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Tschad und Darfur – Geschichte eines Konflikts

Am 2. und 3. Februar wurde N´Djamena, Hauptstadt des Tschads, zum Schauplatz gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen des Tschads und Rebellentruppen aus dem Sudan. Der Angriff ging von politischen Kontrahenten des aktuellen Präsidenten des Tschad, Idriss Déby, aus, und kann somit nicht als integraler Bestandteil des Darfur-Konflikts bewertet werden.

Vielmehr handelt es sich um eine von Rebellen und Milizen geführte Auseinandersetzung zwischen Tschad und Sudan. Jedoch steckt die sudanesische Regierung hinter dieser Rebellion. Dadurch, dass sie die bewaffnete Opposition im Tschad unterstützt und so aus der Ferne auf einen offenen Konflikt mit dem Tschad hinwirkt, könnte der Sudan die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft vom Konflikt in Darfur ablenken wollen. Die Spannungen zwischen den Hauptstädten N’Djamena und Khartum sind auf einem vorläufigen Höhepunkt. Im Süd-Osten des Tschads ereignen sich inzwischen ähnliche Gewalttätigkeiten wie in Darfur.

Von besonderer Brisanz sind diese Entwicklungen auch aufgrund der Tatsache, dass  Khartum und N’Djamena seit 1990 Verbündete waren. Jedoch haben sich die diplomatischen Beziehungen seit 2003, dem Jahr, das den Anfang des Völkermords in Darfur markiert, massiv verschlechtert. Somit spielt Darfur in diesem Zusammenhang sehr wohl eine Rolle. Die für den 1. Februar geplante EUFOR-Friedensmission – die Entsendung von EU-Truppen – ist von einem  Mindestmaß an Frieden abhängig; so wurde sie aufgrund der jüngsten gewaltsamen Entwicklungen verschoben. Ein Blick in die Vergangenheit der Beziehung beider Staaten zueinander, hilft, den aktuellen Konflikt einzuordnen und zu verstehen.

Der Aufstieg des Idriss Déby

Karte von Tschad und SudanDie Geschichte wiederholt sich. So ist es ist nichts Neues, dass Rebellen versuchen, die Hauptstadt N’Djamena zu erobern. Seit Anfang der von Entkolonialisierung geprägten 1960er Jahre, haben Rebellen im Tschad mehrmals gewaltsam gegen die Regierung geputscht. Vertriebene ehemalige Regierungsmitglieder des Tschads suchten und fanden oftmals im Sudan Zuflucht. Sie erhielten sogar in vielen Fällen finanzielle und militärische Unterstützung durch Khartum (APANEWS 2008), die sie in die Lage versetzte, durch Rebellion ihre Macht zurückzuerlangen.  So waren die drei letzten tschadischen Präsidenten in den Sudan vertriebene Mitglieder der Front zur Nationalen Befreiung des Tschad (Front de Libération national du Tchad). Dieses gilt auch für den aktuellen Präsidenten, Idriss Deby, der vom Sudan aus seine Truppen koordinierte, um die Regierung von Hissein Habré im Jahr 1990 zu stürzen. Er konnte von der Unterstützung des islamischen Regimes in Khartum profitieren. Das also markierte den Anfang der engen Zusammenarbeit zwischen N’Djamena und Khartum.

Brisant ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass Idriss Déby dem auch in Darfur ansässigen Volksstamm der Zaghawa angehört. Seit Beginn der 1990er Jahre unterstützten ihn die Zaghawa beim Sturz der Diktatur von Hissein Habré. Déby versprach vor seiner Machtübernahme, die Zaghawa-Rebellen in Darfur zu unterstützen. Eben jener Volksstamm der Zaghawa wird seit vielen Jahren von Khartum jedoch politisch und wirtschaftlich marginalisiert. Maurice Hel Bongo  prangert das zweigleisige Verhalten Idriss Débys an, sowohl mit der islamischen Regierung in Khartum, als auch mit den Zaghawa-Rebellen zu kooperieren (Agazzi 2008). Er berichtet sogar von „hartnäckigen Gerüchten“, gemäß derer Déby versprochen haben soll, den Zaghawa ein eigenes Reich in Darfur zu schaffen.

