der „Re­s­pon­si­bi­li­ty to Pro­tect“ prin­zi­pi­ell da­zu be­kannt Völ­ker­mord, Ver­bre­chen ge­gen die Mensch­lich­keit, Kriegs­ver­bre­chen und eth­ni­schen Säu­be­run­gen prä­ven­tiv ent­ge­gen­zu­tre­ten und ge­ge­be­nen­falls ein­zel­ne Staa­ten da­bei zu un­ter­stüt­zen ih­re Schutz­ver­ant­wor­tung ge­gen­über der Be­völ­ke­rung wahr­zu­neh­men. Soll­te ein Staat in der Aus­übung sei­ner Ver­ant­wor­tung gra­vie­rend ver­sa­gen, er­klär­te sich die In­ter­na­tio­na­le Ge­mein­schaft da­zu be­reit durch den Si­cher­heits­rat der Ver­ein­ten Na­tio­nen mit Hil­fe von Zwangs­maß­nah­men, die den Ein­satz mi­li­tä­ri­scher Mit­tel ein­schlie­ßen kön­nen, be­droh­ten Be­völ­ke­run­gen zur Hil­fe zu ei­len. Dies sind die drei Säu­len der RtoP: Die Schutz­ver­ant­wor­tung des Staa­tes, In­ter­na­tio­na­le Hil­fe und Ka­pa­zi­täts­auf­bau so­wie Recht­zei­ti­ge und ent­schie­de­ne Re­ak­ti­on.

Wur­de die RtoP lan­ge vor al­lem in aka­de­mi­schen Zir­keln dis­ku­tiert, so war im Jahr 2011 In Li­by­en und der El­fen­bein­küs­te erst­mals die Le­gi­ti­mie­rung des Ein­sat­zes von Ge­walt zum Schutz von Zi­vi­lis­ten auf Ba­sis der RtoP durch den Si­cher­heits­rat zu be­ob­ach­ten. Wäh­rend der Fall El­fen­bein­küs­te in der deut­schen Öf­fent­lich­keit re­la­tiv un­um­strit­ten war, folg­te der In­ter­ven­ti­on in Li­by­en ei­ne kri­ti­sche De­bat­te, ins­be­son­de­re in Deutsch­land war die deut­sche Ent­hal­tung im Si­cher­heits­rat Ge­gen­stand der Kri­tik (sie­he z.B. auch Be­rich­te bei SPON, SZ und FAZ).

… und das wi­der­sprüch­li­che deut­sche Han­deln zwi­schen Un­ter­stüt­zung und Dis­tan­zie­rung

Die Ent­hal­tung da­mals ver­wun­der­te ei­ner­seits we­gen des deut­schen Aus­sche­rens aus der Po­si­ti­on sei­ner Al­li­ier­ten und dem (zwei­fel­haf­ten) Schul­ter­schluss mit Russ­land  und Chi­na so­wie Bra­si­li­en und In­di­en, die sich eben­falls ent­hal­ten hat­ten. Auch wenn Deutsch­land sich durch sei­ne Ent­hal­tung Ver­trau­en bei Staa­ten wie Bra­si­li­en und In­di­en ver­schafft hat, die der RtoP und ins­be­son­de­re dem dar­auf be­grün­de­ten Ein­satz von Ge­walt kri­tisch ge­gen­über ste­hen, so kann man sie nicht zwin­gend aus der oft zi­tier­ten deut­schen Aus­rich­tung am Zi­vil­mach­ti­de­al er­klä­ren: Zwar strebt die ide­al­ty­pi­sche Zi­vil­macht ei­ne „Zi­vi­li­sie­rung“ der zwi­schen­staat­li­chen Be­zie­hun­gen auch durch ei­ne Ein­he­gung des Ein­sat­zes von Ge­walt an, dies be­inhal­tet al­ler­dings auch ei­ne Un­ter­stüt­zung kol­lek­ti­ver Si­cher­heits­sys­te­me so­wie ei­ne Stär­kung des Völ­ker­rechts. Bei­de hat­te Deutsch­land durch sei­ne Ent­hal­tung zu Li­by­en ver­säumt. Was al­so „von der Li­by­en-Po­li­tik Deutsch­lands in Er­in­ne­rung bleibt, sind Feh­ler und Ver­säum­nis­se ei­ner Zi­vil­macht oh­ne Zi­vil­cou­ra­ge“.

