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Möglichkeiten von RtoP-Einsätzen durch Deutschland unterhalb der Schwelle militärischen Eingreifens

Die derzeitige Situation in Syrien zeigt erneut, wie schnell Zivilisten Opfer von breit angelegter, extremer Gewaltanwendung werden können. Doch ist es weder möglich noch wünschenswert, der Gewalt immer durch ein direktes militärisches Eingreifen Einhalt zu gebieten. Deshalb ist eine stärkere Auseinandersetzung mit jenen Instrumenten erforderlich, mit welchen Zivilisten auch unterhalb der Schwelle eines direkten militärischen Eingreifens effektiv vor Gewalt geschützt werden können. Andernfalls drohen schwerwiegende Konsequenzen; nicht nur für die betroffene Bevölkerung sondern auch für die Glaubwürdigkeit der internationalen  Gemeinschaft.

Deutschland steht mit seinen wiederholten Bekenntnissen zur Schutzverantwortung („Responsibility to Protect“), seinen Kapazitäten und seinen ausgezeichneten diplomatischen Beziehungen in einer besonderen Verantwortung.

Genocide Alert e.V. gibt in diesem Papier einen Überblick über Maßnahmen, welche zu einem besseren Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten ergriffen werden können.

Diplomatische Maßnahmen

Diplomatische Instrumente wirken zumeist indirekt und versuchen den beteiligten Parteien gewaltfreie Optionen der Konfliktaustragung zu eröffnen. Die Wirksamkeit der diplomatischen Instrumente hängt maßgeblich davon ab, ob die Gewaltakteure staatlich sind, sowie von ihrer Relevanz innerhalb der Staatengemeinschaft. Je höher die Eskalationsstufe eines Konfliktes, desto geringer die Erfolgschancen diplomatischer Maßnahmen.

–    Mediation: Internationale Vermittlungsgruppen können Konfliktparteien zusammenbringen und Möglichkeiten eines Waffenstillstandes oder Interessenausgleichs verhandeln.

–    Direkte Gespräche: Fernab der Öffentlichkeit können Konsequenzen angedroht und Sicherheiten in Aussicht gestellt werden (bilateral oder im Rahmen einer internationalen oder regionalen Organisation).

–    Internationale Isolation: Durch die Aussetzung von Mitgliedschaften des betroffenen Landes in regionalen und internationalen Organisationen oder die Ausweisung von Botschaftern kann deutlich gemacht werden, dass die Verletzung der Schutzverantwortung von der Staatengemeinschaft nicht hingenommen wird.

–    Sanktionen: Erfahrungen zeigen, dass Sanktionen keineswegs unproblematisch sind. Gezielte, sogenannte „smart sanctions“, können jedoch Wirkung entfalten, ohne die Situation der Zivilbevölkerung unmittelbar zu verschlechtern. Hierzu zählen bspw. Reiseverbote und das Einfrieren von Vermögenswerten von Regierungsmitgliedern. Umfassende Waffenembargos müssen ebenfalls frühzeitig durchgesetzt werden. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass kein militärisches Kräfteverhältnis festgesetzt wird, in dem die Verwundbarkeit einer Gruppe fortbesteht. Handelsembargos können dazu dienen, dass eine Regierung, die Gewalt gegen Teile ihrer Bevölkerung ausübt, an Unterstützung verliert. Eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation kann den Konflikt jedoch zusätzlich verschärfen und die Mehrheitsbevölkerung stärker an die Staatsführung binden.

–    Internationale Strafverfolgung: Durch die Einschaltung des Internationalen Strafgerichtshofes kann klar gemacht werden, dass Gewaltakteure bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht mit einer späteren Verurteilungen rechnen müssen.

Nachrichtendienstliche und technische Möglichkeiten:

Instrumente aus dem Bereich der Telekommunikation können eingesetzt oder den gefährdeten Zivilisten zur Verfügung gestellt werden. Durch geheimdienstliche Erkenntnisse können Informationen weitergegeben und Verbrechen zur strafrechtlichen Verfolgung dokumentiert werden.

–    Überwachung und Weitergabe von Informationen: Durch nachrichtendienstliche Methoden gewonnene Informationen können Aufschluss über Ziele und Pläne der Gewaltakteure geben. Erkenntnisse, z.B. über Truppenbewegungen oder geplante Massaker können an gefährdete Gruppen weitergegeben werden.

