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Syrien: Ein militärisches Eingreifen zum Schutz der Bevölkerung nicht ausschließen

Die Sy­ri­en-Kri­se hat sich zu ei­nem bru­ta­len Bür­ger­krieg aus­ge­wei­tet, der täg­lich Hun­der­te Zi­vi­lis­ten das Le­ben kos­tet und den ge­sam­ten Na­hen Os­ten in ei­nen Kon­flikt zu stür­zen droht. Zwei mit­ein­an­der ver­bun­de­ne Tra­gö­di­en spie­len sich ab: Die ers­te ist die Po­li­tik des As­sad-Re­gimes, die ih­re ei­ge­ne Be­völ­ke­rung zu­sam­men­schie­ßen und mas­sa­krie­ren lässt. Oh­ne die ge­rings­te Rück­sicht auf men­schen- und völ­ker­recht­li­che Ver­pflich­tun­gen schürt Da­mas­kus ei­nen eth­no-re­li­giö­sen Flä­chen­brand, der in­zwi­schen auch auf die Nach­bar­staa­ten über­greift. Die zwei­te Tra­gö­die ist die Un­fä­hig­keit der in­ter­na­tio­na­len Ge­mein­schaft, die­sem Trei­ben Ein­halt zu ge­bie­ten. Im Ge­gen­satz zu Li­by­en ist der UN-Si­cher­heits­rat sei­ner Schutz­ver­ant­wor­tung (engl. „Re­s­pon­si­bi­li­ty to Pro­tect“) zum Schutz der sy­ri­schen Be­völ­ke­rung bis­her nicht ge­recht ge­wor­den.

Die Ta­bui­sie­rung ei­ner mi­li­tä­ri­schen In­ter­ven­ti­on ist ein Feh­ler

Das Ver­sa­gen der in­ter­na­tio­na­len Ge­mein­schaft ist haupt­säch­lich die Schuld Russ­lands und Chi­nas, die im Si­cher­heits­rat wie­der­holt ihr Ve­to ge­gen ei­ne schär­fe­re Gang­art ge­gen­über Da­mas­kus ein­ge­legt ha­ben. Al­le Ver­su­che zur Ver­hän­gung von Sank­tio­nen ge­gen As­sads Re­gie­rung sind an Mos­kau und Pe­king ge­schei­tert. Der Wes­ten wird nicht mü­de, auf die­se skan­da­lö­se Po­li­tik hin­zu­wei­sen; und doch bleibt die­ser Fin­ger­zeig wohl­feil, so­lan­ge er bloß von der ei­ge­nen Plan­lo­sig­keit ab­lenkt. Ei­ne Stra­te­gie zum Schutz der sy­ri­schen Zi­vil­be­völ­ke­rung ha­ben näm­lich we­der Wa­shing­ton noch Pa­ris, we­der Lon­don noch Ber­lin zu bie­ten. Ei­ne di­plo­ma­ti­sche Lö­sung des Kon­flikts müs­se ge­fun­den wer­den, so die Lo­sung. Gleich­zei­tig be­schwö­ren die Au­ßen­po­li­ti­ker dies- und jen­seits des At­lan­tiks, dass ein mi­li­tä­ri­sches Ein­grei­fen voll­kom­men un­denk­bar sei. Dies war und ist ein Feh­ler.

Die Ta­bui­sie­rung ei­ner mi­li­tä­ri­schen In­ter­ven­ti­on hat die di­plo­ma­ti­schen Be­mü­hun­gen zur Lö­sung der Kri­se un­ter­gra­ben, in­dem As­sad si­gna­li­siert wur­de, dass sei­ne Ver­bre­chen an der ei­ge­nen Be­völ­ke­rung kei­ne Kon­se­quen­zen ha­ben wer­den. Der Wes­ten hat sich auf die­se Wei­se ei­nes wich­ti­gen Druck­mit­tels be­raubt. Da­mas­kus wur­de es so un­nö­tig leicht ge­macht, die Ver­mitt­lungs­be­mü­hun­gen der Ver­ein­ten Na­tio­nen zu igno­rie­ren. Oh­ne ein glaub­haf­tes Es­ka­la­ti­ons­sze­na­rio wa­ren die Frie­dens­in­itia­ti­ven der in­ter­na­tio­na­len Ge­mein­schaft ein hoff­nungs­lo­ses Un­ter­fan­gen. Der Bür­ger­krieg in Sy­ri­en ist in­zwi­schen wei­ter denn je von ei­ner Lö­sung ent­fernt und hat sich so­gar mas­siv ra­di­ka­li­siert. Die bis­he­ri­ge Po­li­tik des Wes­tens ist ge­schei­tert. Es be­darf ei­nes neu­en An­sat­zes.

