Massenverbrechen und Kriegsverbrechen in der Ukraine – Ein Genocide Alert Policy Brief

Die russischen Streitkräfte verüben in der Ukraine Massenverbrechen. Die deutsche Bundesregierung muss für den besseren Schutz der ukrainischen Zivilbevölkerung sorgen und sicherstellen, dass Kriegsverbrechen dokumentiert und bestraft werden.

Erhöhtes Risiko für Massenverbrechen gegen Minderheiten in Afghanistan – Ein Genocide Alert Policy Brief

Es besteht ein hohes Risiko, dass in Afghanistan Massenverbrechen gegen religiöse und ethnische Minderheiten, wie Shiiten, Sufis und vor allem Hazara, begangen werden. Die deutsche Bundesregierung muss die Bedrohungslage anerkennen und sich aktiv für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen.

Myanmar, 16 Monate nach dem Putsch – Ein Genocide Alert Policy Brief

Die Hoffnungen in den Friedens- und Demokratisierungsprozess im südostasiatischen Myanmar wurden enttäuscht: An den Rohingya wird ein Völkermord begangen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit häufen sich in vielen Teilen des Landes. Der Militärputsch von 2021 hat die Situation bedeutend verschärft, und auch ein Jahr später ist keine Entspannung der Lage abzusehen. Das Land befindet sich in einer schweren humanitären Krise. Deutschland muss sich für harte und wirksame Sanktionen auf europäischer Ebene einsetzen und die myanmarische Exilregierung anerkennen.

„Nie wieder“? Ein Handlungsleitfaden für Parlamentarier zur Prävention von Massenverbrechen

Fast 2/3 aller Flüchtlinge weltweit stammen aus nur 12 von Massenverbrechen betroffenen oder bedrohten Staaten. Allein in zehn ihrer Herkunftsstaaten wurden im Jahr 2017 über 147.000 Menschen getötet, darunter über 28.400 Zivilisten. Obwohl sich nur eine sehr kleine Minderheit der Flüchtlinge in Deutschland aufhält, löste ihr Ankunft eine der intensivsten Debatten um Flüchtlinge und Fluchtursachen in der Geschichte der Bundesrepublik aus. Gefühlter Kontrollverlust und diffuse Ängste haben aber auch zum Aufschwung von Rechtspopulisten beigetragen, die für nationale Abschottung und einen Rückzug aus internationalem Engagement plädieren. Angesichts anhaltender Notstände und zahlreicher Krisensituationen wäre dies nicht nur moralisch, wirtschafts- und sicherheitspolitisch verantwortungslos, sondern auch aufgrund der Mobilität von Flüchtlingen nicht durchsetzbar.

Das Verhindern von Massenverbrechen, d.h. von Völkermorden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und systematischen Kriegsverbrechen, stellt eine moralische und historische Verantwortung Deutschlands dar und liegt im Hinblick auf ihre katastrophalen wirtschafts- und sicherheitspolitischen Auswirkungen im ureigenen Interesse der Bundesrepublik. Die Bundesregierung hat das Verhindern von Massenverbrechen im Juni 2017 in den Leitlinien zur Krisenprävention entsprechend zur deutschen Staatsraison erklärt.

 

Download Policy Paper

 

Um die Staatsraison in praktische Schritte zu übersetzen und Massenverbrechen tatsächlich effektiver zu verhindern, ist eine außenpolitische Schwerpunktsetzung und Konzeptentwicklung in der Prävention von Massenverbrechen notwendig. Wie dieses Policy Paper illustriert, besitzt die Bundesrepublik einen Blinden Fleck bei der frühzeitigen Erkennung und der gezielten Prävention von Massenverbrechen. Zur Behebung ist die Erstellung eines Bestandsberichtes zur Prävention von Massenverbrechen erforderlich, der von Parlamentariern angestoßen und vom Auswärtigen Amt in Auftrag gegeben werden sollte.

Das frühzeitige Verhindern der schwersten Menschenrechtverletzungen weltweit darf kein politisches Randthema bleiben. Die Möglichkeiten parlamentarischen Engagements gehen weit über den Anstoß eines Bestandsberichtes hinaus. Zugeschnitten auf spezifische Ausschüsse und Tätigkeitsfelder entwirft dieses Paper anhand von 27 konkreten Handlungsvorschlägen eine Strategie zur Prävention von Massenverbrechen. Es basiert auf Ergebnissen eines mit dem Auschwitz Institute for Peace and Reconciliation durchgeführten Parlamentarierprojektes sowie dem Global Parliamentarians – Treffen zu Atrocity Prevention.