–    Einsatz von Satellitentechnik: Satellitenbilder können ausgewertet und die Erkenntnisse veröffentlicht werden, um Beweise für Massenverbrechen und Truppenbewegungen zu liefern und eine vorwarnende und dokumentarische Funktion einnehmen. Dieses Instrument findet seit Ende 2010 als „Satellite Sentinel Projekt“ im Sudan erfolgreiche Anwendung.

–    Dokumentation der Verbrechen: Je nach den jeweiligen Gegebenheiten der Krisensituation können der Bevölkerung Foto-, Video- oder Handykameras bereitgestellt werden. Dies ermöglicht eine frühzeitige und umfassende Dokumentation der Verbrechen und ermöglicht es, der staatlichen Propaganda entgegenzuwirken.

–    Bereitstellung von Internetverbindungen: Während des Arabischen Frühlings wurde die Bedeutung der Internetkommunikation deutlich. In Fällen, in denen das Internet gezielt abgeschaltet wird, sollte eine Verbindung – per Satellit oder externe Funksignale, wieder hergestellt werden.

Gewaltfreie militärische Maßnahmen:

Unterhalb der Schwelle eines breiten Engagements können militärische Maßnahmen ergriffen werden. Manche stellen völkerrechtlich Eingriffe in der Souveränität des Zielstaates ein und müssten vom VN-Sicherheitsrat mandatiert werden.

–    Vorbereitung einer internationalen Mission: Vorbeugende Aufstellung von militärischem, polizeilichem und zivilem Personal durch die VN, regionale Organisationen oder einer Koalition von Staaten, um eine Drohkulisse aufzubauen und schnell eingreifen zu können.

–    Unterbindung von Propaganda- und Kommunikationskanälen: Gewaltanheizende Radiosender oder Fernsehstationen sowie Kommunikationsnetzte können, beispielsweise per Störsender, ausgeschaltet werden. Gewaltakteure können hierdurch in ihrer Schlagkraft eingeschränkt werden.

–    Cyberkriegsführung: Vorhandene Fähigkeiten können zu Sabotage- und Spionagezwecken gegenüber den Gewaltakteuren eingesetzt werden.

–    Immaterielle und materielle Unterstützung: Demokratiebewegungen oder Minderheiten können durch finanzielle und materielle Mittel (z.B. durch die Bereitstellung von nichttötlichen Materialien), sowie Trainings und Informationsweitergaben unterstützt werden. Die Bereitstellung von Waffen ist äußerst kritisch zu bewerten, da deren Verbleib nach Ende des Konfliktes nicht weiter verfolgt werden kann.

Auch vor der Anwendung von nicht-militärischen oder gewaltfreien militärischen Maßnahmen muss geprüft werden, ob diese den Konflikt eskalieren lassen oder einer eventuellen Konfliktbearbeitung entgegenlaufen. Hinsichtlich des Einsatzes der diplomatischen, technischen, nachrichtendienstlichen und nichtmilitärischen Maßnahmen muss jedoch immer der Schutz der Zivilbevölkerung im Zentrum der Überlegungen gestellt werden. Ziel dieser Maßnahmen sollte neben dem Schutz der Zivilbevölkerung auch immer die diplomatische Lösung des Konfliktes sein, ein permanenter Kontakt zu allen Konfliktparteien ist daher unerlässlich.

Christoph Schlimpert
stellvertretender Vorsitzender Genocide Alert e.V.

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Factsheet: Das Atrocities Prevention Board in den USA: Idee und aktueller Stand

Das ge­plan­te Atro­ci­ties Preven­ti­on Board in den USA ist ei­ne In­itia­ti­ve der ame­ri­ka­ni­schen Re­gie­rung un­ter Füh­rung von Prä­si­dent Ba­rack Oba­ma, die die recht­zei­ti­ge und ef­fek­ti­ve Prä­ven­ti­on und Ver­hin­de­rung von Mas­sen­ver­bre­chen zum Ziel hat. Das Board soll die ver­schie­de­nen Re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen und Ab­tei­lun­gen ko­or­di­nie­ren um ei­ne ko­hä­ren­te Stra­te­gie für die Ver­hin­de­rung von und Re­ak­ti­on auf Mas­sen­ver­bre­chen zu ent­wi­ckeln.

