Neueste Entwicklungen in der Demokratischen Republik Kongo

Nachdem vergangenen Montag, den 28. November 2011 in der Demokratischen Republik Kongo die zweiten demokratischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen der Geschichte des Landes ausgetragen wurden, scheint sich im Laufe der zögerlich voranschreitenden Auszählung das politische Klima zu erhitzen.

Am Dienstag, den 6. Dezember sollen von der unabhängigen Wahlkommission CENI die vorläufigen Endergebnisse verkündet werden, am 17. Dezember wird das höchste Gericht diese laut dem französischen Sender RFI endgültig bestätigen. Laut neuesten Zwischenergebnissen führt der Amtsinhaber Joseph Kabila derzeit mit 48,8% vor Tshisekedi 33,6% bei einem Auszählungsstand von 52,9% (wobei sich dieser Wert von Provinz zu Provinz unterscheidet, die als Oppositionshochburg bekannte Hauptstadt Kinshasa ist z.B. erst zu 27,4% ausgezählt. Alle anderen Kandidaten, inklusive Kamerhe, Kengo, Mobutu und Mbusa sind weit abgeschlagen. Die Ergebnisse sind insgesamt sehr regional geprägt, so gelingt es einigen regionalen „Statthaltern“ ihre Bastionen für sich zu entscheiden (Kengo und Mobutu in Equateur, Mbusa in Nordkivu, Kamerhe im Südkivu). Kabila liegt in den Kivuprovinzen, Maniema, Katanga und Bandundu sehr gut im Rennen, während Tshisekedi in den Kasai-Provinzen, im Bas-Congo, in Kinshasa und Equateur viele Stimmen einholt.

Die internationalen Wahlbeobachtungsmissionen, sowie die UN-Mission MONUSCO sprechen von insgesamt zufriedenstellenden Verhältnissen, was seitens kongolesischer Beobachter und NGOs sowie verschiedenen Journalisten und Kongo-Experten jedoch in unterschiedlich starker Form zurückgewiesen wird. So berichtete vergangene Woche Human Rights Watch von der massiven Gewalt gegen Oppositionsaktivisten, die mindestens 18 Todesopfer und zahlreiche Verletzte forderte. Der UN-Sicherheitsrat hat sich besorgt zur Entwicklung der letzten Tage geäußert, dennoch ist es aufgrund der Vetomöglichkeit Chinas und Russlands unwahrscheinlich, dass es konkrete Maßnahmen im Falle einer gewaltsamen Eskalation geben wird. Außerdem ist unklar, ob die USA, Frankreich, Großbritannien, aber auch Deutschland Kabila „opfern“ möchten, zu dem ein kompliziertes aber immerhin stabiles Verhältnis besteht.

Nach Kamerhe, Kengo und drei anderen Kandidaten bei den ersten Zwischenergebnissen verlangen nun alle zehn Oppositionskandidaten die Annullierung, bzw. Neuauszählung der Stimmen. Dem Chef der CENI Ngoy Mulunda wird Parteilichkeit und Nähe zum Präsidenten Kabila vorgeworfen. Einige internationale aber auch lokale Beobachterorganisationen (u.a. die EU) und NGOs wie ISBPD aus Kanada haben zudem dementiert, dass der Auszählungsprozess von neutralen Personen außerhalb der CENI begleitet würde. Mittlerweile haben laut Radio Okapi, dem landesweiten UN-Rundfunk, selbst Parlamentskandidaten der Kabila-Mehrheit der CENI Verfehlungen vorgeworfen. Diese Vorwürfe verstärken die bereits seit Tagen aufgekommenen Klagen in Bezug auf massive Unregelmäßigkeiten (u.a. Zerstörung von Wahllokalen, Einschüchterungsversuche, Bestechungsversuche, gewaltsame Einnahme von Wahllokalen durch Sicherheitskräfte und nichtstaatliche Gruppierungen, sowie die Abhaltung tausender Bürger von der Wahl). Weiterhin berichtet der Kongoexperte Jason Stearns, dass Ngoy Mulunda ohne Angabe von Gründen eine nennenswerte Anzahl von Wahlbüros in Kinshasa invalidiert habe – nicht jedoch in anderen Provinzen.

Zusätzlich aufgekommen sind Gerüchte über die Ankunft von ausländischen Soldaten und Söldnern am Flughafen Ndjili in Kinshasa. Offiziell sollte zusätzliches Wahlmaterial aus Südafrika eingeflogen werden, doch geschah dies bereits nach Schließung der Wahllokale vergangenen Mittwoch/Donnerstag, wie AFP berichtete. In Pretoria fanden daraufhin Proteste von Exilkongolesen statt. Seit Samstag herrscht in der DR Kongo eine landesweite Kommunikationssperre für SMS, Telefonate sind jedoch noch möglich. Die Maßnahme soll bis mindestens Dienstag aufrechterhalten werden. Es gibt widersprüchliche Meldungen zur genauen Ursache dieser Entwicklung, die am Sonntag vom amtierenden Innenminister Lumamu offiziell bestätigt wurde. Die Opposition betrachtet das Vorgehen neben dem geltenden Versammlungsverbot als zusätzlich Schikane der Kabila-Regierung und auch die Menschenrechtsorganisation FIDH hat Beschwerde beim Innenministerium eingelegt. Allgemein wird die Stimmung in Kinshasa immer angespannter. Als Tshisekedi Sonntagabend sein Haus verlassen wollte, kam es laut mehreren Augenzeugen zu Schusswechseln, bei dem jedoch niemand verletzt wurde. Hinzu kommt die Angst der Zivilbevölkerung vor einer Eskalation, die die Flucht von mindestens 3000 Personen nach Brazzaville provoziert hat, weitere sollen Kinshasa  in andere Richtungen verlassen haben. Der Menschenrechtsaktivist Alex Engwete berichtet aus Kinshasa, dass sich unter den swahiliphonen Ostkongolesen in der Hauptstadt die Angst mehrt, im Falle eines Wahlsieges von Kabila zur Zielscheibe für Tshisekedi-Anhänger zu werden. Im Umkehrschluss beschweren sich seit Beginn der Wahlen zahlreiche Oppositionsanhänger über das repressive und gewaltsame Vorgehen der Polizei und der Republikanischen Garde Kabilas.

Diese Woche werden zahlreiche Schulen in Kinshasa geschlossen bleiben, es gibt ebenfalls Berichte, dass die internationalen Fluggesellschaften ihre Flüge vorerst aussetzen. Gerüchte über eine allgemeine Ausgangssperre in Kinshasa konnten bislang noch nicht verifiziert werden. Am Sonntagabend hat die kongolesische Bischofskonferenz alle Politiker, die CENI und die Bürger zu Ruhe aufgerufen und forderte  auf, das Wahlergebnis anzuerkennen. Aufgrund ihrer gesellschaftlichen, aber auch sozialen und wirtschaftlichen Rolle, übt die katholische Kirche in der DR Kongo einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Menschen aus. In den kommenden Tagen wird sich herausstellen, inwiefern die nunmehr schwierige politische Lage sich beruhigen kann oder es zu weiteren, womöglich schwerwiegenderen Vorfällen kommt. Laut AFP und anderen Medien hat der wichtigste Oppositionskandidat Tshisekedi bereits angekündigt, nach der Veröffentlichung am 6. Dezember seinen Anhängern eine wie auch immer geartete „Losung“ zu verkünden und kann dabei auf die Unterstützung anderer Kandidaten wie u.a. Kamerhe zählen.

Genocide Alert e.V. lädt alle Beteiligten ein, konstruktiv auf die Situation einzuwirken und den Schutz der Zivilbevölkerung an erste Stelle zu setzen. So ruft Genocide Alert e.V. insbesondere die deutsche Bundesregierung, das Auswärtigen Amt, sowie die Bundestagsausschüsse „Auswärtiges“ sowie „Menschenrechte und Humanitäre Hilfe“ dazu auf, sich zeitnah und konsequent mit der derzeitigen Situation in der DR Kongo auseinanderzusetzen und zu eruieren, inwiefern die Bundesrepublik Deutschland diplomatisch, finanziell, materiell und personell dazu beitragen kann, eine drohende Eskalation zu verhindern. Hierzu gilt es, vor dem UN-Sicherheitsrat, innerhalb der europäischen Partner in der EU aber auch auf bilateralem Wege mit der kongolesischen Regierung eine entschiedene Politik im Sinne des Schutzes von Zivilisten und der Wahrung der politischen Rechte des kongolesischen Volkes zu vertreten. Darüber hinaus möchte sich Genocide Alert e.V. an die deutsche Medienlandschaft wenden, die im Vergleich zu den Wahlen 2006, das Thema DR Kongo insbesondere in den letzten zwei Wochen stark vernachlässigt hat. Die Analysten von Genocide Alert e.V. stehen jeglicher Kooperation mit den Medien daher offen gegenüber und betonen die immens wichtige Rolle, die den Medien und in Folge dessen einer aufgeklärten internationalen Öffentlichkeit bei der Verhinderung einer Eskalation zukommt.

 

von Christoph Vogel

Die große Chance und Gefahr der Wahlen in der DRC – verkannt von internationalen und nationalen Akteuren

“This election in Congo is the ultimate test. Is Congo on course to consolidate its fledgling democracy or return to a state of widespread instability, insecurity and violence?“

Mit dieser Einschätzung ist Thierry Vircoulon, der Zentralafrika-Direktor der International Crisis Group nicht alleine. Der gewaltlose Ablauf der zweiten Präsidentschaftswahlen seit dem Ende der Diktatur von Mobutu Sese Seko nächsten Sonntag in der DR Kongo ist unbedingt notwendig, gerade weil die Gefahr eines Abgleitens in bürgerkriegsähnliche Zustände in der instabilen DR Kongo so hoch ist. Die internationale Gemeinschaft und die zentralen politischen Akteure im Kongo ignorieren diese Gefahr und vergeben damit die Chance, die hoffnungsvollen Entwicklungen in der DR Kongo durch eine faire, freie Stimmabgabe zu fördern.

Die internationale Gemeinschaft fährt Finanzierung und Unterstützung durch Wahlbeobachter zurück
Die internationale Gemeinschaft stellt etwa 500 Wahlbeobachter, das sind 1500 weniger als bei der Wahl 2006. Die Vereinten Nationen setzen neben den 20.000 in der DR Kongo stationierten MONUSCO Soldaten keine zusätzlichen Wahlbeobachter ein. Bei den Wahlen 2006 haben die VN hingegen 2250 Wahlbeobachter gestellt. Auch die Europäische Union hat ihre Wahlbeobachter von 300 auf 150 reduziert. 2006 hat die EU 80% der Kosten der Wahlen getragen, während sie 2011 nur ein Viertel der Kosten beiträgt.

