Die Vertreibung der Jesiden – ein Völkermord?

Das Vorgehen des „Islamischen Staates“ gegenüber den Jesiden weist deutlich auf eine Vernichtungsabsicht hin. Soweit IS – Kämpfer nach Deutschland zurückkehren, werden die Gerichte sich damit auseinandersetzen müssen, wie die Handlungen juristisch einzuordnen sind. Das vorliegende Policy Brief erläutert die Vorgänge im Nordirak und deren Relevanz für das deutsche Strafrecht.

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Trotz Kampf gegen ISIS: Schutz der syrischen Bevölkerung nicht vergessen!

 

Der Vormarsch des sog. „Islamischen Staats“ (ISIS) im Irak und die Luftschläge der USA und ihrer Verbündeten gegen die islamistischen Extremisten beherrschen die Berichterstattung über den Nahen Osten. Der seit Jahren andauernde Bürgerkrieg in Syrien und seine Opfer verschwinden hingegen aus der öffentlichen Wahrnehmung. Angesichts der systematischen Gräueltaten des Assad-Regimes wäre es kurzsichtig und gefährlich, die westliche Syrienpolitik allein auf den Kampf gegen ISIS zu verkürzen. Vielmehr ist ein umfassenderer Ansatz nötig, der insbesondere dem Schutz der Zivilbevölkerung größere Bedeutung beimisst. Auf Basis von Experteninterviews skizziert der vorliegende Policy Brief konkrete Maßnahmen, mit denen das Leid der syrischen Bevölkerung gemindert werden könnte. Die vollständigen Interviews sind diesem Policy Brief als Dokumentation beigefügt.


Krieg in Syrien und die Entstehung des sog. Islamischen Staats

Mit mehr als 191.000 Toten und 9,5 Millionen Vertriebenen hat sich der Bürgerkrieg in Syrien zu einer humanitären Katastrophe entwickelt, die inzwischen den gesamten Nahen Osten destabilisiert. Ein früheres entschlossenes Eingreifen der internationalen Gemeinschaft hätte nicht nur hunderttausenden Zivilisten das Leben gerettet, sondern auch die zunehmende Radikalisierung und Brutalisierung der Konfliktparteien verhindern können. Aufgrund der russischen und chinesischen Blockade des UN Sicherheitsrats wurden die Vereinten Nationen jedoch ihrer Aufgabe zur Bewahrung des Weltfriedens und des Schutzes der Zivilbevölkerung nicht gerecht. Inzwischen konnte der sogenannte Islamische Staat (ISIS) in Folge der Eskalation des Bürgerkriegs durch das Assad-Regime und durch Unterstützung islamistischer Geldgeber außerhalb Syriens zu einem der Hauptakteure des inzwischen grenzüberschreitenden Syrienkonflikts heranwachsen.

Jedoch hat auch die mangelnde Bereitschaft des Westens, eine weitere Eskalation des syrischen Bürgerkriegs mit allen notwendigen Mitteln zu verhindern, ebenfalls zur Entstehung des Nährbodens für ISIS beigetragen. Eine entschlossene Reaktion auf die systematischen Menschenrechtsverletzungen des Assad-Regimes zu Anfang des Konflikts hätte eine Eskalation, wie sie heute zu beobachten ist, wahrscheinlich verhindert und Gruppen wie ISIS den Boden entzogen. Nun liegt es an der internationalen Gemeinschaft, die Folgen ihrer eigenen Untätigkeit zu korrigieren, indem sie vor den noch immer anhaltenden Massenverbrechen nicht länger die Augen verschließt.

Keine Verengung der Syrienpolitik auf ISIS

Der internationale Kampf gegen den Vormarsch des ISIS im Nordirak und in Syrien lässt die dramatische humanitäre Situation der Zivilbevölkerung in den Hintergrund rücken. Die derzeit zu beobachtende Tendenz, den Bürgerkrieg in Syrien nur noch durch die Brille eines Kampfes gegen islamistische Gruppierungen wie ISIS oder Al-Nusra zu betrachten, ist jedoch eine gefährliche Verengung. Die unter dem Konflikt leidende Zivilbevölkerung muss besser vor Gewalt geschützt und moderate Kräfte gestärkt werden, wenn Syrien nicht unwiderruflich zu einem gescheiterten Staat wie Somalia werden soll. Solange unschuldige Zivilisten Opfer systematischer Massaker werden, bleibt eine diplomatische Lösung illusorisch.

Durch die derzeit stattfindenden Militäraktionen steht der Konflikt in Syrien zwar wieder stärker im Augenmerk der internationalen Öffentlichkeit. Diese Aufmerksamkeit und Dynamik sollte jedoch von politischer Seite auch dazu genutzt werden, um über den Kampf gegen ISIS hinaus den Schutz der Zivilbevölkerung in ganz Syrien zu einer Priorität des internationalen Engagements zu machen. Folgende Handlungsoptionen sollten hierbei geprüft werden:

1) Diplomatische Bemühungen ausbauen

Trotz des Scheiterns aller bisheriger Friedensbemühungen sollten erneute Gesprächsfäden zwischen den Konfliktparteien gesponnen werden. Hier müssen auch die Unterstützer des Regimes – allen voran Russland und Iran – sowie die Unterstützer der verschiedenen Rebellengruppen – Katar, Saudi Arabien, die Türkei und die USA – mit einbezogen werden. Das derzeit verhandelte Nuklearabkommen mit dem Iran sowie die indirekte Kooperation der USA und Irans im Konflikt mit ISIS könnten eine Chance für Verhandlungen über die Zukunft Syriens darstellen. Gleichzeitig sollte mit Russland und Chi-na über eine Überweisung der Causa an den Internationalen Strafgerichtshof verhandelt werden, um die Konfliktparteien von weiteren Gräueltaten abzuschrecken. Nicht nur angesichts glaubwürdiger, dem UN Sicherheitsrat vorliegender Belege, dass zehntausende Oppositioneller auf Weisung des Assad-Regimes zu Tode gefoltert wurden, ist eine Amnestie oder gar Kooperation mit Assad ausgeschlossen.

2) Luftangriffe auf Zivilisten unterbinden

Die Zivilbevölkerung Syriens leidet in hohem Maße unter Angriffen aus der Luft. Ein besonders grausames und nicht zwischen Zivilisten und Kombattanten unterscheidendes Mittel der Kriegsführung ist der Einsatz von Benzin- und Chlorgasbomben durch das syrische Regime gegen von Rebellen gehaltene Wohngebiete. Die internationale Gemeinschaft sollte nicht hinnehmen, dass die syrische Luftwaffe grundlegende Normen des Völkerrechts kontinuierlich und ungestraft bricht. Sollte die Regierung in Damaskus weiterhin solche eindeutig völkerrechtswidrigen Angriffe fliegen, sollte ein Weg gefunden werden, die bereits heute im Kampf gegen ISIS befindlichen Luftstreitkräfte zur Unterbindung weiterer Attacken auf die Zivilbevölkerung zu nutzen.

Zudem sollte Deutschland seine internationale Reputation im Bereich der Rüstungskontrolle nutzen, um eine Ächtung von Benzin- und Chlorgasbomben zu erreichen. Die genannten Waffen müssen in die Bemühungen der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) zur Vernichtung der syrischen Chemie-waffen mit einbezogen werden.

3) Lokalen Wiederaufbau unterstützen

In den von moderaten Rebellen der Freien Syrischen Armee befreiten Gebieten muss der wirtschaftliche Wiederaufbau stärker unterstützt werden. Eine Motivation für Kämpfer, sich extremen Islamisten anzuschließen, ist schließlich auch finanzieller Natur. Insbesondere ISIS verfügt über erhebliche finanzielle Mittel. So kann die Gruppe ihren Kämpfern einen vergleichsweise hohen Sold zahlen und ihnen zudem im Todesfall die Versorgung der zurückgelassenen Familie zusagen. Aufbauhilfen in Gebieten, in denen keine Kampfhandlungen mehr stattfinden, wären eine große Hilfe, der Bevölkerung eine Versorgung aus eigener Kraft und außerhalb der Kriegsführung auf Seiten der Islamisten zu ermöglichen. Für einen Wiederaufbau sollte das Augenmerk zudem auf die Förderung lokaler Waffenstillstandsabkommen gelegt werden. Dialog-foren, wie sie zum Beispiel vom Genfer Centre for Humanitarian Dialogue vorangebracht werden, können Vertreter verschiedener ethnischer, religiöser, politischer und sozialer Gruppen zusammen-bringen und das Potential für Racheakte und ethnische Konflikte verringern.