An­de­rer­seits pass­te das deut­sche Ver­hal­ten im Fall Li­by­en gar nicht zur an­sons­ten un­ter­stüt­zen­den Hal­tung Deutsch­lands zur RtoP auf der in­ter­na­tio­na­len Ebe­ne: Deutsch­land war ein star­ker Be­für­wor­ter des In­ter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hofs und wäh­rend der Ver­hand­lun­gen zum rö­mi­schen Sta­tut Mit­glied der Grup­pe der „li­ke-min­ded Sta­tes“. Auch wäh­rend der Ver­hand­lun­gen zur Re­s­pon­si­bi­li­ty to Pro­tect beim Welt­gip­fel 2005 spiel­te Deutsch­land ei­ne un­ter­stüt­zen­de Rol­le und sorg­te ge­mein­sam mit an­de­ren Be­für­wor­tern da­für, dass die RtoP letzt­lich im Gip­fel­do­ku­ment ver­blieb. Auch in der Zeit da­nach setz­te sich die Bun­des­re­pu­blik als Mit­glied der in­for­mel­len Grup­pie­rung „Group of Fri­ends of the Re­s­pon­si­bi­li­ty to Pro­tect“ für ei­ne Stär­kung und Im­ple­men­tie­rung der RtoP auf in­ter­na­tio­na­ler Ebe­ne ein. Da­für rühm­te sich die Re­gie­rung z.B. auch im Be­richt der Bun­des­re­gie­rung zur Zu­sam­men­ar­beit mit den Ver­ein­ten Na­tio­nen im Jahr 2010.

Zu­dem set­ze sich die Bun­des­re­gie­rung nach ei­ge­nen An­ga­ben durch Men­schen­rechts – und Ent­wick­lungs­po­li­tik, zi­vi­le Kri­sen­prä­ven­ti­on, die Stär­kung re­gio­na­ler und in­ter­na­tio­na­ler Or­ga­ni­sa­tio­nen so­wie durch die fi­nan­zi­el­le För­de­rung des Bü­ros der Son­der­be­ra­ter des Ge­ne­ral­se­kre­tärs der Ver­ein­ten Na­tio­nen für die Re­s­pon­si­bi­li­ty to Pro­tect und zur Ver­hin­de­rung von Völ­ker­mord ein (Bun­des­tags­druck­sa­che 17/6712: 3-4). Auch in meh­re­ren Re­de­bei­trä­gen vor den Ver­ein­ten Na­tio­nen sprach sich die Bun­des­re­pu­blik deut­lich für ei­ne Stär­kung der RtoP und de­ren wei­te­re Im­ple­men­tie­rung, auch durch den UN-Si­cher­heits­rat, aus. In­for­mier­te Krei­se be­rich­ten auch, dass An­ge­la Mer­kel ei­nen kri­ti­schen Brief an die bra­si­lia­ni­sche Prä­si­den­tin Rouseff ge­schrie­ben ha­ben soll, nach­dem Bra­si­li­en sein „Re­s­pon­si­bi­li­ty whi­le Pro­tec­ting“-Kon­zept im Herbst 2011 in die De­bat­te ein­ge­bracht hat­te.

Zu­rück­hal­tung des Aus­wär­ti­gen Amts trotz völ­ker­recht­li­cher Ba­sis für die Schutz­ver­ant­wor­tung