Radikalisierung der Anhänger
Die Gewalt in der DR Kongo hat in den vergangen Monaten stetig zugenommen. Es kommt zu Zusammenstößen zwischen gewaltbereiten und gut ausgebildeten Jugendlichen, die von den politischen Parteien mobilisiert und organisiert werden ebenso wie zu Überfällen auf Journalisten, Oppositionellen und Parteizentralen. Militär und Polizei schüchtern Regierungskritiker und Oppositionelle ein.

Polarisierendes Gebären der politischen Akteure
Die Kandidaten machen mit radikalisierenden Aussagen auf sich aufmerksam. Etienne Tshisekedi hat sich in einem Interview am 6. November bereits selbst zum neuen Präsidenten ernannt. Seiner Ansicht nach ist ein regulärer Wahlsieg Kabilas (ohne Wahlbetrug) nicht möglich. Auf ähnliche Weise radikalisieren andere Kandidaten ihre Anhänger, anstatt sie auf die Möglichkeit einer Wahlniederlage vorzubereiten.

Schwierigkeiten bei der Organisation
Die Wahldurchführung und -organisation bei 32 Millionen Wahlberechtigten in 64 000 Wahllokalen bedeutet einen sehr hohen logistischen Aufwand. Bis heute ist unklar, ob die Wahlkommission CENI am selben Tag die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ordnungsgemäß und fair durchführen kann. Die Registrierung der Wähler wurde erst ein halbes Jahr später als geplant, im Juli 2011, beendet. Die Registrierung durch die CENI war vom Vorwurf von Unregelmäßigkeiten und Doppelregistrierung begleitet.

Keine Gewährleistung des notwendigen Schutzes für die Zivilbevölkerung durch Internationale Akteure

Bereits im Oktober hatte der Leiter der MONSCO Blauhelmmission Roger Meece in Berlin darauf hingewiesen, dass bei einer drohenden Eskalation der Gewalt der Schutz der kongolesischen Zivilbevölkerung nicht gewährleistet ist. Es ist daher dringend geboten, dass sich die internationale Gemeinschaft auf dieses Szenario vorbereitet, um schnelle Hilfsmaßnahmen einleiten zu können.

Es bleibt zu hoffen, dass – trotz des zurückgefahrenen Engagements der internationalen Gemeinschaft, der unverantwortlichen und polarisierenden Äußerungen der politischen Eliten und der gewaltbereiten Anhänger politischer Parteien, des Militärs und der Polizei, sowie des (immensen) logistischen Aufwands – sich eine friedliche Mehrheit der Kongolesen und Kongolesinnen  durchsetzt und politische Vertreter wählt, die sich für ihr Wohl und eine demokratische Zukunft des Landes einsetzen.

 

Von Carla Schraml

„Die Demokratische Republik Kongo stabilisieren“

Ein Kommentar zum interfraktionellen Antrag des Deutschen Bundestags, vgl. Drucksache 17/6448 vom 06.07.2011

von Christoph Vogel, Johanna Schmidt und Sven Scheid

Genocide Alert begrüßt den interfraktionellen Antrag und das Engagement der einzelnen Abgeordneten ausdrücklich. Dennoch kann dies nur ein erster Schritt hin zu einer deutschen Kongopolitik sein, die über die bisherigen Aktivitäten hinausgeht. Dabei erkennt Genocide Alert drei Schwerpunktbereiche:

  1. Genocide Alert befürwortet allgemein einen stärker multilateral ausgerichteten Ansatz derUnterstützung für die DR Kongo, zum Beispiel durch eine stärkere Beteiligung am multilateralen Pooled Fund der Vereinten Nationen für den Kongo. Wünschenswert sind ebenso mehr Harmonisierung und Koordinierung der Maßnahmen auf europäischer Ebene, z.B. bei der Reform des Sicherheitssektors.
  2. Durch mehr finanzielle Unterstützung des Internationalen Strafgerichtshofs könnte dieser seine Kapazitäten für die DR Kongo deutlich steigern und weitere Prozesse gegen Menschenrechts- und Kriegsverbrechen im Kongo anstreben. Damit würde man sich dem Vorwurf der Selektivität der Anklagen erwehren. Gesteigerte internationale Unterstützung des IStGH ist ein Beitrag zu mehr Gerechtigkeit und könnte die Legitimität dieser Institution stärken.
  3. Eine verbesserte finanzielle, materielle und personelle Ausstattung würde es der MONUSCO erlauben, unabhängiger von der FARDC zu operieren und den Schutz vonZivilisten wieder verstärkt in den Mittelpunkt zu rücken.

Für den detaillierten Kommentar, bitte laden Sie die folgende PDF Datei:  Kommentar von Genocide Alert zum interfraktionellen Antrag zur Demokratischen Republik Kongo lesen.

Ein trauriger Irrtum – Die Linkspartei und die Schutzverantwortung

Wenn es darum geht, Menschenrechtsverletzungen anzuprangern ist die Linkspartei stets ganz vorne mit dabei – und das ist gut so. Durch unbequeme Fragen eröffnen sie das Störfeuer gegen eine Realpolitik, in welcher Wirtschaftsinteressen Vorfahrt gegenüber Menschenrechten haben. Leider kommt jedoch der Partei ihr ebenso großer Eifer in Sachen „Anti-Militarismus“ und ihr Generalverdacht des „westlichen Imperialismus“ gerade dann in die Quere, wenn es darum geht, die allerschlimmsten Formen der Menschenrechtsverletzungen – Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnische Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit- zu verhindern.
Dieser Irrtum ist nicht nur traurig aufgrund der Missverständnisse, welchen dieser falsch verstandene Pazifismus aufsitzt, sondern ist in seiner Konsequenz auch tödlich für die Menschen, für welche die Linkspartei zu sprechen meint. In ihrer fundamentalen Ablehnung von UN-Mission ignoriert die Linkspartei, dass die Blauhelme von UNAMID in Darfur oder MONUCSO im Ost-Kongo trotz ihrer Unzulänglichkeiten oft die Einzigen sind, welche für einen wenigstens minimalen Schutz der Bevölkerung sorgen, in dem sie vor Überfällen auf Dörfer abschrecken und beispielsweise Zivilisten beim Sammeln von Feuerholz begleiten.
Deutlich wird dieser Irrtum auch in ihrer Haltung zur Schutzverantwortung. Die jüngsten innerparteilichen Diskussionen zeigen zwar, dass es hier zumindest Hoffnung auf eine differenziertere Positionierung gibt. Letztendlich sind jedoch diejenigen Stimmen nach wie vor lauter, welchen das reine Dogma schwerer wiegt als ein Massengrab.
In dem Papier „Reformen zur Stärkung der UNO sind notwendig und machbar -Vorschläge für eine linke Positionierung zur Weltorganisation“ vom August 2011 wagten dessen Autoren André Brie, Ernst Krabatsch, Stefan Liebich, Paul Schäfer und Gerry Woop einen Schritt der zeigt, dass es auch in der Linkspartei Außenpolitiker gibt, die sich einem Umdenken nicht gänzlich verschließen.
Ein Abschnitt aus dem Menschenrechtskapitel lässt aufhorchen: „Die UNO haben Ende der 1990er Jahre einige zentrale Weichenstellungen zur Stärkung der Menschenrechte vorgenommen, zu denen die Annahme des Statuts des IStrGH in Den Haag (Römisches Statut vom 17. Juli 1998) und das […] Konzept der Schutzverantwortung (‚responsibility to protect‘) gehören. Dieses Konzept ist ein Kernstück des Übereinkommens zur Verhütung und Bestrafung des Völkermords.“ Die Schutzverantwortung eine „zentrale Weichenstellung zur Stärkung der Menschenrechte„? Das wäre in der Tat eine längst überfällige Einsicht der Linkspartei, welche bislang darin doch ausschließlich ein Werkzeug des Neokolonialismus sieht.
Erfreulich ist ebenfalls, dass in dem Papier auch die erste und dritte Komponente – die Verantwortung zur Prävention und zum Wiederaufbau – als Teil der RtoP zur Kenntnis genommen werden – was in der Auseinandersetzung mit der Schutzverantwortung allzu oft, und nicht nur von Seiten der Linkspartei, vergessen wird.
Ist nun also auch in der Linkspartei der Weg zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit der Schutzverantwortung frei? Werden sich am Ende gar diejenigen durchsetzen, welche bereit sind, im Angesicht eines Völkermordes auch mal ein Dogma hintenanzustellen? Vorerst wohl nicht. Denn die Dogmatiker melden sich gleich umso lauter zu Wort. Und zwar so laut und grell, dass man nur noch mit dem Kopf schütteln kann. Die bloße Erwähnung der RtoP reich dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Linken, Jan van Aken, in dem differenzierten Papier seiner Parteigenossen vor allem eins zu sehen: „eine Kampfschrift für militärische UN-Interventionen“, letztendlich gar eine „Militäreinsatz-Propaganda“.

Sein Argument gegenüber der Sanktionierung militärischer Zwangsmaßnahmen durch den UN-Sicherheitsrat lautet: „die Kriterien sind butterweich, unklar definiert und können sehr weit ausgelegt werden.“ Und weiter: „Was z. B. als „massenhafte systematische Menschenrechtsverletzung“ gilt, darüber entscheiden vor allem Machtinteressen und massive Medienkampagnen. Rein formal sind auch die Sanktionen gegen Hartz-IV-Betroffene, die das Existenzminimum wegkürzen, ‚massenhafte systematische Menschenrechtsverletzungen‘.“ Van Aken hat recht, massenhafte systematische Menschenrechtsverletzungen gibt es leider zu genüge. Deren Grausamkeit mit Hartz-IV gleichzusetzen, kann man nur als eine geschmacklose Verunglimpfung der Opfer verurteilen. Und dennoch: Überall dort militärisch zu Intervenieren, wo Menschenrechte verletzt werden ist keine sinnvolle Option. In diesem Punkt ist Van Aken zuzustimmen.