Zankapfel Darfur

Verschiedene Rebellengruppen haben somit nach 1990 die Hilfe von Präsident Déby angefordert. Dennoch hat der tschadische Präsident es abgelehnt, die Rebellion gegen Khartum zu unterstützen – aus Sorge, die guten Beziehungen zum sudanesischen Präsidenten Omar el Bashir zu gefährden. Die Lage verkomplizierte sich jedoch mit Kriegsausbruch in Darfur 2003. Viele sudanesische Zaghawa desertierten aus der Armee des Tschads, um die Rebellen gegen den Sudan zu unterstützen. Anfangs versuchte Déby, sich den Rebellen in Darfur entgegenzustellen, um die traditionell guten Beziehungen mit seinen sudanesischen Verbündeten aufrecht zu erhalten. Er schickte Truppen in den Sudan, um SLA (Sudan Liberation Army) und JEM (Justice and Equality Movement) zu bekämpfen, doch seine eigenen Soldaten weigerten sich, gegen andere Zaghawa zu Felde zu ziehen. Idriss Déby befand sich somit in einer Zwickmühle. Er sah sich einerseits vom  Volksstamm der Zaghawa – vor allem aus dem Kreis seiner Familie – und andererseits von seinen Verbündeten in Khartum unter Druck gesetzt. Die sudanesische Regierung verzieh  ihm sein Versagen bei der Truppenführung nicht und unterstützt so seit 2005 im Gegenzug systematisch tschadische Rebellen. Der Bruch zwischen beiden Ländern wurde durch einen Überraschungsangriff des Sudans in der Grenzregion von Adré endgültig vollzogen, und der Tschad begann nun seinerseits, die Rebellen in Darfur zu unterstützen.

Bedrohung des tschadischen Regimes durch Rebellen

Déby sieht sich mit zunehmender Unbeliebtheit sowie Kritik am Ausbleiben eines echten Demokratisierungsprozesses konfrontiert. Zudem hat er sich zahlreiche Feinde geschaffen. Sein Regime wird von Verschwörungen innerhalb seines unmittelbaren Umfelds sowie von regelmäßigen Überfällen durch von Khartum unterstützten Gruppierungen bedroht. Die Rebellen, die Anfang Februar 2008 gegen die tschadische Hauptstadt in die Offensive gingen, stammen ebenfalls aus dem direkten Umfeld Débys. Nahmat Nouri, ein ehemaliger Minister Habrés und Débys, der gleichzeitig sein Schwager ist sowie sein ehemaliger Kabinettschef,  Débys eigener Neffe, gehören zu diesen Rebellen. Beide erklärten, eine neue, auf allgemeinem Wahlrecht beruhende, Demokratie gründen zu wollen. Déby hingegen behauptet, dass es sich um einen versteckten Vorstoß des Sudan handele. Der Sudan hat seinerseits dementiert, die tschadische Opposition zu unterstützen, denn „er habe kein Interesse, das zu tun“ (RFI 07.01.2008).  N’Djamena beschuldigt schließlich Khartum, den Angriff geplant zu haben, um die Entsendung von EUFOR-Truppen der Europäischen Union im Osten des Tschad sowie die Dislozierung einer gemischten UNAMID-Truppe aus Streitkräften der Afrikanischen Union (AU) und der UN in Darfur zu erschweren oder gar zu verhindern. Khartum ist offenbar nicht an einer wie auch immer gearteten Internationalisierung des Konflikts interessiert.