Ei­ne Er­klä­rung die­ses wi­der­sprüch­li­chen Ver­hal­tens ist we­ni­ger bei den deut­schen Di­plo­ma­ten in New York zu su­chen: so war z.B. Gun­ther Pleu­ger, der deut­sche Bot­schaf­ter bei den Ver­ein­ten Na­tio­nen wäh­rend des Welt­gip­fels 2005, ein star­ker Un­ter­stüt­zer der RtoP, der auch die Po­li­tik der schwarz-gel­ben Bun­des­re­gie­rung in der Li­by­en-Kri­se stark kri­ti­siert hat­te, auch sein der­zei­ti­ger Nach­fol­ger Pe­ter Wit­tig scheint sich ernst­haft mit dem Kon­zept aus­ein­an­der ge­setzt zu ha­ben. Es ist viel­mehr im Aus­wär­ti­gen Amt in Ber­lin ei­ne ge­wis­se Nicht­be­ach­tung des Kon­zepts be­ob­acht­bar: Da es sich nicht um ei­ne völ­ker­recht­lich ver­an­ker­te Rechts­norm han­delt, ran­gier­te die RtoP wohl lan­ge un­ter­halb der durch Ju­ris­ten ge­präg­ten Auf­merk­sam­keits­schwel­le der Lei­tungs­ebe­ne. Vie­le im li­be­ral ge­führ­ten Au­ßen­mi­nis­te­ri­um schei­nen in der RtoP zu­dem nicht in ers­ter Li­nie ein Mit­tel zur Ver­hin­de­rung von Mas­sen­ver­bre­chen zu se­hen, son­dern viel­mehr die Ge­fahr der Aus­he­be­lung des völ­ker­recht­li­chen Ge­walt­ver­bots.

Doch die­se ju­ris­ti­sche Be­trach­tungs­wei­se greift zu kurz: Auf Ba­sis der Ge­no­zid Kon­ven­ti­on von 1948 sind al­le Staa­ten ver­pflich­tet Völ­ker­mord vor­zu­beu­gen und ihn als Straf­tat­be­stand zu ver­fol­gen. Nach ei­nem Ur­teil des In­ter­na­tio­na­le Ge­richts­hof im Jahr 1996 ist die Ge­no­zid Kon­ven­ti­on in­zwi­schen gar als zwin­gen­des Völ­ker­ge­wohn­heits­recht zu se­hen, was je­den Staat da­zu ver­pflich­tet, al­les in sei­nen Mög­lich­kei­ten lie­gen­de zu tun, um Völ­ker­mord zu ver­hin­dern. Auch laut dem rö­mi­schen Sta­tuts des In­ter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­ho­fes aus dem Jahr 1998 sind Völ­ker­mord, Ver­bre­chen ge­gen die Mensch­lich­keit, Kriegs­ver­bre­chen so­wie das Ver­bre­chen der Ag­gres­si­on als in­ter­na­tio­na­le Straf­tat­be­stän­de durch die Un­ter­zeich­ner­staa­ten zu ver­fol­gen. Die­ses Sta­tut ist mit dem Völ­ker­straf­ge­setz­buch auch Teil der deut­schen Recht­spre­chung ge­wor­den. Auch wenn die RtoP selbst kei­ne völ­ker­recht­li­che Norm ist, so ba­siert sie doch auf ver­trag­li­chem und Völ­ker­ge­wohn­heits­recht.