Nur: Diese Argumentation verfehlt an dieser Stelle vollständig und zeugt von einen fundamentalen Missverständnis des Konzepts der Schutzverantwortung. In ihr geht es nicht um Menschenrechtsverletzungen per se. Lediglich Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnische Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit fallen unter die Schutzverantwortung. Van Aken sollte wissen, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit etwas anderes sind, als Menschenrechtsverletzungen. So schwierig es im Einzelfall auch sein mag, zu entscheiden, wann das Ausmaß erreicht ist, welches ein Eingreifen notwendig macht – butterweich sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit wohl kaum – und bei Hartz-IV sollte es für eine Intervention nach diesen Kriterien sicherlich nicht reichen. Schlimmer noch: Wieder einmal wird der Kernpunkt des Konzeptes der RtoP verkannt: Es geht darin nicht nur darum, Wege zu finden, um derartige Massenverbrechen vorzubeugen und in akuten Situationen zu unterbinden. Es ging in der Entwicklung der Schutzverantwortung von Anfang an vor allem darum, in der Debatte um die Willkür eines „Rechts zur humanitären Intervention“ eine Alternative zu bieten, welche sich einem möglichen Missbrauch verschließt.

Man muss sich fragen, ob dieses Missverständnis lediglich auf Unwissenheit beruht, was verwundern würde, oder ob eine bewusste Täuschung über das Konzept der Schutzverantwortung gewollt ist – es ist immerhin auch ganz praktisch, sich in dem Selbstverständnis als der „einzigen echten Friedenspartei“ gegenüber den „Kriegstreibern“ von SPD und Grünen im linken Lager abgrenzen und dies wahltaktisch Ausschlachten zu können. Bleibt die Frage, ob man lieber über Leichen gehen würde, als für die Verhinderung eines Völkermordes einen Populismus aufzugeben? Es ist zu hoffen, dass die Genossen um André Brie den Mut haben, sich den Kriegstreibervorwürfen aus der eigenen Partei zu stellen und mit unbequemen Fragen in Sachen Menschenrecht vielleicht auch einmal innerhalb der Linkspartei ein Störfeuer zu entfachen.

Christoph Schlimpert

Pressemitteilung: Deutsche Informationswebseite zur Schutzverantwortung geht online

Köln, 21.10.2011 – Anlässlich des zehnten Jahrestages der sog. Schutzverantwortung (engl.“Responsibility to Protect“) startet die deutsche Menschenrechtsorganisation Genocide Alert e.V. ein neues Internetportal unter www.schutzverantwortung.de. Mit der neuen Informationswebseite soll die Norm einer deutschsprachigen Öffentlichkeit näher gebracht werden. Gleichzeitig hat die Seite das Ziel, die deutsche Politik zur Unterstützung und Umsetzung der Norm zu bewegen.

„Deutschland hat nicht zuletzt aufgrund seiner Geschichte eine besondere Verantwortung, Völkermorde und andere Massenverbrechen aktiv zu unterbinden. Eine deutliche Unterstützung der Schutzverantwortung durch Regierung und Opposition ist daher von großer Bedeutung. Unsere Internetseite www.schutzverantwortung.de ist ein wichtiger Schritt hin zu einer besseren Information von Öffentlichkeit und Politik. Wir möchten, dass sich die deutsche Bevölkerung selbst ein Bild darüber machen kann, welche Parteien und Politiker den größten Einsatz für Menschenrechte zeigen und wo es Defizite gibt. Die politischen Entscheidungsträger unseres Landes sollen wissen, dass sich eine aktive Menschenrechtspolitik und Unterstützung der Schutzverantwortung letztlich auch an den Wahlurnen positiv niederschlägt.“, so Robert Schütte, Vorstandsvorsitzender der Menschenrechtsorganisation Genocide Alert e.V.
Im Jahr 2001 wurde mit dem Konzept der internationalen Schutzverantwortung eine Antwort auf die Frage entwickelt, wie Zivilbevölkerungen künftig vor massiven Menschenrechtsverletzungen geschützt werden sollten. Der UN-Milleniumsgipfel verabschiedete das Konzept im Jahr 2005 einstimmig und setzte es in Libyen und der Elfenbeinküste in diesem Jahr erstmalig um. Die Schutzverantwortung schreibt jedem Staat eine Verantwortung zum Schutz seiner Bürger vor Massenverbrechen zu und sieht das Einschreiten der internationalen Gemeinschaft in dem Fall vor, dass eine Regierung zur Erfüllung dieser Verantwortung nicht fähig oder willens ist. Während die Schutzverantwortung im englischsprachigen Raum unter dem Begriff „Responsibility to Protect“ über die wissenschaftlichen Grenzen hinaus bekannt ist, blieb die Diskussion um die Norm in Deutschland vor allem auf die wissenschaftliche Ebene begrenzt. Die Informationswebseite ist ein Projekt der Organisation Genocide Alert e.V., die sich für eine effektive Verhinderung und Bestrafung schwerster Menschenrechtsbrüche einsetzt.
Informationsseite zur Schutzverantwortung
www.schutzverantwortung.de

Kontakt:
Robert Schütte
Mail: robert.schuette[at]genocide-alert.de

Die Zukunft der „Responsibility to Protect“ nach dem Fall Gaddafis

FES Perspektive – Oktober 2011

Der UN-mandatierte Militäreinsatz zum Schutz von Zivilisten in Libyen hat erneut die Debatte um die Norm der „Responsibility to Protect“ (RtoP, deutsch: Schutzverantwortung) angefacht. Trotz berechtigter Fragen bezüglich der Einhaltung des UN-Mandats fällt das Resultat für den Einsatz unter dem Strich positiv aus, sowohl im  Hinblick auf die Zivilbevölkerung in Bengasi die vor Massenverbrechen geschützt werden konnte, als auch für die Weiterentwicklung der Norm der Schutzverantwortung.

Deutschland sollte die von der UN schon vor Sturz des Gaddafi-Regimes begonnene Planung für ein befriedetes Libyen unterstützen. Neben technischer und wirtschaftlicher Hilfe gehören hierzu die UN-geleitete politische Unterstützung in Fragen von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Sollte Libyen einen Blauhelmeinsatz zur Stabilisierung des Landes anfragen wäre auch hier an eine deutsche Beteiligung zu denken.

Die jüngsten Entwicklungen in Syrien machen deutlich, daß die Schutzverantwortung auch unterhalb einer militärischen Intervention die internationale Gemeinschaft zum Handeln bewegen sollte. Deutschland ist als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat und auf Grund seines wirtschaftlichen Gewichts gefragt, konstruktiv Stellung zu beziehen und die Entwicklung innovativer Instrumente voran zu treiben.

 

Einleitung

International hat die ungewöhnlich entschlossene Reaktion der UN auf die militärische Unterdrückung der Protestbewegungen in Libyen durch das Gaddafi-Regime die staatliche Schutzverantwortung auf ein neues Niveau befördert. Das Prinzip der Schutzverantwortung wurde 2005 von allen Mitgliedsstaaten der UN angenommen und besagt, dass alle Staaten die Verantwortung haben, ihre Bevölkerungen vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit[1] zu schützen und hierbei von der internationalen Gemeinschaft unterstützt werden. Sollte ein Staat dieser Schutzverantwortung nicht nachkommen können oder wollen, dann geht die Responsibility to Protect auf die internationale Gemeinschaft über, die alle notwendigen präventiven, reaktiven und nachsorgenden Mittel zur Abwendung solcher Massenverbrechen zu ergreifen hat. Mit der Libyen-Resolution 1973 vom 17. März 2011 hat der Sicherheitsrat erstmalig eine militärische Intervention zum Schutz einer Zivilbevölkerung  mit Verweis auf diese Schutzverantwortung beschlossen. Nach dem Sturz Gaddafis im August 2011 lassen sich einige wichtige Schlussfolgerungen für die Zukunft der internationalen Schutzverantwortung zur Verhinderung von Massenverbrechen ziehen. Stärker als in der Vergangenheit muss nicht nur über die Frage des wann, sondern auch des wie nachgedacht werden. Nachdem in der vergangenen Dekade ein grundsätzlicher Konsens über Sinn und Rahmen der Schutzverantwortung gefunden wurde, muss nun ein breiter Meinungsbildungsprozess bezüglich der Umsetzung des Prinzips begonnen werden.

Deutschlands ist durch seine Enthaltung zur Resolution 1973 seiner Unterstützungsfunktion für die Norm der Schutzverantwortung nicht gerecht geworden. Die jüngsten Entwicklungen in Syrien machen gleichzeitig deutlich, dass die Schutzverantwortung künftig schneller unterhalb einer militärischen Einmischung der internationalen Gemeinschaft effektiv wahrgenommen werden muss.

 

Souveränität im Wandel der Zeit: Von der Nicht-Intervention zur Schutzverantwortung

Mit dem Ende des Kalten Krieges trat das Spannungsverhältnis zwischen staatlicher Souveränität und Menschenrechtsschutz auf die Tagesordnung der internationalen Politik. In den rasch aufeinander folgenden und mit massiver Gewalt einhergehenden Konflikten und humanitären Katastrophen in Irak, Somalia, Ruanda und Bosnien sah sich die internationale Gemeinschaft mit der Frage konfrontiert, wie und wann ein militärisches Eingreifen zur Beendigung von Massenverbrechen gegen Zivilbevölkerung notwendig sei. Die Völkermorde in Ruanda und Srebrenica, die in ihrer Tragweite nur durch das passive Zuschauen der internationalen Gemeinschaft ermöglicht wurden, schockierten die Weltöffentlichkeit und waren ein wesentlicher legitimatorischer Bezugspunkt als es im Jahr 1999 zu einer vom Sicherheitsrat der UN nicht mandatierten humanitären Intervention im Kosovo kam. Was für die einen ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat war, stellte für die anderen angesichts eines blockierten Sicherheitsrates eine militärische Nothilfe zum Schutz der Zivilbevölkerung dar. UN-Generalsekretär Kofi Annan kam abschließend zu dem Resümee, dass die Intervention nicht legal, dennoch aber legitim war. Um ein für allemal die Frage zu klären, durch wen eine humanitäre Intervention zu autorisieren sei und wann und mit welchen Mitteln sie zu erfolgen habe, richtete er im Jahr 2000 eine unabhängige Internationale Kommission zu Fragen von Intervention und Staatensouveränität (ICISS) ein. Die ICISS kam zu dem Ergebnis, dass souveräne Staaten die Verantwortung haben, ihre eigenen Bürger gegen Massenverbrechen zu schützen.  Sollte ein Staat dieser Schutzverantwortung nicht nachkommen können oder wollen, so geht diese Schutzverantwortung auf die internationale Gemeinschaft über. Neben dem Primat der Prävention entwickelte die Kommission auch konkrete Vorschläge in Bezug auf die Umstände einer militärischen Intervention. Diese solle eine realistische Erfolgschance haben, proportionale Mittel anwenden, nur nach dem Scheitern nicht-gewaltsamer Bemühungen beschlossen werden und in ihrer Konsequenz mehr nutzen als schaden. Für die Autorisierung solcher Einsätze sollte immer der UN-Sicherheitsrat als das höchste und meist legitime Organ ersucht werden.