Wie ist das Atro­ci­ties Preven­ti­on Board en­stan­den?
prevegenocide

  • Am 4. Au­gust 2011 er­ließ Prä­si­dent Ba­rack Oba­ma ei­ne so­ge­nann­te „Pre­si­den­ti­al Stu­dy Di­rec­tive (PSD)“ – ei­ne An­wei­sung, in­ner­halb der nächs­ten 120 Ta­ge ein res­sort­übergreifendes Atro­ci­ties Preven­ti­on Board zu schaf­fen.
  • In die­ser An­wei­sung wird die Ver­hin­de­rung von Mas­sen­ver­bre­chen und Ge­no­zid als wich­tig für die na­tio­na­le Si­cher­heit und als ei­ne be­deu­ten­de mo­ra­li­sche Ver­ant­wor­tung der Ver­ei­nig­ten Staa­ten de­fi­niert.
  • Gleich­zei­tig wur­de in der An­wei­sung ei­ne Stu­die ge­for­dert, die die ge­gen­wär­ti­gen Ka­pa­zi­tä­ten der Re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen zur Ver­hin­de­rung von Mas­sen­ver­bre­chen auf­lis­tet und even­tu­el­le Lü­cken auf­zeigt. 
  • Die An­wei­sung des Prä­si­den­ten folg­te ei­ner Emp­feh­lung der Ge­no­ci­de Preven­ti­on Task Force – ei­ne Ex­per­ten­grup­pe, die vom Ho­lo­caust Me­mo­ri­al Mu­se­um in Wa­shing­ton, dem US In­sti­tu­te for Peace und der Ame­ri­can Aca­de­my of Di­plo­ma­cy zu­sam­men­ge­führt wur­de. Die frü­he­re Au­ßen­mi­nis­te­rin der USA, Ma­de­lei­ne Al­b­right und der frü­he­re Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Wil­liam S. Co­hen lei­te­ten die Task Force.
  • Als ei­ne der wich­tigs­ten Grün­de für die Er­schaf­fung des Atro­ci­ties Preven­ti­on Board wur­de von Sei­ten der Oba­ma Re­gie­rung ge­nannt, dass zu oft die Si­tua­ti­on ent­ste­he, in der der  Prä­si­dent und die Re­gie­rung vor der ex­tre­men Ent­schei­dung stün­den, ent­we­der mi­li­tä­risch in ei­ner Si­tua­ti­on ein­zu­grei­fen oder ei­nem Mas­sen­ver­bre­chen zu zu­schau­en. Das Board soll da­für sor­gen, dass die Ad­mi­nis­tra­ti­on schon frü­her auf sol­che Si­tua­tio­nen re­agie­ren und ein brei­tes Spek­trum an Maß­nah­men er­grif­fen wer­den kann.

Was sind die Zie­le des Atro­ci­ties Preven­ti­on Boards?

 

Das Haupt­ziel des Atro­ci­ties Preven­ti­on Boards ist es durch Ko­or­di­nie­rung ei­nen An­satz zu der Ver­hin­de­rung von Mas­sen­ver­bre­chen und Ge­no­zid zu er­schaf­fen, der die ge­sam­te ame­ri­ka­ni­sche Ad­mi­nis­tra­ti­on mit ein­be­zieht. Durch die In­sti­tu­tio­na­li­sie­rung der Ko­or­di­na­ti­on von der Ver­hin­de­rung von Mas­sen­ver­bre­chen soll er­reicht wer­den, dass…

  • …der ge­sam­te Si­cher­heits­ap­pa­rat der USA recht­zei­tig An­zei­chen von Mas­sen­ver­bre­chen er­kennt und auf die­se re­agiert.
  • …al­le Ab­tei­lun­gen und Bü­ros ei­ne Stra­te­gie zur Ver­hin­de­rung und Re­ak­ti­on auf Mas­sen­ver­bre­chen ent­wi­ckeln, die es er­mög­licht, dass al­le Stim­men in­ner­halb der Ad­mi­nis­tra­ti­on ge­hört wer­den und auch even­tu­ell ab­wei­chen­de Mei­nun­gen von den wich­tigs­ten Ent­schei­dungs­trä­gern ge­hört wer­den.
  • …die Ka­pa­zi­tä­ten des Aus­wär­ti­gen Diens­tes, des Mi­li­tärs, von Ent­wick­lungs­hel­fern und an­de­ren re­le­van­ten Ak­teu­ren er­höht wer­den, das ge­sam­te Spek­trum von Maß­nah­men zur früh­zei­ti­gen Prä­ven­ti­on von Mas­sen­ver­bre­chen zu nut­zen.
  • …die USA in die La­ge ver­setzt wird, mit ih­ren Ver­bün­de­ten und Part­nern zu­sam­men an der Prä­ven­ti­on von und Re­ak­ti­on auf Mas­sen­ver­bre­chen zu ar­bei­ten.