4) Hilfe für Flüchtlinge und Anrainer stärken

Das UN-Büro für die Koordination humanitärer Hilfe beziffert die notwendigen Mittel für die humanitäre Hilfe in Syrien und in den Nachbarländern auf insgesamt sechs Milliarden US-Dollar für 2014. Bisher wurden nur 2,4 Milliarden US-Dollar bereitgestellt; 60% der notwendigen Finanzmittel fehlen noch. Die UN muss daher inzwischen die Nahrungsmittelrationen kürzen. Zwar hat sich Deutschland bisher bereit erklärt, 25.500 Syrer aufzunehmen und humanitäre Hilfsmaßnahmen in Syrien finanziell zu unterstützen.

Dennoch gibt es keinen Zweifel, dass eine Ausweitung der Hilfen für Syrien und die Nachbarländer dringend notwendig ist. Hierbei handelt es sich nicht nur um klassische humanitäre Hilfe, sondern auch um Unterstützung zur Stabilisierung der Nachbarstaaten. So gab es bereits gewaltsame Zwischenfälle im Libanon. Auch in der Türkei steht die lokale Bevölkerung der schieren Masse an Flüchtlingen zunehmend skep-tisch gegenüber. Der Libanon hat inzwischen die Grenze für weitere Flüchtlinge geschlossen. Dies sind Warnzeichen, auf die man jetzt reagieren sollte, bevor Skepsis in offene – und deutlich schwieriger zu bewältigende – Konflikte umschlägt.

Vor diesem Hintergrund sollten die Anrainerstaaten bei der Bereitstellung humanitärer Hilfe sowie der Herstellung eines friedlichen Umfelds um die Flüchtlingslager herum unterstützt werden. Zudem bedarf gerade der Gesundheits- und Bildungssektor der Aufnahmeländer stärkerer Unterstützung, wenn man verhindern will, dass die derzeitige Generation von Kindern und Jugendlichen auf Grund mangelnder Bildung und schlechter Versorgung vollkommen perspektivlos aufwächst. So ließen sich durch eine verantwortungsbewusste Vorsorge die langfristigen negativen Konsequenzen dämpfen, die der Bürgerkrieg in den kommenden Dekaden zweifellos haben wird. Die EU sollte daher deutlich mehr Flüchtlinge aufnehmen, als dies bisher der Fall ist.

Schutzverantwortung der internationalen Gemeinschaft

Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen haben sich im Jahr 2005 mit dem Beschluss der Responsibility to Protect dazu verpflichtet, ihre Bevölkerungen vor Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und ethnischen Säuberungen zu schützen. Sollte eine Regierung zum Schutz der Zivilbevölkerung nicht willens oder fähig sein, hat die internationale Gemeinschaft die Verantwortung zum Schutz der Bevölkerung. Angesichts der schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen in Syrien ist es Zeit, dass die Weltgemeinschaft ihren Worten Taten folgen lässt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zieht. Je länger die internationale Gemeinschaft einer weiteren Brutalisierung tatenlos zusieht, desto schwieriger und teurer wird ein späterer Wiederaufbau werden. Eine Perspektive für Syrien kann nur dann entstehen, wenn der Kampf gegen ISIS mit einem effektiveren Schutz der Zivilbevölkerung überall in Syrien einhergeht und systematische Menschenrechtsverbrechen bestraft werden.

Autoren: Gregor Hofmann, Dr. Robert Schütte

Download: Das Policy Brief „Trotz Kampf gegen ISIS: Schutz der syrischen Bevölkerung nicht vergessen!“ als PDF herunterladen.

Weiterlesen: Zu den Experteninterviews zu Syrien.

Ein drohender Völkermord im Südsudan: Zivilisten im Südsudan brauchen jetzt mehr deutsches Engagement

Wenige Wochen nach dem Gedenken an den Völkermord in Ruanda im Bundestag warnt der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung vor einem Völkermord im Südsudan. Nach Ausbruch eines Bürgerkrieges und ethnisch motivierten Tötungen schweben dort Hunderttausende Zivilisten in Lebensgefahr. Deutschland verfügt über die Mittel, den Schutz der Menschen im Südsudan merkbar zu verbessern. Hierfür sollte die Bundesregierung ihre Unterstützung der UN-Mission im Südsudan sowie ihre humanitäre Hilfe massiv ausweiten.

„Wir schulden [den Opfern von Menschheitsverbrechen], dass wir uns nicht dem Gefühl der Ohnmacht und schon gar nicht der Gleichgültigkeit hingeben – dass wir nicht nur anprangern, sondern alles tun, was in unserer Macht steht, um Völkermord zu verhindern!”

(Frank-Walter Steinmeier, 4. April 2014)

Wenige Wochen nach den Gedenkfeierlichkeiten des Bundestag zum Völkermord in Ruanda warnt der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Christoph Strässer vor einem erneuten Völkermord im Südsudan. Deutschland und die internationale Gemein-schaft sind jetzt zum Handeln aufgerufen, solange sich dort eine weitere Eskalation verhindern lässt. In Kürze wird sich die Situation soweit verschlimmert haben, dass Hilfe deutlich schwerer und um ein Vielfaches teurer wird.

Die Situation im Südsudan: Mord, Vergewaltigung, Hunger und Krankheit

Im Südsudan eskaliert seit Dezember 2013 der Konflikt zwischen Präsident Salva Kiir, Angehöriger der Volksgruppe der Dinka, und seinem ehemaligen Stellvertreter Riek Machar, der zur Volksgruppe der Nuer gehört. Beide kämpfen um die Macht im 2011 unabhängig gewordenen Südsudan. Alle Bemühungen blieben bisher erfolglos, Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien voranzutreiben.

Mehr als 20.000 Menschen starben seit Dezember 2013 aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Die Vereinten Nationen dokumentierten zuletzt Massaker in der Stadt Bentiu, in denen hunderte Männer, Frauen und Kinder zunächst nach ihrer ethnischen Zugehörigkeit selektiert und anschließend brutal ermordet wurden. Wie 1994 in Ruanda wurde im Radio zur Vergewaltigung von Frauen der anderen Ethnie aufgerufen.

Mehr als 60.000 Menschen suchten seit Ende Dezember Schutz auf den UN-Stützpunkten der Blauhelme vor Ort. Diese Menschen zu versorgen ist eine riesige Herausforderung. Es fehlt an Unterkunft, Nahrung, sauberen Wasser, Latrinen und Gesundheitsversorgung. Mit dem Beginn der Regenzeit könnten mehrere UN-Stützpunkte teilweise überschwemmt werden – mit fatalen Folgen für die Flüchtlinge. Das Risiko einer Cholera-Epidemie steigt rapide. Über eine Million Menschen im Land sind inzwischen auf der Flucht. Zeitgleich bahnt sich eine Hungerkatastrophe an.Mindestens 3,7 Millionen Zivilisten sind von akuter Lebensmittelknappheit betroffen. UNICEF warnt vor einer Hungersnot mit bis zu einer Millionen Toten.

Der UN-Sicherheitsrat beschloss am 24. Dezember die Aufstockung der UN-Mission im Südsudan (UNMISS) von bisher 7.000 auf nun 12.500 Soldaten und Polizisten. Vier Monate später sind nur ca. 1.500 Soldaten von dieser Verstärkung im Südsudan eingetroffen. Laut Angaben der Vereinten Nationen werden insgesamt umgerechnet 917 Millionen Euro für humanitäre Hilfe gebraucht. Bisher wurde von Seiten der internationalen Gemeinschaft nur knapp ein Drittel dieser Summe zugesagt.