Die Publikation des Reports im Oktober 2001 wurde vollständig überschattet von den Angriffen auf die USA am 11. September. Darüber hinaus fügte der danach von den USA geleitete Einmarsch einer „Koalition der Willigen“ im Irak dem Ruf nach militärischer Intervention zum Schutz von Zivilisten nachhaltigen Schaden zu. Eine der Konsequenzen hiervon war die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft in Bezug auf die Massenverbrechen in Darfur. Dennoch waren es nicht zuletzt die Vorfälle in Darfur, ebenso wie die sich verändernde Haltung der Afrikanischen Union, die ihre Indifferenz gegenüber Massenverbrechen aufzugeben begann, durch welche die Norm der Schutzverantwortung einen Wiederaufstieg erlebte. In ihrer sogenannten Millennium-Erklärung im September 2005 einigte sich die UN-Generalversammlung einstimmig auf die Verabschiedung der Schutzverantwortung. Es dauerte allerdings noch bis zum Jahr 2009, bis UN Generalsekretär Ban Ki-moon seinen Bericht zur Umsetzung dieser Norm vorlegen konnte, die seitdem auf drei Grundpfeilern basiert: Erstens, der Schutzverantwortung souveräner Staaten für ihre eigenen Bürger; zweitens, der Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft zur Unterstützung der Nationalstaaten bei der Umsetzung ihrer Schutzverantwortung; und drittens, der Schutzverantwortung der internationalen Gemeinschaft, rechtzeitig und entschlossen zu handeln wenn ein Staat dieser Verantwortung selbst nicht nachkommt.

Auf die Schutzverantwortung wurde seit ihrem Beschluss im Jahr 2005 an verschiedenen Stellen Bezug genommen, wodurch die Norm zunehmendes Gewicht und eine deutlichere Form erhalten hat. Die Feststellung, dass das Verhalten der Regierung Myanmars nach dem Taifun Nargis keine Verletzung der Schutzverantwortung darstellte gehört ebenso zu diesem Definitionsprozess wie der Entschluss der Vereinten Nationen, in Libyen und der Elfenbeinküste mit militärischen Mitteln den Schutz einer bedrohten Zivilbevölkerung zu gewährleisten. Der Fall Libyen ist dennoch ein besonderer Meilenstein für die RtoP, der Chancen, Risiken und offene konzeptionelle Fragen noch einmal besonders klar illustriert hat.

 

Der Fall Libyen und die RtoP

Libyen hat sich zum ersten Fall entwickelt, in dem die internationale Staatengemeinschaft ihrer Schutzverantwortung gegenüber einer bedrohten Zivilbevölkerung  – und in letzter Konsequenz auch unter Einsatz militärischer Mittel – in kürzester Zeit gerecht geworden ist. Dass es dazu kam, lag an den besonderen Dynamiken innerhalb Libyens und innerhalb der internationalen Gemeinschaft: Innerhalb Libyens, war ersten das Gaddafi-Regime frühzeitig mit unverhältnismäßiger Härte gegen eine demonstrierende Zivilbevölkerung vorgegangen und hatte so den begründeten Verdacht von bevorstehenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit genährt; zweitens stand mit dem libyschen Übergangsrat und seinen bewaffneten Milizen eine politisch und militärisch unterstützbare Alternative zur Regierung in Tripolis zur Verfügung, die öffentlichkeitswirksam um internationale Unterstützung bat; und drittens, zeichnete sich ab, dass es gerade im Zuge der drohenden Einnahme Bengasis durch Regierungstruppen höchstwahrscheinlich zu einem Massaker gekommen wäre, welches nur durch eine schnelle und entschlossene militärische Intervention verhindert werden konnte. Die Mitglieder des Sicherheitsrates wurden hierdurch unter massiven Zeitdruck gesetzt, innerhalb kürzester Zeit zu einer Entscheidung zu gelangen.

Auch international, und anders als beispielsweise in Darfur, entwickelte sich die Lage in kaum vorherzusehender Weise und Deutlichkeit zu Gunsten der Interventionsbefürworter. Schon am 25. Februar empfahl der UN-Menschenrechtsrat, Libyens Mitgliedschaft in diesem Gremium auszusetzen. Die UN Generalversammlung folgte dieser Empfehlung am 1. März einstimmig. Parallel dazu nahm der UN-Sicherheitsrat am 26. Februar Resolution 1970 an, die auf Grund der Befürchtung von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ eine Reihe nicht-militärischer Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII Artikel 41 der UN Charta anordnete. Hierzu gehörten ein Waffenembargo, ein Reiseverbot für Schlüsselfiguren des Gaddafi-Regimes, sowie das Einfrieren der Auslandsguthaben des libyschen Regimes. Die Verabschiedung von Resolution 1970 war aber vor allem deshalb ein wegweisender Eskalationsschritt der Vereinten Nationen, weil sie eine Überweisung der Vorgänge in Libyen an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) anordnete. Neben der Aufwertung des Gerichtshofs in Den Haag ist an diesem Schritt besonders bemerkenswert, dass die USA und China erstmalig einer solchen Überweisung zustimmten und dieser Schritt den Handlungsdruck auf den Sicherheitsrat in der Folge zusätzlich erhöhte. Am 16. Mai erließ der IStGH Haftbefehle gegen Gaddafi, seinen Sohn Saif-al-Islam, und den Geheimdienstchef Abdullah Al Sanousi wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Die Verhängung von Sanktionen und die Überweisung des Falls an den IStGH hatten nicht den Effekt einer Eindämmung der Gewalt, weswegen die Arabische Liga die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen forderte und damit die Tür zu einem militärischen Eingreifen unter UN-Mandat aufstieß. Damit war auch ein regionaler Konsens für eine Intervention mit Bezug auf die Schutzverantwortung gegeben, dessen zeitlicher Zusammenfall mit dem durch Gaddafi angedrohten Massaker in Bengasi den Ausschlag geben sollte: Am 17. März verabschiedete der UN-Sicherheitsrat Resolution 1973, bei der sich die Veto-Mächte China und Russland, sowie die nicht-ständigen Ratsmitglieder Indien, Brasilien und Deutschland der Stimme enthielten. Die Resolution autorisierte einen militärischen Einsatz zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung mit allen notwendigen Mitteln, jedoch unter Ausschluss der Entsendung von Besatzungstruppen. Dass die genaue Form der Anwendung militärischer Zwangsmittel in das Ermessen derjenigen Staaten gestellt wurde, die die Resolution implementieren würden, garantierte zwar die zügige Annahme der Resolution, führte aber auch absehbar zu dem politischen Konflikt der dann im Zuge der Implementierung zutage trat.

 

Kritik am Libyen-Einsatz

Schon kurz nach Beginn der NATO-geführten Luftangriffe auf militärische Ziele des Gaddafi-Regimes regte sich unter den abstimmungsneutralen Ländern Brasilien, Indien, China und Russland, aber auch beim ursprünglich zustimmenden Südafrika, Kritik an den intervenierenden Staaten. Sie warfen der NATO und den Westmächten im Sicherheitsrat vor, dass das Mandat für die Intervention zum Schutze von Zivilisten in der Praxis zu einer militärischen Unterstützung für einen Regimewandel genutzt wurde, der so nicht vom Mandat gedeckt gewesen sei. Zweifelsohne hatten die Luftangriffe der Alliierten wesentlichen Anteil daran, daß das Regime in Tripolis Mitte August zu Fall kam. Ob es sich hierbei jedoch tatsächlich um eine Mandatsüberschreitung handelt, hängt davon ab, wo und wie die völkerrechtliche von der politischen Interpretation getrennt wird. Eine politische Lösung des Konflikts auf dem Verhandlungsweg war ab dem Moment kaum mehr denkbar, ab dem Gaddafi einen Rückzug von sich und seiner Familie von der Macht prinzipiell ausgeschlossen hatte und somit Verhandlungen mit den Rebellen den Boden entzogen hatte. Die Resolution des Sicherheitsrats bot zwar keinerlei völkerrechtliche Handhabe, einen unmittelbaren Sturz des Regimes zu betreiben. Gleichzeitig ist die Resolution 1973 aber offen genug gehalten, dass zur Erfüllung des Mandats – Schutz der Zivilbevölkerung unter Einbeziehung militärischer Mittel – ein Regimesturz die mittelbare Konsequenz sein könnte.  Der Sturz Gaddafis unter Mithilfe der Alliierten ist also an und für sich kein ausreichender Grund von einer Mandatsüberschreitung zu sprechen. Es stellt sich weiterhin die Frage, wie und ob das UN-Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung überhaupt in einem Libyen erfüllbar gewesen wäre, welches weiterhin unter der Herrschaft Gaddafis verblieben wäre. Die Antwort auf die Frage also, bis zu welchem Punkt militärisch interveniert werden sollte und wie viel Regimewechsel bzw. Einfluss auf politische Strukturen im Rahmen von RtoP-Interventionen in Kauf genommen werden darf oder gar muß, wird die zukünftige Durchführbarkeit von RtoP-Interventionen maßgebend beeinflussen.

Eine ernst zu nehmende Kritik am Einsatz in Libyen ist die Befürchtung, dass es wie im Falle des Irak nach der militärischen Entmachtung von Saddam Hussein in sektiererischer Gewalt versinken könnte. Umso wichtiger ist es darum jetzt, dem libyschen Übergangsrat mit Rat, Tat und Ressourcen beim Aufbau eines neuen legitimen, demokratischen, und die Menschenrechte achtenden Rechtsstaat beizustehen. Nachdem die Vereinten Nationen ihrer Schutzverantwortung vor Massenverbrechen zunächst gerecht geworden sind, steht sie nun auch in einer Pflicht des Wiederaufbaus. Die Ausgangslage hierfür ist deutlich besser als im Fall des Irak: Da der UN-Sicherheitsrat der Intervention in Libyen und der Strafverfolgung Gaddafis zugestimmt haben, so stehen nach Artikel 25 der UN-Charter alle Mitgliedsstaaten der UN in der Verantwortung, die Folgen der Sicherheitsratsentscheidungen mitzutragen. Wegweisend wird die am 16. September vom Sicherheitsrat einstimmig angenommene Resolution 2009 sein, die neben der teilweisen Aufhebung der Flugverbotszone und die  Freigabe von eingefrorenen Auslandsguthaben auch die Einrichtung einer UN-Unterstützungsmission (UNSMIL) anordnet. Aus wohlverstandenem Eigeninteresse an regionaler Stabilität sollten die europäischen Staaten dazu beitragen, dass sich das post-revolutionäre Libyen stabilisiert und die erforderlichen Transformation erfolgreich bewältigt.

