Deutschland und die R2P: Nie wieder Krieg oder nie wieder Auschwitz?
Verteidigungsminister Thomas de Maizière hat jüngst wieder eine verstärkte Sicherheitspolitische Debatte in Deutschland gefordert. Im Anschluss an die jüngste informelle Debatte der UN Generalsversammlung zur Responsibility to Protect (RtoP) am 5. September bietet es sich an Deutschlands Beitrag zur internationalen Schutzverantwortung zu diskutieren. Die Verhinderung von und Reaktion auf Massenverbrechen ist angesichts zweier Maxime deutscher Außenpolitik – nie wieder Krieg und nie wieder Auschwitz – ein notwendiges Thema, dass sich auch in der sicherheitspolitischen Debatte wiederfinden muss, in Deutschland aber bislang wenig thematisiert wird. Will die Bundesrepublik ihrer internationalen Verantwortung gerecht werden, muss hierzulande eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Schutzverantwortung stattfinden.
Die Schutzverantwortung…
Mit der einstimmigen Annahme der Abschlussdokuments des Weltgipfels im Jahr 2005 haben sich alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen mit der „Responsibility to Protect“ prinzipiell dazu bekannt Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und ethnischen Säuberungen präventiv entgegenzutreten und gegebenenfalls einzelne Staaten dabei zu unterstützen ihre Schutzverantwortung gegenüber der Bevölkerung wahrzunehmen. Sollte ein Staat in der Ausübung seiner Verantwortung gravierend versagen, erklärte sich die Internationale Gemeinschaft dazu bereit durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit Hilfe von Zwangsmaßnahmen, die den Einsatz militärischer Mittel einschließen können, bedrohten Bevölkerungen zur Hilfe zu eilen. Dies sind die drei Säulen der RtoP: Die Schutzverantwortung des Staates, Internationale Hilfe und Kapazitätsaufbau sowie Rechtzeitige und entschiedene Reaktion.
Wurde die RtoP lange vor allem in akademischen Zirkeln diskutiert, so war im Jahr 2011 In Libyen und der Elfenbeinküste erstmals die Legitimierung des Einsatzes von Gewalt zum Schutz von Zivilisten auf Basis der RtoP durch den Sicherheitsrat zu beobachten. Während der Fall Elfenbeinküste in der deutschen Öffentlichkeit relativ unumstritten war, folgte der Intervention in Libyen eine kritische Debatte, insbesondere in Deutschland war die deutsche Enthaltung im Sicherheitsrat Gegenstand der Kritik (siehe z.B. auch Berichte bei SPON, SZ und FAZ).
… und das widersprüchliche deutsche Handeln zwischen Unterstützung und Distanzierung
Die Enthaltung damals verwunderte einerseits wegen des deutschen Ausscherens aus der Position seiner Alliierten und dem (zweifelhaften) Schulterschluss mit Russland und China sowie Brasilien und Indien, die sich ebenfalls enthalten hatten. Auch wenn Deutschland sich durch seine Enthaltung Vertrauen bei Staaten wie Brasilien und Indien verschafft hat, die der RtoP und insbesondere dem darauf begründeten Einsatz von Gewalt kritisch gegenüber stehen, so kann man sie nicht zwingend aus der oft zitierten deutschen Ausrichtung am Zivilmachtideal erklären: Zwar strebt die idealtypische Zivilmacht eine „Zivilisierung“ der zwischenstaatlichen Beziehungen auch durch eine Einhegung des Einsatzes von Gewalt an, dies beinhaltet allerdings auch eine Unterstützung kollektiver Sicherheitssysteme sowie eine Stärkung des Völkerrechts. Beide hatte Deutschland durch seine Enthaltung zu Libyen versäumt. Was also „von der Libyen-Politik Deutschlands in Erinnerung bleibt, sind Fehler und Versäumnisse einer Zivilmacht ohne Zivilcourage“.
Andererseits passte das deutsche Verhalten im Fall Libyen gar nicht zur ansonsten unterstützenden Haltung Deutschlands zur RtoP auf der internationalen Ebene: Deutschland war ein starker Befürworter des Internationalen Strafgerichtshofs und während der Verhandlungen zum römischen Statut Mitglied der Gruppe der „like-minded States“. Auch während der Verhandlungen zur Responsibility to Protect beim Weltgipfel 2005 spielte Deutschland eine unterstützende Rolle und sorgte gemeinsam mit anderen Befürwortern dafür, dass die RtoP letztlich im Gipfeldokument verblieb. Auch in der Zeit danach setzte sich die Bundesrepublik als Mitglied der informellen Gruppierung „Group of Friends of the Responsibility to Protect“ für eine Stärkung und Implementierung der RtoP auf internationaler Ebene ein. Dafür rühmte sich die Regierung z.B. auch im Bericht der Bundesregierung zur Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen im Jahr 2010.
Zudem setze sich die Bundesregierung nach eigenen Angaben durch Menschenrechts – und Entwicklungspolitik, zivile Krisenprävention, die Stärkung regionaler und internationaler Organisationen sowie durch die finanzielle Förderung des Büros der Sonderberater des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für die Responsibility to Protect und zur Verhinderung von Völkermord ein (Bundestagsdrucksache 17/6712: 3-4). Auch in mehreren Redebeiträgen vor den Vereinten Nationen sprach sich die Bundesrepublik deutlich für eine Stärkung der RtoP und deren weitere Implementierung, auch durch den UN-Sicherheitsrat, aus. Informierte Kreise berichten auch, dass Angela Merkel einen kritischen Brief an die brasilianische Präsidentin Rouseff geschrieben haben soll, nachdem Brasilien sein „Responsibility while Protecting“-Konzept im Herbst 2011 in die Debatte eingebracht hatte.