 

Weiterlesen:

GA Policy Paper – Handlungsleitfaden für Parlamentarier zur Prävention von Massenverbrechen

Frühwarnung weiter denken: Errichtung einer digitalen Vorhersageplattform

Für eine effektivere Prävention muss die Frühwarnpraxis in Deutschland maßgeblich überarbeitet werden. Mitarbeiter von NGOs, Forschungsinstituten und Ministerien könnten sich hierfür in einem digitalen Expert Opinion Pool zusammenfinden. Gebündelte Risikoanalysen sind statistisch aussagekräftiger. Ihre Auswertung könnte zudem einen bislang ungekannten Lern- und Austauschprozess bewirken.

Weiterlesen

Deutschland braucht einen Ansatz zur Prävention von Massenverbrechen

Genocide Alert Policy Brief 1/2016

Deutschland sollte einen eigenständigen Ansatz für die Prävention von Massenverbrechen entwickeln. Das heißt frühe Erkennung von Risikofaktoren fördern, entschlossen gegen Anstifter und Täter vorgehen und den Schutz von Zivilisten in VN-Friedenseinsätzen stärken. Es heißt auch, anzuerkennen, dass sich die Prävention von Massenverbrechen und die Krisenprävention zwar überschneiden, aber nicht gleichgesetzt werden können. Weiterlesen

Eine Kooperation mit Assad ist brandgefährlich

Die Regierung in Damaskus hat den Kampf gegen den sog. Islamischen Staat (IS) bisher eher behindert als unterstützt. Sie trägt an der aktuellen Flüchtlingssituation die größte Schuld. Assad sollte deshalb nicht zur Lösung eines Problems (v)erklärt werden, das er selbst geschaffen hat.

Die Suche nach einer diplomatischen Lösung sollte den Iran und Russland einbeziehen, aber eine völkerstrafrechtliche Verfolgung als zentrales Element beinhalten. Vorbedingungen für Verhandlungen sollten die sofortige Einstellung syrischer Luftangriffe auf zivile Gebiete sein. Wenn die syrische Armee weiterhin Zivilisten angreift, sollte die Einrichtung von Schutzzonen diskutiert werden.

 

Assad ist Teil des Problems, nicht der Lösung

In Deutschland wird der Vorschlag Präsident Putins, im Kampf gegen den sog. Islamischen Staat mit dem syrischen Machthaber Assad zusammenzuarbeiten, kontrovers diskutiert. Positive Reaktionen sind dabei vor allem Ausdruck einer Ernüchterung über die ausbleibenden Erfolge im Kampf gegen den IS, der aktuellen Flüchtlingssituation sowie des Wunsches, mit Russland neue Kooperationsfelder zu finden.

Während eine kritische Bewertung der bisherigen Syrienpolitik notwendig ist, sollten die russischen Vorschläge dennoch mit großer Skepsis betrachtet werden. Der wesentliche Grund für die derzeitige Flüchtlingssituation und die Entstehung des IS liegt darin, dass die Assad-Regierung ihre eigene Bevölkerung seit Jahren ungehindert ermordet. Mit Assad zu kooperieren, hieße, die sunnitische Welt gegen den Westen aufzubringen und dem IS neue Unterstützer zuzuführen. Deutschland sollte deswegen eine diplomatische Lösung unter Einbeziehung Russlands und Irans suchen, ohne jedoch mit Assad das Problem des Konflikts zur Lösung zu erklären.

Assad hat den IS gestärkt

Laut Information des Jane’s Terrorism and Insurgency Center haben sich im Jahr 2014 nur sechs Prozent aller Militäraktionen der syrischen Streitkräfte gegen den IS gewandt. Der IS hat seinerseits nur in 13 Prozent der Fälle die syrische Armee ins Visier genommen. Durch die Beseitigung moderater Oppositionskräfte erhofft sich der IS, zur einzigen Alternative des Assad-Regimes zu werden; und durch die Beseitigung der moderaten Opposition in Syrien zielt Damaskus darauf ab, sich als das kleinere Übel gegenüber dem IS zu positionieren. Assad und der IS profitieren also bislang voneinander; die Opfer sind die syrische Zivilbevölkerung und die gemäßigte Opposition. Assad hat die Feinde des IS mit Nachdruck bekämpft; und hierdurch die Islamisten kalkuliert gestärkt.