Trotz­dem scheint sich das Aus­wär­ti­ge Amt erst nach der Li­by­en­kri­se ernst­haft mit der RtoP aus­ein­an­der­ge­setzt zu ha­ben. Dies ist auch dar­an zu er­ken­nen, dass sich Deutsch­land erst mit zwei Jah­ren Ver­spä­tung der RtoP Fo­cal Point In­itia­ti­ve Dä­ne­marks, Gha­nas und des Glo­bal Cen­ters fort he Re­s­pon­si­bi­li­ty to Pro­tect an­schlie­ßt. Beim kürz­lich statt­ge­fun­de­nen in­for­mel­len in­ter­ak­ti­ven Dia­log der Ge­ne­ral­ver­samm­lung zur Schutz­ver­ant­wor­tung hat­te die Bun­des­re­gie­rung an­ge­kün­digt, eben­falls ei­ne sol­che Kon­takt­stel­le für die RtoP ein­rich­ten zu wol­len. In sei­ner Re­de be­ton­te der stell­ver­tre­ten­de Bot­schaf­ter Mi­guel Ber­ger zu­dem, dass es in Deutsch­land Struk­tu­ren für ei­ne ef­fek­ti­ve Un­ter­stüt­zung an­de­rer Staa­ten zur Er­fül­lung ih­rer Schutz­ver­ant­wor­tung ge­be und ver­wies hier­bei auf ei­ne res­sort­über­grei­fen­de Ar­beits­grup­pe für zi­vi­le Kri­sen­prä­ven­ti­on und Früh­war­nung so­wie ei­nen un­ter­stüt­zen­den Bei­trat. Sein Ver­weis dar­auf, dass Deutsch­land die RtoP als ganz­heit­li­ches Kon­zept se­he und dass in Fol­ge der Li­by­en-Kri­se der drit­ten Säu­le, sprich der mi­li­tä­ri­schen und nicht-mi­li­tä­ri­schen Re­ak­ti­on auf be­reits statt­fin­den­de Mas­sen­ver­bre­chen, zu viel Auf­merk­sam­keit zu­teil­wer­de ist zwar rich­tig, an­ge­sichts der es­ka­lie­ren­den La­ge in Sy­ri­en aber nicht wirk­lich an­ge­bracht. Schlie­ß­lich kann in Fäl­len in de­nen Kriegs­ver­bre­chen und Ver­bre­chen ge­gen die Mensch­lich­keit be­reits be­gan­gen wer­den, nur ei­ne schnel­le, glaub­wür­di­ge und ent­schie­de­ne Re­ak­ti­on die Tä­ter von wei­te­ren Gräu­el­ta­ten ab­hal­ten. Ge­ra­de mit Blick auf Sy­ri­en wird hier der­zeit, we­gen der Blo­cka­de des UN-Si­cher­heits­ra­tes, al­ler­dings zu we­nig ge­tan.

Dis­kus­si­on und Ana­ly­se der Schutz­ver­ant­wor­tung in Deutsch­land not­wen­dig

An­ge­sichts der La­ge in Sy­ri­en muss da­her auch die De­bat­te über ei­ne Re­form des UN-Si­cher­heits­ra­tes wie­der be­lebt wer­den. Ge­ra­de Deutsch­land, das selbst ei­nen stän­di­gen Sitz im Si­cher­heits­rat an­strebt, soll­te in die­ser Dis­kus­si­on öf­fent­lich Stel­lung be­zie­hen. In­di­en z.B. nutz­te in den ver­gan­ge­nen Jah­ren die De­bat­ten der Ge­ne­ral­ver­samm­lung zur RtoP im­mer wie­der, um ei­ne Re­form des Si­cher­heits­ra­tes an­zu­mah­nen, auch in die­sem Jahr.

Die star­ke Zu­rück­hal­tung der Bun­des­re­pu­blik ge­gen­über In­stru­men­ten aus der drit­ten Säu­le der RtoP ist nicht ziel­füh­rend. Deutsch­land könn­te noch viel mehr tun, bis­lang fehlt hier­zu­lan­de ein Über­blick dar­über, wel­che In­stru­men­te der Bun­des­re­gie­rung an­ge­sichts von Mas­sen­ver­bre­chen zur Ver­fü­gung ste­hen: Das Aus­wär­ti­ge Amt, das Ent­wick­lungs­hil­fe­mi­nis­te­ri­um, der Bun­des­nach­rich­ten­dienst, die Bun­des­wehr und an­de­re Re­gie­rungs­in­sti­tu­tio­nen ver­fü­gen al­le über In­stru­men­te und In­for­ma­tio­nen, die in Be­zug auf die Prä­ven­ti­on und Ver­hin­de­rung von Mas­sen­ver­bre­chen hilf­reich und wich­tig sind. Doch oft schei­nen das Wis­sen, der Mut und der Wil­le zu feh­len, um die ver­füg­ba­ren Mit­tel auch ein­zu­set­zen. Wenn wir, wie von de Mai­zière an­ge­sto­ßen, ei­ne ernst­haf­te si­cher­heits­po­li­ti­sche De­bat­te in Deutsch­land füh­ren wol­len, muss auch die RtoP ernst­haft dis­ku­tiert und in der deut­schen Au­ßen­po­li­tik den ihr zu­ste­hen­den Platz ein­neh­men kön­nen.

Die­ser Bei­trag von Gre­gor Hof­mann ist am 12. Sep­tem­ber be­reits im Bret­ter­blog er­schie­nen.
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