 

Nach der Intervention in Libyen, vor der Intervention in Syrien?

Während der Beschluss der UN sowie der militärische Einsatz in Libyen zweifellos als Erfolg für die Norm der RtoP gewertet werden können, stellt sich die Frage, warum angesichts des Vorgehens des Assad-Regimes mit militärischer Gewalt gegen friedliche Proteste in Syrien nicht ebenfalls unter Rückgriff auf die Norm der RtoP interveniert wird. Untergräbt die selektive Anwendung der Schutzverantwortung nicht die Legitimität der neuen Norm? Diese Kritik ist berechtigt, macht aber umso mehr deutlich, dass es sich bei RtoP nicht um ein abgehobenes Normengebilde handelt, sondern um das Ringen um eine Reaktion auf Massenverbrechen in einer Welt der Inkonsequenz und Interessengegensätze. In Libyen bestand die Chance, ein Massaker an der Bevölkerung Bengasis zu verhindern und eine Zivilbevölkerung vor massiven Menschenrechtsverletzungen zu schützen, ohne dass hierbei ein regionaler Flächenbrand drohte. Im Falle Syriens hingegen ist die Mandatierung einer Intervention durch den UN-Sicherheitsrat bis auf weiteres nicht zu erwarten. Selbst die Erwägung von Sanktionen, wie  sie in einem Resolutionsentwurf am 4. Oktober 2011 im Sicherheitsrat zur Abstimmung stand, fiel dem Veto Pekings und Moskaus zum Opfer. Da sich auch Brasilien, Indien und Südafrika enthielten, fällt der lange Schatten der Libyen-Intervention auf die syrischen Protestierenden. Erschwerend kommt hinzu, dass es bezüglich Syriens keinen regionalen Konsens über die richtige Vorgehensweise gegen das Assad-Regime gibt. Der von Syrien unterstützte Libanon ist momentan selbst Mitglied des Sicherheitsrats und auch Iran steht weiterhin an der Seite Assads. Zu tief ist Syrien in den Nahostkonflikt verstrickt, als dass die Auswirkungen eines militärischen Einsatzes gegen dessen Regierung lokal begrenzt werden könnten. Wenn sich die Opferzahlen nicht massiv vergrößern und der Handlungsdruck auf den UN Sicherheitsrat damit noch einmal sprunghaft zunimmt, ist ein militärisches Eingreifen auf Grund der unvergleichbar größeren Risiken äußerst unwahrscheinlich.

Diese Inkonsequenz kann man zwar zu Recht kritisieren, sollte aber nicht die Schlussfolgerung daraus ziehen, dass die Intervention in Libyen deswegen weniger legitim gewesen wäre. Der Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für die Schutzverantwortung, Edward Luck, hat hierzu richtigerweise festgestellt das es besser sei, inkonsequent einige Leben zu retten als konsequent keines. Luck weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass es sich bei RtoP nicht um ein legalistisches, sondern um ein politisches Instrument handelt. Der Bezug auf die Norm kann zu politischem Momentum beitragen, dieses aber nicht ersetzen. Aber selbst wenn eine militärische Intervention nicht möglich, nicht sinnvoll und von den Protestierenden in Syrien vielleicht auch nicht erwünscht ist, gibt es dennoch Möglichkeiten, den Druck auf Syrien unter Bezugnahme auf die Schutzverantwortung zu erhöhen. Es ist ein später, wenn auch richtiger Schritt, dass Europa und die USA die politische Isolierung des Regimes in Damaskus betreiben und ihre Sanktionen verschärfen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob der Westen nach wirtschaftlichen Sanktionen und diplomatischer Isolation sein Pulver verschossen hat. Der Fall Syrien zeigt, dass es zur Durchsetzung der Schutzverantwortung bisher unterhalb einer militärischen Intervention und oberhalb der Verhängung von Sanktionen an einem ausdifferenzierten  Instrumentarium fehlt, welches es in Zukunft zu entwickeln gilt.

 

Deutschlands Haltung zur Schutzverantwortung

Mit ihrer Enthaltung im Sicherheitsrat zur Libyen Resolution 1973 hat die Bundesregierung politisches Vertrauen und Kapital verspielt. Die als Begründung angeführte Einschätzung, Deutschland müsse sich bei einer Zustimmung in den UN auch im nächsten Schritt an einem militärischen Einsatz beteiligen oder sogar Soldaten nach Libyen schicken, kann nicht wirklich überzeugen. Auch wurden Seitens der Bundesrepublik keine alternativen Vorschläge entwickelt, wie die libysche Zivilbevölkerung vor der massiven Gewaltanwendung der Gaddafi-treuen Sicherheitskräfte hätte geschützt werden können. Weder haben Sanktionsdrohungen eine spürbar deeskalierende Wirkung gezeigt, noch hätten sie einen Beitrag zur Verhinderung eines Massakers in Bengasi geleistet. Als Fazit bleibt, dass Sanktionen zwar ein wichtiges Instrumentarium der Schutzverantwortung sind, jedoch schnell an ihre Grenzen stoßen, wenn es um die Verhinderung unmittelbar drohender oder die Beendigung von bereits statt findenden Massenverbrechen geht.

Das Abstimmungsverhalten im UN Sicherheitsrat hat die Frage aufgeworfen, wie ernst Deutschland es mit der Schutzverantwortung meint. Auf nationaler Ebene gibt es, mit Ausnahme der Linkspartei, einen parteiübergreifenden Konsens in Fragen RtoP: Bereits 2004 stellte die damalige Bundesregierung den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ vor, um Konfliktstrukturen und die daraus resultierenden Herausforderungen für die Staatengemeinschaft zu analysieren. Besonders die Handlungsoptionen für zivile Krisenprävention und Schutz von Menschenrechten greifen dem 2005 von der UN-Generalversammlung angenommenen Bekenntnis zur Schutzverantwortung sogar vor. Aber auch das Weißbuch zur deutschen Verteidigungspolitik von 2006 nimmt positiven Bezug auf die Schutzverantwortung.

Innerhalb der UN galt Deutschland bisher als Befürworter der RtoP und zählte zur sogenannten Freundesgruppe der Schutzverantwortung. Dort, wie in der Gruppe der EU-Länder haben jedoch andere Länder die Federführung übernommen. Beispielsweise als bei den letzten Finanzverhandlungen um die personelle Unterstützung für den Sonderberater des UN-Generalsekretärs für die Schutzverantwortung gestritten wurde, oder auch bei der jährlichen Generalversammlungsdebatte zum Thema RtoP: Der Einsatz an politischem Kapital um der Norm auch reale Bedeutung zu geben, bleibt begrenzt. Das Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat im Falle Libyen wird international auch in diesem Kontext interpretiert.

Während Deutschlands Haltung im Libyenkonflikt bei den westlichen Partnern fast ausnahmslos auf Unverständnis stieß, so hat die Debatte innerhalb Deutschlands parteiübergreifende Differenzen über Rolle und Verantwortung der Bundesrepublik offen gelegt. Hier taten sich ideologische Risse auf, an die ein ernsthafter und verantwortungsvoller Diskussionsprozess um die Schutzverantwortung anknüpfen sollte. Die deutsche Politik muss sich darüber klar werden, welche Rolle die Bundesrepublik auf europäischem und internationalem Parkett spielen soll. Vor allem muss Berlin eine Antwort auf die Frage finden, wie dem allgemein geteilten Bekenntnis zu Multilateralismus und UN tatsächlich Taten zur Erfüllung weltöffentlicher Interessen folgen. Es gilt daher nicht nur über das ob, sondern auch über das wie nachzudenken.

In diesem Sinne bietet es sich für Deutschland unmittelbar an, zunächst die Schutzverantwortung dadurch wahrzunehmen, dass man das Post-Gaddafi-Libyen im Prozess des Wiederaufbaus und der politischen Transformation unterstützt. Neben technischer und wirtschaftlicher Hilfe gehört hierzu vor allem die UN-geleitete politische Unterstützung bei der Entwicklung eines demokratischen politischen Systems, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Sollte Libyen zusätzliche Unterstützung in Form eines Blauhelmeinsatz zur Stabilisierung des Landes erbeten wäre auch hier an eine deutsche Beteiligung zu denken.

 

Mittel und Wege zur Weiterentwicklung der Schutzverantwortung

Die unter dem Banner der Schutzverantwortung autorisierte Intervention der NATO ist als Erfolg für die RtoP zu werten. Europa und die USA haben mit ihrem Einschreiten gezeigt, dass sie selbst dann zum militärischen Schutz einer muslimischen, afrikanisch-arabischen Zivilbevölkerung bereit sind, wenn es sich wie im Falle Gaddafis um einen politisch und ökonomisch gefälligen Diktator handelt. Dies wird der Glaubwürdigkeit der Schutzverantwortung und möglicherweise auch dem Image des Westens in der arabischen Welt gut tun. Gleichzeitig hat der Einsatz auch innerhalb des Westens gezeigt, dass eine humanitäre Intervention entgegen vieler gegenteiliger Prognosen auch ohne Bodentruppen, ohne eigene Verluste und ohne „mission creep“ realisiert werden kann. Die Kritik der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) an der angeblichen Mandatsüberschreitung der Alliierten wird mittelfristig dadurch gelindert werden, dass der Einsatz selbst letztlich ein Erfolg war und auch die Skeptiker mit einer neuen libyschen Regierung konstruktiv zusammenarbeiten wollen. Ihre Zustimmung im Sicherheitsrat am 16. September zur Einsetzung von UNSMIL bestätigt dies.

Die Libyen-Intervention bedeutet allerdings keinen Anbruch eines neuen Zeitalters humanitärer Einsätze in weltöffentlichem Interesse. Die Umstände, unter denen sich der Sicherheitsrat auf die Resolutionen 1970 und 1973 geeinigt hat, werden sich zu anderen Gelegenheiten nicht ohne weiteres wiederholen. Das Gerangel im UN-Sicherheitsrat um eine Verurteilung Syriens hat dies unlängst belegt. Wenn sich der Sicherheitsrat in Zukunft wieder zu einem militärischen Einsatz unter Berufung auf die Schutzverantwortung entschließen sollte, dann werden die BRICS Staaten vermutlich dafür sorgen, dass ein RtoP-Einsatz transparenter und operativ vorhersehbarer ausgestaltet wird. Denkbar wären auch Innovationen in der Sicherheitsratsarbeit, wie etwa die Einrichtung eines Komitees, vergleichbar mit den Sanktionskommittees, oder der Einsetzung eines Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs, wie bei Blauhelmmissionen.