Al­le Op­tio­nen müs­sen auf den Tisch

Das Ziel ei­nes er­neu­ten An­laufs zur Lö­sung des Sy­ri­en-Kon­flikts muss ei­ne di­plo­ma­ti­sche Lö­sung sein, die das Mor­den mög­lichst schnell be­en­det und in ei­ne Re­gie­rung der na­tio­na­len Ein­heit oh­ne As­sad mün­det. Die Feh­ler die Ver­gan­gen­heit soll­ten hier­bei tun­lichst ver­mie­den und die Rol­le re­gio­na­ler Ak­teu­re an­er­kannt wer­den. Dem­entspre­chend wird man nicht um­hin kön­nen, den be­reits auf­sei­ten von Da­mas­kus in­vol­vier­ten Iran mit im Boot zu be­rück­sich­ti­gen.

Ein Zer­fall Sy­ri­ens in eth­no-re­li­giö­se Par­zel­len birgt das Ri­si­ko gro­ßan­ge­leg­ter eth­ni­scher Säu­be­run­gen und wei­te­rer Mas­sa­ker. Zu­dem könn­te ei­ne neue Se­zes­si­ons­dy­na­mik in den über­wie­gend kur­disch be­wohn­ten Ge­bie­ten aus­lö­sen und ei­nen Krieg mit der Tür­kei vom Zaun bre­chen. Al­len Volks­grup­pen muss des­we­gen ga­ran­tiert wer­den, dass sie in ei­nem neu­en Sy­ri­en ih­ren Platz ha­ben wer­den. Ins­be­son­de­re der bis­lang herr­schen­den ala­wi­ti­schen Min­der­heit soll­te klar­ge­macht wer­den, dass es für sie auch in ei­nem Sy­ri­en oh­ne As­sad ei­ne Zu­kunft gibt. In die­ser Fra­ge ist vor al­lem die sy­ri­sche Op­po­si­ti­on ge­fragt, ei­ne glaub­wür­di­ge Ver­tre­tung und Ein­be­zie­hung der Ala­wi­ten zu schaf­fen. Ei­ne von den Ver­ein­ten Na­tio­nen mit Ex­per­ti­se und Blau­hel­men un­ter­stütz­te Re­gie­rung na­tio­na­ler Ein­heit bie­tet die bes­te Grund­la­ge, al­le Par­tei­en in ei­nen fried­li­chen po­li­ti­schen Pro­zess zu in­te­grie­ren.

Die am we­nigs­ten schlech­te Al­ter­na­ti­ve

Da­mit ei­ne neue di­plo­ma­ti­sche In­itia­ti­ve Er­folg ha­ben kann, soll­te von vorn­her­ein auch ein mi­li­tä­ri­sches Es­ka­la­ti­ons­sze­na­rio auf­ge­baut wer­den. Sy­ri­en, Russ­land, Chi­na und Iran müs­sen ver­ste­hen, dass ei­ne fried­li­che Lö­sung die bes­te und letz­te Chan­ce ist, den Sy­ri­en-Kon­flikt un­ter Wah­rung der ei­ge­nen In­ter­es­sen zu be­en­den. Das Re­gime und sei­ne Un­ter­stüt­zer müs­sen über­zeugt wer­den, dass ein Schei­tern der Di­plo­ma­tie erns­te Kon­se­quen­zen ha­ben wird. Nur dann wer­den sie den not­wen­di­gen Wil­len für ei­nen Kom­pro­miss fin­den. Ein Deal könn­te so­gar frei­es Ge­leit für As­sad mit­ein­schlie­ßen, nicht je­doch ei­ne in­ter­na­tio­nal ga­ran­tier­te Am­nes­tie. Wenn ei­ne fried­li­che Lö­sung mög­lich ist, dann wä­re dies trotz al­ler Schwach­stel­len die bes­te Op­ti­on für Sy­ri­en.

Soll­te es letzt­lich kei­ne Chan­ce für ei­ne fried­li­che Lö­sung ge­ben, soll­te über ein schnel­les und ent­schie­de­nes Ein­grei­fen nach­ge­dacht wer­den. Der Wes­ten soll­te nicht den glei­chen Feh­ler wie in Bos­ni­en be­ge­hen, erst jah­re­lang zu zau­dern, um Tau­sen­de to­te Zi­vi­lis­ten spä­ter doch zu in­ter­ve­nie­ren. Klar ist: Ei­ne hu­ma­ni­tä­re In­ter­ven­ti­on wä­re kei­ne gu­te Op­ti­on; von al­len ver­füg­ba­ren Al­ter­na­ti­ven wä­re sie je­doch auch die am we­nigs­ten schlech­te Lö­sung.

Wenn al­le di­plo­ma­ti­schen Be­mü­hun­gen fehl­schla­gen, wä­re ein Ein­grei­fen das klei­ne­re Übel als ei­ne jah­re­lan­ge Fort­set­zung der Mas­sa­ker. Mi­li­tä­ri­sche Op­tio­nen wei­ter­hin zu ta­bui­sie­ren, ist des­we­gen nicht nur un­klug, son­dern auch un­ver­ant­wort­lich.

 

Die­ser Ar­ti­kel von Ro­bert Schüt­te er­schien on­line am 17.11.2012 im The Eu­ropean.
Robert Schütte auf Twitter folgen unter @robert_schuette