Assads Brutalität gegen die Opposition hat vor allem die sunnitische Bevölkerung im Land entfremdet. Der IS bietet sich unterdessen bei Kämpfern angesichts der schnellen militärischen Erfolge und seiner Finanzkraft als scheinbar effizientere Organisation im Kampf gegen Assad an. Eine Koalition mit Assad, oder gar eine Straflosigkeit für begangene Verbrechen, würde dem IS zahllose neue Kämpfer und Unterstützer in die Arme treiben. Das Angebot des Regimes, mit der Opposition eine Allianz gegen den IS zu schmieden, ist nicht glaubhaft.

Damaskus ist an Mehrzahl ziviler Opfer Schuld

UN-Berichte und Untersuchungen verschiedener Menschenrechtsorganisationen zeigen eindeutig: Die meisten Zivilisten sterben nicht durch Angriffe des IS, sondern durch Artilleriebeschuss, Bombardierungen und Fassbomben des syrischen Regimes. Diese Feststellung bagatellisiert nicht die systematischen Massenverbrechen des IS oder die Verbrechen anderer Rebellengruppen. Sie setzt jedoch eine opportunistische Verharmlosung der anhaltenden Gräueltaten der Regierung in Damaskus in den richtigen Kontext. Die Mehrzahl der Menschen fliehen in erster Linie wegen Assad, nicht wegen des IS, aus Syrien. Eine Kooperation mit Assad würde in der Region, aber auch international, ein falsches Signal setzen: Massenmord und tausendfache Folter an Sunniten bewegt den Westen nicht zum Eingreifen; Menschenrechte haben offenbar doch eine Religion und eine politische Gesinnung. Anderen Despoten, die eine gewaltsame Unterdrückung friedlicher Demonstrationen erwägen, würde signalisiert: Es gibt einen Weg zurück in den Kreis der anerkannten Staatsmänner, wenn der Druck auf den Westen nur hoch genug ist.

Eine Allianz gegen den IS ohne Assad

Eine Anti-Terrorallianz unter Einbeziehung Assads würde nicht nur den IS stärken, sondern einer Rückkehr hunderttausender Flüchtlinge im Weg stehen. Niemand will zurück in ein Land, das von den gleichen Personen regiert wird, vor deren Giftgas, Fassbomben und Todesschwadronen man geflohen ist. Die Menschen sind vor Assad geflohen und werden erst zurückkehren wollen, wenn sich in Syrien eine neue Zukunftsperspektive bietet.

Die syrische Exil-Opposition lehnt Verhandlungen mit Assad ab. Für die Einleitung eines Friedensprozesses in Syrien werden Gespräche mit Assad und seiner Führungsriege aber unaus-weichlich sein. Hier sollte versucht werden, kurzfristig und gemeinsam mit Russland eine Achtung des humanitären Völkerrechts und die Einstellung von Luftangriffen auf zivile Gebiete als Vorbedingung für Gespräche zu formulieren. Verhandlungen zwischen Regime und Opposition scheinen jedoch nur ohne Einbeziehung der alten Führungsriege möglich. Eine Regierung der nationalen Einheit unter Einbeziehung von weniger belasteten Teilen des alten Regimes könnte einen Ausweg aus dem Krieg bieten. Die Anhänger der Regierung, die sich keiner Massenverbrechen schuldig gemacht haben, dürfen sich nicht vom Friedensprozess ausgeschlossen fühlen. Sie sollten wissen: Ihre Zukunft steht und fällt nicht mit dem Schicksal Assads. Die Verantwortlichen für Massenverbrechen sollten hingegen im Interesse einer nationalen Versöhnung vor Gericht gestellt und bestraft werden.