Zurückhaltung des Auswärtigen Amts trotz völkerrechtlicher Basis für die Schutzverantwortung
Eine Erklärung dieses widersprüchlichen Verhaltens ist weniger bei den deutschen Diplomaten in New York zu suchen: so war z.B. Gunther Pleuger, der deutsche Botschafter bei den Vereinten Nationen während des Weltgipfels 2005, ein starker Unterstützer der RtoP, der auch die Politik der schwarz-gelben Bundesregierung in der Libyen-Krise stark kritisiert hatte, auch sein derzeitiger Nachfolger Peter Wittig scheint sich ernsthaft mit dem Konzept auseinander gesetzt zu haben. Es ist vielmehr im Auswärtigen Amt in Berlin eine gewisse Nichtbeachtung des Konzepts beobachtbar: Da es sich nicht um eine völkerrechtlich verankerte Rechtsnorm handelt, rangierte die RtoP wohl lange unterhalb der durch Juristen geprägten Aufmerksamkeitsschwelle der Leitungsebene. Viele im liberal geführten Außenministerium scheinen in der RtoP zudem nicht in erster Linie ein Mittel zur Verhinderung von Massenverbrechen zu sehen, sondern vielmehr die Gefahr der Aushebelung des völkerrechtlichen Gewaltverbots.
Doch diese juristische Betrachtungsweise greift zu kurz: Auf Basis der Genozid Konvention von 1948 sind alle Staaten verpflichtet Völkermord vorzubeugen und ihn als Straftatbestand zu verfolgen. Nach einem Urteil des Internationale Gerichtshof im Jahr 1996 ist die Genozid Konvention inzwischen gar als zwingendes Völkergewohnheitsrecht zu sehen, was jeden Staat dazu verpflichtet, alles in seinen Möglichkeiten liegende zu tun, um Völkermord zu verhindern. Auch laut dem römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes aus dem Jahr 1998 sind Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen sowie das Verbrechen der Aggression als internationale Straftatbestände durch die Unterzeichnerstaaten zu verfolgen. Dieses Statut ist mit dem Völkerstrafgesetzbuch auch Teil der deutschen Rechtsprechung geworden. Auch wenn die RtoP selbst keine völkerrechtliche Norm ist, so basiert sie doch auf vertraglichem und Völkergewohnheitsrecht.
Trotzdem scheint sich das Auswärtige Amt erst nach der Libyenkrise ernsthaft mit der RtoP auseinandergesetzt zu haben. Dies ist auch daran zu erkennen, dass sich Deutschland erst mit zwei Jahren Verspätung der RtoP Focal Point Initiative Dänemarks, Ghanas und des Global Centers fort he Responsibility to Protect anschließt. Beim kürzlich stattgefundenen informellen interaktiven Dialog der Generalversammlung zur Schutzverantwortung hatte die Bundesregierung angekündigt, ebenfalls eine solche Kontaktstelle für die RtoP einrichten zu wollen. In seiner Rede betonte der stellvertretende Botschafter Miguel Berger zudem, dass es in Deutschland Strukturen für eine effektive Unterstützung anderer Staaten zur Erfüllung ihrer Schutzverantwortung gebe und verwies hierbei auf eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe für zivile Krisenprävention und Frühwarnung sowie einen unterstützenden Beitrat. Sein Verweis darauf, dass Deutschland die RtoP als ganzheitliches Konzept sehe und dass in Folge der Libyen-Krise der dritten Säule, sprich der militärischen und nicht-militärischen Reaktion auf bereits stattfindende Massenverbrechen, zu viel Aufmerksamkeit zuteilwerde ist zwar richtig, angesichts der eskalierenden Lage in Syrien aber nicht wirklich angebracht. Schließlich kann in Fällen in denen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bereits begangen werden, nur eine schnelle, glaubwürdige und entschiedene Reaktion die Täter von weiteren Gräueltaten abhalten. Gerade mit Blick auf Syrien wird hier derzeit, wegen der Blockade des UN-Sicherheitsrates, allerdings zu wenig getan.
Diskussion und Analyse der Schutzverantwortung in Deutschland notwendig
Angesichts der Lage in Syrien muss daher auch die Debatte über eine Reform des UN-Sicherheitsrates wieder belebt werden. Gerade Deutschland, das selbst einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat anstrebt, sollte in dieser Diskussion öffentlich Stellung beziehen. Indien z.B. nutzte in den vergangenen Jahren die Debatten der Generalversammlung zur RtoP immer wieder, um eine Reform des Sicherheitsrates anzumahnen, auch in diesem Jahr.
Die starke Zurückhaltung der Bundesrepublik gegenüber Instrumenten aus der dritten Säule der RtoP ist nicht zielführend. Deutschland könnte noch viel mehr tun, bislang fehlt hierzulande ein Überblick darüber, welche Instrumente der Bundesregierung angesichts von Massenverbrechen zur Verfügung stehen: Das Auswärtige Amt, das Entwicklungshilfeministerium, der Bundesnachrichtendienst, die Bundeswehr und andere Regierungsinstitutionen verfügen alle über Instrumente und Informationen, die in Bezug auf die Prävention und Verhinderung von Massenverbrechen hilfreich und wichtig sind. Doch oft scheinen das Wissen, der Mut und der Wille zu fehlen, um die verfügbaren Mittel auch einzusetzen. Wenn wir, wie von de Maizière angestoßen, eine ernsthafte sicherheitspolitische Debatte in Deutschland führen wollen, muss auch die RtoP ernsthaft diskutiert und in der deutschen Außenpolitik den ihr zustehenden Platz einnehmen können.
Dieser Beitrag von Gregor Hofmann ist am 12. September bereits im Bretterblog erschienen.
[Hier zum original Artikel].