Deutschland kann und muss einen Beitrag leisten

Deutschland ist bereits seit Jahren im Südsudan aktiv und mit derzeit 14 Stabs- und Verbindungsoffizieren an der UN-Friedenstruppe beteiligt. Das Mandat der deutschen Soldaten wurde im November 2013 vom Bundestag verlängert: 541 Abgeordnete stimmten für eine Mandatsobergrenze von 50 Soldaten. Die Offiziere halfen bislang bei der Koordinierung von Kranken- und Verletztentransporten sowie der Lieferung von Trinkwasser.

Nach Angaben des Auswärtigen Amtes inves-tierte Deutschland zwischen 2009 und 2012 mehr als 800 Millionen Euro in den Staatsaufbau und die Stabilisierung des Sudan und Südsudan. Die Bundesrepublik und Europa haben ein Interesse daran, eine weitere Destabilisierung der Region Ostafrika zu verhindern. Deutschland hat als Teil der internationalen Gemeinschaft zudem eine Schutzverantwortung für die Menschen im Südsudan. Die Ende April 2014 versprochene humanitäre Soforthilfe der Bundesregierung belief sich auf 45,6 Millionen Euro. Diese Hilfe und der persönliche Besuch von Entwicklungsminister Müller im März 2014 waren wichtige Zeichen. In der aktuell eskalierenden Lage sollte Deutschland jedoch mehr tun:

  • Die UN-Mission hat eindringlich um mehr Soldaten und logistische Kapazitäten gebeten. Die Leiterin von UNMISS sagte in einem Treffen mit Entwicklungsminister Müller am 27. März 2014: „Im Hinblick auf deutsche Soldaten – Wenn es jemals einen Zeitpunkt für einen robusten und umfassenden Beitrag gegeben hat, dann ist dieser jetzt.“ Deutschland sollte in Absprache mit der UN deutlich mehr Soldaten und Polizisten entsenden, logistische Kapazitäten der Bundeswehr für den Transport von UN-Truppen in den Südsudan einsetzen sowie UNMISS Luftaufklärungsfähigkeiten und Hubschrauber zur Verfügung stellen. Seit Ausbruch des Konflikts wurden bereits zwei UN-Stützpunkte angegriffen. Deswegen werden Ingenieurs- und Pionierkapazitäten gebraucht, um den Ausbau der UN-Stützpunkte zu ermöglichen und um angemessene Einrichtungen für den Schutz von Flüchtlingen zu schaffen.
  • UNMISS muss bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zum Schutz von Zivilisten weniger von der Kooperation der südsudanesischen Regierung als eine der Konfliktparteien abhängig gemacht werden. Hierzu sollte Deutschland in New York eine dahingehende Überarbeitung des Mandates der UN-Mission unterstützen.
  • Um die politischen Bemühungen für eine Verhandlungslösung voranzubringen, sollte die Bundesregierung in enger Absprache mit den größten bilateralen Geldgebern des Südsudans den diplomatischen Druck auf Präsident Salva Kiir und Rieck Machar erhöhen. Hierzu sollten auch Reise- und Visasperren sowie Finanzsanktionen gegen solche Individuen unterstützt werden, die für die Organisation von Verbrechen verantwortlich sind. Auch sollte ein Waffen-embargo über den Südsudan verhängt werden, um den Bürgerkriegsparteien den Nachschub zu erschweren. Berlin sollte sich außerdem dafür einsetzen, dass Vertreter der südsudanesischen Zivilgesellschaft in die Verhandlungen mit eingebunden werden und diese Teilnahme finanziell unterstützen.
  • Für die zukünftige Entwicklung des Südsudans ist es wichtig, dass Menschen-rechtsverletzungen und systematische Brüche des humanitären Völkerrechts geahndet werden. Deutschland sollte daher auch in Absprache mit UNMISS Kapazitäten zur Ver-fügung stellen, um unabhängige Menschenrechtsbeobachter in den Südsudan zu senden, die gerichtsfestes Beweismaterial zu den Gewalttaten sichern können. Es sollten deutsche Staatsanwälte und Forensiker geschickt oder die Entsendung von Experten anderer Staaten finanziert werden. Dies ist ein wichtiger Beitrag gegen die Straflosigkeit.
  • Deutschland sollte die humanitäre Hilfe für den Südsudan signifikant erhöhen.

 

Ein drohender Völkermord im Südsudan: Zivilisten im Südsudan brauchen jetzt mehr deutsches Engagement.pdf

 

(c) NASA, http://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AAfrica_satellite.jpg

Menschenrechtspolitische Vorschläge zum neuen Afrikakonzept

von Christoph Schlimpert

Der afrikanische Kontinent wurde in den außenpolitischen Überlegungen Deutschlands lange vernachlässigt. Es ist begrüßenswert, dass aktuell eine neue Afrikapolitik diskutiert wird. In diesem Licht sollte auch die Überarbeitung des aus dem Jahr 2011 stammenden Afrikakonzeptes der Bundesregierung verstanden werden. Friedensförderung und Menschenrechtsschutz sollten ein zentraler Aspekt des neuen Konzeptes werden.

In vielen Staaten Afrikas sind bemerkenswerte Fortschritte in guter Regierungsführung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit festzustellen. Zudem wird Afrika für Deutschland auch in wirtschaftlicher Hinsicht zunehmend interes-santer. Dennoch zeigen die jüngsten Krisen in Mali und der Zentralafrikanischen Republik sowie fortdauernde Konflikte in der DR Kongo, Sudan und dem Südsudan, dass der Schutz von Zivilisten vor schwersten Menschenrechtsverletzungen von größter Bedeutung bleibt. Aus diesem Grund muss Friedens- und Menschenrechtspolitik ein Schwerpunkt der künftigen deutschen Afrikapolitik werden. Viele Staaten bedürfen weitaus größerer Unterstützung bei der Verhinderung von Völker­mord, ethnischen Säuberungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Solche Hilfen hatte die internationale Gemeinschaft im Jahr 2005 in ihrer Verabschiedung der sogenannten Schutzverantwortung (engl. respons­ibility to protect) zugesagt. Bisher ist in diesem Politikfeld zu wenig geschehen.

 

Grundsätze eines neuen Afrikakonzeptes

 

Die bereits im Afrikakonzept von 2011 vorhandenen Bekenntnisse zu Frieden, Sicherheit und Menschenrechten sollten um ein explizites Bekenntnis zur Verwirklichung der Schutz-verantwortung ergänzt werden. Der zwanzigste Jahrestag des Genozids in Ruanda verdeutlicht: Angesichts zahlreicher bewaffneter Konflikte und den hiermit verbundenen Bedrohungslagen für Zivilisten kommt der Umsetzung der Schutz­verantwortung eine zentrale Rolle zu.

Der Kampf gegen die Straflosigkeit von Gräueltaten erfordert zudem die Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH). Nach anfänglich großer Unterstützung des IStGHs ist derzeit zunehmende Kritik von Seiten afrikan­ischer Staaten zu beobachten. Um die bisher ge­machten Fortschritte nicht zu gefährden, sollte Deutschland im Dialog für eine Stärkung des Vertrauens in diese junge, politisch unabhängige Institution werben.

Die Einhaltung und Förderung der Menschen-rechte sollte ausnahmslos in allen Bereichen der deutschen Afrikapolitik verankert sein. Dies gilt insbesondere auch für die deutsch-afrikanischen Wirtschaftsbeziehungen. Im Hinblick auf die Themen Wirtschaft und Rohstoffe sollten deutsche Interessen an einer Intensivierung der Handels­beziehungen nicht auf Kosten menschen­rechtlicher Standards gehen. Gerade das konflikt­ver­schärfende Potential von Rohstoff­exporten sollte im Zusammenhang von Entwicklungs- und Friedenspolitik gesehen werden. In inter­nationalen Verhandlungen mit afrikanischen Partnerländern und gegenüber heimischen Unter­nehmen müssen Menschenrechte besondere Be­rücksichtigung finden.

 

Menschenrechtspolitische Instrumente nutzen

 

Die Rolle Deutschlands bei der Entwicklung der zivilen Konfliktprävention sowie der Förderung der Afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur ist lobenswert. Die im Afrikakonzept von 2011 aufgeführten Instrumente sollten deswegen weiter intensiv genutzt und nach Möglichkeit ausgebaut werden. Im Bereich der Prävention von Massenverbrechen sollten jedoch zusätzliche Instrumente Anwendung finden.