Was wer­den die vor­aus­sicht­li­chen Auf­ga­ben des Atro­ci­ties Preven­ti­on Board sein?

  • Ei­ne frü­he und im End­ef­fekt we­ni­ger teu­re Prä­ven­ti­on von Mas­sen­ver­bre­chen.
  • Das Zu­sam­men­füh­ren und Sam­meln von In­di­ka­to­ren von Mas­sen­ver­bre­chen,
  • Die Er­schaf­fung von al­ter­na­ti­ven Ka­nä­len für Be­schwer­den in den ver­schie­de­nen Ab­tei­lun­gen  wäh­rend kon­kre­ter Fäl­le von (po­ten­ti­el­len) Mas­sen­ver­bre­chen.
  • Das Trai­ning von Di­plo­ma­ten, Mi­li­tär­an­ge­hö­ri­gen, Ent­wick­lungs­hel­fern und an­de­ren re­le­van­ten Per­so­nen.
  • Die Zu­sam­men­ar­beit mit re­gio­na­len Or­ga­ni­sa­tio­nen und Ak­teu­ren.

Was ist der ge­gen­wär­ti­ge Stand?

  • Im Ja­nu­ar 2012 wird das Er­geb­nis der Stu­die zu Ka­pa­zi­tä­ten und Lü­cken der Re­gie­rung im Hin­blick auf Prä­ven­ti­on von Mas­sen­ver­bre­chen er­war­tet.
  • Das Board wur­de in­zwi­schen ge­schaf­fen und wird in Kür­ze sei­ne Ar­beit auf­neh­men.
  • Das Board wird sich haupt­säch­lich auf die Prä­ven­ti­on von Mas­sen­ver­bre­chen kon­zen­trie­ren. Ein gro­ßer Teil der Ar­beit wird das Trai­ning von Mit­ar­bei­ten im Aus­wär­ti­gen Dienst und Ent­wick­lungs­dienst be­tref­fen.

Könn­te ein sol­ches Board in Deutsch­land ge­schaf­fen wer­den?

  • Die res­sort­über­grei­fen­de Ko­or­di­nie­rung von Stra­te­gi­en und Maß­nah­men zur Ver­hin­de­rung von Mas­sen­ver­bre­chen ist ei­ne Auf­ga­be, die nicht nur in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten sinn­voll und wich­tig ist.
  • Deutsch­land hat zur­zeit kei­nen sol­chen Me­cha­nis­mus zur Ko­or­di­nie­rung von ver­schie­de­nen Mi­nis­te­ri­en, dem Kanz­ler­amt und dem Bun­des­tag.
  • Auch die an­ge­mes­se­ne Schu­lung von Di­plo­ma­ten, Mi­li­tär und Ent­wick­lungs­hel­fern, An­zei­chen von Mas­sen­ver­bre­chen früh zu er­ken­nen und ef­fek­tiv zu re­agie­ren, ist für Deutsch­land wich­tig.
  • Wel­che Form ei­ne sol­che Ko­or­di­nie­rungs­stel­le in Deutsch­land an­neh­men könn­te ist ei­ne Fra­ge, die frei dis­ku­tiert wer­den soll­te.
  • Ge­no­ci­de Alert e.V. wird zu die­sem The­ma in Kür­ze ein Stra­te­gie­pa­pier ent­wi­ckeln.

So­bald die Er­geb­nis­se der Stu­die be­kannt sind und das Atro­ci­ties Preven­ti­on Board mit sei­ner Ar­beit be­ginnt, wird die­ses Facts­heet ak­tua­li­siert.

Quel­len und Links:

Stand: 17.1.2012

Sarah Brockmeier