Die Rolle der internationalen Gemeinschaft

Die derzeitig kritische Lage beunruhigt sowohl humanitäre Hilfsorganisationen in Darfur als auch die internationale Gemeinschaft. Im Januar diesen Jahres rief Rodolphe Adada, Oberkommandierender der UNAMID-Truppe in Darfur, in einer aus Khartum verbreiteten Pressemitteilung die Regierungen des Sudan und des Tschad „zur Zurückhaltung, zum Dialog und zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen“  auf. Hierbei nahm er Bezug auf eine Vereinbarung über gute nachbarschaftliche Beziehungen, die zwischen den beiden Staaten abgeschlossen worden war. Es liegt auf der Hand, dass die Spannungen zwischen Tschad und Sudan den Einsatz internationaler Streitkräfte zur Friedenserhaltung erschweren oder gar gefährden. Die Entsendung europäischer und UN-Streitkräften ist weder im Interesse des Sudans noch der tschadischen Rebellen. Diese Rebellen würden ihrer Chance beraubt, das Regime Débys zu stürzen, was gleichzeitig auch eine beträchtliche Ausdehnung der sudanesischen Einflusszone bedeuten würde.

Der Putschversuch Anfang Februar steht wahrscheinlich mit der Ankunft des europäischen Kommissars Louis Michel, der N’Djamena im Rahmen der Aufstellung der EUFOR-Truppen bereist, in Zusammenhang. Die Offensive auf die Hauptstadt des Tschads war zeitlich dermaßen gut abgestimmt, dass die EU-Mission einstweilen auf Eis gelegt wurde und nun offiziell am 1. März beginnen soll. Gleichzeitig hat Frankreich, dessen Armee an Ort und Stelle stationiert ist, offiziell nicht in die Kampfhandlungen eingegriffen. Stattdessen ließ es im Sicherheitsrat der UNO über eine Resolution abstimmen, die den Angriff der Rebellen und ihren Versuch, die Macht durch Gewalt zu ergreifen, verurteilt. Diese UNO-Resolution gewährt dem tschadischen Staat somit die Hilfe der internationalen Gemeinschaft und könnte laut Verfassung im Falle neuer Konfrontationen die Intervention französischer Streitkräfte rechtfertigen. Die Resolution des Sicherheitsrats soll vor allem abschrecken. Die ohnehin schon als problematisch empfundene Vermengung einer gesamteuropäischen Mission mit rein französischen Interessen wird durch die jüngsten Ereignisse weiter bestärkt. In jedem Fall kann davon ausgegangen werden, dass Präsident Idriss Déby de facto durch eine Entsendung der EU-Truppen gestärkt wird.

Carine Lin-Kwang ist Mitglied von Genocide Alert.

Quellen:

– APANEWS: Tchad-Soudan : 45 ans de relations tumultueuses TCHAD, 06.01.2008
– Florence Brisset-Foucault: Interview auf http://www.mouvements.info/spip.php?article118
– Isolda Agazzi: Interview mit Maurice Hel Bongo, Info Sud (Schweiz), 2008
– LE MESSAGER, Alain Boyomo, courrier international n°901, vom 7. bis 13. Februar 2008
– Magazin « Afrique-Asie, Soudan dits et non dits d’un conflit », November 2007
– N’DJAMENA BIHEBDO, Serge Félix N’Piénikoua, courrier international n°901, vom 7. bis 13. Februar 2008
– RFI: http://www.rfi.fr/actufr/articles/097/article_61157, 07.01.2008

Die Krise im Tschad: Ein Policy Paper der Stiftung Wissenschaft und Politik

Die Kämpfe zwischen der tschadischen Regierung und von Khartum unterstützten Rebellengruppen stellen die geplante Mission der Europäischen Union EUFOR zunehmend in Frage. Die in Berlin ansässige Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hat hierzu eine aktuelle Analyse veröffentlicht, die Genocide Alert an dieser Stelle dokumentiert.

 
„Die jüngsten Kämpfe in Tschad zwischen Rebellentruppen und der Armee stellen die Entsendung der militärischen Operation EUFOR Tschad/Zentralafrikanische Republik in Frage, die die Europäische Union (EU) am 15. Oktober 2007 beschlossen hatte. Nicht nur die Gewalteskalation, auch die offene französische Parteinahme für das Regime von Präsident Idriss Déby haben die Rahmenbedingungen für die Operation fundamental verändert. In Anbetracht dessen muss die EU prüfen, ob und unter welchen Bedingungen die Operation noch sinnvoll durchgeführt werden kann.“