Deutschland sollte seine Fähigkeiten zu einer aktiveren Unterstützung von UN-Friedens-missionen ausbauen und auch einsetzten. Neben der gegenwärtigen Praxis einer Beteiligung durch Militärbeobachter und Stabsoffizieren sollte Deutschland mehr logistische Kapazitäten, ziviles Fachpersonal und Polizeikräfte für Friedens-missionen zur Verfügung stellen. Deutschland sollte bei massiver Gefährdung einer Zivil­bevölkerung im Zusammenspiel mit EU, UN und regionaler Organisationen auch zum Einsatz militärischer Kräfte auf Grundlage der Schutzver-antwortung bereit sein. Die Bereitstellung von Luftaufklärungs- und Lufttransportkapazitäten ist hierbei eine mögliche Option. In besonders gravierenden Situationen sollte auch eine kurzfristige Entsendung von Einheiten der der EU-Battle Groups oder NATO-Response-Force erwogen werden, wenn vor Ort präsente Friedensmissionen mit der Lage überfordert sind. Die Entsendung solcher kurzzeitigen Über-brückungskräfte (engl. bridging forces) hat sich in der Vergangenheit bewährt.

Zusätzlich zu den im bisherigen Afrikakonzept genannten militärpolitischen Aspekten der Sicherheitssektorreform (SSR) müssen auch zivile Komponenten stärker in den Blick ge-nommen werden. Die Instrumente der SSR zur Stärkung einer unabhängigen Justiz und einer die Bürgerrechte achtenden Polizei sind ein wichtiger Bestandteil der Verhinderung von Gräueltaten. Ausbildungsmissionen zur Stärkung und Unter­weisung nationaler Sicherheitsapparate in humanitärem Völkerrecht und Menschenrechten sind von besonderer Bedeutung. Insbesondere im Rahmen der deutschen Ertüchtigungsinitiative muss darauf geachtet werden, dass die verbesserte Ausbildung und Ausrüstung von Sicherheitskräften immer mit einer Stärkung des Menschenrechtsschutzes einhergeht.

Die „goldene Regel“ des Arms Trade Treaties zur Berücksichtigung der Menschenrechtslage bei der Genehmigung von Rüstungsexporten sollte als wichtigstes Kriterium für deutsche Rüstungs-exporte nach Afrika angesehen werden. Bei der sogenannten „Ertüchtigung“ von Sicherheitskräf­ten muss darauf geachtet werden, dass in diesem Zusammenhang gelieferte Ausrüstungsgegen-stände nachweisbar nicht missbraucht werden.

Zur Prävention von Gräueltaten sollten sich die durchführenden Ressorts bei der wirtschaft-lichen Kooperation mit afrikanischen Staaten stärker an den Zielen und Leitlinien der konfliktsensiblen Entwicklungszusammenar-beit orientieren. Dabei muss auf eine Stärkung lokaler Strukturen geachtet werden, um gesellschaftlichen Spannungen den Nährboden zu ent­ziehen. Das Bundesministerium für wirtschaft­liche Zusammenarbeit und Entwicklung sollte bei der Koordinierung von Entwicklungshilfe­programmen stärker mit den relevanten Länder­referaten und der UN-Abteilung im Auswärtigen Amt zusammenarbeiten. Auch die Außen­wirtschaftsförderung durch das Bundesminister­ium für Wirtschaft und Energie sowie das Auswärtige Amt sollten solche Projekten prioritär fördern, die in Zielstaaten zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der lokalen Bevölker­ung und der allgemeinen Menschenrechtslage beitragen.

 

Menschenrechtspolitische Vorschläge zum Afrikakonzept der Bundesregierung – Genocide Alert Policy Brief

 

Christoph Schlimpert ist stellvertretender Vorsitzender von Genocide Alert.

Kontakt: info@genocide-alert.de

Genocide Alert e.V., März 2014

 

V.i.S.d.P.: Dr. Robert Schütte

Genocide Alert Policy Brief 2/2014: Zentralafrikanische Republik – Ein Brandherd erfordert Handeln

In der Zentralafrikanischen Republik sind fast eine Million Menschen auf der Flucht, Tausende fanden den Tod. Es ist zu erwarten, dass weiterhin schwere Gräueltaten begangen werden. Um dies zu verhindern, hat die EU einen Überbrückungs-Militäreinsatz beschlossen. Deutschland kann und sollte einen Beitrag hierzu leisten und daher einen solchen Einsatz logistisch unterstützen. Die Bundeswehr sollte verfügbare Transportkapazitäten freistellen, sich finanziell am Ausbau der humanitären Hilfe beteiligen sowie die schlecht ausgerüsteten MISCA-Friedenstruppe der Afrikanischen Union logistisch und finanziell unterstützen.

Staatlicher Kollaps

Seit der ehemalige Präsident François Bozizé im März 2013 durch die mehrheitlich muslimischen Séléka-Rebellen („Allianz“ in Sango) gestürzt wurde, befindet sich die Zentralafrikanische Republik (ZAR) in einer Gewaltspirale. Angesichts des Zusammenbruchs staatlicher Institutionen und zahlreicher Menschenrechtsverbrechen verschiedenster Milizen steht das knapp 4,6 Millionen Einwohner zählende Land vor einer humanitären Katastrophe.

Nachdem der selbsternannte Präsident Djotoda Anfang 2014 zurücktrat, wählte der Nationale Übergangsrat Catherine Samba Panza zur neuen Präsidentin des Landes. Sie gilt in Bangui bislang als kompetente und unbestechliche Politikerin, die sich durch ihr Eintreten für Bürger- und Frauenrechte einen guten Ruf erworben hat. Für die neue Übergangsregierung ist es wegen des weitgehenden Zusammenbruchs staatlicher Institutionen unmöglich, den Kämpfen Einhalt zu gebieten, Zivilisten effektiv zu schützen und gleichzeitig eine politische Lösung für den Konflikt zu finden. Externe Unterstützung durch die Afrikanische Union, die Vereinten Nationen und die Europäische Union sind daher unabdingbar.

Große Teile der Bevölkerung haben durch Zerstörung und Vertreibung ihre Existenzgrundlage verloren. Laut dem Büro der UN für Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) befinden sich derzeit über 900.000 Zentralafrikaner auf der Flucht. Etwa 500.000 von ihnen befinden sich in der Hauptstadt Bangui, 100.000 auf dem von französischen Truppen gesicherten Flughafen. Die Verteilung dringend benötigter Nahrungsmittel sowie medizinischer Hilfe gestaltet sich trotz der von der UN mandatierten 1.600 französischen Soldaten und der auf 6.000 Soldaten ausgerichteten (aber noch nicht vollständig stationierten) MISCA-Friedenstruppe der Afrikanischen Union (AU) als schwierig. Viele Teile des Landes sind unerreichbar. Gezielte Angriffe auf die internationalen Truppen sowie Gräueltaten gegenüber der Zivilbevölkerung haben dramatisch zugenommen. UNICEF schätzt die Zahl der von diversen Milizen rekrutierten Kindersoldaten auf ca. 6.000.

Reaktion Deutschlands und der EU

Deutschland hat sich bislang zum einen  finanziell am Militäreinsatz der AU beteiligt sowie logistische Hilfe in Form von Transportflügen bereitgestellt. Am 20. Januar 2014 haben mehrere EU-Staaten insgesamt 469 Millionen US-Dollar an humanitärer Hilfe zugesagt. 200 Millionen sollen sofort fließen. Zudem beschlossen die Außenminister der EU-Mitgliedstaaten, binnen weniger Wochen eine rund 500 Soldaten umfassende europäische Truppe zur Unterstützung der bereits vor Ort im Einsatz befindlichen französischen und afrikanischen Soldaten zu entsenden. Die EU-Truppe soll auf einen Einsatz in der Hauptstadt Bangui sowie die Sicherung des Flughafens begrenzt sein und dient der Überbrückung, bis entweder die afrikanische Mission MISCA ihre geplante Truppenstärke erreicht hat oder eine UN-Mission entsandt wird. Deutschland beschränkt sich hierbei auf die logistische Unterstützung des EU-Einsatzes und plant, die französische Armee bei ihrem Einsatz in Mali zu entlasten.