Sollte die syrische Armee weiterhin Zivilisten bombardieren, sollte die Einrichtung von Schutzzonen, einschließlich deren Absicherung aus der Luft, ergebnisoffen diskutiert werden. Die Tabuisierung einer militärischen Intervention hat die diplomatischen Bemühungen zur Lösung der Krise in der Vergangenheit untergraben, indem Assad signalisiert wurde, dass seine Verbrechen an der eigenen Bevölkerung keine Konsequenzen haben werden. Der Westen hat sich auf diese Weise eines möglichen Druckmittels beraubt. Ohne ein glaubhaftes Eskalationsszenario waren die Friedensinitiativen der internationalen Gemeinschaft ein hoffnungsloses Unterfangen. Es ist bezeichnend, dass der einzige Erfolg der Syriendiplomatie – die Vernichtung von Assads Chemiewaffen – erst durch die Androhung amerikanischer Militärschläge zustande kam.

Aus Syrien lernen

Die Intervention der Bush-Regierung im Irak 2003 war eine – wenn auch nicht die alleinige – Ursache für den inzwischen zutiefst destabilisierten Nahen Osten. Gleichzeitig ist es ein Fehlschluss, daraus zu folgern, dass Nichteinmischung prinzipiell die bessere Alternative gegenüber einem rechtzeitigen Eingreifen ist. Der nicht verhinderte Völkermord in Ruanda kostete 1994 erst 800.000 Menschen das Leben, bevor er zu einem jahrelangen Krieg im Kongo mit 5,6 Millionen Opfern eskalierte.

Ob die Situation in Syrien mit einem Eingreifen heute besser wäre, bleibt Spekulation. Angesichts der desaströsen Lage Syriens, des Iraks und der Türkei lassen sich aber kaum Szenarien denken, die noch schlimmer als die heutige Situation wären. Ein entschlossenes Eingreifen hätte zahlreiche Gräueltaten verhindert, Fluchtbewegungen gestoppt und wahrscheinlich auch die Entstehung des IS im Keim erstickt. Alle Argumente gegen ein internationales Eingreifen – Entstehung radikaler Gruppen, Metastasierung des Konflikts in die Nachbarländer, Chaos in der Region – haben sich inzwischen auf tragische Weise in ihr Gegenteil verkehrt. Interventionen können also ebenso wie Nicht-Interventionen zu katastrophalen Ereignissen führen. Es kommt auf die Würdigung des Einzelfalls an.

 

Autoren: Dr. Robert Schütte, Vorsitzender von Genocide Alert und Gregor Hofmann, stellvertretender Vorsitzender von Genocide Alert

Download: Hier das Policy Brief Eine Kooperation mit Assad ist brandgefährlich als PDF herunterladen.

 

Deutschland muss UN-Friedensmissionen stärken

Ohne UN-Friedensmissionen gäbe es höhere Flüchtlingszahlen, mehr Raum für Terrorgruppen, blutigere sowie metastasierende Konflikte. Ein starkes UN-Friedenssicherungssystem ist damit im ureigenen Interesse Deutschlands und Europas. Die Bundesrepublik sollte deswegen ihren personellen Beitrag zu Blauhelmmissionen deutlich aufstocken und darauf drängen das UN-Friedenssicherungssystem effektiver zu machen. Das vorliegende Policy Brief analysiert die Chancen und Probleme des aktuellen Blauhelmsystems und zeigt, wie Deutschland und die EU mit zivilen und militärischen Mitteln die Vereinten Nationen stärken sollten.

 

UN-Friedensmissionen: Globale Stabilitätsanker

Der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen zählt mehr als 13 Millionen Flüchtlinge und über 38 Millionen Binnenvertriebene weltweit. Würden UN-Friedenseinsätze nicht zumindest ein gewisses Maß an Stabilität und Schutz bieten, wären weitaus mehr Menschen auf der Flucht. Nicht zuletzt nach Europa.

Im Südsudan, der Demokratischen Republik Kongo, der Zentral­afrikanischen Republik, Darfur und Mali sind UN-Blauhelme oft die einzigen, die die Zivilbevölkerung vor Massenverbrechen schützen und Zugang zu humanitärer Hilfe erleichtern. Friedensmissionen verhindern oft den Ausbruch von Gewalt, leisten einen Beitrag zu Rechtssicherheit und Friedensförderung und reduzieren das Risiko eines Wiederaufflammens von Kämpfen. Ohne UN-Friedensmissionen gäbe es mehr und blutigere Konflikte, ansteigende Flüchtlingszahlen, erhöhte Destabilisierung benachbarter Länder und weitere Räume für terror­istische Gruppierungen. Ein starkes UN-Friedens­sicherungssystem entspricht damit den deutschen und europäischen Sicherheitsinteressen und Werten.