Letztendlich hat der Libyen-Einsatz verdeutlicht, daß ein verstärkter Fokus auf die Umsetzung der Norm gelegt werden muss. Die Weiterentwicklung der Schutzverantwortung als Norm ist kein Selbstzweck, sondern bemisst sich letztendlich daran, ob sie dem Schutze der Menschen vor Massenverbrechen dient. Unterhalb der Schwelle einer militärischen Intervention bedarf es weiterer Instrumente als der Verhängung wirtschaftlicher und politischer Sanktionen, die sich in der Vergangenheit zwar als wichtige, aber auch begrenzt wirksame Druckmittel gezeigt haben. Ein weiteres, innovatives Instrument wäre die Herstellung größerer Konflikt-Transparenz durch eine gezielte Beobachtung und Veröffentlichung von Satelliten- oder Drohnenaufnahmen. Das „Satellite Sentinel“ Projekt der Harvard Humanitarian Initiative beobachtet zum Beispiel die Konfliktregion Abyei und Süd-Kordofan im Sudan. Die Initiative konnte auf diese Weise der Regierung in Khartum nicht nur ethnische Säuberungen und Massaker nachweisen, sondern auch die Vorbereitungen einer militärischen Offensive belegen, die daraufhin prompt verschoben wurde. Ähnliche Initiativen wären auch in anderen Konflikten denkbar, um hierdurch  Öffentlichkeit und diplomatischen Druck zu erzeugen sowie gerichtsfeste Informationen, zum Beispiel für den Internationalen Strafgerichtshof, zu sammeln. Der präventive Effekt einer möglichen strafrechtlichen Verfolgung sowie der Herstellung von Transparenz und politischer Verantwortlichkeit sollte nicht unterschätzt werden.

Auch auf regionaler und nationaler Ebene sollte die präventive Komponente der Schutzverantwortung konsequenter verfolgt werden, anstatt derlei Fragen einzig und allein auf UN-Ebene zu verorten. Die Obama-Administration hat z.B. zu diesem Zweck das sog. „Atrocities Prevention Board“ eingesetzt, welches ein hochrangig-besetzter inter-ministerieller Ausschuss zur Verhinderung von Massenverbrechen ist. Auf diese Weise wird auf institutioneller und personeller Ebene Vorsorge dafür getragen, dass die Verhinderung von Massenverbrechen bei der Formulierung der amerikanischen Außenpolitik künftig ausreichend Berücksichtigung findet. Deutschland und andere EU-Länder sollten diesem Beispiel folgen und entsprechende Regierungs- und Parlamentskommissionen ins Leben rufen. Ohne eine deutliche institutionelle, finanzielle und personelle Aufwertung der Prävention von Massenverbrechen wird eine Umsetzung der Schutzverantwortung auf nationaler und regionaler Ebene nur schwer realisierbar sein.

Wenn eine humanitäre Intervention als letztes Mittel zur Beendigung von Massenverbrechen nicht ausgeschlossen werden kann, stellt sich außerdem die Frage einer besseren Umsetzung der Schutzverantwortung auch im militärischen Bereich. Da Projekte wie eine UN-eigene schnelle Eingreiftruppe zur Verhinderung von Massenverbrechen langfristig durch den politischen Widerstand vieler UN-Mitglieder blockiert sind, bleiben mittelfristig einzelstaatliche Initiativen notwendig. Pionierarbeit hat in dieser Hinsicht das amerikanische „Mass Atrocity Response Operations Projekt“ des Carr Center for Human Rights Policy geleistet, indem es Herausforderungen und Lösungswege effektiver humanitärer Interventionen herausgearbeitet hat. Bis zum heutigen Tag ist der Schutz von Zivilbevölkerungen vor schwersten Menschenrechtsverletzungen kein Gegenstand militärischer Planung, Ausbildung oder Doktrin. Innerhalb der Vereinten Nationen, die seit dem Jahr 1999 Blauhelmmissionen mit Zivilschutzmandat in Krisenregionen schicken, stecken Definition, Aufgabenbeschreibung oder Benchmarking bezüglich des Schutzes von Zivilisten weiterhin in den Anfängen. Wann immer UN Blauhelme dabei versagen, eine Bevölkerung vor Übergriffen zu schützen, ist dies unter anderem auf eben jenen konzeptionellen und operativen Mangel zurückzuführen. Auch die NATO musste sich in Libyen dem Problem stellen, was genau der Schutz von Zivilisten beinhaltet und wie dieser praktisch umgesetzt werden kann: Wann z.B. gilt ein Panzer als unmittelbare Bedrohung für die Zivilbevölkerung und ist somit ein legitimes Ziel eines Militäreinsatzes? Reicht hierfür die reine Anwesenheit in einem Konfliktgebiet, muss eine direkte Kampfbeteiligung vorliegen, oder ist die Bewachung eines militärisch wichtigen Knotenpunktes ein ausreichender Grund für eine Attacke? Das grundlegende Problem ist, dass sich eine von Außen erzwungene Verhinderung und Beendigung von Massenverbrechen gegen eine Zivilbevölkerung nicht unter Bezugnahme auf traditionelle militärische Standardprozeduren erreichen lässt. Anstatt eine möglichst große militärische Überlegenheit vor einer Intervention sicherzustellen kommt es bei humanitären Interventionen auf ein möglichst rasches Einschreiten an, um so viele Zivilisten wie möglich vor Gewalt zu schützen.

Es ist notwendig zu verstehen, dass Streitkräfte durch humanitäre Interventionen mit einem weitestgehend unbekannten Operationstypus konfrontiert sind, der einzigartige Herausforderungen birgt und daher einer eigenen zivil-militärischen Doktrin bedarf. Je rascher an dieser Stelle Fortschritte erzielt werden, desto umfangreicher sind die Handlungsoptionen der Politik, im Falle von Massenverbrechen schnell und angemessen reagieren zu können. Trotz des wichtigen Fokus der RtoP auf präventive Konfliktbearbeitung ist es für die Zukunft der Schutzverantwortung deshalb unumgänglich, dass auch das robuste Spektrum der Schutzverantwortung diskutiert und weiterentwickelt wird. Mit Spannung wurde deshalb in New York vernommen, dass der RtoP-Sonderberater des UN-Generalsekretärs, Edward Luck, als Thema für die nächste Generalversammlungsdebatte der Schutzverantwortung ausgerechnet die „interventionistische“, so genannte dritte, Säule des RtoP-Konzepts auf die Tagesordnung setzen will.

 

Über die Autoren:

Volker Lehmann, PhD, ist Senior Policy Analyst im FES Büro New York

Robert Schütte ist Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation Genocide Alert

 



[1] Im weiteren Verlauf des Textes werden diese Verbrechen als Massenverbrechen zusammengefasst.

Libyen: Stresstest für die Schutzverantwortung?

Als das Regime des Muammar Ghaddafi zu stürzen begann und die Truppen des Nationalen Übergangsrats Tripolis einnahmen, klopfte man sich in den außenpolitischen Schaltzentralen in London und Paris auf die Schultern: Man hatte richtig entschieden und in einem innerstaatlichen Konflikt Partei ergriffen, um die Bevölkerung von Bengasi vor der angekündigten Rache des Diktators zu schützen.

Unter britischer und französischer Federführung wurde die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats vom März, in welcher der unbedingte Schutz der libyschen Zivilbevölkerung mit allen dafür notwendigen Mitteln gefordert wurde, umgesetzt. Die bei der UN-Generalversammlung 2005 verabschiedete Schutzverantwortung („Responsibility to Protect“) wurde dadurch in Libyen zum ersten Mal angewendet.

Deutschland hatte sich nicht an dem Einsatz beteiligt und dadurch die sicherheitspolitischen Partner brüskiert und seine Glaubwürdigkeit als langjähriger Verfechter der Schutzverantwortung beschädigt. Gleichwohl fühlte sich kurioser Weise auch Außenminister Westerwelle nach dem Sturz Ghaddafis als Sieger. Die von Deutschland mitgetragenen Sanktionen hätten nämlich ebenfalls zum Sturz des Regimes beigetragen. Westerwelle war im März mit seiner Entscheidung innenpolitisch allerdings nicht allein, Amtsvorgänger Steinmeier und auch der Fraktionschef der Grünen, Jürgen Trittin, sprachen sich ebenfalls gegen den Einsatz militärischer Mittel aus und stellten damit wieder einmal unter Beweis, dass Deutschland nicht bereit ist, ein bestimmender Akteur auf dem internationalen Parkett zu werden, dessen Handeln sich nur auf dem Papier an der Durchsetzung internationaler Normen und der Verteidigung von Menschenrechten ausrichtet. Ruanda und Srebrenica, wesentliche Ausgangspunkte für die Entwicklung der Schutzverantwortung, waren den Herren wohl nicht mehr im Gedächtnis und von der historischen Verantwortung deutscher Außenpolitik (vgl. von Schorlemer) war nichts zu spüren.

Das Konzept der Schutzverantwortung (RtoP) : Entstehung & Hintergrund

Am 24.Oktober 2005 stimmte die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit überwältigender Mehrheit dem Konzept der Schutzverantwortung zu. Dieses wurde auf Betreiben der kanadischen Regierung durch die „International Commission on Intervention and State Sovereignity“ entwickelt.
Ziel der Schutzverantwortung ist es, die Gefahr von Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit frühzeitig zu erkennen und bestenfalls zu verhindern oder zumindest zu stoppen. Sollte diese Verantwortung von Nationalstaaten nicht erfüllt oder sogar verletzt werden, geht sie auf die internationale Gemeinschaft über, die dann mit Hilfe von Verhandlungen, Sanktionen und im äußersten Fall militärischen Interventionen die Pflicht hat, Zivilisten zu schützen.
Grundlegend für das Konzept ist die „Responsibility to prevent“, welche besagt, dass alle Mitglieder der internationalen Gemeinschaft dazu verpflichtet sind, Maßnahmen zu ergreifen, um Konflikte präventiv zu unterbinden. Hierzu gehören vor allem Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit wie Armutsbekämpfung, Förderung von guter Regierungsführung und Bildung sowie des Dialogs zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen. Flankiert werden müssen diese Maßnahmen natürlich von einer verantwortungsvollen Außen- und Außenhandelspolitik, die im Zweifel eigene Interessen zurückstellt, wenn dadurch erkennbar das Konfliktpotential in einem Land oder einer Region erhöht wird. In einem Waffenexportland wie Deutschland muss daher stets besonders sorgfältig geprüft werden, was in welche Länder geliefert werden darf. Dabei geht es nicht nur um Panzer, sondern auch um Kleinwaffen und militärisch nutzbare Radar- und Kommunikationstechnik.