Erforderliche Maßnahmen und mögliche Beiträge Deutschlands

Der unmittelbare Schutz der Zivilbevölkerung vor weiteren Gräueltaten muss gesichert und die öffentliche Ordnung insbesondere in der Hauptstadt Bangui wiederhergestellt werden.

  • Für die Arbeit vieler Hilfsorganisationen und für die Verteilung von Hilfsgütern ist Schutz, etwa in Form sicherer Korridore, grundlegend.
  • Weitere logistische und finanzielle Unter-stützung der schlecht ausgerüsteten MISCA ist hierfür essenziell. Das Engagement der EU und Deutschlands ist in diesem Zusammenhang zu begrüßen. Es muss zudem eine Regelung für eine EU-weite Lastenverteilung der französischen und europäischen Einsatzkosten gefunden werden.
  • Die rund 500 EU-Soldaten könnten neben dem Schutz von Flüchtlingen und Zivilisten auch durch Aufklärung, medizinische Unterstützung und Transporthubschrauber einen großen Beitrag zur Stabilisierung der Hauptstadt und zur Arbeit von Hilfsorganisationen leisten. Wichtig ist nun, dass die inzwischen vom UN-Sicherheitsrat mandatierte Mission schnell vor Ort stationiert wird.
  • Zur Befriedung ist die Finanzierung und Durchführung eines umfassenden Entwaffnungs-, Demobilisierungs- und Reintegrationsprogramm für Ex-Rebellen der verfeindeten Gruppen erforderlich.
  • Die Bundeswehr sollte umgehend verfügbare Transportkapazitäten bereitstellen.
  • Finanziell sollte Deutschland sich am Ausbau der humanitären Hilfe gemäß den Anforderungen des OCHA beteiligen. Der Strategic Response Plan des OCHA für die Zentral-afrikanische Republik ist mit 59,8 von angestrebten 552 Millionen US-Dollar erst zu 11 % finanziert Das Technische Hilfswerk und das Deutsche Rote Kreuz könnten im Flüchtlingslager am Flughafen Bangui einen großen Beitrag leisten. Die Versorgung der über 100.000 Flüchtlinge ist bislang nicht gewährleistet.
  •  Bei Friedensverhandlungen ist eine Betei-ligung der Minderheiten aus den Rand-gebieten dringend notwendig, um nachhaltige Lösungen finden zu können. Zur Verhinderung weiterer Gräueltaten zwischen Christen und Muslimen, die als Produkt und nicht als Grund der Rebellion anzusehen sind, sollten parallel dazu Stabilisationsmaßnahmen, wie interreligiöse Dialoge und dringend benötigte Wiederaufbauhilfe eingeleitet werden. Hier können sich Vermittler der UN, AU und EU zwischen den Konfliktparteien einschalten.
  • Die Zentralafrikanische Republik ist Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs. Verantwortliche für Menschenrechtsverbrechen die Rekrutierung von Kindersoldaten sollten angeklagt werden. Die UN sollte hierfür umgehend eigene Untersuchungen einleiten.
  • Das beschlossene Waffenembargo muss aufrechterhalten werden.
  • Mögliche gezielte Sanktionen gegen jene, die politische Verhandlungen blockieren, sollten – wie in der UN-Resolution vorbehalten – weiterhin in Betracht gezogen werden.

 

Download: Policy Brief Zentralafrikanische Republik – Ein Brandherd erfordert Handeln

 

Jens Stappenbeck ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Genocide Alert.

Emilia von Mettenheim ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Genocide Alert.

 

Vorschläge zur Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag

Emilia von Mettenheim und Torie Cochrane-Buchmüller

Die Rolle des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) ist nicht nur zur weltweiten Strafverfolgung schwerster Menschenrechtsverletzungen, sondern auch zu ihrer Vorbeugung von entscheidender Bedeutung. Eine Stärkung der überstaatlichen Justiz ist ein wichtiges Mittel, um auf internationaler Ebene faire Verfahren zu gewährleisten. Der angedrohte Austritt Kenias beeinträchtigt derzeit allerdings die Glaubwürdigkeit des internationalen Gerichtsorgans in Den Haag. Eine Unterstützung des Strafgerichts durch die Bundesrepublik Deutschland in politischer sowie finanzieller Hinsicht ist daher wichtiger denn je. Insbesondere das Zeugenschutzprogramm des IStGH benötigt Förderung. 


Probleme laufender Verfahren vor dem IStGH

Obwohl das Gericht in Den Haag im März 2012 sein erstes Urteil verhängt hat und damit einen bedeutenden Milizenführer aus dem Ostkongo, Thomas Lubanga, hinter Gitter brachte, steht der IStGH noch immer vor Problemen: Die Gescheh-nisse rund um die laufenden Prozesse gegen die amtierenden Staatsoberhäupter von Kenia stellen derzeit die Glaubwürdigkeit des IStGH in Frage. Der erste Gerichtstermin wurde auf den 5. Februar 2014 angesetzt. Der amtierende Staatspräsident Kenyatta wird wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, die er während der Präsidentschaftswahlen 2007 begangen haben soll. Er weigert sich, in Den Haag vorstellig zu werden und plant den Rücktritt Kenias vom Römischen Statut. Derweil hat sich der UN-Sicherheitsrat gegen eine Aussetzung des Verfahrens ausgesprochen. Die Fronten verhärten sich zunehmend. Für den Schutz der Autorität des IStGHs ist es wichtig, dass Deutschland seine unterstützende Rolle gegenüber dem IStGH bestärkt und innerhalb wie außerhalb der EU Partner zur Festigung dieses Gerichtsorgans zu finden.

Die acht derzeit laufenden Verfahren in Den Haag richten sich gegen amtierende und ehemalige Regierungsmitglieder der Länder Sudan, Libyen, der Elfenbeinküste und Kenia. Weitere acht Verfahren gegen Rebellenführer und ihre Anhänger aus dem Kongo, Uganda und Sudan sind anhängig. Einige dieser Verfahren befinden sich im Schwebezustand, da die Beklagten flüchtig sind. In allen Prozessen geht es um die Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Während es dem Gerichtshof nach wie vor an Handlungsfähigkeit mangelt, stellt der Fall Kenia nun seine allgemeine Zuständigkeit in Frage. Die Handlungsspielräume des IStGH müssen daher stärker durch die Mitgliedsstaaten deutlich ausgebaut werden.

Deutschland und der IStGH

Die Bundesrepublik gehört zu den größten finanziellen und politischen Unterstützern des Gerichtshofes. Solange sich jedoch Staaten wie die USA und die Volksrepublik China weiterhin der Mitgliedschaft verweigern, bleibt die Handlungsreichweite des IStGH eingeschränkt. Eine bloß symbolische Funktion des Gerichtshofes – und das steht nach wie vor zu befürchten – hätte schwerwiegende Folgen für die Zukunft der internationalen Strafgerichtsbarkeit und wäre ein Misserfolg der von der Bundesrepublik unternommenen Bemühungen um eine stärkere Verrechtlichung der internationalen Beziehungen.

Auch die Rechtsprechung nationaler Gerichte hat große Bedeutung für die allgemeine Anerkennung des Gerichtshofes in Den Haag. In Deutschland liegt das öffentliche Augenmerk auf den am Oberlandesgericht Stuttgart anhängigen Fällen gegen die zwei Milizenführer Ignace Murwanashyaka und seinen Stellvertreter Straton Musoni aus dem Ostkongo. Ihnen wird die maßgebliche Beteiligung an Kriegsverbrechen im Kongo vorgeworfen. Sie sollen von Baden-Württemberg aus bewaffnete Milizen zu Mord und Vergewaltigungen angeleitet haben. Dieser Prozess wendet zum ersten Mal das Völkerstrafrecht (VstGB) an, welches das Römische Statut in deutsches Recht überführt. Damit können die Beklagten auch dann für Taten, die sie im Ausland begangen haben, in Deutschland vor Gericht gebracht werden, wenn diese nicht gegen Deutsche verübt wurden.

Vorschläge zur Stärkung des IStGH

Trotz des Erfolges des IStGH sieht sich die internationale Strafgerichtsbarkeit mit großen Herausforderungen konfrontiert. Wichtig ist deshalb, dass die Unterstützung der Bundesregierung auch in der kommenden Legislaturperiode nicht nachlässt. Hierzu sind jedoch gezielte Maßnahmen erforderlich, die den Handlungsspielraum des Gerichts erweitern könnten.