UN-Friedens­­missionen leiden jedoch unter einer Vielzahl von Problemen: Die Missionen sind mangelhaft ausgestattet, lösen ihr Schutzversprechen zu oft nur unzureichend ein. In Ausnahmefällen waren Blauhelme selbst für Leid verantwortlich, wie im Fall von Vergewaltigungen in der Zentralafrikanischen Republik. Um solche Herausforderungen besser zu bewältigen, müssen sich mehr Länder im Rahmen des UN-Friedenssicherungssystems engagieren.

Es ist begrüßenswert, dass die Bundesregierung den Etat des Auswärtigen Amts für Krisenprävention um 400 Millionen Euro pro Jahr aufstocken und das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze stärker unterstützen will. Eine größere Beteiligung von Bundeswehrsoldaten und Polizisten ist für eine Stärkung von UN-Friedens­einsätzen unabdingbar.

Vereinten Nationen haben aus Fehlern gelernt

UN-Friedensmissionen besitzen eine hohe politische und völkerrechtliche Legitimität. Sie verfügen über ein Mandat des UN-Sicherheitsrats und werden von der UN selbst geführt. Regio­nalorganisationen wie die Afrikanische Union oder die Europäische Union beteiligen sich in einigen Fällen komplementär dazu an der Umsetzung der UN-Mandate. Sie kommen nur mit Zustimmung des Gastlandes zustande. UN-Ein­sätze sind nicht mit „Koalitionen der Willigen“ zu verwechseln, die außerhalb der UN und gegen den Willen des Einsatzlandes operieren.

Die UN hat aus ihren Fehlschlägen gelernt. In den 1990er Jahren wurde der Fehler gemacht, UN-Beobachtermissionen in komplexe Konfliktsituationen zu entsenden. Die klassischen Missionen hatten sich zuvor bei der Überwachung von Waffenstillständen mit klaren Trennlinien zwischen den Konflikt­parteien bewährt. Die neuen UN-Einsätze betreffen hingegen Situationen, in denen zahlreiche nicht-staatliche Gewalt­akteure involviert sind, die an den Konflikten verdienen und oftmals kein Interesse an einem Gewaltverzicht haben. Zivilisten sind häufig direktes Ziel von Angriffen, was eine deutlich engagiertere und robustere Rolle der Blauhelme erfordert. Die Mandate und Ausgestaltung gegenwärtiger Missionen reflektieren diesen Wandel.

Das Prinzip der Zustimmung, Neutralität und des minimalen Einsatzes von Gewalt gilt weiterhin. Für den Schutz von Zivilisten, der mittlerweile in fast allen Mandaten als eine Hauptaufgabe festgeschrieben ist, dürfen UN-Truppen dennoch Zwangsmittel einsetzen. Die „Force Intervention Brigade“ in der Demokratischen Republik Kongo zeigt, dass ein offensives Vorgehen seitens der UN erfolgreich sein kann. Seit 2013 kommt die unter Führung des deutschen Diplo­maten Martin Kobler stehende Truppe mit Soldaten aus Südafrika, Malawi und Tansania zum Einsatz. Sie schaffte es in kurzer Zeit die Rebellengruppierung M23 zu besiegen, welche bis dahin die Zivilbevölkerung terrorisiert hatte.

Europa überlässt die Risiken Anderen

Noch vor 20 Jahren stellten europäische Länder mit 25.000 Soldaten 40 Prozent der UN-Blauhelme. Mittlerweile beschränkt sich Europa überwiegend auf finanzielle Unterstützungen. Es überlässt damit den Truppenstellern aus der nicht-westlichen Welt die tatsächlichen Risiken. Europa stellt derzeit nur 7% der insgesamt 106.000 Soldaten und Polizisten in UN-Missionen. Deutschland kam Mitte 2015 lediglich auf einen Beteiligungsanteil von 0,16% (175 Personen). Diese Zahl hat bei anderen europäischen Verbündeten wie den Niederlanden oder Frankreich (681 bzw. 906 Soldaten und Polizisten) zu Recht für Unmut gesorgt.