In den politischen und feuilletonistischen Debatten wird dieser Teil des Konzepts von seinen Gegnern häufig vernachlässigt. Man beschränkt sich – insbesondere in linken und pazifistischen Kreisen – auf die Handlungsoption der militärischen Intervention (responsibility to react), die gerne als „humanitärer Interventionismus“ oder auch als „Rückkehr zum Faustrecht“ (Ruf) bezeichnet und mit der Vermutung versehen wird, neoimperialistische Motive seien nicht auszuschließen.

Während diese Polemiken eher ideologisch motiviert scheinen, muss das Konzept der Schutzverantwortung kritisch analysiert werden, da durch ihre Anwendung folgende komplexe völkerrechtliche und politische Fragen aufkommen:

  1. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die Verantwortung des Schutzes von Zivilisten auf die internationale Gemeinschaft übergeht und ggfs. eine Militärintervention gerechtfertigt und legitim ist?
  2. Wo ist die Grenze zwischen Schutzverantwortung und regime change?
  3. Wie kann verhindert werden, dass durch eine militärische Intervention Zivilisten zu Schaden kommen?

Gründe für eine militärische Intervention

Formelle Voraussetzung für die Anwendung der Schutzverantwortung ist eine Resolution des UN-Sicherheitsrats. Aufgrund der unterschiedlichen teils aber auch konkurrierenden geostrategischen und machtpolitischen Interessen der ständigen Mitglieder ist davon auszugehen, dass nur in seltenen und wirklich schwerwiegenden Fällen Resolutionen zu Stande kommen. Dadurch wird einerseits die Vermutung abgeschwächt, die Schutzverantwortung legitimiere militärische Interventionen, die in Wahrheit interessengeleitet sind. Gleichzeitig entsteht durch die Machtbalance im Sicherheitsrat andererseits die Problematik, dass Diktatoren wie Omar Al-Bashir im Sudan aufgrund ihrer guten Beziehungen zu einem ständigen Mitglied vor einer völkerrechtlich legitimen Intervention wie in Libyen geschützt sind, obwohl dort schwerste Menschenrechtsverbrechen begangen wurden und werden. In der derzeitigen Situation muss daher gefragt werden, warum Syrien unter Augen der Weltöffentlichkeit mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen Demonstranten vorgehen darf, während in Libyen eingegriffen wurde. Der Fall Libyen zeigt deutlich welche drei Voraussetzungen noch erfüllt sein müssen, um die Anwendung von militärischen Mitteln zu rechtfertigen:

Erstens muss eine objektiv erkennbare Gefährdungslage für Zivilisten bestehen. Im Falle Libyens hat Ghaddafi selbst den Beweis erbracht, indem er den Demonstranten in Bengasi mit einer Niederschlagung der Proteste mit allen Mitteln drohte. Die ersten Reaktionen der regimetreuen Sicherheitskräfte erstickten jeden Zweifel an dieser Ankündigung umgehend (vgl. HRW).

Zweitens sollten angrenzende Staaten bzw. Regionalorganisationen in die Entscheidung über eine militärische Intervention einbezogen werden (Ischinger). Im Falle Libyens ging die Forderung nach einer Flugverbotszone maßgeblich von der Arabischen Liga aus und der Einsatz wurde trotz mitunter abweichender Stellungsnahmen grundsätzlich mitgetragen. Ohne diese Zustimmung der Arabischen Liga wäre die Intervention sicherlich aus einem anderen Blickwinkel diskutiert worden. Der Schutz der Zivilisten wäre hinter einem abermaligen Aufleben der Huntington-Thesen vom Kampf der Kulturen getreten.

gaddafi Drittens muss es eine klare Roadmap zur Umsetzung der entsprechenden Sicherheitsratsresolution geben. Im Falle Libyen forderte die Resolution 1973 den Schutz von Zivilisten vor Angriffen der Ghaddafi-Truppen, die Durchsetzung der Flugverbotszone und des Waffenembargos sowie Reiseverbote und das Einfrieren des Auslandsvermögens von Personen und Institutionen. Dies hat die NATO erfüllt. Allerdings wurden durch die Waffenlieferung an den NTC seitens Frankreichs die Grenzen der Resolution überschritten. Es handelte sich damit nicht mehr um den reinen Schutz von Zivilisten, sondern bedeutete eine klare Parteinahme innerhalb eines innerstaatlichen Konflikts.
Dieser Vorgang wurde zu Recht kritisiert, man muss allerdings fragen, welche Alternativen es in dieser Situation gibt. Hätte sich die NATO auf ihren eigentlichen Auftrag beschränkt, hätten die Truppen des NTC sicherlich Tripolis noch nicht erreicht, da ihnen auch gegen geschwächte Regierungstruppen die notwendige Schlagkraft gefehlt hätte. Ein langwieriger Bürgerkrieg wäre wohl ausgebrochen, an dessen Ende mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr Opfer zu beklagen gewesen wären. Im Libyen-Konflikt mag dieses Vorgehen durch den Erfolg des NTC und den zweifellos nachgewiesenen Gräueltaten des Regimes (HRW) nachträglich legitimiert sein. Dies darf jedoch unter keinen Umständen zur Regel werden, da die Schutzverantwortung eine Notfall-Option bleiben muss und kein Mittel darstellen sollte, um sich – im Sinne der Bush-Doktrin – Diktatoren zu entledigen. Wann aber ist ein Einsatz zum Schutz von Menschenrechten zu Ende? Der Wortlaut der UN-Resolution deckt alle Maßnahmen die zum Schutz von Zivilisten in Bedrohungslagen („under the threat of attack“) notwendig sind. Es ist schwer festzustellen, wann genau der Punkt erreicht ist, an dem ein Aggressor keine Bedrohung mehr darstellt. Im konkreten Fall musste man zudem noch davon ausgehen, dass Ghaddafi seine Ankündigung von Rache irgendwann wahr machen würde, sei es früher oder später.

„Do no harm“

Auch wenn es sich im Nachhinein nicht mit Gewissheit sagen lässt, ob eine militärische Intervention mehr Menschenleben gerettet oder zivile Opfer verursacht hat, kann bei diesem Einsatz mit hoher Wahrscheinlichkeit von Ersterem ausgegangen werden. Dies entspricht der sog. „Do-no-harm“ Regel, die besagt, dass Interventionen nicht gerechtfertigt sind, wenn die dadurch entstehenden Konsequenzen die Situation in einem Konflikt absehbar verschlimmern.
Es muss daher zunächst Ziel einer jeden militärischen Operation sein, Angriffe auf die Zivilbevölkerung durch Luftschläge und Artillerie zu verhindern und möglichst viele Menschen aus den Kampfzonen zu evakuieren.

In Libyen ist der NATO bei ihren Luftschlägen bis auf wenige Zwischenfälle gelungen,  zivile Opfer zu vermeiden und die libysche Bevölkerung bei ihrem Kampf gegen den Gewaltherrscher Ghaddafi zu unterstützen. Nun geht es darum, der Verantwortung für den Wiederaufbau und damit einhergehend auch der Präventionsverantwortung in dieser Post-Konflikt-Situation mit entwicklungspolitischen Maßnahmen in den Bereichen Sicherheitssektorreform, Verwaltungsaufbau und Förderung der Zivilgesellschaft gerecht zu werden. Eine neue Chance für Deutschland zu zeigen, dass man nicht nur auf dem Papier und bei Sonntagsreden internationale Verantwortung übernehmen will, wenngleich dies das Versagen im Sicherheitsrat nicht wieder gut machen wird.

Langfristig wird diese erfolgreiche Anwendung der Schutzverantwortung ein wichtiges Signal senden, da der Sicherheitsrat bewiesen hat, dass er nicht gänzlich handlungsunfähig ist und die Weltöffentlichkeit schwersten Menschenrechtsverbrechen in innerstaatlichen Konflikten nicht mehr hilflos gegenüber steht. Man muss die angesprochenen Probleme, die mit der Anwendung der Schutzverantwortung einhergehen, sehr ernst nehmen und insbesondere die Zivilgesellschaft muss hier ihre Rolle als kritische Wächterin spielen. Doch Libyen kann als erfolgreichen Stresstest für die Norm der Schutzverantwortung gewertet werden.

Quellen:

Sven Scheid

Offener Brief an MdBs: Demokratische Republik Kongo: Was unternimmt Deutschland zur Unterstützung von Sicherheit und Stabilität im Vorfeld der Wahlen 2011?

Anlässlich der Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo am 28. November 2011 versendete Genocide Alert am 08. September 2011 einen offenen Brief an alle Bundestagsfraktionen und ausgewählte Bundestagsabgeordnete, um eine Unterstützung eines sicheren Urnenganges im November zu fordern.

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Osten der Demokratischen Republik Kongo gehört zu einer der gefährlichsten Regionen weltweit. Besonders in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu beherrschen zahlreiche gewaltbereite, bewaffnete Rebellengruppen das Territorium. Trotz Unterstützung der UN-Blauhelmmission (MONUSCO) ist die dortige Armee nur begrenzt in der Lage, für die Sicherheit der Zivilbevölkerung zu sorgen. Plünderungen, Entführungen, Morde und Massenvergewaltigungen gehören seit über einem Jahrzehnt zum grausamen Alltag im Osten des Landes. Wie bewaffnete Auseinandersetzungen bei den Wahlen im Jahr 2006 und die gewaltsame Unterdrückung der Proteste gegen angebliche Manipulationen der Wählerregistrierung vor der Wahlkommission in Kinshasa zeigen, stellen die für den 28. November diesen Jahres anberaumten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ein weiteres Sicherheitsrisiko dar.

Vor diesem Hintergrund fordern wir Sie auf, einen freien und sicheren Urnengang im November 2011 im Kongo zu unterstützen und dadurch einen Beitrag zur Stabilisierung des Landes zu leisten.

Auf eine Entsendung von EUFOR Truppen wird bei dieser Wahl verzichtet, obwohl der Einsatz im Juli 2006 erfolgreich verlief. Umso wichtiger erscheint es, dass Deutschland sich für eine weitreichende und engagierte Überwachung und Begleitung der Wahlen durch die MONUSCO, die EU, die kongolesischen Parteien und die kongolesische Zivilgesellschaft einsetzt.

Von der Europäischen Union wurden 47 Millionen Euro für die Wahlbeobachtung freigegeben. Die Bedingungen für die Entsendung eines Wahlbeobachterteams vor Ort werden eruiert. Das Auftreten von Gewalt Anfang Juli zeigt die unbedingte Notwendigkeit, dass von Seiten der EU, MONUSCO und von Seiten der kongolesischen Parteien und der Zivilgesellschaft Transparenz über den Ablauf der Wahlen hergestellt wird.

Konkret fordert Genocide Alert:

  • Die Entsendung europäischer Wahlbeobachter und den Einsatz und das Training ziviler Wahlbeobachter sicherzustellen, um zu vermeiden, dass eine unfaire und unfreie Wahl durch fehlende Transparenz ermöglicht wird.
  • Die Implementierung eines Code of Conduct zu fordern, der die Parteien dazu verpflichtet, politische Freiheiten einzuhalten, auf Hassreden zu verzichten und die Wahlergebnisse allein durch legale Mittel anzufechten und von Vergeltungsmaßnahmen nach den Wahlen abzusehen. Diese Selbstverpflichtung soll im Rahmen einer öffentlichen Zeremonie von den politischen Parteien unterschrieben werden.
  • Ein Komitee zu schaffen, welches die Einhaltung des Code of Conduct überwacht. Dieses Komitee sollte aus Vertretern der Zivilgesellschaft, der politischen Parteien, diplomatischen Vertretern und der MONUSCO zusammengesetzt sein. Das Komitee überwacht und berichtet über den Ablauf der Wahlen.

Aufgrund der Entscheidung, keine EUFOR Truppen zu entsenden und der noch nicht definierten Aufgaben der europäischen Wahlbeobachtungskommission kommt der MONUSCO eine bedeutende Rolle zu. Der UNO-Sicherheitsrat hat mit der Verlängerung des MONUSCO-Mandats bis zum 30. Juni 2012 auch entschieden, dass MONUSCO die Wahlen technisch und logistisch unterstützen wird. Das allein wird aber nicht ausreichen.

Konkret fordert Genocide Alert:

  • MONUSCO personell und materiell aufzustocken, so dass der Schutz von Zivilisten substantiell verbessert werden kann. Dazu gehören auch die Dokumentation und Verfolgung schwerer Menschenrechtsverletzungen besonders im Osten des Landes.
  • Die weitreichende Unterstützung legitimer Sicherheitsmaßnahmen der kongolesischen Autoritäten durch die MONUSCO.
  • Ein verstärktes Engagement der MONUSCO sowohl vor als auch nach den Wahlen für eine Reform des Sicherheitssektors und der Rekrutierung und Ausbildung der kongolesischen Armee.

Wir würden uns über eine Stellungnahme Ihrerseits freuen und verbleiben bis dahin mit freundlichen Grüßen,

Robert Schütte, Vorsitzender Genocide Alert e.V.

Johanna Schmidt, Projektkoordinatorin, DR Kongo

„Wer von Frieden redet darf von Menschenrechten nicht schweigen“ – Kommentar von Robert Schütte zum Antikriegstag

Wie jedes Jahr am 1. September gedenken die Deutschen am Antikriegstag dem Überfall Deutschlands auf Polen, der den 2. Weltkrieg einläutete. Die Pressemitteilungen und Zeitungsartikel haben den einhelligen Tenor: Für Frieden, gegen Kriege. Ganz ehrlich: Kann es angesichts weltweiter Gewalt etwas Sympathischeres geben als für Frieden zu demonstrieren? Schwerlich, denn wenn man den Friedensbewegten in unserer Gesellschaft eines sicherlich nicht absprechen kann, dann ist es, dass sie es gut meinen. Und doch habe ich mich bewusst und aus Gewissensgründen dazu entschlossen, dem pazifistischen Treiben Wasser in den Wein zu schütten. Ungewöhnlich für einen Menschenrechtler? Dem möchte ich mit reinem Gewissen widersprechen.

Man kann nicht nur, man muss für Frieden sein. Ich kenne in der Tat niemanden, der Krieg gut findet. So sehr ich aber für Frieden bin, so sehr bin ich auch für den Schutz von Menschenrechten. Wer ist denn heutzutage ernsthaft nicht mehr für den Schutz von Menschenrechten? Problematisch wird dies erst, wenn „Frieden“ und „Menschenrechtsschutz“ nicht mehr in Einklang zu bringen sind; wenn aus „Frieden“ „Friedhofsruhe“ wird. Spätestens seit den Völkermorden in Ruanda, Srebrenica und Darfur wissen wir doch, dass die Welt systematischen Massenverbrechen nicht tatenlos zusehen darf. Wenn ein Massenmord an unschuldigen Zivilisten nur noch durch den Einsatz von Militär zu verhindern ist, dann hat die Welt eine Verantwortung zur Rettung dieser Menschen, notfalls auch mit Gewalt. Das macht einen Krieg nicht zu etwas Gutem. Aber manchmal ist der Einsatz von Gewalt leider die am wenigsten schlechte verbleibende Option. In solchen Situationen kann man nicht zur gleichen Zeit Pazifist und Menschenrechtler sein. In solchen Situationen muss man eine Entscheidung treffen im Wissen, dass es manchmal leider keine guten, sondern nur mehr oder weniger schlechte Optionen gibt. Manchmal kann man leider nicht zugleich für Frieden und Menschenrechte sein. Die Frage ist eher, ob man diese bedrückende Tatsache anerkennt oder vor ihr die Augen verschließt.

Um im Bilde zu bleiben muss man leider feststellen, dass in der Friedensbewegung offenbar viele Augen verschlossen bleiben. So wird gegen die NATO, Israel und natürlich die Bundeswehr protestiert. Das ist legitim, vielfach ist dies auch angebracht. Auffällig ist aber, dass dort anscheinend niemand auf die Idee kommt gegen Gaddafi, die Taliban, Assad oder die Hamas zu demonstrieren. Wieso eigentlich nicht? Ist Gaddafi, der gegen seine eigene Bevölkerung zu Kriege zog und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt wird, denn kein Wort wert? Sind nicht auch die Taliban zu kritisieren, die laut Vereinten Nationen durch ihre Anschläge auf belebte Märkte und Straßen für mehr als 75% aller toten Zivilisten in Afghanistan verantwortlich sind? Ist nicht auch die Hamas dafür zu verurteilen, dass sie israelische Kinder in ihren Betten ermordet und ihre Raketen in Gaza aus Kindergärten und Krankenhäusern abschießt? Wo ist die Solidarität mit den syrischen Protestierenden, die von ihrer eigenen Regierung zusammengeschossen und gefoltert wird? Bei aller notwendigen Kritik am Westen frage ich mich, wie manche Teile der Friedensbewegung mit ihren noblen Intentionen einen solchen moralischen Blackout haben können.

Die Einseitigkeit mancher Antikriegsproteste konnte in diesem Jahr wieder einmal auf deutschen Ostermärschen beobachtet werden. So war auf einem Plakat zu lesen: „Zivilsten vor der NATO schützen!“ Gerade im Hinblick auf die humanitäre Intervention in Libyen kann man als Menschenrechtler bei solchen Aussagen nur mit den Augen rollen. Es waren die USA, Großbritannien und Frankreich, die im Auftrag der UN mit ihrer Intervention gerade noch rechtzeitig ein Massaker in Bengasi verhindert und das Ende des Gaddafi Regimes ermöglicht haben. Ich bin mir sicher: Wäre es nicht zu einem Eingreifen gekommen, würde sich heute alle Welt fragen, wie wir ein „zweites Srebrenica“ trotz eindeutiger Warnungen zulassen konnten. Mit deutschen Sanktionen hatte weder der Schutz der libyschen Zivilbevölkerung noch der Sturz Gaddafis zu tun. Danke NATO, nein danke Westerwelle möchte man da sagen.

Die humanitäre Intervention war und ist ein leuchtendes Beispiel dafür, dass westliche Soldaten im Notfall auch für die Menschenrechte arabischer und muslimischer Zivilisten kämpfen. Selbst wenn es zu keinem weiteren Einschreiten in Syrien oder am arabischen Golf kommt: Es ist besser, inkonsequent einigen Menschen das Leben zu retten, als konsequent keinen. Weltweit schützen mehr als 100.000 bewaffnete UN-Blauhelmsoldaten unzählige Frauen, Männer und Kinder vor Kriegsgewalt. In vielen Fällen wäre ein solcher Schutz ohne Waffen und Soldaten nicht zu schaffen. Ohne diese Friedenstruppen würden noch mehr Frauen im Kongo vergewaltigt, noch mehr Männer in Darfur ermordet und noch mehr Kinder zu Soldaten oder Sexsklaven gemacht. Selbst in Afghanistan sorgt der Einsatz der afghanischen Armee und ihrer internationalen Verbündeten (inklusive Deutschland) dafür, dass Menschenrechte inzwischen nicht wie unter den Taliban die letzte Geige spielen.

Natürlich kann man trotzdem begründet gegen Einsätze der Bundeswehr sein. Dennoch müssen auch knallharte Pazifisten vom ihrem hohen Ross der moralischen Überlegenheit absitzen, weil ihr grundsätzliches „Nein“ zu Militäreinsätzen seine eigenen Opfer fordert: Seien es Männer in Libyen, Frauen im Kongo oder Kinder in Darfur. Wer also am 1. September „nie wieder Krieg“ ruft, der sollte über ein „nie wieder Auschwitz“ nicht schweigen.

Robert Schütte (follow me on twitter: robert_schuette

Neue Publikation zur Schutzverantwortung: „Voices from Civil Society“

Akteure aus der Zivilgesellschaft waren für die Entwicklung der „Responsibility to Protect“ von Beginn an entscheidend. Um das Bewusstsein gegenüber der RtoP zu erhöhen und die Etablierung der Norm weiter voranzutreiben, ist ihre Überzeugungsarbeit gar unverzichtbar. Die Anstrengungen, welche in allen Teilen der Welt mit dem Ziel der Verhinderung von Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit unternommen werden, stellt die „International Coalition for the Responsibility to Protect„, dessen Mitglied Genocide Alert ist, in einer neuen Publikation vor.

Die PDF Version finden Sie unter diesem Link.