Die finanzielle Unterstützung von derzeit 13,6 Millionen € durch den deutschen Staat sollte als gutes Beispiel bewahrt und perspektivisch weiter aufgestockt werden. Gerade zur Weiterverfolgung der derzeit anhängigen Fälle ist dieses Geld unverzichtbar und sollte als Bestandteil deutscher Konfliktprävention verstanden werden.

Neben finanzieller Unterstützung sollte diplomatisch auf diejenigen Mitgliedsstaaten eingewirkt werden, die sich ihrer Verantwortung entziehen wollen. Es ist die Aufgabe der Bundesregierung und anderer Unterstützer des IStGHs, zwischen den Gegnern Den Haags, dem Gerichtshof sowie den Anklägern zu vermitteln. Viel können hier auch die vor Ort stationierten politischen Stiftungen beitragen. Diese politische Aufgabe kann der Gerichtshof selbst nicht leisten. Der IStGH darf seine neutrale Funktion nicht verlieren.

Die kontinuierliche Überwachung der nationalen Prozesse nach dem VStGB wie in Stuttgart stellt in diesem Kontext ein vielbeachtetes Zeichen nach außen dar: Deutschland hat das Völkerstrafrecht in nationales Recht überführt und dient damit anderen Staaten als Vorbild. Deutschland sollte aktiver darauf hinwirken, dass andere Staaten diesem Beispiel folgen.

Um den Handlungsspielraum des IStGH zu erweitern und seine Glaubwürdigkeit auf internationaler Ebene zu stärken, ist zudem ein Ausbau des bestehenden Zeugenschutzprogrammes notwendig. Derzeit beteiligt sich Deutschland mit 900.000€ am Opferschutzfonds des IStGH. Hiermit werden die Opfer von Gräueltaten entschädigt. Es liegt auf der Hand, dass sich kaum Zeugen zu einem Fall finden lassen, wenn sich eine Anklageschrift gegen ein noch amtierendes Staatsoberhaupt richtet. Potenzielle Zeugen sehen sich und ihre Angehörigen in solchen Fällen zu Recht in Gefahr und verzichten auf eine Aussage, während die Anklageschrift in Den Haag mangels ergiebiger Prozessführungsgründe zurückgewiesen wird. Hiergegen hilft nur ein effektives Zeugenschutzprogramm.

 

Emilia von Mettenheim ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Völkerrecht bei Genocide Alert.

Torie Cochrane-Buchmüller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Völkerrecht bei Genocide Alert.

Vorschläge zur Stärkung des IStGH – Genocide Alert Policy Brief 1-2014

Genocide Alert Policy Brief 12/2013: Sanktionen als Instrument der Schutzverantwortung

Sanktionen können einen wichtigen Beitrag zur Prävention von und Reaktion auf schwerste Menschenrechtsverbrechen leisten und sind ein starkes Werkzeug zur nichtmilitärischen Umsetzung der Schutzverantwortung. Sanktionen müssen dafür bereits bei den ersten Warnzeichen von Gräueltaten gemeinschaftlich auf internationaler Ebene und als Teil einer diplomatischen Gesamtstrategie beschlossen werden. Das vorliegende Policy Brief analysiert Chancen und Hindernisse von Sanktionen als Instrument der Responsibility to Protect.

 

Oft wird die Responsibility to Protect (RtoP) verkürzt mit einem militärischen Eingreifen gleichgesetzt. Sie beinhaltet jedoch vor allem nichtmilitärische Instrumente der Prävention und Reaktion, z.B. den Einsatz von Sanktionsmitteln.[i] Sanktionen können in allen drei Säulen der RtoP Wirkung zeigen. Ihre Androhung kann erstens mögliche Täter von Gräueltaten abschrecken. Sanktionen können zweitens die politische und finanzielle Handlungsfreiheit von Tätern einschränken und betroffene Regierungen beim Schutz der Zivilbevölkerung unterstützen. Im Fall schwerster Menschenrechtsverbrechen können Sanktionen drittens gemeinsam mit anderen Instrumenten zur Einstellung von Gräueltaten beitragen.

Wandel der Sanktionspraxis hin zu „Smart Sanctions“

Bis in die 1990er Jahre trafen umfassende, meist wirtschaftliche, Sanktionen oftmals eine ohnehin leidende Zivilbevölkerung mehr als das entsprechende Regime. Diese Praxis hat sich hin zu zielgerichteten Sanktionen (“Smart Sanctions”) gewandelt. Hierbei werden speziell gegen die Regierungen oder ihre Helfer Maßnahmen ergriffen, um deren Handlungsmöglichkeiten einzuschränken. So können zum Beispiel die Auslandskonten und Kredite bestimmter Individuen oder Regime eingefroren, Reisebeschränkungen erlassen oder Embargos gegen den Handel mit Waffen oder gewinnbringenden Rohstoffen verhängt werden. So konnte die Regierung Gaddafi 2011 durch ein wirksames Waffenembargo sowie die Einfrierung von Auslandskonten keine weiteren schweren Waffen oder Söldner einkaufen, die er gegen die Zivilbevölkerung hätte nutzen können. Des Weiteren kann auch der diplomatische Verkehr eingeschränkt oder der Zugang zu ausländischen Märkten im Rahmen von Sanktionen verweigert werden. Während verantwortliche Personenkreise oder Gewaltakteure von den Sanktionen betroffen sind, können Lebensmittel und humanitäre Lieferungen weiterhin zur Zivilbevölkerung gelangen. Besonders in den USA werden Smart Sanctions auch zur Einwirkung auf Firmen verwendet, die Technologien zur Verfolgung und Unterdrückung der Bevölkerung entwickeln und an menschenrechtsbrüchige Regime vertreiben (“Ghravity Sanctions”).

Erfolgsbedingungen für Sanktionen

Sanktionen sind zwar ein Zwangsmittel, jedoch auf einer niedrigeren Eskalationsstufe als militärische Interventionen zu verorten. Sie können genutzt werden, um Einfluss auf Regime und Individuen zu nehmen, die schwerste Gräueltaten verüben oder androhen. Sie dürfen daher nicht als Bestrafung für vergangene Taten eingesetzt werden, sondern sollen vielmehr künftiges Verhalten positiv beeinflussen. Eine glaubwürdige Androhung und tatsächliche Anwendung von Sanktionen kann zudem eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Täter haben.

Sanktionen müssen immer Teil einer breiteren Gesamtstrategie sein. In den Kriegen auf dem Westbalkan konnten viele Gräueltaten nicht durch Sanktionen verhindert werden, weil Waffenembargos erst sehr spät erfolgten, nicht alle Parteien gleichermaßen trafen und nicht von weiteren Maßnahmen flankiert wurden.

Sanktionen müssen von glaubhaften diplomatischen Bemühungen begleitet sein, um Verhandlungen zu ermöglichen. So bietet man betroffenen Gruppen einen Ausweg aus ihrer Situation und kann eine Verhärtung der Fronten vermeiden.

Erfolgreiche Sanktionen im Rahmen der RtoP benötigen möglichst breite Zustimmung. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kann Sanktionen laut Kapitel VII der Charta verhängen, wenn Bevölkerungen von Gräueltaten bedroht werden. Hier legen Sanktionsausschüsse den zu sanktionierenden Personenkreis fest. Fehlende Expertise und Überforderung führen aber oft dazu, dass die für Gräueltaten Verantwortlichen kaum getroffen werden. Dass dies nicht so sein muss, zeigte der kanadische Ausschussvorsitzende Robert Fowler ab 1999 in Angola: Durch umfassende Nachforschungen unter Mitgliedsstaaten und vor Ort konnten Sanktionsverletzungen verhindert und Empfehlungen zur Verbesserung der Durchsetzung erarbeitet werden. Die Smart Sanctions in Bezug auf die Darfurkrise verdeutlichen aber auch, wie wichtig ein entsprechender politischer Wille ist: Von über dreißig als Täter identifizierten Personen der Elite konnte man sich letztlich nur bei vier Personen auf Sanktionen einigen, was nur unzureichend zu einer Verbesserung der Situation geführt hat.