Eine solche „Arbeitsteilung“ wird immer brü­chiger. Während die Industriestaaten versuchen, an der Kostenschraube zu drehen, wächst die Frustration in den Ländern des globalen Südens, deren Truppen in den Krisengebieten stehen.

Um die Nachhaltigkeit des UN-Friedenssicherungs-systems zu erhalten, müssen Deutschland und Europa größere personelle Verantwortung übernehmen. Konkret heißt das: Mehr Truppen mit besserer Ausrüstung und Ausbildung. Im Fall von Misshandlungen muss die UN z.B. Blauhelm-Kontingente auswechseln können, ohne das Friedensmissionen vor Ort kollabieren.

Deutschland sollte größeren Beitrag leisten

Viele Friedensmissionen benötigen dringend zivile und militärische Fähigkeiten, über die Deutschland verfügt. Nach dem Ende des ISAF-Einsatzes und der Truppen­reduzierungen auf dem Balken verfügt die Bundeswehr über freie Kapazitäten für UN-Missionen. Bereits wenige deutsche Kräfte können andere Kontingente in die Lage versetzen, die Wirkung der Missionen erheblich zu verbessern. Vor allem sind Auf­klärungsfähigkeiten notwendig, um Bedrohungen zu erkennen und Zivilisten und Blauhelme effektiver zu schützen. Hubschrauber werden für die erforderliche Mobilität und als Luftunterstützung benötigt. Deutschland kann logistische und technische Fähigkeiten wie Pioniere und Sanitätseinheiten beisteuern und sollte in diese Kapazitäten in Zukunft verstärkt investieren.

Die Bundesregierung sollte entsprechende Planung-en für Fähigkeiten und Kapazitäten in ihrem neuen Weißbuch festhalten. Die Bundeswehr sollte selbst ein Konzept zum Schutz von Zivilisten entwickeln und in die eigene Ausbildung integrieren. Zudem sollte die Selbstverpflichtung des Koalitionsvertrages umgesetzt werden, im Rahmen einer Bund-Länder-Verein­barung die Voraussetzungen für die umfangreichere Entsendung deutscher Polizeibeamter zu schaffen.

Die EU hält jeweils zwei EU-Battlegroups bereit, um innerhalb weniger Tage robust in Krisen intervenieren zu können. Obwohl diese Verbände seit acht Jahren bestehen, wurden sie bisher nie eingesetzt.

Zwischen der Mandatierung einer UN-Mission durch den UN-Sicherheitsrat und deren Eintreffen am Einsatzort vergeht hingegen meist zu viel Zeit. Diese Phase ist jedoch entscheidend für den Schutz bedrohter Bevölkerungen sowie für die Erfolgsaus-sichten einer Mission. EU-Battlegroups sind ein geeignetes Instrument, um diesen kritischen Zeitraum zu überbrücken. Deutschland sollte sich daher dafür stark machen, diese als Brücken­kapazitäten für UN-Missionen zur Verfügung zu stellen.

 

Autor: Christoph Schlimpert, stellvertretender Vorsitzender von Genocide Alert

Download: Hier das Policy Brief Blauhelmmissionen stärken als PDF herunterladen.

 

Völkermord an den Armeniern: Diplomatische Rücksichtnahme darf Anerkennung nicht im Weg stehen

Vor einem Jahrhundert wurden weite Teile des armenischen Volkes im Osmanischen Reich in einem Völkermord ausgelöscht. Das Deutsche Reich war ein enger Verbündeter der damaligen osmanischen Regierung und stellte die Bündnispolitik über das Überleben der Armenier. Trotz möglicher diplomatischer Verstimmungen sollte Deutschland nicht davor zurückschrecken, den damaligen Völkermord als solchen ausdrücklich zu benennen. Weiterlesen

Die Vertreibung der Jesiden – ein Völkermord?

Das Vorgehen des „Islamischen Staates“ gegenüber den Jesiden weist deutlich auf eine Vernichtungsabsicht hin. Soweit IS – Kämpfer nach Deutschland zurückkehren, werden die Gerichte sich damit auseinandersetzen müssen, wie die Handlungen juristisch einzuordnen sind. Das vorliegende Policy Brief erläutert die Vorgänge im Nordirak und deren Relevanz für das deutsche Strafrecht.

Weiterlesen