Auch die EU und die Arabische Liga können Waffenembargos, Handels- und Finanzsanktionen sowie Reisebeschränkungen erlassen, wie in Syrien bereits geschehen. Das Waffenembargo der EU, dessen Aufhebung und die Reaktion der Russischen Föderation unterstreichen die Wichtigkeit international konzertierter Sanktionen.

Empfehlungen

 

Deutschland hat als Exportweltmeister international eine enorme ökonomische Bedeutung, ebenso wie das handelspolitische Schwergewicht EU. Daraus ergibt sich Verantwortung und Verhandlungsmacht. Durch die Verhängung gezielter Sanktionen im Fall schwerster Menschenrechtsverletzungen sollte daher gezielter Einfluss auf das Verhalten von Missetätern genommen und entsprechend zur Prävention von Gräueltaten beigetragen werden. Außenhandelsinteressen dürfen kein Hindernis zu Verhinderung von Völkermorden sein. Die Bundesregierung sollte daher auf internationaler Ebene

  • bei EU und UN stärker für den Einsatz gemeinsamer Sanktionen als Instrument der Schutzverantwortung eintreten.
  • diplomatisch auf Staaten einwirken, die sich gegen die gemeinsame Verabschiedung von Sanktionen stellen, wenn Gräueltaten drohen oder bereits stattfinden.
  • durch Ressourcen und Know-How die UN Sanktionsausschüsse unterstützen und gegebenenfalls anderen Staaten bei der Umsetzung beistehen.

Auf nationaler Ebene sollte die Bundesregierung die bereits vorliegenden Instrumente zur Umsetzung der RtoP effektiver nutzen und

  • in Gefahrsituationen frühzeitig die Verhängung effektiver Sanktionen vorantreiben und beschließen.
  • bei mangelnder internationaler Einigkeit bezüglich Staaten, mit denen Deutschland z.B. durch Handel eng verbunden ist, gemeinsam mit der EU zu Maßnahmen wie temporären Handelssperren greifen, begleitet von diplomatischen Angeboten.
  • durch eine strikte und menschenrechtsbasierte Rüstungsexportpolitik[i] Sanktionen einen glaubhaften Rahmen geben und von selektiver Sanktionsverhängung nach politischer Opportunität absehen.

 

 

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[1] Die International Coalition for the Responsibility to Protect und das Global Centre for the Responsibility to Protect haben kürzlich Beiträge zum Thema veröffentlicht.

[1] Vergleiche hierzu „Der Internationale Waffenhandelsvertrag als Präventionsinstrument der Schutzverantwortung

Lena Kiesewetter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Genocide Alert.

Genocide Alert Policy Brief 11/2013: Sanktionen als Instrument der Schutzverantwortung als PDF Download

Genocide Alert Policy Brief 11/2013: Eine Agenda zur Umsetzung der Schutzverantwortung bis 2017

In der letzten Legislaturperiode hat die Umsetzung der Responsibility to Protect durch Deutschland  erste Konturen angenommen. Der Fokus lag hierbei vor allem auf der Prävention von Gräueltaten im  Rahmen der zivilen Krisenprävention. Dieses Engagement ist zu begrüßen und muss in der kommenden  Legislaturperiode weiter ausgebaut werden. Der neue Bundestag sollte die Bundesregierung aktiv und  impulsgebend durch eigene Initiativen und die Bereitstellung entsprechender Haushaltsmittel  unterstützen. Das vorliegende Genocide Alert Policy Brief beschreibt die notwendigen Schritte zu einer  Stärkung der Schutzverantwortung durch Deutschland.

Deutschland und die Schutzverantwortung   

Deutschland ist ein starker Förderer des Prinzips  Schutzverantwortung (engl. Responsibility to  Protect, RtoP) und Mitglied der sogenannten  „friends of RtoP“ Staatengruppe bei den Vereinten  Nationen. Dennoch wird das Konzept in der  deutschen Debatte oft fälschlicherweise auf ein  militärisches Eingreifen zum Schutz bedrohter  Bevölkerungen verkürzt. Die nicht-militärischen  Instrumente sind jedoch viel bedeutender für die  Verhinderung massiver Gräueltaten. Exemplarisch  zu nennen sind hier präventive Maßnahmen der  Krisenprävention und Entwicklungszusammenarbeit, die Ausbildung von Sicherheitskräften und  zivilen Fachkräften sowie diplomatische  Einflussnahme, Vermittlung in Konflikten oder die  Verhängung von Sanktionen durch EU oder UN.

Die RtoP auf nationaler Ebene umsetzen   

Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung  der Schutzverantwortung besteht in einer unzweideutigen, öffentlichen politischen Unterstützung der Norm. Deswegen sollte die deutsche  Politik die Verhinderung schwerster Menschenrechtsverbrechen als wichtigen Bestandteil der Außenpolitik anerkennen. Die Umsetzung der  Schutzverantwortung sollte sich daher im  Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung befinden. Zudem sollte sie in außen-, sicherheits-,  und entwicklungspolitischen Strategiedokumenten verankert werden. Hierzu zählen insbesondere der  Aktionsplan zivile Krisenprävention der Bundesregierung, das verteidigungspolitische Weißbuch  sowie die verteidigungspolitischen Richtlinien.

Darüber hinaus sollten konkrete organisatorische  und politische Schritte unternommen werden, damit die RtoP nicht nur als völkerrechtliche Norm im  Entstehen betrachtet wird, sondern konkrete  Konsequenzen für die Außenpolitik mit sich bringt.  So ist die Durchführung eines Bestandsberichts  über die zur Verfügung stehenden Kapazitäten der  Bundesregierung zur Verhinderung von schwersten  Gräueltaten notwendig: Dieser Überblick sollte eine  Analyse bestehender Kapazitäten im Bereich des  Auswärtigen Amtes, der des BMVG, BMZ, BMI,  BMF, BMWi sowie der Nachrichtendienste mit  einbeziehen.

Der Posten des nationalen Ansprechpartners für die  RtoP sollte aufgewertet werden. Die zeitlichen  Ressourcen dieses Postens um sich mit der  Implementierung der Schutzverantwortung zu  beschäftigen, ist zu gering. Deutschland sollte hierzu einen eigenständigen RtoP-Koordinator auf  Abteilungsleiterebene in Personalunion mit dem  existierenden Beauftragten für zivile Krisenprävention des Auswärtigen Amtes schaffen. Dies  würde den gestiegenen Anforderung des Themenfeldes Rechnung tragen und durch  Bündelung der Funktionen für Krisen- und  Gräueltatenprävention zu merklichen Synergieeffekten führen.

Die Bundesregierung sollte ihre Aktivitäten im  Bereich der Krisenprävention ausbauen. Der  Aktionsplan zivile Krisenprävention sollte  überarbeitet und um die besondere Perspektive der  Verhinderung schwerster Gräueltaten erweitert  werden. Der Ressortkreis zivile Krisenprävention  wird von der Bundesregierung als Beispiel benannt,  wenn es um die nationale Umsetzung der RtoP  geht. Zwar überschneiden sich die Agenden der  Gräueltaten- und Krisenprävention, sie sind aber  nicht identisch: Die Prävention von Gräueltaten hat  eine Identifikation und Verhütung von Gefahrensituationen zum Ziel, in denen schwerste Menschenrechtsverletzungen zu befürchten sind. Weder treten Gräueltaten immer in bewaffneten Konflikten  auf, noch sind die verfügbaren Präventionsinstrumente ausschließlich ziviler Natur. In Risikosituationen kann, z.B. wie in Mazedonien im Jahr 1995, eine präventive Stationierung von Polizei-  oder Militäreinheiten für den Schutz einer  Zivilbevölkerung nötig sein. Gräueltaten treten zudem auch außerhalb bewaffneter Konflikte auf.

Die RtoP auf internationaler Ebene stärken   

Das internationale Engagement Deutschland für die  Schutzverantwortung muss gestärkt werden, sowohl  im Rahmen der EU als auch in den Vereinten Nationen. Deutschland sollte seine Expertise im  Bereich der Sicherheitssektorreform stärker  einbringen und sich aktiver an multilateralen  Polizei-, Justiz- und Militärausbildungsmissionen  beteiligen. Dies ist eine wichtige Ergänzung zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit im Justizsektor.  Die Schulung von Sicherheitskräften in den  Themenbereichen Menschenrechtsschutz, Rechtsstaatlichkeit und humanitärem Völkerrecht ist eine  essentielle Voraussetzung für den effektiven Schutz  bedrohter Zivilbevölkerungen.

Die Bundesregierung sollte zudem ihre finanzielle  Unterstützung für das Büro der Sonderberater des  UN-Generalsekretärs für die Schutzverantwortung  und die Prävention von Völkermord ausbauen. Des  Weiteren sollte sich Deutschland der Initiative des  Europäischen Parlaments für einen Europäischen  Konsens zur Schutzverantwortung anschließen. Auf  EU-Ebene sollte stärker als bisher Expertise zur  Prävention und Frühwarnung vor Menschenrechtsverbrechen kultiviert werden. Der Europäische  Auswärtige Dienst sollte gemeinsam mit den  Mitgliedstaaten einen Expertenpool zur Gräueltatenprävention aufbauen. Auch sollten Synergien  bei den existierenden Warnsystemen auf EU-Ebene  und in den Mitgliedstaaten identifiziert und genutzt  werden. Auch der neue Bundestag kann eine aktive Rolle für  eine effektive Verankerung der Prävention schwerster Menschenrechtsverbrechen in der deutschen Außenpolitik spielen. So sollte sich der  Menschenrechtsausschuss im Bundestag, ebenso  wie der Auswärtige Ausschuss und der  Unterausschuss zivile Krisenprävention und  vernetze Sicherheit regelmäßig mit der Prävention von schwersten Menschenrechtsverbrechen beschäftigen. Das Auswärtige Amt sollte diese  Ausschüsse regelmäßig über entsprechende Krisen  mit Eskalationspotential informieren.

Die für RtoP zuständigen Referate im Auswärtigen  Amt in der Abteilung Vereinte Nationen und  Globale Fragen haben kein ausreichendes Budget,  um Präventionsprojekte über punktuell hinausgehende Vorhaben zu unterstützen. Der Haushaltsposten für zivile Krisenprävention und  -reaktion sollte daher in zwei Teile getrennt und mit weiteren Mitteln ausgestattet werden. So würden  finanzielle Mittel für Prävention nicht länger  aufgrund kurzfristig notwendiger Ausgaben der  Krisenreaktion aufgebraucht. Auch sollte die  Genehmigung von Rüstungsexporten restriktiver  gestaltet und durch größere parlamentarische  Kontrollrechte flankiert werden. Menschenrechtsschutz und Rechtsstaatlichkeit im Zielland müssen  aus Perspektive der Prävention von Menschenrechtsverbrechen primäres Kriterium der Rüstungsexportpolitik sein.

Gregor Hofmann ist stellvertretender  Vorsitzende von Genocide Alert und wissen- schaftlicher Mitarbeiter der Hessischen  Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung

Dr. Robert Schütte ist Vorsitzender von  Genocide Alert

 Genocide Alert Policy Brief 11/2013: Eine Agenda zur Umsetzung der Schutzverantwortung bis 2017 als PDF Download

The Responsibility to Protect and Germany’s 2013 Elections

Genocide Alert Policy Brief, September 2013

The Responsibility to Protect (RtoP) or ‚Schutzverantwortung‘ has made significant inroads in terms of cementing itself on the German domestic political scene. With the elections just ten days away, how do the major parties plan to deal with the principle? How does it figure, if at all, in their policy platforms? What can we expect from the major parties regarding their support for RtoP for 2013 and beyond? This policy brief provides answers to these questions for an English-speaking audience.

» Genocide Alert Policy Brief, September 2013

Das Menschenrechtszeugnis zur Bundestagswahl

Auf dem Weltgipfel der Vereinten Nationen im Jahr 2005 verpflichteten sich ausnahmslos alle Staaten zur Wahrnehmung ihrer Schutzverantwortung, damit Zivilbevölkerungen in Zukunft besser vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit geschützt werden können. Die internationale Gemeinschaft hat sich hiermit die Aufgabe gegeben, Staaten bei der Wahrnehmung ihrer Schutzverantwortung zu unterstützen und im Notfall den Schutz bedrohter Bevölkerung zu erzwingen.

Mit diesem Zeugnis bewertet Genocide Alert, inwiefern die im Bundestag vertretenen Parteien sich dieser Verantwortung in der kommenden Legislaturperiode stellen wollen und für eine deutsche Außenpolitik eintreten, die dem Schutz der Menschenrechte, der Verhinderung schwerster Menschenrechtsverletzungen und einer Bestrafung solcher Verbrechen gewidmet ist.

Wie bereits beim letzten Menschenrechtszeugnis zur Bundestagswahl 2009 stehen auch 2013 erneut Bündnis 90/Die Grünen an der Spitze. Das klare Bekenntnis der Grünen zum Menschenrechtsschutz und der Bekämpfung schwerster Menschenrechtsverbrechen bringt ihnen die Note 1 (sehr gut) ein. Auf Platz zwei liegt die FDP mit einer 2- (noch gut). Die Liberalen sprechen sich in ihrem Wahlprogramm ausführlich für eine menschenrechtsorientierte Außenpolitik aus, hätten jedoch mit der Nennung konkreterer Maßnahmen in den Themen Menschenrechtsschutz und Krisenpräventionnoch besser abschneiden können. Im Mittelfeld finden sich die SPD sowie die CDU/CSU. Die Sozialdemokraten erreichen die Note 3- (noch befriedigend). Die SPD betrachtet Menschenrechte und Demokratie stets im Zusammenhang mit Frieden und Sicherheit, äußert sich allerdings nur vergleichsweise kurz zu den Themen Krisenprävention, Schutzverantwortung und dem Internationale Strafgerichtshof. Die weltweite Anerkennung der Menschenrechte setzten sich die Unionsparteien in ihrem Wahlprogramm explizit zum Ziel. Da konkrete Aussagen dazu im Wahlprogramm und auch in den Antworten auf unsere Wahlprüfsteine aber eher vage bleiben, erhalten die Christdemokraten mit der Note 4+ (voll ausreichend) ein für eine Regierungspartei ausbaufähiges Ergebnis. Abgeschlagen auf dem letzten Platz findet sich wie, bereits im Jahr 2009, Die Linke. Trotz häufiger Bekenntnisse zu Menschenrechten im Wahlprogramm, benennt die Linke keine Ideen, wie Deutschland aktiv zu einer besseren Einhaltung der Menschenrechte beitragen kann. Ihre Ablehnung UN-mandatierter Friedensmissionen und Skepsis gegenüber der Verwirklichung der internationalen Schutzverantwortung und Bestrafung schwerster Menschenrechtsverletzungen durch den Internationalen Strafgerichtshof zeichnen leider nicht das Bild einer verantwortungsbewussten Außenpolitik. Daher fällt die Linke mit der Note 5 (mangelhaft) als einzige Partei durch.

Das von Genocide Alert erarbeitete und herausgegebene Zeugnis umfasst eine Bewertung der Wahlprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien sowie ergänzende Antworten der Bundestagsfraktionen auf die von Genocide Alert an sie gerichteten Wahlprüfsteine. Die Bewertung der Wahlprogramme erfolgte auf Basis eines Fragebogens mit 15 Fragen zu unterschiedlichen Bereichen des Menschenrechtsschutzes (siehe Kapitel „Methodik“). Die Bewertung erfolgte durch die Mitglieder von Genocide Alert. Streitfälle wurden in der Gruppe im Konsens entschieden. Ergänzt wurde die Bewertung der Wahlprogramme durch die Vergabe von bis zu drei Zusatzpunkten, entsprechend der Qualität der Antworten auf die von Genocide Alert an die Bundestagsfraktionen gestellten Wahlprüfsteine.

Hier können Sie das gesamte Genocide Alert Menschenrechtszeugnis herunterladen (pdf)

 

Hier kommen Sie direkt zu den Ergebnissen der einzelnen Parteien:

 

Wie antworteten die Fraktionen auf unsere Wahlprüfsteine? Hier finden Sie die Antworten im Detail: